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MARDI GRAS. BB
 
Auf den Spuren von Napoleon
Mardi Gras. BB
Endlich gibt es einmal die Gelegenheit zu einem zünftigen Wortwitz: Mardi Gras. BB, Deutschlands erste und einziger Spielmannszug mit Gitarrespielendem Doc, Reverend, DJ und Stehtrommlern, juckt es (im Exil) - und weit und breit ist nichts in Sicht, mit dem sie sich kratzen könnten, denn das Scratchen wurde dem bandinternen DJ Mahmut aus stilistischen Gründen untersagt. Har, har. Nun, das kommt davon, wenn man seinen Scheiben so kluge Namen wie "die Enthüllung des Exil-Juckreizes" gibt. Aber natürlich haben sich Doc Wenz und seine Mannen etwas dabei gedacht: Der Titel des neuen Albums, ist ja nun doch irgendwie offen für alle möglichen Interpretationen (ähnlich wie das "BB" im Namen - von dem Reverend Krug mal behauptete, es hieße Brigit Bardot).
"So ist es", bestätigt Doc Wenz, der unter anderem auch kompositorisch verantwortlich zeichnet für die neuen Stücke, "es gibt natürlich wieder jede Menge Möglichkeiten der Interpretation. Zum einen ist es sicherlich nicht ganz falsch in der Richtung zu denken, dass wir ja während des Mighty Three Trio-Projektes in der Vollbesetzung im Grunde genommen zwei Jahre abstinent gewesen sind. Und so könnte man dann deuten, dass der 'Exile Itch' das Jucken im Exil ist - etwa wie bei Napoleon auf Elba: 'Es juckt mich so, ich würde wieder mal gerne ein Land erobern.' Die andere Denkweise wäre die des Herrn Fu." Time Out: Herr Fu ist die Hauptperson einer Novelle, die Hausproduzent Gordon Friedrich für das Promo-Material zur neuen CD geschrieben hat. Herr Fu ist ein unsteter Charakter, der sich wutschnaubend über dieses und jenes aufregt, ohne jetzt wirklich eigene Ideen oder Lösungen zu haben. "Ja, Herr Fu fühlt sich - obwohl er eigentlich mittendrin ist - ganz weit außen draußen. In diesem philosophisch / weltanschaulichen Exil fühlt er sich nicht wohl und deshalb fängt es an, ihn zu jucken." Hm - kann es einen denn nicht auch jucken, ins Exil zu gehen - was sich bei einer Band, die vorzugsweise ja auch im Französischen eine Heimat hat - ja auch der Hand liegt. "Ja, das könnte man auch sagen", stimmt Doc zu, "das wäre dann die dritte Variante." Außerdem gibt es noch ein Zitat mit Lazarus, Wundmalen und so - vermutlich von Nietzsche -, das der beiliegenden Bonus-Live-DVD als Motto vorangestellt wurde.
Aber das führte jetzt nun wirklich zu weit, denn immerhin enthält die neue CD neben des Titels auch Musik. Und zwar sehr interessante: Doc & Co. schwelgen musikalisch ein wenig und bedienen sich stilistisch beim Wall Of Sound des klassischen US-Gitarrenpop der 60er Jahre - der einzigen Art von Pathos, so Doc Wenz, der er etwas abgewinnen könne. Und die Gitarre steht deutlich mehr im Zentrum als bislang üblich. So weit so gut - nur ist diese amerikanisierte Variante jetzt die Scheibe, um sich in Frankreich neu zu positionieren? (Ein Schritt der notwendig sein wird, da es Probleme mit dem Vertrieb in Frankreich gab und außerdem die Mighty Three-Pause bedacht werden muss.) "Gut, ich meine, man kann mit einem solchen Album nie allen Anforderungen gerecht werden", überlegt Doc, "das war bei uns nie so das Ziel. Auch bislang nicht. Wir haben immer wieder Sachen gemacht, bei denen alle möglichen Leute die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen und gefragt haben, ob dies und jenes so schlau gewesen sei. Ich muss einfach sagen, dass wir uns über so etwas nie primär Gedanken gemacht oder uns um solche Zwischenrufe geschert. Das ist vielleicht das Wahnsinnige oder Naive, aber auch schöne an Mardi Gras, das wir uns immer den Luxus erlaubt haben, das zu tun, was wir gerade machen wollten." Und dazu gehört dieses mal zweifelsohne - neben der Betonung des Erzählerischen - die Betonung der Gitarre. "Ich muss sagen, dass es bei diesem Album für mich - im positiven Sinne - der bislang einsamste Schaffensprozess war", gesteht Doc, "für mich fühlt sich die Platte am meisten wie eine Singer / Songwriter-Scheibe an. Das ist ja aber auch das Motto des Albums. Ich denke, was man spürt, ist, dass - mehr als bei den anderen Alben - die Gitarre im Zentrum steht. Bislang war es immer so, dass sich die Gitarre irgendwie zu den bestehenden Bläsern ins Arrangement reingrupperen musste. Dieses Mal ist es - wie es beim Singer / Songwriter sein muss -, dass hier ein Mann und seine Gitarre im Vordergrund stehen und die anderen Instrumente werden im Sinne eines traditionellen Pop-Arrangements hinzu gruppiert."

Ist das auch der Grund, warum DJ Mahmut auf dieser Scheibe eher in den Hintergrund tritt? "Ja, das hat mit der Musik zu tun", erklärt Doc, "der Einsatz von Scratches wäre etwas gewesen, was ich in diesem klassischen Kontext als eher störend empfunden hätte. Aber Mahmut hat sich - wie ich finde - dieses Mal sehr schön auf geschmackvolle Kirchenchor und Kirchenglocken-Samples beschränkt - was im Sinne dieses Albums ist." Wenn Doc Wenz Singer / Songwriter sagt, hat er da ganz spezielle Vorbilder im Kopf. "Ich mag Van Morrison sehr - aber nicht so sehr seine 08/15-Rhythm & Blues-Scheiben, sondern seine poetische Note. Außerdem mag ich Ron Sexsmith, den ich für einen weithin unterschätzten Songwriter halte und natürlich immer wieder Elvis Costello, obwohl der auch recht speziell sein kann." Das bedeutet übrigens nicht, dass der alte Mardi Gras-Swing verloren gegangen ist: Die Mardis sind immer noch die Live-Kapelle schlechthin. Das kann man natürlich auch auf der beiliegenden Live-DVD verfolgen, die konzeptionell ebenfalls von Gordon Friedrich betreut wurde. Mitgeschnitten wurde sie - auf zum Teil sehr emotionale Weise und viel künstlerisch verwackelter Handkamera - wie gesagt, in Leipzig. "Ja, denn Leipzig ist sehr wichtig für uns", bestätigt Doc, "Leipzig ist so etwas wie unsere geheime Mardi Gras-Hauptstadt, wir haben dort unseren individuellen Zuschauer-Rekord bei einem Einzelkonzert und wir haben das Gefühl, dass das Leipziger Publikum sehr viel anfangen kann mit dem Vibe, den Mardi Gras verbreitet. Wir haben dort von Anfang an immer sehr schöne, emotionale Konzerte gehabt und uns verstanden gefühlt. Es gibt dort ein sehr attraktives, emotional neugieriges Publikum mit vielen Leuten aus dem kreativen und studentischen Umfeld. Abgesehen davon finde ich, dass Leipzig zu den schönsten und angenehmsten Städten in Deutschland gehört, Außerdem gibt es dort zwei wunderschöne Locations die Schaubühne und das Connewitz, wie man sie im Westen der Republik überhaupt nicht findet. Das sind wunderbare alte Kinopaläste aus der Mitte des letzten Jahrhunderts, die fast in einer Art Cubanesquer Patina vor sich hinrocken und die eine phantastische Atmosphäre bieten."

Mardi Gras. BB
Gibt es denn schon wieder eine Idee für das nächste musikalische Projekt? "Ich muss ehrlich sagen, dass ich bislang immer schon eine vage Idee hatte, wo die Reise hingehen könnte", zögert Doc, "dieses mal habe ich das eigentlich nicht. Was vielleicht auch damit zusammenhängt, dass wir in den letzten Monaten unheimlich viel gemacht haben - zum Beispiel auch Musik für einen Independent Film mit Pola Kinski namens 'Wir werden uns wiedersehen', in dem wir auch selber auftreten - als Geister. Wie dem auch sei - etwas könnte sein; vielleicht als Konsequenz der Reise, die sich mit diesem Album vollzieht. Es könnte sein, dass das nächste Album näher an diesem aktuellen dran ist, als das bisher in der Geschichte von Mardi Gras der Fall gewesen ist. Ich könnte vielleicht auch sagen, dass dieses Album so etwas darstellt wie die Grundsteinlegung dafür, was in Zukunft das Soundbild von Mardi Gras sein könnte." Was auch Sinn machte, denn "Exile Itch" ist das bislang musikalisch vielseitigste Mardi Gras-Werk geworden. Sowohl was die Inhalte, wie auch die musikalische Qualität der Stücke als solches und untereinander betrifft. Und diese Reise ist noch lange nicht zu Ende. Da kann noch viel gekratzt werden.
Weitere Infos:
www.mardigrasbb.com
www.myspace.com/mardigrasbb
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Mardi Gras. BB
Aktueller Tonträger:
The Exile Itch
(Hazelwood Vinyl Plastics/Indigo)
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