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SUPERCHUNK
 
Totgesagte leben länger
Superchunk
Eine Zeit lang schien es so, als wäre der klassische Indierock unwiderruflich tot. Spätestens, als auch Amerika der Electronica-Revolution erlag, war es plötzlich allseits angesagter, Jungs an Plattenspielern zu Idolen der Jugend zu erklären als Jungs mit Gitarren. Wer doch noch eine Gitarre spielen wollte, mußte andere Wege finden, sich à la Marilyn Manson als Medien-Rockstar zu produzieren. Und wer will schon eine auf dem Teppich gebliebene Collegerock-Band hören, wenn man sein Geld auch für den personifizierten Antichrist UND eine überdimensionale Pyrotechnik-Show ausgeben kann?
Bescheidenheit und eigene musikalische Visionen sind nicht mehr gefragt. Wer sich von Sponsor und Plattenfirma vorschreiben läßt, wie man den Kids das Geld am besten aus der Tasche zieht, hat dagegen blendende Erfolgsaussichten. Daß es trotzdem noch kleine Bastionen des Widerstandes gibt, wie damals das gallische Dorf in den Asterix-Comics, ist mehr als bewundernswert. Merge Records in Chapel Hill, North Carolina, ist so ein Bollwerk. Dem Label verdanken wir einige der besten Platten der letzten fünf Jahre ("69 Love Songs" der Magnetic Fields, "Nixon" von Lambchop, "In An Aeroplane Over the Sea" von Neutral Milk Hotel oder "Madonna" von ...And You Will Know Us By The Trail Of Dead), doch darüber wurde inzwischen häufig vergessen, daß auch die Gründer des Labels immer noch aktiv sind: Superchunk.

Daß das Quartett auch zwölf Jahre nach seiner Geburtsstunde als lautstarke Indierockband noch hervorragend funktioniert, beweisen Superchunk auf ihrem neuen, zehnten Album "Here's To Shutting Up" mit Stücken wie "Rainy Streets", aber es sind genau die Veränderungen, die viele ihrer Kritiker geflissentlich überhören, die Superchunk im Jahre 2001 jenseits nostalgischer Gefühle noch eine definitive Daseinsberechtigung geben. Zugegeben, einen Song wie ihre frühe Hymne "Slack Motherfucker", die sowohl als griffige Formulierung wie als Statement zu gebrauchen war, haben Superchunk nie wieder geschrieben, dafür klingt die Band, wie schon auf den beiden Vorgängeralben "Indoor Living" und "Come Pick Me Up", immer genau dann am besten, wenn sie ihren Soundkosmos erweitert, mit Pedal Steel Guitars experimentiert, ohne deshalb zur Country-Combo zu verkommen, oder Streicher einsetzt, ohne damit in seichte Gefilde abzudriften. Und was kann eine Band, deren Sänger eine so unverkennbar großartige Stimme hat wie Mac McCaughan, eigentlich überhaupt falsch machen?

Daß die Amerikaner diesen zweiten Frühling erleben, ist allerdings nicht nur für viele Fans und Kritiker überraschend. Auch die Band selbst reibt sich manchmal verwundert die Augen, wie der bestens gelaunte Mac beim frühmorgendlichen Interview mit der Gästeliste gesteht: "Ja, das ist auch für uns überraschend, denn nach zwölf Jahren denkst du manchmal an die Bands, mit denen du zusammen angefangen hast. Von denen sind nur noch sehr wenige übriggeblieben. Es gibt natürlich auch auf dem Gebiet, das man früher Indierock genannt hat, Ausnahmen, wie zum Beispiel Sebadoh. Und Sonic Youth waren schon lange vor uns da. Wir sind besonders überrascht, daß es uns noch gibt, wenn wir auf Tour sind, denn dabei merkst du sehr schnell, warum sich so viele andere Bands auflösen, hahaha. Wir haben uns ganz einfach durchgeboxt. Letztendlich haben wir auch zwölf Jahre gebraucht, um eine Platte wie 'Here's To Shutting Up' zu machen. Du musst die Meinungen und Geschmäcker von vier Individuen unter einen Hut bringen, so etwas braucht seine Zeit."

Da stellt sich die Frage, ob es da wirklich ein Vorteil ist, daß die Band seit inzwischen knapp zehn Jahren in exakt der gleichen Viererbesetzung zusammen spielt. Immerhin könnte neues Blut auch für neue Ideen von außerhalb sorgen. "Ich denke, es kommt darauf an, wie man damit umgeht. Mit den gleichen Leuten ist es so: Wenn man den Knackpunkt überwindet, an dem man sich am liebsten an die Gurgel springen möchte, geht alles ganz einfach. Du mußt dir nach einer so langen Zeit keine Gedanken mehr machen, was deine Mitstreiter wohl spielen werden, und du weißt, es wird kreativ sein. Du triffst dich einfach mit ihnen und legst los. Insofern ist es gut, aber wie du schon sagst, neues Blut ist wichtig, und deshalb probieren wir stets neue Sachen aus und arbeiten mit Gästen, neuen Produzenten in verschiedenen Studios - um es auch für uns selbst interessant zu halten. Wenn du schon keine neuen Bandmitglieder haben kannst, suchst du dir eben andere Musiker außerhalb der Band, mit denen du zusammenarbeiten möchtest. So waren ja auf der letzten Platte Ken Vandermark oder Jeb Bishop mit dabei. Und nicht zuletzt Jim O'Rourke als Produzent. Es ist wichtig, daß auch der Produzent wirklich kreativ ist und nicht nur an der Studiotechnik interessiert ist und weiß, wie man mit einem Kompressor umgeht."

Auch wenn es bandintern weiterhin rund läuft, gerade in den letzten Jahren hatte die Band einige Tiefschläge zu verkraften. So wurden sie beispielsweise von ihrem langjährigen europäischen Label City Slang wegen notorischer Nicht-Verkäufe an die Luft gesetzt. Während andere Bands den kommerziellen Abschwung mit offensivem Auftreten übertünchen wollen, haben Superchunk sympathischerweise kein Problem damit zuzugeben, daß sie wohl in Zukunft alles ein paar Nummern kleiner angehen müssen. Wer nichts hat, kann auch nichts verlieren, wer keine große Erwartungshaltung aufbaut, muß auch nicht mit großen Enttäuschungen rechnen.

Superchunk
"Als wir anfingen, war es noch eine große Sache für eine amerikanische Rockband, überhaupt nach Europa zu kommen, aber es gab ein Interesse an Rock N Roll, besonders aus den Staaten. Dann haben sich die Dinge sehr schnell verändert, vor allem in England, und das europäische Festland scheint in bestimmter Hinsicht der britischen Presse zu folgen", erinnert sich Mac und fügt lachend an: "Für uns bedeutete das erst einmal nichts Gutes! Ich mache City Slang keinen Vorwurf, sie haben aus unseren frühen Platten eine Menge gemacht und es ist natürlich auch hart, für etwas zu kämpfen, das niemanden interessiert. Dann sind wir bei Matador Europe gelandet, die alte Freunde von uns waren, denn Matador US hat uns bei unseren ersten LP-Veröffentlichungen unterstützt. Zu dem Zeitpunkt waren wir schon glücklich, daß wir überhaupt ein Label in Europa gefunden hatten, denn nachdem City Slang die Platte nicht machen wollte, sah es kurzfristig so aus, als würde 'Come Pick Me Up' überhaupt nicht in Europa erscheinen. Sie haben sich alle erdenkliche Mühe gegeben, aber es ist nicht einfach, derzeit eine Superchunk-Platte zu promoten. In Amerika konnten wir unser Publikum halten, und die Leute haben unsere Veränderungen Stück für Stück mitbekommen. In Europa dagegen denken viele Leute immer noch, wir klingen genauso wie vor acht Jahren. Tun wir aber nicht, das wäre uns einfach zu langweilig. Matador versucht also nun, die Europäer davon zu überzeugen, unsere neuen Platten ohne Vorurteile zu hören."

Dem oft wiederholten Vorwurf, ihre Songs hätten zu wenig Variationen, begegneten Superchunk schon vor Jahren mit Humor. Ihren Musikverlag nannten sie nämlich augenzwinkernd "All The Songs Sound The Same"-Music. Unterkriegen läßt sich die Band von negativen Kritikerstimmen ebenso wenig wie von den finanziellen Engpässen, die Tourneen in Übersee in den letzten Jahren fast völlig unmöglich machten.

"Tourneen in Europa sind bekanntlich ziemlich kostspielig, und da sich Matador gerade bereit erklärt hatte, unsere Platte zu veröffentlichen, wollten wir nicht um eine Finanzspritze für eine Konzertreise bitten. Wir konnten ja schlecht bei unserem ersten Besuch gleich die ganze Bank ausrauben: 'Danke, daß ihr euch so viel Mühe gebt, uns bei den Leuten in Europa wieder in Erinnerung zu rufen, als Dank geben wir jetzt euer ganzes Geld für unsere Tour aus!' Weil wir es uns selbst auch nicht leisten konnten, Geld zu verlieren, haben wir die wenigen Konzerte in den Ländern gespielt, in denen die Platte am besten lief. Das waren ein paar Shows in England und ungefähr acht Konzerte in Spanien. Die Tournee hat viel Spaß gemacht, weil sie so anders war als unsere bisherigen Europareisen, aber natürlich sind wir in viele Regionen erst gar nicht gekommen."

Aber nicht nur die Tourpläne des Quartetts haben sich gewandelt. Seit "Indoor Living" vor vier Jahren hat sich ein neues, demokratischeres System beim Songwriting durchgesetzt. War es davor vor allem Mac, der zu Hause die Songs schrieb und den anderen vor die Nase setzte, sind die letzten drei Platten durch lange Jam-Sessions in einem Gemeinschaftsprozess entstanden. Das nahm nicht nur die Last von Macs Schultern, sondern sorgte auch für wesentlich mehr Freiraum. "Seit einigen Jahren setzen wir uns einfach zusammen, ohne vorher irgendeinen bestimmten Plan gemacht zu haben, und fangen einfach bei null an, Songs zu schreiben. Dieser Prozeß hat uns ermöglicht, auch an seltsameren Songs und Strukturen festzuhalten. Vor fünf Jahren hätten wir vielleicht noch gesagt: 'Nee, das ist uns zu schräg', jetzt halten wir viel eher auch an den Ideen fest, die anfangs vielleicht noch ein bißchen seltsam klingen. Wir arbeiten jetzt so lange daran, bis bestimmte Sachen funktionieren. Natürlich wäre es einfach zu sagen: 'Das klingt aber schräg, laßt uns doch stattdessen lieber diesen lauten Rocksong spielen, schließlich wissen wir da, wie der Hase läuft.' Sich eine hübsche Melodie einfallen zu lassen und mit so viel Distortion wie möglich zu spielen, wird auf Dauer langweilig. Die Versuchung, es so zu machen, ist manchmal sehr groß, aber interessanter ist es natürlich, sich zu zwingen, neue Wege zu beschreiten."

Superchunk
Während der Produzent der neuen Platte, Brian Paulson, vor allem für seine amtlichen Rockproduktionen bekannt ist, hatten Superchunk vor zwei Jahren den großen Jim O'Rourke natürlich vor allem wegen seines bekannten Experimentierwillens engagiert. Eine Rechnung, die manchmal fast nicht ganz aufzugehen schien, wie sich Mac amüsiert erinnert. "Manchmal war es fast so, daß wir Jim geradezu dazu drängen mußten, die Sounds ein bißchen mehr durcheinander zu würfeln und krasser zu gestalten. Wir sagten ihm Sachen wie: 'Das hier soll überhaupt nicht nach Schlagzeug klingen, sondern eher wie ein Scheibenwischer!' Und er fragte nur ungläubig zurück: 'Seid ihr euch wirklich sicher?' Wir wollten einen manchmal ziemlich kaputten Sound und mußten ihn erst einmal auf Kurs bringen. Deshalb klingt gerade diese Platte manchmal vielleicht etwas 'over the top', aber genau das wollten wir erreichen."

Dabei ist es Mac wichtig klarzustellen, daß die Band zwar inzwischen mehr Zeit für Produktion und Arrangements verwendet, aber dennoch nicht alles schon vor den Aufnahmen bis ins letzte Detail festgelegt ist. Ist ein grober Rahmen erst einmal abgesteckt, wird der Rest absichtlich nicht im Voraus geplant, um eine gewisse Spontaneität und Lockerheit zu bewahren. Durch die vielschichtigere Instrumentierung wollen Superchunk erreichen, daß die Platte auch nach mehrmaligem Hören noch Überraschungen bietet, mit versteckten Keyboard-Parts oder Streichern, die man vielleicht nicht sofort wahrnimmt. "Manchmal muß man es bei solchen Ideen fast übertreiben, gerade bei einer Band wie uns. Wenn die Veränderungen nur sehr moderat sind, nimmt sie nämlich niemand richtig wahr und du selbst hast das Gefühl, als hättest du im letzten Moment kalte Füße bekommen", erklärt Mac den Balanceakt zwischen Erweiterung des Markenzeichensounds und Überproduktion.

Die Idee für einen anderen Sound seien teilweise schon für das dritte Album "On The Mouth" 1992 vorhanden gewesen. "Damals hatten wir einige ziemlich abgefahrene Sachen im Kopf, die wir aber aussortiert haben, bevor wir überhaupt ins Studio gegangen sind. Die Sachen wären vielleicht interessant gewesen, aber wir hätten uns damals nicht wohl dabei gefühlt, sie zu spielen, und letztendlich hätte es sicherlich nur halbherzig geklungen. Als wir angefangen haben, Songs für diese Platte zu schreiben und die Instrumente aufgebaut haben, hatten wir Keyboards und Akustikgitarren zur Hand, und es war unser Ziel, diese auch wirklich hörbar einzusetzen und nicht nur davon zu reden, sie zu benutzen, oder sie nur im Hintergrund zu verwenden. Früher haben wir, wenn wir mal Gäste dabeihatten, deren Beiträge immer in letzter Sekunde beim Mixing irgendwo verbuddelt, dieses Mal haben wir uns gesagt: Wenn wir schon eine Horn-Section dabeihaben, dann machen wir sie auch zu einem integralen Teil des Songs. Andere Leute benutzen Streicher, weil sie damit vertuschen wollen, daß ihre Songs vielleicht nicht so toll sind. Wir haben vollstes Vertrauen in unsere Songs, und wenn wir andere Instrumente hinzufügen, dann als Teil des Songs und nicht nur als Gimmick, um das Stück irgendwie interessant zu machen."

Vielleicht liegt es daran, daß alle Songs auf "Here's To Shutting Up" wie typische Superchunk-Songs klingen, Veränderungen hin oder her. Ist das Lob oder Kritik aus Macs Sichtweise? "Nein, das ist ein Kompliment, wir wollen weiterhin wie Superchunk klingen. Ich mag es überhaupt nicht, wenn manche Acts versuchen, bei jedem Song wie eine komplett andere Band zu klingen. Eine Platte wie die letzte von Wilco dagegen finde ich großartig. Zwar klingen alle Songs unterschiedlich, aber man merkt trotzdem sofort, daß es Wilco sind. Mit unserer neuen Platte haben wir etwas Ähnliches versucht: Wir wollten eine typische Superchunk-Platte, die dich trotzdem immer wieder überraschen kann."

Die Tatsache, daß den vieren aus Chapel Hill genau das gelingt, macht das zehnte Superchunk-Album zu einem der schönsten bisher. Ehrlich, bodenständig und immer wieder gut.

Weitere Infos:
www.superchunk.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-
Superchunk
Aktueller Tonträger:
Here's To Shutting Up
(Matador/Zomba)

 
 

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