GL.de: Wenn du auf deine bisherige Karriere zurückblickst, hast du dann das Gefühl, dass sich viel verändert hat?
Heather: Nein, ich denke, ich bin immer noch der gleiche Mensch. Gleichzeitig bin ich heute aber viel entspannter, weil ich jetzt weiß, wie ich das Geschäftliche anzufassen habe und was es bedeutet, auf Tournee zu sein. Inzwischen genieße ich die Shows und meine Zeit auf der Bühne viel mehr und auch die Verbindung, die ich zum Publikum herstelle. Ich bin dankbar für die Chance, weiter live auftreten zu können und meine Songs vor Menschen zu singen, die nicht nur zu den Konzerten kommen, sondern für die diese Lieder ein Teil ihres Lebens geworden sind. Diesen wunderbaren Austausch zwischen Künstler und Publikum gibt es nur bei Konzerten.
GL.de: Bedeutet das, dass sich für dich die Balance zwischen Studioaufnahmen und Live-Konzerten über die Jahre verändert hat?
Heather: Nein, ganz und gar nicht. Meine Karriere ist in zwei Phasen unterteilt, die zyklisch sind. Ich schreibe und nehme die Songs auf - das ist eine sehr private, introvertierte Zeit. Dann gibt es diese komplette Umkehrung, wenn ich auf Tour gehe - raus in die Öffentlichkeit. Um ganz ehrlich zu sein: Ich lebe zu Hause sehr in mich gekehrt, und jedes Mal, wenn eine Gastspielreise bevorsteht, denke ich: Ich kann das nicht! Es ist schon witzig, dass ich in all den Jahren nicht begriffen habe, dass ich es sehr genieße, sobald ich einmal da draußen bin. Ich muss mich immer wieder neu daran gewöhnen.
GL.de: Du hast gerade gesagt, dass du sehr in dich gekehrt bist. Wie passt es da, dass du inzwischen via Pledge Music oder Facebook dein Publikum stärker denn je in deine Karriere einbindest und es bisweilen sogar an Entscheidungen teilhaben lässt?
Heather: Ich mag den Kontakt zu meinem Publikum und mir sind auch Rückmeldungen wichtig. Mir gefällt daran, dass ich das alles von zu Hause aus machen kann. Ich entscheide, wie lange ich online zur Verfügung stehen möchte. Ich kann mich problemlos einerseits mit den Menschen austauschen, mich andererseits aber auch jederzeit wieder in meine eigene Welt zurückziehen. Wir leben nun einmal im Social-Media-Zeitalter und ich finde, man sollte das Beste daraus machen und es auf positive Art und Weise nutzen. Täte ich das nicht, wäre ich ein negativer Mensch und es bliebe nur das Unschöne übrig, etwa die Musikpiraterie, die verhindert, dass ich Platten verkaufen kann. Deshalb mache ich mir lieber die positiven Aspekte zu eigen. So etwas wie Pledge Music ist fantastisch. Das ist eine der besten Veränderungen in der Musikindustrie: Heute kannst du ein unabhängiger Künstler sein und eine Platte mithilfe deines Publikums selbst finanzieren. Das war früher nicht möglich! Wie auch sonst im Leben ist es wichtig, das Glas immer als halbvoll zu betrachten, nicht als halbleer.
GL.de: Wenn wir dein aktuelles Album als "wieder das Gleiche, nur anders" beschreiben, ist das okay?
Heather: Ja, da kann ich dir zustimmen. Ich bin immer noch die Gleiche, bodenständig und bescheiden, und meine Werte haben sich überhaupt nicht verändert. Trotzdem habe ich mich als Künstlerin natürlich entwickelt. Die neue Platte klingt anders, weil ich heute viel mehr über Produktion weiß und viel besser dorthin gelangen kann, wo ich hinwill, aber sie klingt auch genauso wie meine früheren Platten, weil die neuen Songs ebenso wie "Truth & Bone", das ich vor 25 Jahren geschrieben habe, immer noch aus dieser Essenz meiner selbst entspringen. Das ist ein Prozess, den ich bis heute nicht entschlüsseln konnte. Ich weiß nicht, wie ich es mache, ich mache es einfach.
GL.de: Keith Richards hat mal sinngemäß gesagt, dass man Songs nicht schreibt. Sie existierten bereits und man müsste als Künstler nur die Antennen aufstellen und sie einfangen.
Heather: Ja, da ist was dran, zumindest, was Melodien angeht, denn die fallen mir einfach in den Schoß. Was den Rest des Songs angeht, ist es nur teilweise so. Ich gehe jeden Tag spazieren, und dabei kommt mir immer mindestens eine neue Songidee in den Sinn, die ich dann mit meinem Aufnahmegerät festhalte. Das sind aber nur Fragmente. Bis zum fertigen Song ist dann noch eine ganze Menge Arbeit nötig (lacht!)! Das ist fast wie ein Puzzle, und manchmal arbeite ich monatelang an einem Lied. Irgendwann hast du dann das letzte Puzzleteil in der Hand und es ist fertig. Das ist ein fantastisches Gefühl. Um auf die Frage zurückzukommen: Fertige Songs fliegen mir nicht zu, aber die einzelnen Teile tun es.
GL.de: Mit der Erfahrung ist es über die Jahre also nicht leichter für dich geworden?
Heather: Nein!
GL.de: Ist deine Familie ein Faktor dabei? Denn natürlich haben sich dadurch deine Prioritäten verschoben.
Heather: Es war schwieriger, als mein Sohn noch kleiner war. Wir hatten nie ein Kindermädchen, ich war Vollzeit als Mutter beschäftigt. Bis er acht Jahre alt war, habe ich ihn auch zu Hause unterrichtet. Daneben noch Zeit zum Schreiben zu finden, war nicht leicht. Jetzt ist er in der Schule und es ist weniger schwierig.
GL.de: Beim Konzert in Bochum hast du erwähnt, wie glücklich dich das positive Feedback auf die neuen Lieder macht.
Heather: Das freut mich besonders deshalb, weil ich selbst in puncto Produktion noch nie so begeistert von einer meiner Platten gewesen bin. Dieses Mal konnte ich wirklich den Sound einfangen, der mir vorschwebte.
GL.de: Dabei haben dir dieses Mal mit Jay Clifford und Josh Kaler neue Leute auf dem Produzentenstuhl geholfen...
Heather: Ja, nachdem ich die Songs geschrieben hatte, fragte ich mich, mit wem zusammen ich sie wohl aufnehmen könnte. Was ich im Kopf hatte, war ein sehr natürlicher und simpler Sound, aber mit einer wirklich schönen Atmosphäre. Während ich darüber grübelte, hörte ich das Album "Gold In The Shadow" von William Fitzgerald. Ich schaute nach den Produzenten und habe tätsächlich ich mit ihnen zusammengearbeitet. Das Schöne daran war, dass sie eigentlich weniger Produzenten sind, sondern Musiker, die zufällig einen Computer in ihrem Wohnzimmer hatten.
GL.de: Das ist noch so eine Sache, die sich seit deinen ersten Platten komplett gewandelt hat!
Heather: Ja, total! Mein erstes Album habe ich in den Olympic Studios in London aufgenommen. Das hat vermutlich 500.000 Dollar gekostet, ohne dass ich das genau weiß, weil die Platte bei einem Majorlabel erschienen ist und ich nie die Rechnung gesehen habe. Heute ist alles ganz anders.
GL.de: Ist der Wunsch nach einer Platte mit einem betont simplen Sound womöglich schon auf deiner Tournee im Jahre 2014 entstanden, auf der du nicht von einer kompletten Band, sondern nur von Multiinstrumentalist Arnulf Lindner begleitet wurdest?
Heather: Ja, bestimmt! Mir ging es darum, zum Kern der Dinge vorzustoßen. Allerdings habe ich auch das Gefühl, dass ich mich schon seit Langem langsam darauf hingearbeitet habe. Ich bin in der Vergangenheit des Öfteren sehr unzufrieden mit überproduzierten Platten gewesen. Mir ist es selten gelungen, genau das zu finden, was mir vorschwebte. "Storm" war eine der wenigen Platten, wo mir das gelungen ist. Letztlich geht es darum, die Identität deiner Musik zu finden. Du schreibst Songs, in denen wirklich alles von dir drinsteckt, aber dann suchst du dir einen Produzenten, und weil die Aufnahmen nun mal eine Kollaboration sind, verflüchtigt sich das "Deine" dann manchmal ein wenig. Wenn du einen Produzenten erwischst, der etwas eigensinnig oder vielleicht sogar etwas arrogant ist, dann wird aus deiner Platte schnell seine. Manchmal, so wie dieses Mal, stimmt die Chemie aber einfach. Die Jungs waren echt genial, was die Sounds anging, aber sie haben auch meine Identität respektiert und sich angehört, was ich machen wollte.
GL.de: Noch ein Satz zu deiner aktuellen Tournee. Auch dieses Mal stehen wieder eine ganze Reihe Konzerte in Kirchen auf dem Tourplan. Ist das reiner Zufall?
Heather: Nun, wir suchen nach intimen Auftrittsorten, die Atmosphäre besitzen und besonders stimmungsvoll sind, und meine Agentur findet dann die richtigen Säle für mich.
GL.de: Letzte Frage: Wie sieht der perfekte Auftrittsort für dich aus?
Heather: Ich liebe die Kirchen, aber ich wünschte, sie wären nicht immer so verdammt kalt und hätten weniger ungemütliche Garderoben! Wir sind in Berlin in der Passionskirche aufgetreten, einem wunderschönen Gebäude, aber ich kann den Tag einfach nicht genießen, wenn es als Backstage nur ein winziges Zimmerchen gibt und das auch so eisig kalt ist (lacht). Am liebsten trete ich in Konzerthäusern wie der Laiszhalle in Hamburg auf, die wirklich für Musik entworfen wurde und in der die Akustik einfach umwerfend ist. Ich mag auch die alten Barock-Theater mit den Plüschsesseln sehr. Die nehmen dich mit auf eine Zeitreise. Außerdem gibt's da oft ein Klavier in der Garderobe - diese Läden haben einfach Stil!