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JOHN VANDERSLICE
 
Musik für Herz und Seele
John Vanderslice
Es gibt sie noch, die Musik für Herz und Seele, die aber auch den Intellekt anspricht und zudem noch große, verspielte Pop-Momente hat. Letztes Jahr gab uns die Compilation "Five Years" und seine erste Deutschland-Tournee mit Nada Surf die Gelegenheit, endlich auch hierzulande Bekanntschaft mit einem der besten und intelligentesten Indiepop-Troubadoure zu machen, den der US-Untergrund derzeit zu bieten hat. Musiker wie John Darnielle (The Mountain Goats) oder Dave Berman (Silver Jews) sind seine Idole, Freunde und Mentoren zugleich, aber auf seinem fünften Album "Pixel Revolt" beweist John Vanderslice aus San Francisco nun, dass er mit ihnen inzwischen längst auf Augenhöhe ist. Im Februar war er nun erneut in Deutschland auf Tour und ging zwar als Support von Death Cab For Cutie auf die Bühne, verließ sie aber oft als klarer Punktsieger. Kein Wunder, denn er hat nicht nur gute, oft sehr persönliche Songs zu bieten, sondern ist auf geradezu ansteckende Weise fröhlich und freundlich. Gaesteliste.de konnte sich davon beim Interview in Köln persönlich überzeugen.
GL.de: Wie fühlt man sich als John Vanderslice zu Beginn des Jahres 2006?

JV: Das ist eine wirklich gute Frage. Ich weiß ehrlich gesagt nicht so genau, was ich von mir halten soll. Manchmal wünschte ich wirklich, dass ich besser wüsste, wer ich eigentlich bin. Ich habe keinen Schimmer. Die Menschen um mich herum verstehe ich dagegen viel besser. Dieses Jahr ist für uns bis jetzt blendend verlaufen, denn wir können mit Death Cab auf Tour sein. Allerdings ist es auch so, dass ich mir noch vor zwei Jahren gewünscht habe, mehr touren zu können, vor allem in Europa, aber jetzt, wo wir so oft und viel unterwegs sind, denke ich manchmal schon: "Es reicht jetzt!" Ich fühle mich allerdings auch ziemlich unter Druck, denn wenn wir nach Hause kommen, bleibt mir nur ein sehr kleines Zeitfenster, um meine nächste Platte aufzunehmen. Wir müssen das Album Mitte September abliefern, und das kommt mir sehr bald vor, da ich das Gefühl habe, dass es wirklich anders werden muss und ich eine neue Herangehensweise brauche. Außerdem arbeiten inzwischen so viele Leute mit mir und für mich, dass das den Druck auch erhöht. Jetzt muss ich viel mehr Verantwortung übernehmen, und ich bin mir nicht sicher, ob das nicht vielleicht der Kunst abträglich ist.

GL.de: Dass du dich selbst nicht so gut zu kennen glaubst, ist interessant. Die Texte auf "Pixel Revolt" sind ja oft autobiographisch, deshalb würden vermutlich selbst viele deiner Hörer glauben, sehr genau zu wissen, wer du bist...

JV: Ich kann kaum glauben, was ich auf der Platte alles preisgegeben habe. Viele der Songs handeln von einem ganz bestimmten Mädel, mit dem ich nie über die Dinge gesprochen habe, die ich dann in den Texten erwähne. Ich hab sie einmal gesehen, seit sie die Platte hat, und die Stimmung war so seltsam und irgendwie aufgeladen. Ich habe immer noch Gefühle für sie. Es ist schon schräg, wie du manchmal durch Platten kommunizierst, weil du es nicht im persönlichen Gespräch kannst. Ich denke, das nächste Album dürfte noch autobiographischer werden. Ich komme immer mehr davon ab, mich in meinen Texten hinter anderen Charakteren zu verstecken - for better or for worse (lacht). Ich weiß nicht, was dabei letzten Endes herumkommen wird.

GL.de: Viele Künstler, die sehr ehrliche Platten veröffentlicht haben, sind bei der nächsten in die entgegengesetzte Richtung gegangen, weil sie kein gutes Gefühl dabei hatten, nach der Veröffentlichung ein Jahr lang in Interviews ihr Privatleben zu sezieren und die Songs Abend für Abend zu singen.

JV: Das kann ich sehr gut verstehen. Schließlich schreibst du die Songs ja auch, um die Situation zu verarbeiten und hinter dir zu lassen. Dabei machst du nichts weiter, als deinem Schmerz ein Denkmal zu setzen. Das ist doch albern! Ich selber fühle allerdings keinen Schmerz mehr. Es ist fast so, als wenn ich auf ein geschichtliches Ereignis, vielleicht eine Schlacht im ersten Weltkrieg, zurückblicke. Es bedeutet mir nicht mehr so viel. Es wird mir richtig warm ums Herz, wenn ich die Songs heute mit all dem zeitlichen Abstand singe, weil ich feststelle, dass ich jetzt ganz andere Wünsche, Sehnsüchte und Bedürfnisse habe.

GL.de: Nicht verändert hat sich dagegen deine Liebe zur Fotografie. Helfen dir die Bilder auch, nach einer Tournee bestimmte Tage und Situationen neu zu bewerten?

JV: Absolut! Eine Tour ist zu komprimiert, zu intensiv, um alles sofort und auf der Stelle verarbeiten zu können. Es stürzen zu viele Bilder auf dich ein. Du musst sie einfach irgendwie festhalten und dich später damit auseinandersetzen. Mit Fotos ist das möglich. Abgesehen davon macht dich das Fotografieren aber auch frei. Du nimmst eine andere Rolle ein, die des Beobachters. Ich bin auf Tour Hunderte von Stunden umhergelaufen, um Dinge zu finden, die ich fotografieren wollte, aber ich bin nicht sicher, ob ich mich in all die kleinen Gassen hineingetraut hätte, wenn ich nicht die Motivation durch das Fotografieren gehabt hätte. Das Touren an sich ist ja so unkreativ. Ich nehme keine Drogen, aber ich kann gut verstehen, warum andere Musiker auf Tournee zu Drogenabhängigen werden. Es ist fast logisch, dass du zum Alkoholiker wirst, weil es so wenig zu tun gibt. Lust und Verlangen sind fast allgegenwärtig, weil du ständig wundervolle Menschen siehst. Du triffst außerdem eine Menge Menschen, die du blitzschnell magst. Du findest sehr schnell neue Freunde, aber dann siehst du sie monatelang nicht wieder. Es kommt allerdings auch vor, dass du von einer Tournee nach Hause zurückkehrst und unglaublich inspiriert bist. Ich bin jetzt erst zehn Tage in Europa, aber ich habe das Gefühl, dass ich schon ein völlig anderer Mensch bin.

GL.de: Wie sind überhaupt die Reaktionen in Europa? Die ersten vier Alben sind ja hierzulande nur als Import zu haben...

JV: Es ist ziemlich interessant. Ich war davon ausgegangen, dass niemand die alten Sachen kennt, weil nur ein paar Hardcore-Fans Platten aus Amerika importieren. Deshalb haben wir eine Menge der alten Scheiben mit nach Europa gebracht, aber zu meiner großen Überraschung kannten viele sie schon. Manche durchs Filesharing oder durch mp3s von meiner Website, aber viele hatten auch einfach die Platten und brachten sie mir zum Signieren mit. Allerdings bedauere ich es seit Jahren, dass meine Platten bisher in Europa nie veröffentlicht worden sind. Wir haben mit unzähligen Labels gesprochen, aber wir haben uns nie getraut, einen Vertrag zu unterzeichnen. Selbst die kleinen Indiefirmen haben alle sehr ausgefeilte Verträge, die dich jahrelang an sie binden. Damit habe ich mich nie wohl gefühlt, und deshalb bin ich irgendwie auch froh, dass wir es nicht gemacht haben. Dennoch denke ich, dass es ein Fehler war, so lange zu warten, denn jetzt werde ich es viel schwerer haben, weil es nur eine Platte von mir hier zu kaufen gibt. Ich war strikt dagegen, dass die Compilation erscheint, aber Barsuk konnten sich letzten Endes durchsetzen, weil sie mir zuvor zum Beispiel bei der sehr kostspieligen Vinylveröffentlichung von "Pixel Revolt" entgegengekommen waren. Ich hatte das Gefühl, dass ich ihnen diesen Gefallen schuldig war, aber glücklich war ich damit nicht. Ich hoffe bloß, dass ich nun jemanden finde, der meine ersten vier Platten hier noch (wieder-) veröffentlichen will.

John Vanderslice
GL.de: Deine Freunde von den Mountain Goats und den Silver Jews haben es doch aber auch geschafft, in Europa Fuß zu fassen. Oder mussten sie für ihre Verträge auch ihre Seele verkaufen?

JV: Diese Jungs sind Genies. Wirkliche Genies. John Darnielle von den Mountain Goats hat alles versucht, mich auf 4AD unterzubringen. Er hat Chris Sharp [den derzeitigen Labelboss] zu einer meiner Shows geschleift und mich ständig ins Gespräch gebracht. Aber nach einigen zaghaften Verhandlungen ist die Sache im Sande verlaufen. Dass das nicht geklappt hat, hat für eine Zeit wirklich geschmerzt, denn es wäre wirklich ideal gewesen. Mit Barsuk in den Staaten und 4AD wäre ich einen Riesenschritt weiter gewesen. Vermutlich hatten die Silver Jews und Mountain Goats auch ein wenig Glück, vor allem aber sind sie in den USA fest etabliert. Ich bin es nicht. [Dave] Berman ist eine ziemliche Legende in den Staaten. Wir müssen einfach sehen, ob Barsuk das Interesse und das Geld haben, unsere nächste Platte auch in Europa richtig zu promoten, und wenn nicht, dürften wir nach dieser Tour auch andere Optionen haben. Falls wir uns anderweitig orientieren, werden Barsuk es allerdings als Erste erfahren, denn wir können uns nicht leisten, sie zu verstimmen. Dafür sind sie einfach zu gut zu uns!

GL.de: Trotzdem scheinst du in den USA inzwischen auch sehr populär zu sein. Viele Amerikaner, mit denen wir in letzter Zeit gesprochen haben, schienen enthusiastischer von dir als von Death Cab zu sprechen, wenn wir eure gemeinsame Tournee erwähnten. Oder kennen wir vielleicht einfach nur die richtigen Leute? Oder die falschen?

JV: Das ist es, die falschen! (lacht) Nein, "Pixel Revolt" war schon ein großer Schritt für uns. Wir waren sehr lange auf Tournee, und das hat sich ausgezahlt. Man kann sagen, dass wir dort nun eine solide Grundlage haben. Auch aus Europa bekomme ich momentan eine Menge eMails, was auf der Nada-Surf-Tour letztes Jahr nicht wirklich der Fall war. Es scheint also, als sei diese Tour mit Death Cab für uns wesentlich besser, soweit es das Hinzugewinnen von neuen Fans angeht. Wenn wir nach Hause kommen, spielen wir SXSW und eine kleine Tournee, dann nehmen wir die nächste Platte auf, und danach sind wir dann hoffentlich in der Lage, kleinere Headline-Tourneen auch in Europa zu absolvieren.

GL.de: In den USA spielst du ja nur selten alleine, sondern zumeist mit deiner kompletten Band (die übrigens treffenderweise John Vanderslice And Photographs heißt). Den Großteil der jetzigen Europa-Tournee absolvierst du nur mit deinem Drummer / Multiinstrumentalisten Dave Douglas. Magst du das eine lieber als das andere?

JV: Ich mag beides, die Flexibilität gefällt mir. Wenn du mit einer Band spielst, ist das ein bisschen so, als hielte dir jemand eine Kanone an den Kopf. Deshalb ist es wundervoll zu wissen, dass ich so oder so über die Runden kommen kann! Ich kann machen, was ich will. Das ist wundervoll! Wenn du alleine unterwegs bist, hast du viel eher die Chance, dich mit Menschen zu verabreden, die du vielleicht zuvor nur durch eMails kanntest, egal ob es ein Promoter, ein Schreiberling oder ein Musiker einer anderen Band ist. Du kommst in eine neue Stadt, und alles, was du hast, ist dein Mietwagen. Du musst dich um nichts anderes kümmern. Da kommt es schon mal vor, dass du bei irgendjemand zu Hause landest, in einem schönen Restaurant oder beim Bowling. Das ist großartig. Touring bedeutet für gewöhnlich, wenig Freiheiten zu haben, aber DAS war die vollkommene Freiheit für mich!

Weitere Infos:
www.johnvanderslice.com
www.myspace.com/johnvanderslice
Interview: -Carsten Wohlfeld & David Bluhm-
Fotos: -Carsten Wohlfeld-
John Vanderslice
Aktueller Tonträger:
Pixel Revolt
(Barsuk Records/Indigo)
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