Gaesteliste.de Internet-Musikmagazin



SUCHE:

 
 
Gaesteliste.de Facebook Gaesteliste.de Instagram RSS-Feeds
 
Interview-Archiv

Stichwort:



 
LUPINE HOWL
 
Zweckpessimismus im Robbie-Williams-Zeitalter

Lupine Howl
Die unwirklich-kratzige Stimme, mit der sich Sean Cook am Telefon meldete, als ihn Gaesteliste.de unlängst anrief, und der seltsame Echoeffekt in der Leitung, der uns die gesamte Dauer unseres Gesprächs erhalten blieb, lassen vermuten, dass wir zwar die Nummer von Seans Wohnung in Bristol gewählt hatten, ihn das Gespräch aber offensichtlich irgendwo in einem fernen Universum erreichte. Passend dazu ist auch das dieser Tage erscheinende zweite Album seiner Band Lupine Howl, sinnigerweise "The Bar At The End Of The World" betitelt, eine grandiose Mischung aus beinhartem Garagenrock mit 60s-Flair und dem gleichen außerweltlichen Sphären-Sound, der Sean und seine Mitstreiter Mike Mooney und Jon Mattock in ihrer früheren Band, Spiritualized, auszeichnet hatte.
"Wie wir in die aktuelle Musikszene in Großbritannien passen, ist uns selbst nicht ganz klar. Allerdings haben wir uns darum, ehrlich gesagt, auch nie einen Dreck geschert", gibt Sean zu." Es ist allerdings schön zu sehen, dass es wieder eine Menge Gitarrenbands nach oben schaffen. Als wir unsere erste Platte veröffentlicht haben, war das ja noch ganz anders. Da fragten uns alle: 'Gitarren, was soll das sein? Was macht ihr da eigentlich?' Das Problem bei diesen neuen Bands ist nur, dass sie alle so viel jünger sind als wir und dass sie alle keinen besonderen Background haben. Die Einflüsse, auf die sie zurückgreifen, sind alle ganz offensichtlich. In dem Robbie-Williams-Zeitalter, in dem wir leben, ist es doch so: Die breite Masse findet halt das gut, was man ihr vorschreibt. Und auch, wenn derzeit alle auf Gitarrenmusik abfahren, heißt das noch nicht, dass sie auch verstehen, was wir mit unserer Musik rüberbringen wollen. Man muss allerdings der englischen Presse zugute halten, dass schon einigen aufgefallen ist, dass wir mit der neuen Platte den anderen Bands wieder einen Schritt voraus sind, die uns nach dem ersten Album unsere grundlegenden Ideen - den wilden 60s-beeinflussten Rock N Roll - sozusagen weggeschnappt und für sich ausgebaut hatten." Der erste Schritt für Lupine Howl ist deshalb, sich auch ohne großes Budget seitens des Labels im Rücken überhaupt erst einmal beim potentiellen Publikum vorzustellen. Wie unlängst auf einer Tournee durch die größeren Hallen auf der Insel im Vorprogramm von The Charlatans. Auf den ersten Blick nicht die passendste Kombination, aber eine, die funktionierte: "Die Tournee ist ein gutes Beispiel, denn dort hat sich gezeigt: Sobald wir die Leute erreichen, kommen wir auch gut an. Es ist nur so, dass die Leute, die in der Lage sind, Meinungsbildung zu betreiben, das nicht für uns tun, sondern für irgendeine Band mit Typen, die so jung sind, dass sie sich noch nicht einmal rasieren müssen." Dass Lupine Howl auf dieser Support-Tournee so gute Reaktionen hatten, ist ebenso erfreulich wie überraschend, schließlich sollte man meinen, dass sich der epische Sound der Band in einem 35-Minuten-Set kaum richtig entfalten kann. "Natürlich spielen wir lieber eine gute Stunde alleine, aber das Angebot der Charlatans konnten wir einfach nicht ausschlagen. Das sind wirklich total coole Typen, und wir wurden unglaublich gut behandelt. Sie haben unseren Sound nicht beschnitten, und wir durften die volle Lightshow benutzen, sie haben sich wirklich viel Mühe gegeben, uns entgegenzukommen. Und ihre Fans haben ganz offensichtlich auch Gefallen an uns gefunden - und es waren eine ganze Menge von ihnen da, denn die Shows waren alle ausverkauft! Die Auftritte sind also wirklich gut für uns gelaufen, obwohl du natürlich Recht hast, 35 oder 40 Minuten sind nicht genug, damit wir richtig reinkommen!"

Apropos Tour: Als Gaesteliste.de zur Veröffentlichung des Erstlings " The Carnivorous Lunar Activities Of Lupine Howl" mit Seans Bandkollegen Mike sprach, war von Auftritten auch hierzulande die Rede, die dann allerdings nie stattfanden! "An uns hat es bestimmt nicht gelegen", beteuert Sean. "Wir stehen bereit, immer und überall zu spielen. Das Problem ist nur, dass wir dazu finanzielle Unterstützung seitens des Labels bräuchten, und soweit ich weiß, waren sie nicht bereit, uns diese zu gewähren. Warum das so ist, wüsste ich selbst gerne. Wir können also wieder nur das gleiche sagen wie beim letzten Mal: Sobald wir die Chance haben, werden wir auch in Deutschland auf Tour gehen. Das Ganze ist besonders schade, weil wir ja beim letzten Mal für einen Interview-Tag nach Hamburg gekommen sind und dort eine wirklich gute Zeit hatten und uns auch ausgezeichnet mit den Leuten von der deutschen Plattenfirma verstanden haben. Wir hatten schon gehofft, dass Deutschland eines der Länder sein würde, in denen ein bisschen mehr laufen würde." Wenn man sich das ziemlich düstere (wenngleich sehr stilvolle) Cover des neuen Albums anhört und dann Aussagen von Sean wie "Ich hoffe, dass es am Ende der Welt eine Bar gibt, damit ich, wenn ich dort ankomme, wenigstens noch einen trinken kann" im Presseinfo findet, dann scheinen Lupine Howl anno 2002 doch von einem ziemlich starken Pessimismus geprägt zu sein. "Mit zunehmendem Alter haben wir einfach festgestellt, dass die Aussichten für diese Welt nicht mehr so gut sind wie sie einmal waren. Viele Leute nennen das eine depressive oder zumindest pessimistische Sicht der Dinge, aber das ist nicht das, was wir beabsichtigt haben. Ich sehe darin etwas sehr Positives: Wenn du nämlich deine Erwartungen zurückschraubst und auf den Level gebracht hast, auf dem sie mit der Realität übereinstimmen, wirst du natürlich auch viel seltener enttäuscht. Das Cover und die Inhalte der Texte reflektieren diese Herangehensweise."

Auch auf einem ganz anderen Level hat die Realität auf diesem zweiten Album Sean eingeholt. Inzwischen hat er nämlich auch seine Rolle als Frontman und Sänger der Band akzeptiert. Zwar schien es auch beim Vorgänger so, dass nach dem Rauswurf der drei Musiker bei Spiritualized Sean die logische Wahl für den Bandleader bei Lupine Howl wäre, ihm selbst war das aber offensichtlich nicht so klar. "Inzwischen fühle ich mich in meiner Rolle wirklich viel wohler. Beim ersten Album bin ich einfach ins Rampenlicht geschubst worden. Ich war ja vorher noch nie der Sänger in einer Band gewesen, und das Ganze verlangt nach ein bisschen Übung, wenn du weißt, was ich meine", lacht Sean. "Selbst die Tatsache, dass dich als Frontman alle aus dem Publikum anstarren, war ja völlig neu für mich. Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen und lernen, es zu ignorieren. Inzwischen habe ich diesen Punkt erreicht, und das zeigt sich auch in unseren Liveshows. Die letzten Konzerte, die wir gespielt haben, waren ohne jeden Zweifel unsere besten bisher. Der Wendepunkt kam bei den letzten Shows, die wir nach dem ersten Album gespielt haben. Innerhalb von drei Shows kam ich von dem Punkt, an dem ich als Sänger sozusagen auf der Kippe stand, zu dem, an dem ich wirklich selbstbewusst und locker war. Einerseits hatte das wohl mit zunehmendem Selbstvertrauen zu tun, andererseits wahrscheinlich einfach auch damit, dass sich meine Stimme an die neue Anforderung gewöhnt hatte."

Lupine Howl
Wer Sean mit Spiritualized einmal live gesehen hat, weiß, was für ein großartiger Bassist der Mann mit den wirren Locken ist. Wie hat sich für ihn seine Rolle als Instrumentalist und Sänger bei Lupine Howl verändert? "Eine der wenigen negativen Seiten am Sängerdasein ist, dass es jetzt viel schwieriger für mich ist, mich auf mein Bassspiel zu konzentrieren. Anfangs war diese Doppelaufgabe, besonders bei den Konzerten, die reinste Tortur. Vor allem, weil wir in Venues gespielt haben, in denen der technische Standard - was zum Beispiel die Monitoranlage angeht - ziemlich übel war. Und dort zu stehen, zu singen, Bass zu spielen, all die Fußpedale rechtzeitig zu erwischen und sich noch mit dem Publikum auseinander zu setzen, war unglaublich kompliziert. Früher, als ich nur der Bassist war, konnte ich mich vor der Show komplett wegschießen, auf die Bühne stolpern und trotzdem noch problemlos spielen. Als ich dann anfing zu singen, musste ich erst einmal auf das Saufen verzichten, um eine gute Vorstellung abzuliefern, hahaha! Inzwischen habe ich alles viel mehr verinnerlicht, doch leider ist es so, dass der Teil, den ich jetzt ohne Nachdenken absolviere, das Bassspielen ist. Deshalb sind meine Bassparts, besonders live, jetzt etwas simpler. Das ist nötig, weil dem Publikum Fehler beim Gesang natürlich viel eher auffallen. Die meisten merken ja gar nicht, dass es den Bass überhaupt gibt. Ich könnte die Hälfte der Zeit in der falschen Tonart spielen - und niemand würde es merken! Ich habe versucht, mir bei den Aufnahmen zur neuen Platte nicht zu viele Gedanken darüber zu machen, dass ich auf der Bühne Bass und Gesang parallel in den Griff kriegen muss. Ich wollte so Bass spielen, wie ich es immer getan habe, also nicht einfach nur der Leadgitarre hinterherhinken. Es sollte schon ein bisschen mehr John-Entwhistle-mäßig sein. In gewisse Weise hat es mich aber natürlich doch beeinflusst."

Sean ist aber bekanntlich nicht nur ein exzellenter Bassist, sondern auch ein äußerst virtuoser Mundharmonikaspieler. Wer hat ihn denn auf diesem Gebiet besonders beeinflusst? "Die größten Einflüsse sind die alten Blues-Sachen wie Sonny Terry, Howlin' Wolf oder Sonny Boy Williamson, aber auch Leute wie Captain Beefheart oder Roky Erickson von den 13th Floor Elevators waren sehr wichtig für mich, also die Harmonikaspieler der psychedelischen Garagenbands, denn deren Spiel war etwas wilder. Wen ich auch ganz besonders schätze, ohne seine Band wirklich zu mögen, ist Alan Wilson, der Mundharmonikaspieler von Canned Heat, denn sein Stil war eine Fusion aus dem Blues-Kram und dem aggressiveren, wilderen Stil der psychedelischen Bands - er brachte die beiden Sachen zusammen und hat dann noch ein Wah-Wah-Pedal dazwischengeschaltet, und los ging's! Die Harmonika kommt bei unseren jetzigen Liveshows auch wieder mehr zum Einsatz - ich gebe den Bass dann einfach an unseren zweiten Gitarristen weiter."

Was uns zum Thema Line-Up bringt. Auf dem ersten Album schien neben Sean und Mike der Dritte im Bunde der gefeuerten Spiritualized-Musiker, Drummer Damon Reece, den Anspruch auf den Schlagzeugerposten zu haben, auch wenn Jon Mattock bei einigen Stücken spielte. Nun taucht Damon nur noch als Co-Autor eines Songs und in den "Thank yous" auf, und Jon, der interessanterweise Damons Vorgänger bei Spiritualized war und selbst Mitte der 90er aus dieser Band geflogen war, ist als Vollzeit-Drummer bei Lupine Howl an Bord gekommen. "Damon war von Anfang an mit einem anderen Projekt beschäftigt, an dem er zusammen mit seiner Freundin, Liz Fraser von den Cocteau Twins, arbeitete. Bei der ersten Platte mussten wir deshalb eine ganze Reihe von Terminen verschieben, weil wir auf ihn warten mussten. Irgendwann konnten wir dann nicht länger warten, und Johnny, der ja auch der Schlagzeuger in der ersten Besetzung von Spiritualized und bei Spacemen 3 gewesen war, sprang ein. Danach setzten wir uns dann mit Damon zusammen. Natürlich wollten wir ihn nicht aus der Band werfen, weil wir ihn seit Jahren kannten und uns großartig mit ihm verstanden, aber wir sagten ihm auch: 'Wir brauchen einen Vollzeit-Schlagzeuger, bist du dabei?' Und er antwortete: 'Liz ist meine Freundin und wir arbeiten an diesem Projekt, ich kann sie einfach nicht hängen lassen'. Damon hat eigentlich nur die ersten acht Shows mit uns gespielt, seitdem ist Johnny in der Band." Die Theorie, dass in Lupine Howl nur Musiker aufgenommen werden, die vorweisen können, von Jason Pierce bei Spiritualized gefeuert worden zu sein, weist Sean allerdings mit einem Lachen von sich: "Nein, das war ganz sicher nicht absichtlich. Wenn Jon nicht frei gewesen wäre, hätten wir sicherlich auch jemand anders gefunden. Aber so wie es lief, konnten wir uns bei Johnny sicher sein, dass er ein wirklich guter Schlagzeuger wäre, der zudem noch gut zu uns passen würde. Als er damals in den frühen 90ern bei Spiritualized rausgeworfen wurde, hatte ich große Bedenken, dass wir jemals jemand finden würden, um ihn zu ersetzen. Bis dann Damon auftauchte. Und rückblickend würde mir auch niemand außer Damon einfallen, der das geschafft hätte. Jedenfalls war Johnny also schon immer einer meiner Lieblingsschlagzeuger, und es war ein glücklicher Zufall, dass er zu haben war und einsteigen wollte. Dass uns die gemeinsame Erfahrung verbindet, aus einer früheren Band rausgeworfen worden zu sein, hat sicherlich nicht geschadet."

Lupine Howl
Lupine Howl - und "The Bar At The End Of The World" ist ein weiterer Beweis dafür - sind vor allem deshalb eine so ausgezeichnete Band, weil sie sich nicht um die Gesetze des Marktes scheren, sondern einzig und allein ihrer eigenen Vision folgen. "Ja, ich könnte das gar nicht, mich hinsetzen und analysieren, was um mich herum vorgeht. Über unsere eigene Musik kann ich mir eigentlich erst richtig Gedanken machen, wenn die Aufnahmen schon fertig sind. Natürlich ist Musik auch meine 'Karriere'. Ich hatte nie einen anderen Job. Ich bin Musiker, seitdem ich die Uni verlassen haben - und das ist nun schon ziemlich lange her", erzählt Sean und fügt lachend an: "Und in der modernen Welt ist es doch so: Wenn du einen Job zu lange gemacht hast, bist du einfach schwer zu vermitteln!" Wenn das bedeutet, dass Sean und Lupine Howl uns auch in Zukunft weiterhin erhalten bleiben, hätte diese unschöne Auswirkung des modernen Arbeitsmarktgefüges doch endlich mal etwas Gutes für sich, oder?
Weitere Infos:
www.lupinehowl.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Mike Rees-
Lupine Howl
Aktueller Tonträger:
Bar At The End Of The World
(Beggars Banquet/Connected)

 
 

Copyright © 1999 - 2024 Gaesteliste.de

 powered by
Expeedo Ecommerce Dienstleister

Expeedo Ecommerce Dienstleister