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TOM LIWA
 
Blind Date mit Liwas Tom
Tom Liwa
"Liwa er so wertvoll wie heute", schrieb letzten Sommer anlässlich der Veröffentlichung seines letzten Albums "St. Amour" ein Magazin über den Duisburger Songwriter. Da ist was dran. Denn in den vier Jahren seit dem letzten Album mit seiner Band Flowerpornoes, dem grandiosen "Ich & Ich", präsentierte sich Schritt für Schritt ein neuer Liwa, der - ob nun bedingt durch eine längere Auszeit, veränderte familiäre Verhältnisse oder einfach durch zunehmendes Alter - zugänglicher geworden ist. Vielleicht ist er auch nur ein bisschen ruhiger geworden, weil er sich inzwischen sicher sein kann, seine eigene Nische gefunden zu haben. Die wird ihn nicht zum Multimillionär machen, sichert ihm aber seit Jahren konstante Verkaufszahlen. Und außerdem hat Liwa mit diversen Projekten außerhalb seiner Singer-Songwriter-Persona ja immer noch genügend Möglichkeiten, sich kreativ auszutoben.
Trotzdem werden wir im Jahre 2001 Liwa vor allem per Silberling und mit der Gitarre in der Hand auf der Bühne zu Gesicht bekommen, denn für die kommenden Monate hat Tom sich ein großes Pensum vorgenommen. Im Frühsommer soll sein nächstes reguläres Studioalbum erscheinen, das wohl den Titel "Evolution Blues" tragen wird und größtenteils letzten Herbst mit Konstanze Posth und den Steinebach-Brüdern entstanden ist. Es soll wesentlich roher und ungeschliffener klingen als sein Vorgänger, verspricht Liwa. Bis die Platte erscheint, wird Tom auch gut zwei Dutzend Konzerte spielen und dabei eine weitere Platte vorstellen, denn schon dieser Tage erscheint sein zweiter Beitrag zur "Return To Sender"-Mailorder-Serie auf Normal Records. Wie schon auf dem 1997er Livealbum "Voeding" gibt es auch auf "Stäfa/CH" vor allem Neueinspielungen alter Liwa- und Flowerpornoes-Songs plus einige nette Überraschungen. So spielt Liwa wie schon bei einigen Konzerten letzten Herbst auf der Solo-Platte sehr schön Klavier und kann auch mit drei ausnahmslos gelungenen Coverversion von Nick Drake, Bob Dylan und Neil Young aufwarten. Entstanden ist die Platte in einem alten Ballsaal in dem kleinen Ort Stäfa der Schweiz, von dem Liwa auf seiner letzten Tournee durch das land der Eidgenossen so angetan war, dass er das gediegene Ambiente spontan zu Aufnahmen für die Platte nutzte.

So viele Aktivitäten waren für uns mehr als Grund genug, Tom am Tag nach seinem Tourneestart in der Essener Zeche Carl zum Blind Date in die gute Stube der Gästeliste zu laden.

* Saint Low "Tall Trees"
("Saint Low", Cooking Vinyl, 2000)

Saint Low's Mary Lorson singt, dass einem ganz anders wird. Präziser ausgedrückt: Wie die Tochter von Sandy Denny. Oder die von Joni Mitchell. Die Tom nachweislich sehr schätzt.

Tom [grinsend nach der ersten Strophe]: "Wer bist du, schöne Fremde? Es ist nicht Stephanie Sayers, an die hatte ich zuerst gedacht. Ich kenne es auf jeden Fall nicht."

Gästeliste: Das ist die ehemalige Sängerin von Madder Rose, die jetzt mit neuer Band weniger indierockig und wesentlich düsterer klingt. Eben eher wie Sandy oder Joni.

Tom: "Der Vergleich zu Sandy Denny passt, zu Joni Mitchell find ich nicht. Stimmlich und von der Art der Melodieführung hört es sich für mich eher wie Suzanne Vega an. Finde ich sehr angenehm. Gerade bei Frauenplatten finde ich es aber sehr wichtig, die Texte erst mal gelesen zu haben. Bei allem Antisexismus hat man ja doch positive wie negative Vorurteile, wenn es um singende Frauen geht."

* Lambchop "Hey, Where's Your Girl"
("Thriller", City Slang, 1996)

Mit seinem neuen Soul-Album "Nixon" schaffte Kurt Wagner's Band 2000 den ganz großen Wurf. Dieses Stück stammt aus der Country-meets-Pop-Zeit des Songwriting-Großmeisters aus Nashville, TN.

Tom: "Ich kenn's wieder nicht und die erste Frage, die ich mir gestellt habe, ist: Alt oder neu? Von der Produktion her würde ich sagen: Ist auf alt gemacht, ist aber wohl eher 90er oder vielleicht auch ganz neu. Der Sänger ist auch nicht so alt, wie er klingt. Der ist wahrscheinlich Anfang 30, obwohl er gut zehn Jahre älter klingt."

Gästeliste: Hmmm, da muss ich dich enttäuschen. Er war 38, als er die Platte aufgenommen hat. Das ist Lambchop!

Tom: "Ah! Da hab ich kurz dran gedacht. Ich kenne aber nur die "How I Quit Smoking" und die danach. Ist ein Klasse Typ. Ich habe den mal persönlich kennen gelernt, als er in Duisburg gespielt hat. Das Schöne ist ja auch, dass er einen vollkommen normalen Job macht. Damals war er Fliesenleger. Sehr, sehr lieber Mensch."

Gästeliste: Und ist das auch musikalisch was für dich?

Tom: "Das ist ne schwierige Sache. Es gibt bei dem Sound wie auch bei manchen anderen Sachen vieles, das ich sehr gerne mag und dann Sachen, mit denen ich gar nichts mit zu tun haben will, obwohl sie eigentlich sehr ähnlich klingen. Es gibt sowieso kein Genre, bei dem ich sagen würde, das ist von vorne herein alles super. Aber ich habe halt vor Kurt Wagner eine ziemliche Hochachtung."

* Jackson Browne "Running On Empty"
("Running On Empty", Asylum, 1977)

Ein Klassiker. Radio-Pop meets großen Songwriter mit schwerer Depression.

Tom [nach einer Millisekunde]: "Jackson Browne! "Running On Empty". Komisch, bei den alten Sachen bin ich dann sofort am Start (lacht). War meine erste Jackson Browne-Platte. Ende der 70er war das die Platte von ihm, die man einfach hatte. Glorifiziert die Straße und das Unterwegssein. Auch ein Album über das Musikersein, eigentlich eine Meta-Platte. Darüber bin ich dann zu seinen anderen Platten gekommen, von denen mir heute einige sehr viel mehr bedeuten, zum Beispiel die erste oder "Late For The Sky". Er hat ja sehr lange Pause gemacht, bis dann nach der Trennung von Darryl Hannah wieder Alben kamen, wobei gerade die Trennungsplatte auch sehr schön ist. Wir Zuhörer profitieren ja oft vom Leid der Protagonisten."

Gästeliste: Ist das eine Sache, der du uneingeschränkt positiv gegenüberstehst, private Inhalte in einer Art Selbsttherapie in Songs und Platten umzusetzen, wie Jackson Browne das ja zum Beispiel mit "The Pretender" (und "Running On Empty") gemacht hat?

Tom: "Ich kann niemandem vorschreiben, wie er zu arbeiten hat. Was ich für mich selber mache, ist eine ganz andere Frage. Aber auch bei Jackson Browne ist da garantiert eine Menge Fiction dazwischen. Und wenn eine Platte in einem solchen Moment entsteht, dann ist das einfach todtraurig, auch wenn die Geschichten fiktiv sind. Ich halte ihn auch für einen Fiction-Schreiber, da sind zum Teil brillante Geschichten dabei, die er gar nicht so erlebt haben kann."

* Sandy Denny "Tomorrow Is A Long Time"
("Sandy", Island, 1973)

Die viel zu früh gestorbene englische Folk-Legende spielt countrylastig Bob Dylan, und ihr alter Fairport Convention-Wegbegleiter Richard Thompson ist an der Gitarre auch mit dabei...

Tom: "Der Song ist klar! (lacht) Allerdings habe ich das Stück nie als Countrysong verstanden. Ich würde denken, dass die Sängerin Engländerin ist. Ist wohl etwas Jüngeres, aus den 80ern vielleicht... nee, da klang alles viel zu schlimm, dann eher aus den 90ern, da war so etwas eher wieder drin...

Gästeliste: Wie wär es mit Mitte der 70er?

Tom: 1973? Dann ist das vielleicht Sandy Denny? Hey, Treffer (lacht)! Mit Richard Thompson? Den habe ich wirklich erst innerhalb der letzten Monate entdeckt. Ich hatte sehr schwer Zugang über die Stimme, die hat mir sehr viel verbaut. Ich mag aber sehr viel Zeitgenossen von ihm schon lange sehr gerne. John Martyn und so.

Gästeliste: Das geht wohl vielen so. Aber wenn man sich auf sein Songwriting und vor allem sein Gitarrenspiel einlässt, kann man wirklich staunen.

Tom: Mir gefällt vor allem, wie Thompson schreibt und wie er auf der Gitarre schreibt. All die kleinen Licks, ganz hervorragend!

* Tilman Rossmy Quartett "Häng hier nicht rum"
("Reisen Ins Eigene Land", Glitterhouse [?], 2001)

Liwa's alter Konkurrent und Freund Tilman Rossmy kramt in der eigenen Vergangenheit und macht aus alten Regierungs-Schrottrocksong neue Country-Perlen. Das dazugehörige Album soll im Frühjahr erscheinen.

Tom [bei der ersten Textzeile huscht ein überrascht-erfreutes Lächeln über sein Gesicht]: Was ist denn das für ein Stück?

Gästeliste: Das ist aus der Regierungs-Frühphase, hier neu und komplett umgekrempelt.

Tom: Die Version mag ich sehr, auch wenn ich den Song auf Anhieb nicht erkannt habe.
Ich halte Tilman für einen ausgezeichneten Songschreiber und mag ihn nach wie vor sehr gern. Er hatte meiner Meinung nach mit seinen ersten beiden Soloplatten ein Tief, aber "Passagier" fand ich dann wieder richtig großartig. Ich bin fast überrascht, dass er diese Platte herausbringen wird, denn auch, wenn man nicht so viel drauf geben soll, was die Leute so sagen: Das Letzte, was ich gehört hatte, war, dass Tilman in die Schweiz geht, eine Familie gründet und mit der Musik aufhört. Allerdings ist Tilman ja auch jemand, der immer gerne damit kokettiert: Jetzt hör ich auf!

Gästeliste: Stimmt ja trotzdem auch fast. Er hat die Schweiz sozusagen in Sichtweite und im Sommer kam seine erste Tochter Hannah zur Welt.

Tom: Tilman, wenn du das hier liest, herzlichen Glückwunsch und alles Gute!

* Elliott Smith "Happiness"
("Figure 8", Dreamworks, 2000)

Ausnahmeerscheinung Smith mit der Single seines letzten Albums. Neil Young? Big Star? The Beatles? Von allem ein bisschen.

Tom: Auf jeden Fall alt! They don't make records like this anymore...

Gästeliste: Well, this record was released seven months ago, sorry!

Tom: Ehrlich? Ich weiß es nicht, kann aber trotzdem raten: Steve Westfield? Den habe ich nämlich auch nie gehört, aber oft von erzählt bekommen....(lacht) Elliott Smith? Das ist aber untypisch! Ich kenne nur die "Figure 8"... Wie, das ist da drauf? Dann habe ich die eindeutig zu selten gehört. Die ist aber auch sehr lang.

Gästeliste: Stimmt. Das ist Stück 12 von 16.

Tom: So weit bin ich nie gekommen. Aber ein schöner Song! "Figure 8" ist auch die erste Smith-Platte, die ich gehört habe. Eine Freundin hat mich drauf gebracht. Ich habe sie am gleichen Tag wie die letzte Dakota Suite gekauft und die habe ich anscheinend dann häufiger gehört.

* Mary Lou Lord "Western Union Desperate"
("Got No Shadow", Columbia, 1998)

Bostoner Unikum und Straßenmusikerin mit Majordeal. Singt ähnlich engelsgleich wie ihre Freundin Mary Lorson und teilt die Produzenten mit Freund Elliott Smith.

Tom: Kenn ich auch nicht!

Gästeliste: Du hast das Stück vor nicht allzu langer Zeit in einer Live-Akustik-Version gehört.

Tom: Ah, Mary Lou Lord! Das sind ja tolle Hilfen hier (lacht). Diese Version klingt aber ganz anders, auch viel eindringlicher vom Gesangsstil her.

Gästeliste: Mary Lou ist ja auch wohl die einzige Frau mit Majorvertrag, die trotzdem noch regelmäßig auf der Straße und in der U-Bahn spielt.

Tom: Auf der Straße habe ich auch schon lange nicht mehr gespielt. Ist mir zu kalt (lacht).

* Samba "Millionen Ziehen Mit"
("Millionen Ziehen Mit", Blickpunkt Pop, 1999)

Waren mal "die nächsten Tocotronic", inzwischen als leicht angeschrägte Popband deutscher Mundart etabliert. Wie weit entfernt von einem Tom Liwa?

Tom: Von Samba kenne ich nur ein paar Sachen von den ersten Platten, seitdem habe ich nichts mehr von denen gehört. Mir ist das hier einen Tacken zu jugendlich und ich denke, das entspricht auch nicht ganz deren Stand. Ein bisschen unbeholfen, aber auch nicht unsympathisch. Trotzdem nichts, was ich mir privat anhören würde. Allerdings höre ich ohnehin kaum deutschsprachige Musik.

* Speedniggs "I Could Never Take The Place Of Your Man"
("Boston Beigel Yeah", Langstrumpf Reissue, 1995)

Christopher "Krite" Uhe und Mark Kowarsch, the band later known as Sharon Stoned mit einem Stück aus den Sessions zu ihrem legendären ersten Album von 1987.

Tom [nach wenigen Sekunden]: Speedniggs mit Gastsänger Tom Liwa, ein Prince-Cover!

Gästeliste: Stimmt! Das ist ja aus einer Zeit, als gerade mal die erste Flowerpornoes-LP draußen war. Wie kam damals der Kontakt zu den Speedniggs eigentlich zustande?

Tom: Der Kontakt kam, wie damals wohl alle Kontakte, die die Speedniggs hatten, über Mark Kowarsch zustande. Der hat halt so eine Art. Eine Freundschaft hat sich dann später mit Krite entwickelt.

* Aeronauten "Freundin"
("Gegen Alles", Tom Produkt/L'Age D'Or, 1996)

Schweizer Lach- und Sachgeschichten, dieses Mal zum Thema: Was ist besser: Nazis verkloppen oder sich eine Freundin suchen?

Tom: Auch wenn ich für die Schweiz im Allgemeinen und die Aeronauten im Besonderen viel übrig habe, mit dieser Art von Comedy kann ich nichts anfangen. Spaß ist noch in Ordnung, aber das ganze Fun-Ding hasse ich wie die Pest. Fun - das ist noch mal der Tod des modernen Abendlandes.

* Jonathan Richman & The Modern Lovers "Hospital"
("Precise Modern Lovers Order", Rounder, 1994)

Einer der drei ergreifendsten Songs aller Zeiten, im Original aus dem Jahre 1971. Wer so textet wie Richman, muss ein guter Mensch sein. Und ein Riesenidol für Heerscharen von Songwritern. Auch für Tom?

Tom [in der Sekunde, in der der Gesang einsetzt]: Ah, Jonathan Richman, von der ersten Platte mit den Modern Lovers. Mit denen habe ich mich in den 80ern ein bisschen näher beschäftigt, aber dann irgendwann aufgegeben, schließlich klingen Richman's Platten ja auch alle in gewisser Weise ähnlich. Er hat halt seinen Stil.

* Gordon Lightfoot "I'm Not Supposed To Care"
("Summertime Dream", Warners, 1973)

Kanadas Antwort auf Bob Dylan, die große alte Schule des countrygefärbten Songwritings.

Tom: Im ersten Moment hätte ich gesagt: Gordon Lightfoot. Stimmt aber nicht.

Gästeliste: Manchmal sollte man der ersten Eingebung trauen!

Tom: Ein großartiger Songschreiber! Der hat ganz, ganz tolle Sachen gemacht.

Gästeliste: Ist aber auch heute oft vergessen, oder? Nicht wirklich ein allgemeingültiger Klassiker wie vielleicht Jackson Browne, obwohl aus einer ähnlichen Zeit.

Tom: Seine Hits hat er nun mal an andere Leute vergeben und sich damit wohl dumm und dämlich dran verdient. Ich bin irgendwann mal über eine Platte von Lightfoot gestolpert, an der ich das Cover interessant fand, aber das ist wohl kaum der normale Weg. Gibt es den noch? Würde mich mal interessieren, was der heute so macht.

Gästeliste: Er hat wohl 1998 seine letzte Platte gemacht, die auch überrascht gut ankam bei den Kritikern.

* Madonna "Borderline"
("Madonna", Sire, 1983)

Sie ist und bleibt die Allergrößte und "Borderline" eine ihrer besten, obwohl ersten Singles. Wurde auch von u.a. Lemonheads und Dean Wareham (Galaxie 500, Luna) gespielt.

Tom [nachdem Intro und Strophe 1 bereits vorbei]: Mann, ist das schlecht! Das Stück habe ich echt verdrängt, obwohl ich Mitglied im offiziellen Fanclub bin. Die erste Madonna-Platte habe ich auch seit Ewigkeiten nicht mehr gehört. Man sollte sich diese Platte als abschreckendes Beispiel anhören, wenn einem die jeweils neue Platte von ihr nicht gefällt!

Weitere Infos:
www.tomliwa.de
Interview: -DJ Carsten Wohlfeld-
Foto: -Stefan Claudius-
Tom Liwa
Aktueller Tonträger:
Stäfa/CH
(Normal/Glitterhouse)
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