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LOCUST
 
Everything is wrong
Locust
Vor vier Jahren schien sich Locust alias Mark van Hoen endgültig von den obskuren Elektronik-Tracks verabschiedet zu haben, die ihn seit Anfang der 90er als Held der After-After-Hour-Parties bekannt gemacht hatten. Weg mit dem minimalistisch-abgefahrenen Düster-Elektro-Pop, hin zur intelligenten Popmusik. Mit "Morning Light" lieferte er 1997 eines der besten Vocal-Trip-Hop-Alben aller Zeiten ab und schien Kurs zu nehmen auf den Pop-Olymp. Das surrealistische Netz aus warmen Klängen zwischen Massive Attacks Frühwerken, This Mortal Coil und Björk (minus ihres Nerv-Faktors) machte "Morning Light" zu genau der Pop-Platte, die auch der Elektronik-Freak mögen durfte. Ein Spagat zwischen den musikalischen Welten, der perfekt gelang. Aber dann?
Bis 1997 hatte van Hoen auf verschiedenen Labels und unter einer Vielzahl von Namen Dutzende von Singles und Alben veröffentlicht und Platten von Seefeel und Scala produziert. Da erstaunte es umso mehr, daß ausgerechnet nach "Morning Light" Funkstille herrschte - für fast vier Jahre! "Ja, die lange Pause hat meine Ambitionen, Popstar zu werden, komplett zunichte gemacht. Als ich jünger war, war ich immer ein großer Fan von Popmusik, die eine experimentelle Seite hat. Anfang der 90er kam ich davon etwas ab, durch Dancemusic und Drogen, aber spätestens mit 'Morning Light' bin ich dann auch musikalisch zu diesem alten Traum zurückgekehrt, und ich wollte ihn wahr machen. Mit der letzten Platte lag ich dann auch genau auf dem richtigen Kurs, was den kommerziellen Erfolg angeht, aber dann gab es massive Probleme mit dem Label, und die Sache ging den Bach runter."

Das neue Locust-Album, "Wrong" - aufgenommen von Perfektionist van Hoen mit Sängerin Holli Ashton - ist ein ziemlich ambitioniertes Werk. Erschienen auf dem kleinen britischen Underground-Label Touch, bei dem Mark auch schon in der Mitte der 90er seine Platten veröffentlichte, ist das Album eine Twin-CD. Der erste Silberling ist eine ähnlich himmlische Elektro-Pop-Platte wie "Morning Light", wenngleich mit einigen dunkleren Seiten, die direkt im Anschluß an das letzte Album schon 1998 entstand. Die zweite CD enthält ausschließlich Drones und Störgeräusche, aufgenommen diesen Sommer. Abspielen soll man sie parallel - beispielsweise auf einer Stereoanlage und einem portablen CD-Player oder einem Computer. Den "Mix" besorgt dann der Hörer selbst. Geniestreich oder die Tat eines Verrückten? Marks eigene Erklärung ist wesentlich pragmatischer: "Ich habe eine sehr enge, sehr persönliche Beziehung zu John und Mike von Touch. John mag genau die gleiche Art von experimenteller Popmusik, die ich mag, Mike dagegen gar nicht. Deshalb wollte ich ihm etwas geben, das ihn wirklich davon überzeugen würde, daß das Album zu Touch passen würde und nicht nur eine ganz normale Pop-Platte sein würde. Weil ich seine Arbeit bei Touch sehr schätze, wollte ich ihm also einerseits entgegenkommen, andererseits aber auch noch einen positiven Effekt für die Hörer erzielen."

Wer das Album hört, wird dem ohne Frage zustimmen, trotzdem hat Mark inzwischen bereits festgestellt, daß er sich mit dem gut gemeinten Ansinnen selbst in den Fuß geschossen hat. "Einige der Leute, die sich normalerweise für die Pop-Platte interessiert hätten, lassen trotzdem die Finger davon, weil sie wohl denken, daß es sich bei dem Album um irgendein Avantgarde-Projekt handelt", erzählt Mark und muß trotzdem lachen. "Das stimmt natürlich überhaupt nicht. Es ist wichtig, daß die Leute begreifen, daß man die erste CD auch ohne die zweite hören kann. Die zweite CD ist nur eine Weiterführung, die ein zusätzliches Element darstellt, das die Platte für einige interessanter machen soll, aber sie ist nicht zwingend notwendig. Sogar mein Manager hat mir gesagt: 'Die Platte ist wirklich gut, aber es ist schon ganz schön stressig, beide gleichzeitig zu spielen.' Ich hab nur verdutzt geschaut und ihm erklärt, daß man wirklich nicht beide gleichzeitig spielen muß!"

Wieder andere Stimmen fragten sich sogar, warum Mark die beiden Locust-Platten nicht gleich zusammengemixt hat. "Der Idealfall wäre gewesen, das Album in 5.1 Dolby Surround Sound zu mixen, aber letztendlich habe ich mich für die Doppel-CD entschieden, weil das weniger Leute ausschließt. Die meisten Leute haben heute zwei CD-Player im Haus, 5.1 ist dagegen noch nicht so weit verbreitet." Die Aussage von Jason Pierce von Spiritualized, der Mensch habe nur zwei Ohren und deshalb wäre Stereo-Sound auch ausreichend, teilt Mark übrigens nicht. "Ja, es stimmt, wir haben nur zwei Ohren, aber die beschränken sich nicht auf zwei Lautsprecher. Wir hören sehr wohl, ob ein Klang von hinten kommt oder von vorne, von oben oder von unten. Du hörst nicht nur zweidimensional. Das einzige, was ich an Stereo schätze, ist die Tradition, die damit verbunden ist, die Wärme des Klangs."

Tradition ist ein gutes Stichwort, denn neben Mark van Hoen, dem Meister obskurer Instrumental-Elektronik, den wir Anfang der 90er kennengelernt haben, und dem Mark van Hoen, der später erstklassige TripHop-Sounds fabrizierte, gibt es auch noch den Mark van Hoen, der Sly And The Family Stone mag, Nick Drake liebt, Bob Dylan schätzt und Karl-Heinz Stockhausen für den Allergrößten hält. Dazu gehört auch, daß Mark das Liveauftreten inzwischen als integralen Bestandteil von Locust begreift. "Als ich jünger war, vertrat ich den sehr puristischen Standpunkt, das Musik im Studio eingespielt und nicht live auf der Bühne gespielt werden sollte. In gewisser Weise denke ich auch heute noch so, vor allem, weil nur 10 Prozent aller Konzerte, die ich je gesehen habe, wirklich gut waren. Wenn sie aber gut sind, eröffnen sie dem Zuschauer auch eine ganz neue Sicht auf die Platten. Kürzlich habe ich in London eine Stockhausen-Aufführung von 'Gesang der Jünglinge' gesehen - eines meiner absoluten Lieblings-Musikstücke. Das war einfach unglaublich! Okay, es war eine typische Liveaufführung elektronischer Musik, mit Playback, aber von der technischen Seite her war es großartig. Du hast es von Originalbändern gehört, mit quadrophonischem Klang und dem Komponisten selbst vor Ort, um den Klang auszubalancieren. Für mich persönlich war das fast schon eine spirituelle Erfahrung."

Nicht zuletzt, weil er selbst auch andere Seiten des Popmusik-Kosmos entdecken wollte, stellte sich Mark als Produzent der beiden großartigen letzten Alben von Mojave 3 zur Verfügung. "Ich kenne Neil [Halstead, das Mojave-3-Mastermind] schon lange, ich habe früher mit ihm und Daren [Seymour] von Seefeel und Scala zusammen gewohnt. Ich war schon immer ein Fan von Neils Musik, und weil ich zu der Zeit genau die Musik gehört habe, die auch ihn beeinflußte, und er meine Art schätzte, mit Sound umzugehen, lud er mich ein. Ich bin auch auf seinem kommenden Soloalbum ['Sleeping On Roads'] vertreten, aber nicht mehr so stark. Ich habe dieses Mal nur noch ein bißchen programmiert", weiß Mark zu berichten und fügt lachend an: "Inzwischen hat sich Neil eine Menge meiner Tricks abgeschaut. Eines Tages kam ich zu den Aufnahmen, und Neil machte genau die Sachen, die ich auf den vorherigen Platten noch für ihn gemacht hatte. Da war mir klar: Ich werde hier eigentlich nicht mehr gebraucht!"

Wir dagegen brauchen Künstler wie Mark van Hoen ohne Frage weiterhin. Musiker, bei denen man nicht sagen kann, ob sie nun Elektronik mit Pop-Sensibilität verbinden oder Popmusik mit Elektronik-Sounds auffrischen. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Acts, bei denen genau diese Melange zu gezwungen klingt, beweist Mark van Hoen mit "Wrong", wie man die beiden Welten gekonnt miteinander verbinden kann und damit auch gleich noch das Schubladendenken aushebelt. Denn auch, wenn man die Platte etwas schwer beschreiben kann, fest steht: Gute Musik ist es auf jeden Fall!

Weitere Infos:
www.locustsound.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
Locust
Aktueller Tonträger:
Wrong
(Touch/EFA)

 
 

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