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MARDI GRAS. BB
 
Die vernünftigen Revolutionäre
Mardi Gras. BB
Das letzte Jahr war ein recht produktives für Doc (seit neulich Doktor) Wenz, Reverend Krug und ihre Trötemänner: Gleich nach der Tour zur letztjährigen Scheibe "Heat" ging's ins Studio, um am Soundtrack für die Filme "Was nützt die Liebe in Gedanken" (mit Daniel Brühl) und "Kebab Connection" (noch nicht erschienen) zu arbeiten. "Gedanken" ist dabei ein Werk, das in den ausgehenden 20er Jahren spielte. Insofern ist es also nicht ganz so erstaunlich, dass das neue eigene Werk "29 Moonglow" - anders als z.B. das kompromisslose Funk-Album "Heat" - wieder zu den musikalischen Anfängen zurück tendiert. Oder?
"Wir haben uns ja in der bisher fünf Produktionen dauernden Geschichte der Band im Grunde immer wieder versucht und neu zu erfinden", erläutert Doktor Wenz, "und wenn man eben so will, ist 'Heat' unser zeitgenössisches Club-Album gewesen - es was sehr linear und modal angelegt, harmonisch und monoton, wie eben Club-Musik. Das neue Album schließt jetzt den Kreis. Wir reden ja von einer Pentalogie - was bedeutet, dass wir jetzt ein Mal rundum gereist sind mit diesen fünf Alben und jetzt sind wir sogar vor den Ursprüngen von 'Alligatorsoup' unserer ersten Scheibe angelangt. Und das ist auch das Konzept." - "Es war von Anfang an unser Ziel, moderne Sachen zu machen und Dinge auszuprobieren, die es eben mit einer Brass-Band noch nicht gegeben hat", fügt Reverend Krug hinzu, "wir wollten allerdings weiter gehen als die Acts, die uns am Anfang so inspiriert haben - also die New Orleans Bands wie Rebirth oder die Dirty Dozens. Es ist heutzutage ein bisschen schwierig, weil mit unserem Namen viele Leute ja auch New Orleans verbinden. Das ist für uns momentan eher ein Hinkebein. Wir haben uns den Namen Mardi Gras damals aus einer naiven Laune heraus gegeben. Das hat sich dann als Bumerang herausgestellt. Mir persönlich geht es momentan z.B. so, dass ich mit Amerika große Probleme habe, und nicht so dastehen möchte als jemand, der alles, was aus den USA kommt, einfach gut findet. Natürlich habe auch ich eine Verbindung zu New Orleans - aber nicht in einer reinen Form. Es geht auch hier, bei der neuen Scheibe, nicht darum, das was Jerry Roll Morton oder Louis Armstrong in den 20er Jahren gemacht haben nachzuempfinden, sondern sehr selbstbewusst Ideen zu kreieren und weiterzuentwickeln. Das hat bei 'Heat' am weitesten geführt." Aber die neue Scheibe wurde schon durch den Soundtrack von "Gedanken" ausgelöst, gell? "Das waren zwei Dinge, die sich gegenseitig befruchtet haben", verrät Doc Wenz, "wie oft in der Mardi Gras-Geschichte, wo sich Dinge zufällig gut fügen, war es so, dass die Beschäftigung mit den 20er Jahren dazu geführt hat, dass auf einmal ein Konzept für's neue Album am Horizont sichtbar wurde. Es ist aber zum Glück kein reinrassiges Reminiszenz-Album geworden - dadurch, dass es in bewährter Mardi Gras-Manier ein Konzept-Album, ein Collage Album und wieder ein Hybrid geworden ist. Es ist wieder nicht reinrassig, es gibt wieder unzulässige Blutbeimengungen. Das ist unser künstlerisches Konzept." Das stimmt wohl, denn die Stereotypen der 20er Jahre - was die klischeehaften, standardisierten Melodieführungen und Rhythmen betrifft, findet man hier natürlich nicht. Stattdessen gibt es den üblichen Mardi Gras-Freestyle - mit Elementen auch aus Blues und Rock - nur eben mit einem charmanten Retro-Touch, der aber - um es gleich zu sagen - keineswegs altbacken oder konservativ klingt.
Gab es in Bezug auf das vorgesteckte historische Genre Unterschiede, was das Songwriting betraf? "Eigentlich haben wir es so gemacht, wie immer schon", meint Doc Wenz, "wir haben unsere Herangehensweise bei den fünf Alben eigentlich niemals geändert. Es ging immer darum, ein grobes Konzept zu haben und dann Material in dieser Richtung zu erzeugen - aber mit einer gewissen Streuungsbreite. Es ging nie darum, mitten auf die 12 zu treffen. Wir haben hier ja nicht nur Titel, die an die 20er Jahre erinnern, sondern auch solche, die an die 50er Jahre erinnern oder so etwas. Wir verstehen uns nicht als Musikwissenschaftler, Chronisten oder Archivare, die sortenreine Spartenmusik nachstellen." Nun gut, aber wie war denn das Konzept dann? "Es gibt hier ein romantisches Spannungsgefüge auf der einen Seite", beschreibt Doc Wenz das Szenario, "vielleicht der Revolutions und Aufbruchsgeist der 20er Jahre; auch im politischen Sinne. Und dann eben eine sehr entspannte, harmonisch angelegte Musik. Dann sind die Titel entstanden und wie immer hervorragend zusammen montiert worden von Gordon Friedrich." Wie passt die Mardi-übliche Cover-Version "Mellow Yellow" hier ins Konzept - was ja eigentlich ein archetypischer Hippie-Song von Donovan ist? "Das ist richtig", räumt Doc ein, "es hat aber auch, wie man an der Version merkt, mit dem straighten Beat und dem Blues Charakter und auch mit dem Bläsersatz, den das Stück ja auch im Original hat, durchaus zumindest eine stilistische Verbindung zu New Orleans. Dass der jetzt hier draufgerutscht ist, hat mit zwei Dingen zu tun: Das eine ist die Mardi Gras-Tradition, dass es von uns auf jedem Album unerwartete Cover-Versionen gibt und der zweite Punkt war, dass wir für Arte zufällig zwei Wochen vor Fertigstellung unserer Scheibe für eine Sendung, die im kommenden Januar ausgestrahlt wird, und bei der es um unerwartete, obskure Versionen von Lieblingssongs geht, diesen Track eingespielt. Das ist ein Stück, das mir auch persönlich gefällt - obwohl wir hier eine Vorgabe hatten. Ich bin vielleicht auch zu snobistisch und stalinistisch, um einen Welthit zu meinem Lieblingssong zu küren." Was bei der neuen Scheibe noch ins Ohr springt, ist der Umstand, dass hier streckenweise plötzlich statt des Sousaphons ein richtiger Kontrabass zu hören ist, der vom Reverend gespielt wird - und obendrein, in einigen jazzigen Passagen auch ein "richtiges" Drumkit. "Es hat sich im Laufe der Zeit gezeigt, dass wir weg vom reinen Brass Band-Sound wollten", erklärt der Reverend, "am Anfang war das Konzept, den Klangkörper aufzubrechen und zu sehen, wie wir an die Leute rankommen können. Irgendwann kam dann aber mal ein Punkt, dass wir nicht zur Brüderschaft der Blechbläser gehören wollten. Es ist uns zuviel geworden immer auf dem puristischen Bläsersound rumzureiten. Wir haben uns auch immer als Jazz- oder Weltmusik-Act missverstanden gefühlt. Wir haben uns dann überlegt, wie sich das aufweichen ließe und haben dann für die Trio-Besetzung mit einem Bass gearbeitet. Bei der neuen Scheibe hat es sich dann im Studio so ergeben. Ich finde das eigentlich auch ganz wichtig, weil sich so die Schublade, die man in Deutschland ja immer so gerne hat, wieder weiter öffnet. Wir sind eine Band, die wie ein Chamäleon eben verschiedene Farben annehmen kann." Live bleibt's aber beim ursprünglichen Ansatz? "Ich möchte da generell nie 'nie' sagen, aber ich glaube nicht, dass es momentan anliegt, unser Konzept zu ändern", sagt Reverend Krug, "denn ich finde die Situation mit unseren beiden Perkussionisten und mit allen Leuten ins Publikum gehen zu können sehr schön. Das ist eigentlich immer auch eine Inspirationsquelle für die Konzerte. Wir haben aber vor, auch die Trio-Besetzung immer mal wieder in den Vordergrund zu stellen, wo dann wieder ein Bass dabei ist - aber nicht bei der kommenden Tour."
Mardi Gras. BB
Noch ein soundtechnisches Schmankerl, was bei der neuen Scheibe gefällt ist das ausgefeilte Sound-Design, bei der sich moderner Raumklang mit Lo-Fi-Elementen und Samples zu einem durchaus eigenständigen Gesamtbild verquicken. "Das ist ein bisschen ein Trademark des Produzenten Gordon Friedrich", weiht uns Doc Wenz ein, "der eben immer wieder versucht, auf der soundlichen Ebene für gewisse Brechungen zu sorgen, die Songs spannungsreich halten. Da sind wir wieder bei dem Punkt von vorhin: Uns interessiert nicht das 1:1 Abfotografieren einer Geschichte, die es schon gibt und die wir verstanden haben, sondern mit durchaus traditionellen Elementen etwas neues zu machen. Dabei ist eben auch das Soundbild entscheidend. Der Gordon spielt gerne damit, in einem Song, von dem er das Gefühl hat, dass es zu wenig brechende Elemente gibt, ein wenig nachzuhelfen. Dann sorgt er auf der soundlichen Ebene dafür, dass ein Kick oder ein Spannungsfeld dazukommt, indem er dann eben meine Stimme klingen lässt wie aus dem Radio oder dem Megaphon. Dasselbe macht er übrigens auch mit meiner Gitarre mit Vorliebe." Was natürlich bedeutet, dass diese Stücke live wieder ganz anders klingen werden, nicht wahr? "Ja, aber bei uns ist ein Ding ja ganz wichtig", wirft Reverend Krug ein, "dass wir nämlich zwei Ebenen sehen. Zum einen die CD, die man sich zu Hause oder in der in Ausschnitten in der Disco mal anhört und dann das Live-Konzert, das ist bei Mardi Gras ja immer sehr wichtig. Ich denke, wir haben da mittlerweile auch eine Performance entwickelt, die auch jedes Publikum kriegt. Und wir haben das ja schon in verschiedenen Größenordnungen ausprobiert. Da gibt es auch nicht den Ehrgeiz, dass es bei Live-Konzerten so klingen soll, wie auf CD. Das finden wir auch total langweilig. Die CD hat ja auch einen eigenen Spannungsbogen, der stetig steigt und hält. Und da sind wir auch stolz drauf." Reverend Krug ist ja auch für die "Spiritualisierung" der Musikantentruppe verantwortlich. Z.B. indem nackt geprobt wird. Was gab's denn dieses Mal diesbezüglich zu tun? "Das gibt's natürlich immer noch", freut sich der Reverend, "was für mich aber wichtig ist, ist, dass wir wieder mit unserem kleinen Label zusammenarbeiten. Wir haben das, was wir an Erfahrungen auf internationaler Ebene mit dem Major gemacht haben, verknüpft mit der Basis-Arbeit, bei der es darum geht, Journalisten oder Radio-Leute aufzusuchen, denen es um die Musik geht und die wissen, auf was es ankommt und die auch ein Gegengewicht bilden für die Entwicklungen, die es mit Saturn oder Media Markt und diese ganzen blöden Formate gibt. Da sehe ich eher wieder einen Inhalt und eine Gegenöffentlichkeit, Gegenkultur und die eigentliche Aufgabe von Pop-Musik. Es geht nicht immer nur darum, vor vielen Leuten zu spielen, viele Drogen zu nehmen und viel Geld zu verdienen, sondern auch darum, eine Vision im Kopf zu haben von einer anderen, besseren Gesellschaft. Da ist jetzt für uns die Zeit gekommen, uns mal wieder verstärkt darum zu kümmern." Nicht umsonst heißt die neue Scheibe im Untertitel "Reason In Revolt Now Thunders". Woher aber kommt der eigentliche Name, "29 Moonglow" - das Cover zeigt ja einen Zug, der unter einem angedeuteten Sowjetstern daherbraust. "Ein großer Literat hat mal was schönes gesagt", verrät Doc Wenz, "'was fragen Sie mich, ich bin doch nur der Künstler?' '29 Moonglow' ist wieder eine Projektionsfläche. In dem Moment, wo man da wieder zu viel reinpackt, würde man den Leuten die Interpretationsmöglichkeiten nehmen. Es ist ein atmosphärisches Konglomerat: '29' spielt sicher auf die ausgehenden 20er Jahre an und 'Moonglow' gibt etwas wieder von dieser angenehmen, warmen Atmosphäre, die - wie ich finde - die Scheibe hat und das mich auch ein wenig an das Glühen des Mondes erinnert. Aber natürlich kann das Mondglühen des bösen Mondes auch die Vorwehen der Revolution ankündigen." Nun ja: Zum Glück heißt es ja "Reason in Revolt" - die "Vernunft im Aufruhr". Wie das mit der ganzen Revolution - die ja vor allen Dingen eine Volksbewegung ist - klappt, wird sich auf der nächsten Mardi Gras-Tour herausstellen. Als Gegenentwurf zur allgemeinen Situation im Pop-Biz ist "29 Moonglow" bis dahin jedenfalls schon mal recht praktikabel (und vernünftig) geraten.
Weitere Infos:
www.hazelwood.de/mardigrasbb/index.php
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Mardi Gras. BB
Aktueller Tonträger:
29 Moonglow
(Hazelwood Vinyl Plastics)

 
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