Gaesteliste.de Internet-Musikmagazin



SUCHE:

 
 
Gaesteliste.de Facebook Gaesteliste.de Instagram RSS-Feeds
 
Interview-Archiv

Stichwort:



 
BRIMHEIM
 
Der Flirt mit den Extremen
Brimheim
Mit ihrem erstaunlich dystopischen Debüt-Album "I Can't Hate Myself Into A Different Shape" sang sich die faröisch/dänische Songwriterin Helena Heinesen Rebensdorff - die als Musikerin unter dem trefflichen Künstlernamen Brimheim (Heimat der brechenden Wellen) agiert - ihren Frust über ihre Depressionen, Psychosen, Ängste und Neurosen vom Leibe - und etablierte sich aus dem Stand heraus als willkommene Ergänzung der Riege der Kaputnik/Art & Indie-Rock-Queens vom Schlage Torres, St. Vincent oder auch Lucy Kruger. Bevor sie dieser Tage nun auf ihre erste Headliner Tour durch Europa geht, legt sie bereits ihr zweites Album "Ratking" vor, das sich im Vergleich zum Debüt zwar zugänglicher und versöhnlicher zeigt, aber andererseits auch von der dynamischen Auslotung musikalischer Extreme und dem lyrischen Erforschen düster/traumatischer Phantasiewelten lebt. Besonders angepasst und pflegeleicht erscheint Brimheim also immer noch nicht.
Passenderweise macht Brimheim gleich in dem Song "Normies" deutlich, dass sie eben nicht zu den normalen Leuten gehören - bzw. sich von diesen distanzieren möchte. Ist das also auch ihr Lebensmotto? "Ja, in gewisser Weise schon", meint sie, "es soll alles weg von der normalen, höflichen Gesellschaft führen. Ich möchte stattdessen vermitteln, dass man auch seinen Impulsen nachgeben kann." Dabei geht es dann vermutlich um eine Frage der Perspektive, oder? Wer was wie aus welcher Perspektive sieht und wahrnimmt. "Das könnte man wohl so sehen", bestätigt Brimheim, "ich denke, es geht auf dem Album mehr oder minder um meine Beziehung zu mir selber." Auf "Ratking" gibt es auch einen Song namens "Literally Everything", in dem sich Helena Gedanken über ihre Stellung als Songwriterin und Musikerin macht - bzw. über die Wahrnehmung ihrer öffentlichen Persona als Brimheim und ihr "unstillbares Verlangen nach Anerkennung und Bewunderung durch andere Menschen in den Griff zu bekommen". Geht es dabei um ein dringendes, inneres Bedürfnis oder sucht Helena so nach einer Möglichkeit, sich darzustellen? "Ich denke, es geht um eine Kombination von beidem", meint Helena, "als wir diese Scheibe machten, schrieb ich zunächst aus der Intuition heraus und brachte Dinge zu Papier, die aus meinem Inneren entsprangen und sich dringlich anfühlten. Nachdem wir dann ein paar Wochen an dem Material gearbeitet hatten, blickte ich auf das zurück, was wir bis dahin angesammelt hatten und konnte dann erkennen, dass sich alles um gewisse, ähnliche Dinge drehte. Nach dieser Erkenntnis arbeitete ich etwas bewusster weiter und legte einen Plan darüber fest, was ich sagen wollte; was das Album aussagen und worum es gehen sollte. Ich erkannte die Themen und Richtungen der Songs und konnte dann entscheiden, aus welcher Perspektive ich sie betrachten sollte." Da kommen wir dann wieder an den Punkt, dass Musik - und besonders die Texte - einen gewissen autotherapeutischen Wert haben können, wenn man sie mit der notwendigen Offenheit betrachtet, oder? "Ja, ja - immer sogar", schmunzelt Helena, "das spielt immer eine große Rolle für mich."

Auf dem neuen Album arbeitet Brimheim sehr viel mit Kontrasten und Dynamik - um den turbulenten Charakter ihrer Lyrics entsprechend musikalisch zum Ausdruck zu bringen. Zwischen dem mit dystopisch anmutenden Streicher- und jazzigen Bläserparts unterlegten Wave-Opener "Dancing In The Rubble" und der abschließenden, fast klassischen Darkwave-Piano-Ballade "Hurricane" liegen Welten - die Brimheim allerdings alle irgendwie auch besetzt. Das mag auch damit zusammenhängen, dass sich Helena mit den beiden Dänischen Musikern Søren Buhl Lassen und Robert "Buster" Jensen zusammengetan hat, die beide auch in der Avant-Jazz-Pop-Band Blaue Blume mitwirken. Worum geht es Brimheim auf der musikalischen Seite? "Ich arbeite gerne mit Dymanik-Verschiebungen und Kontrasten, weil ich mich einfach ansonsten leicht langweilen würde. Wenn ich eine Art von Song an einem Tag schreibe, dann will ich am nächsten das genaue Gegenteil machen. Das fühlt sich für mich ganz echt an, weil ich nun mal eine turbulente und emotional getriebene Person bin. Ich bin außerdem auch eine ungeduldige Person. Meine Musik passt sehr gut zu meiner Persönlichkeit. Weißt Du: Ich flirte gerne mit den Extremen."
Brimheim
Helenas erstes Album "I Can't Hate Myself Into A Different Shape" entstand in einer düsteren Phase in ihrem Leben, in der sie mit Depressionen und der Wut über die eigenen Unzulänglichkeiten zu kämpfen hatte. Offensichtlich hat ihr dieses Album aber geholfen, diese Dinge zu verarbeiten, denn heutzutage ist sie eben weniger zornig und selbstbewusster. Geht es auf dem neuen Album auch irgendwie um das Empowerment - bzw. die Suche danach? "Ja - ich bin froh, dass du das korrigiert hast", meint Helena, "damit bringst du nämlich die Sache auf den Punkt. Es gibt auf jeden Fall um dieses Sehnen nach Empowerment und den Versuch, danach zu greifen - aber auch darum, es nicht ganz zu packen und das vielleicht insgeheim auch gar nicht wirklich zu wollen." Warum aber verwendete Helena das Bild des Rattenkönigs als Leitmotiv für das neue Album? Ein Rattenkönig ist der Legende nach ein Knäuel von Ratten, die sich mit ihren Schwänzen verknotet haben und nicht mehr voneinander loskommen. "Also zunächst mal wollte ich einfach einen Titel, der aus einem Wort bestand", berichtet Helena, "ich habe lange danach gesucht, denn dieses Wort sollte alle meine Gefühle zu dieser Scheibe beinhalten. Das war ganz schön schwierig. Ich habe auf Wikipedia, in Gedichtbänden und Songtexten nach einem solchen Wort gesucht und bin dann irgendwie auf den 'Ratking' gestoßen. Ich dachte dann, dass das Bild von an den Schwänzen verknoteten Ratten ein so starkes Bild sei - einerseits natürlich widerlich, aber letztlich auch königlich im Titel. Ich dachte mir, dass dieses Bild sehr stark den Konflikt zwischen dem Animalischen und den Instinkten, dem Empowerment und dem Wunsch, Macht zu verkörpern, widerspiegelte; und zugleich ein unlösbares Problem darstellte. Ich werde auf dem Sticker des Vinylalbums auch einen einen Rattenkönig aus 12 Ratten abbilden - weil es 12 Songs auf dem Album gibt. Das finde ich cool." Ist der Rattenkönig dann eine Entität oder nur ein Symbol für die Verwirrungen im System? "Nun, ich mag die Idee, dass es beides sein kann und dass ein Rattenkönig obendrein auch ein König sein kann - wenngleich ein König der Gewürgten."

Was hat Helena denn auf der musikalischen Seite inspiriert? "Ich wollte eine große Bandbreite", erklärt Helena, "ich wollte einerseits Songs mit einem Instrument und wenig Begleitung und auf der anderen Seite wollte ich Sachen, die sich fast orchestral anfühlten. Ich hatte aber kein Budget für ein richtiges Orchester - deswegen musste ich hier dieses Gefühl der Grandiosität anders erreichen." Exzellente Beispiele für diese Herangehensweise wäre dann die abschließende, frugal inszenierte Piano-Ballade "Hurricane" und der sich zu einer dystopischen Symphonie aufbauschende Track "Fell Through The Ice". "Ja - das ist ein gutes Beispiel, denn ich wollte dass der Sound dieses Mal extrovertierter wird", bestätigt Helena, "meine Stimme sollte da im Zentrum stehen, wie bei einer Pop-Scheibe, während meine letzte Scheibe eher wie eine Indie-Scheibe produziert war. Die Texte sollten auf jeden Fall verständlich sein. Ich wollte also große dynamische Weite und Extrovertiertheit im Klang." Ging es dabei vielleicht auch um die spätere Präsentation im Live-Kontext, wie auf der anstehenden Tour? "Nein - ganz im Gegenteil", führt Helena aus, "mein Live-Soundmann ist sogar sehr frustriert mit mir, weil das Material live sehr schwer zu mischen ist. Das wird eine große Herausforderung sein - aber ich denke, dass er das mit seinen Fähigkeiten schon hinbekommen wird."
Inwieweit waren denn Søren Buhl Lassen und Robert "Buster" Jensen von Blaue Blume am Sounddesign des neuen Albums beteiligt? Vermutlich sind ihnen ja die teils jazzigen Vibes zuzurechnen, die immer mal wieder in den Songs auftauchen? "Auf jeden Fall", bestätigt Helena, "hauptsächlich ist Søren, der das Album auch mit mir produziert hat mein Mitstreiter, aber ich habe auch einige Songs auf der Gitarrenarbeit von Buster aufgebaut. Es sind also beide beteiligt. Die jazzigen Parts kommen dann daher." Was zeichnet einen guten Song für Helena aus? "Das ist eine wirklich gute Frage - und die etwas vage Antwort ist, dass es sehr gut für mich funktioniert, wenn ich spüren kann, dass jemand wirklich authentisch ist in dem, was er mit seiner Musik ausdrückt", überlegt Helena, "aber natürlich gehört da noch mehr dazu. Ich mag clevere Texte - wenn also jemand etwas Universelles auf eine clevere Art auszudrücken imstande ist, die mich wünschen lässt, ich sei selber auf diese Idee gekommen, weil ich ganz genau weiß, worum es bei dem so beschriebenen Gefühl geht." Denkt Helena eigentlich in solchen Kategorien wie "Stil" oder "Genre"? "Immer weniger", zögert Helena, "als wir beispielsweise zum ersten Mal im Studio an dem Song 'Literally Everything' arbeiteten und ich mir die Aufnahme anhörte, war ich fast erschreckt davon, wie anders dieses Material klang - so elektronisch und mit Sounds, die ich bis dahin noch nicht erforscht hatte - so dass ich fast eine Identitätskrise bekam. Aber gerade weil das sich außerhalb meiner Komfortzone befand, fühlte ich, dass das der Weg sei, den es zu verfolgen gälte. Mittlerweile liebe ich diesen Sound, denn er führt mich ein wenig weg von dem Indie-Rock-Label und schließlich will ich ja auch so entfesselt vom Genredenken agieren, wie nur irgend möglich." Und dann gibt es ja noch das Duett "Brand New Woman" mit der dänischen Dreampop-Künstlerin Emma "eee gee" Grankvist. Hier präsentieren sich beide Damen mit Rollenspielen auf der Suche nach der besagten "Brandeuen Frau". "Ja, wir sind befreundet", führt Helena aus, "ich weiß aber auch, das eee gee sehr talentiert als Harmonie-Sängerin ist und habe ihr deswegen meine Songs 'Literally Everything' und 'Brand New Woman' geschickt, weil diese einige Gesangsharmonien beinhalten, die ich alleine nicht hinbekommen hätte. Was sie dann gemacht hat, hat mich sehr beeindruckt, weil es die Songs auf ein ganz neues Level gehoben hat. Speziell 'Brand New Woman' ist dabei ja eine Kreuzung unserer beiden Stile, so dass ich sie bat, auch eine Strophe beizutragen. In dem Video zu dem Song geht es darum, dass dieser Song meinem Verständnis nach aus der Sicht einer unterdrückten Hausfrau geschrieben ist, die sich in einer schalen Beziehung mit einer Person befindet, die sie nicht richtig wahrnimmt. Auf gewisse Weise entscheidet sie sich aber auch dafür, in dieser Beziehung zu verweilen, obwohl sie das eigentlich gar nicht müsste. Für mich ist gerade dieser Song ein Sinnbild für dieses Sehnen nach Selbstermächtigung und der Frage, warum es manchen Leute so schwer fällt, nach dem Empowerment zu greifen, wenn es doch tatsächlich in Reichweite liegt. Deswegen präsentiere ich mich hier als putzende Hausfrau in dem Video."

Geht es Helena denn überhaupt darum, in Rollen zu denken, wenn sie ihre Songs schreibt? "Manchmal ist es einfacher, Dinge auf den Punkt zu bringen, wenn man sie aus der Sicht von Charakteren schildert", führt Helena aus, "wenn ich das tue, dann immer mit der persönlichen Erfahrung des Erlebten im Hinterkopf. Ich nutze das als Werkzeug, weil mir das so einen einfacheren Zugriff auf reale Dinge aus meinem Inneren ermöglicht, da manchmal eben Dinge wie Scham oder Peinlichkeit im Wege stehen können, wenn es darum geht die authentischsten und ehrlichsten Punkte anzusprechen. Wenn ich aus der Perspektive eines Charakters spreche, dann umgehe ich diese Peinlichkeit, obwohl ich über mich selbst singe." Was hat Brimheim denn überhaupt bewogen, eine Karriere als Musikerin zu verfolgen? "Daran ist vermutlich meine Mama schuld, die auch eine Musikerin ist", berichtet Helena, "sie hat das zwar nicht sehr lange gemacht, hatte aber ein Heimstudio, als ich aufwuchs. Ich habe immer gerne gesungen und sie hat mich - vielleicht sogar zu sehr - ermutigt, Musik zu machen, als sie entdeckte, dass ich es mochte zu singen. Als ich dann eine rebellische Teenagerin wurde und expressive Rockmusik als Mittel der Frustrationsbewältigung entdeckte, hat das meinen kindlichen Wunsch mich künstlerisch selbst zu verwirklichen sozusagen zementiert."

Was gibt es als Nächstes für Brimheim? "Also Brimheim ist als Langzeitprojekt angelegt", verrät Helena, "ich bin da auch sehr ambitioniert und will ein Mal schauen, wie weit ich damit kommen kann. Ich werde jetzt meine erste Europa-Tour angehen und versuchen, mich in neuen Territorien zu etablieren. Vieles davon richtet sich auf die geschäftlichen Aspekte aus, denn ich möchte, dass das Projekt weiter wächst. Ich bin aber auch gerade - über meine Musik - für eine Rolle in einem Film besetzt worden und werde mal sehen, wohin das führt. Auch will ich versuchen im Sommer schon das nächste Album aufzunehmen. Es gibt also viel zu tun und neue Wege zu erkunden."
Weitere Infos:
www.brimheim.com
www.facebook.com/brimheimy
www.youtube.com/watch?v=5s_zwppYj8I
www.youtube.com/watch?v=_8RpsbG4TD0
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Andre Hansen-
Brimheim
Aktueller Tonträger:
Ratking
(Tambourhinoceros/Rough Trade)
jpc-Logo, hier bestellen

 
Banner, 234x60, ohne Claim, bestellen
 

Copyright © 1999 - 2024 Gaesteliste.de

 powered by
Expeedo Ecommerce Dienstleister

Expeedo Ecommerce Dienstleister