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THE DIVINE COMEDY
 
"Ich bin ein richtiger Faulenzer!"
The Divine Comedy
Mit großem Geschick und ein wenig Glück navigiert Neil Hannon The Divine Comedy nun schon seit 30 Jahren durch die Untiefen des Musikbusiness und hat sich dabei nie verbiegen müssen. Immer wieder findet der smarte 48-jährige Nordire neue Ausdrucksformen, um mit seiner Band einschmeichelnde Eingängigkeit mit einem kreativen Blick über den Tellerrand zu verbinden. Als Sinnbild für das immer schwerer greifbare Hier und Jetzt lässt er auf dem aktuellen Album "Office Politics" mit seiner patentierten Mischung aus Witz und Wortspiel ein ganzes Arsenal bisweilen herrlich überzeichneter Charaktere durch die moderne Bürowelt irren und bildet die innere Zerrissenheit seiner Protagonisten auch klanglich ab. Auf der stilistisch breit gefächerten, ja ausufernden Doppel-LP ergänzen so Synth-Pop und New Wave die detailverliebte Kammermusik im Britpop-Dunstkreis, die seit jeher ein Divine-Comedy-Markenzeichen ist, und wenn es bisweilen etwas mehr rumpelt und knarzt als sonst, ist das schlichtweg Teil des Konzepts. Ende Oktober kommen The Divine Comedy auf Deutschland-Tournee, zuvor erklärte uns Hannon bei einem äußerst kurzweiligen Gespräch die Hintergründe der neuen Platte.
GL.de: Neil, 30 Jahre Divine Comedy!

Neil Hannon: Ja! Seufz (lacht)! Wie fühlt sich das an? Nun, ich habe einen - meinen! - Traumjob, und alles, was ich mir je erträumt hatte, wurde mehr als nur erfüllt. Zugegeben, wir sind nie eine Stadionband geworden, wie ich mir das mit 16 ausgemalt habe, als ich U2 im Croke Park in Dublin gesehen habe, aber letztlich ist es sogar besser so. Ich genieße die Vergünstigungen - die großartigen Fans, die tollen Konzerte, die Gelegenheiten, Platten nach meinem Gusto machen zu dürfen -, werde aber auf der Straße zumeist in Ruhe gelassen (lacht).

GL.de: Über dein letztes Album, "Foreverland", hast du gesagt, dass du dich dort ganz besonders deinen Faibles hingegeben hast. Die neue Platte klingt, als würde das auch dieses Mal gelten?

Neil Hannon: Nun, in gewisser Weise tue ich das immer. Vermutlich gehe ich die Sache mit fortschreitendem Alter einfach etwas freier an. Denn wenn ich ehrlich bin: Ich hatte bislang eine so gute Karriere - selbst wenn mich das Glück jetzt verlassen würde, könnte ich immer noch sagen: Alle Achtung! Zunächst mal ist es einfach so, dass es mich wahnsinnig langweilen würde, nicht genau das zu tun, wonach mir der Sinn steht. Wenn ich mich durch mein bisheriges Werk eingeschränkt fühlen würde, dann würde ich alles hinwerfen. Aber ich denke, als Künstler ist es meine Pflicht, den richtigen Rahmen für das zu finden, was ich ausdrücken will. Was ich in den Texten anspreche, wollte einfach nicht zu dem lieblich-orchestralen 60s-Vibe meiner früheren Platten passen, deshalb habe ich mich einer anderen Phase der Musikhistorie zugewandt, die mir fast genauso sehr am Herzen liegt - die späten 70er und frühen 80er.

GL.de: Ob des bisweilen herrlich abstrusen Kaleidoskopsounds der neuen LP scheint es fast so, als sei es dein Ziel gewesen, noch verrückter zu sein als die verrückte Welt da draußen, die uns täglich mit immer schwerer zu fassenden Nachrichten in Atem hält.

Neil Hannon: Nein (lacht schallend)! Ich glaube, das Album kommt diesem Ziel noch nicht einmal nahe, denn so verrückt wie die Welt derzeit ist, habe ich Probleme, mitzuhalten! Ich weiß natürlich trotzdem, wie du darauf kommst: Die neue Platte ist in manchen Teilen schon ziemlich bekloppt!
GL.de: Musste die Platte deshalb eine - deine erste! - Doppel-LP werden, weil all die ausgefallenen Ideen unmöglich auf eine Einzel-LP gepasst hätten?

Neil Hannon: Zunächst einmal musste sie eine Doppel-LP werden, weil ich unbedingt mal eine machen wollte! Außerdem bin ich an einem Punkt in meinem Leben, an dem ich mich nicht mehr so stark selbst zensieren will. Mir gefiel der Gedanke, einige der schrägeren Ideen durchrutschen zu lassen. In der Vergangenheit war ich stets sehr selbstkritisch und habe meine Arbeit immer sehr stark überarbeitet, damit die Platten ein ästhetisch ansprechendes Ganzes bilden. Manchmal fühlt sich das aber zu einschränkend an, und interessante Songs oder musikalische Ideen schaffen es nicht aufs Album, weil sie zu abwegig sind. Dieses Mal wollte ich Rahmenbedingungen schaffen, bei denen auch die abseitigen Sachen zum Zuge kommen, denn ich habe das Gefühl, dass sie genauso ihre Daseinsberechtigung haben.

GL.de: Es ist auch schön, dass du "Office Politics" als Doppelalbum bezeichnest, obwohl es das nur in der Vinylversion ist, die CD - ähnlich wie bei "Blonde On Blonde" von Bob Dylan oder "London Calling" von The Clash - dagegen nicht...

Neil Hannon: Meine Managerin Natalie [De Pace] neckt mich deswegen immer, schließlich gibt es auch keinen Doppel-Stream oder einen Doppel-Download, aber mir ist das egal. Ich bin äußerst altmodisch und ich wurde 1970 geboren. Die ersten zehn Jahre meines Lebens waren also voll von Doppelalben (lacht)! Ich musste einfach irgendwann mein eigenes "Out Of The Blue" aufnehmen!

GL.de: Über das neue Album hast du gesagt, dass die Fertigstellung länger gedauert hat, weil die Platte nur "fast perfekt" war. Fällt es dir nach all den Jahren leichter, zu merken, wann ein Album vollendet ist?

Neil Hannon: Ja, ich bin inzwischen ziemlich gut darin, zu spüren, wann der richtige Zeitpunkt zum Aufhören gekommen ist. Mein einziges Problem ist, dass ich zwischendurch gerne die Spielregeln ändere. Hätte ich eine weitere Platte wie "Foreverland" aufgenommen, wäre es mir zweifelsohne leichtgefallen, denn Endpunkt zu finden. Das stand aber nicht zur Debatte, denn ich wollte etwas völlig anderes machen. Da ich noch nie ein Doppelalbum aufgenommen hatte, war es dieses Mal in der Tat gar nicht so einfach, zu wissen, wann die Platte fertig war. Ich hatte Unmengen an Songs, was mir eigentlich überhaupt nicht ähnlichsieht. Für gewöhnlich schreibe ich 13 Lieder und zwölf davon landen auf der Platte. Viele der Songs auf "Office Politics" entstanden bereits zeitgleich mit denen auf "Foreverland" 2012/13, wollten aber einfach nicht auf das letzte Album passen. Ich stellte schnell fest, dass ich eine Menge "normaler" Songs schrieb, aber auch eine ganze Reihe schräger Synth-Pop-Nummern, also fiel bereits früh die Entscheidung, aus den einen "Foreverland" zu machen und die anderen für eine weitere Platte zurückzuhalten.

GL.de: Womit hast du denn angefangen? Mit den Liedern, die Synthesizer benutzen oder die davon handeln?

Neil Hannon (lacht): Nun, ich bin immer schon ein großer Fan all der Bands gewesen, die ich am Ende des Songs "Psychological Evaluation" nenne - Human League, OMD, Kraftwerk, Soft Cell, Japan, Eurythmics, Depeche Mode, Gary Numan, Heaven 17, Pet Shop Boys, Buggles, Ultravox, Yazoo, Art Of Noise, Blancmange, Thomas Dolby, Frankie Goes To Hollywood, Landscape, M, New Musik, Propaganda, Visage, Yello - und hatte immer im Hinterkopf, mal eine solche Platte aufzunehmen. Dass am Ende doch etwas anderes dabei herausgekommen ist, liegt schlicht und ergreifend daran, dass ich mich selbst nicht einschränken wollte. Zu Beginn habe ich die Synths um mich herum aufgebaut, als sei ich Howard Jones oder Mike Oldfield, und habe einfach losgelegt! Das war ein Riesenspaß!

GL.de: Wenn du solch spezifische Inspirationen nennst, ist das Ziel dann, dem Original möglichst nahe zu kommen oder geht es eher darum, sich vom Vibe dieser Künstler und ihrer Songs inspirieren zu lassen?

Neil Hannon: Egal, was du tust: Am Ende klingst du nie wie das Original - und das ist auch gut so, denn es bedeutet, dass du mehr bist als eine reine Kopie! Mir gefällt es allerdings, mich von Dingen inspirieren zu lassen, die ich liebe. Ich habe es nie darauf angelegt, eine Human-League-Platte zu machen. Mir war von Anfang an klar, dass etwas anderes dabei herauskommen würde. Ich habe aber viel darüber nachgedacht, wie sie die Platten damals gemacht haben. Das war faszinierend, auch wenn es nur zu meiner eigenen Belustigung war. Die Musiker waren unglaublich kreativ, wenn es darum ging, mit den geringen technischen Möglichkeiten, die ihnen damals zur Verfügung standen, umzugehen. Die meisten Parts, die heute aus dem Sequencer kommen, wurden damals ja noch von Hand gespielt. Deshalb hatten selbst die frühen Synth-Pop-Platten eine Art von Menschlichkeit, die heute fehlt, da nun alles aus dem Computer kommt.

GL.de: Lass uns ein wenig über die Texte sprechen, die, außergewöhnlich wie eh und je, auch dieses Mal wieder mit einer ganzen Reihe alter und neuer Charaktere aufwarten. Fast könnte man meinen, dass du als Songschreiber fast wie ein Drehbuchautor einer Fernsehserie vorgehst, in der alte Helden und Schurken später erneut auftauchen oder zumindest Cameo-Auftritte haben...

Neil Hannon: Manchmal fühlt es sich tatsächlich so an. "Philip And Steve's Furniture Removal Company" ist ja praktisch mein Vorschlag für eine Comedyserie! Im Großen und Ganzen mache ich mir keine großen Gedanken darum, Charaktere einzuführen. Sie tauchen einfach auf der Bildfläche auf! Bei "Opportunity Knox" zum Beispiel habe ich mit dem Refrain angefangen, der mich ein wenig an "Fiddler On The Roof" erinnerte. Als ich weiter daran arbeitete, wurde mir klar, dass dort eine bestimmte Person sprach. Gleichzeitig kam mir die alte britische Talentshow "Opportunity Knocks" in den Sinn, und so kam ich auf die Idee, "Knox" mit x zu schreiben und daraus eine Person zu machen. So etwas passiert mir ständig... ich weiß auch nicht warum!

GL.de: Letzte Frage: Welcher Irrglaube über dich hält sich eigentlich bis heute am hartnäckigsten?

Neil Hannon: Viele Leute glauben, dass ich ein dekadenter Ästhetiker bin, der mit einem Gehstock durch die Parks Londons spaziert. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein! Ich mag Pizza mehr als gehobene Gastronomie, und ich bin auch kein intellektueller Bücherwurm, weil ich nicht viel zum Lesen komme, denn meine Konzentration wird mir ständig von Fußball und Videospielen geraubt. Ich bin ein richtiger Faulenzer!

Weitere Infos:
www.thedivinecomedy.com
www.facebook.com/divinecomedyhq
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
The Divine Comedy
Aktueller Tonträger:
Office Politics
(Pias/Rough Trade)
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