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BLOOD RED SHOES
 
Drama im Swimming Pool
Blood Red Shoes
Am Anfang war die Sache noch recht übersichtlich und eindeutig: Die Triebkräfte, die Laura-Mary Carter und Steven Ansell beflügelten, kamen immer aus dem Bauch heraus, hatten viel mit Wut, Trotz und Magengrimmen zu tun, führten geradlinig zu einer Größer-Lauter-Weiter-Ästhetik - insbesondere auf den endlosen Touren des Duos - und auch dazu, dass Aussagen, man werde wohl niemals eine Ballade schreiben, darin endeten, dass die Blood Red Shoes zu einer der maßgeblichen Rockbands unserer Tage wurden. Und das zu zweit. Im Laufe der Zeit relativierte sich das Ganze zeitweise dann. Zumindest auf der vorletzten Scheibe "In Time To Voices" experimentierten Laura-Mary und Steven mit psychedelischen Soundelementen, komplexen Songstrukturen und sogar akustischen Elementen. Zurück zu den Roots ging es klangtechnisch dann mit dem letzten, in Berlin im Studio ausgearbeiteten, selbst produzierten und selbstbetitelten Album - das allerdings in Sachen Songwriting neue Maßstäbe für das Duo aus Brighton setzte. Bei all dieser kanalisierten Energie und der unerbittlichen Konsequenz, mit der alles in Szene gesetzt wurde, war dann allerdings Ende 2014 das Ende der Fahnenstange erreicht. Obwohl Laura-Mary und Steven 2015 eine sorgsam überarbeitete Sammlung von älteren Tracks digital unter dem Titel "Tied At The Wrist" veröffentlichte, zeichneten sich die nachfolgenden musikalischen Aktivitäten (etwa Laura-Marys Projekt Shit Girlfriend) vor allen Dingen dadurch aus, dass Laura-Mary und Steven NICHT zusammen arbeiteten. Letztlich dauerte es bis jetzt, dass das neue BRS-Album "Get Tragic" in den Regalen steht. Warum das so ist und warum dieses Werk musikalisch unerwartete Offenbarungen birgt, erklärt Steven Ansell, das anerkannte Sprachrohr in Sachen Blood Red Shoes anschaulich.
"Wir haben zwischenzeitlich eine ganze Menge gemacht", beschreibt Steven die Phase, in der er und Laura-Mary sich eine Zeitlang aus dem Weg gegangen sind, um wieder zu sich selbst finden zu können, "Laura hat für ihr Projekt eine Menge Zeugs im Americana/Country-Stil geschrieben, das offensichtlich nicht für die Blood Red Shoes gepasst hätte. Das kommt auch als Scheibe raus. Wir haben durchaus musikalisch weiter gearbeitet - nur eben nicht mit dem Fokus auf den Blood Red Shoes." Das hat dann aber doch bestimmt auch Inspirationen für die Blood Red Shoes abgeworfen, oder? "Ja, genau", bejaht Steven, "weil wir mit anderen Leuten zusammenarbeiteten, bekamen wir natürlich auch neue Impulse und wir haben so auch neue Dinge über uns selbst gelernt, denn wenn man immer mit denselben Leuten zusammenarbeitet, dann realisiert man irgendwann nicht mehr, wessen man eigentlich fähig ist. Das findet man dann heraus, wenn man mit anderen zusammenarbeitet - und das haben wir dann für die Blood Red Shoes mitgenommen und somit dann als neue Optionen gesehen." Heißt das dann, dass Laura-Mary und Steven auf dem neuen Werk weniger persönliche Songs geschrieben haben? "Du meinst Songs über uns selbst?", fragt Steven nach, "also ich denke schon. Songs wie 'Anxiety' habe ich buchstäblich über mich selbst geschrieben. Ich kam nämlich irgendwann zu dem Schluss, dass ich vielleicht nicht gut genug sein könnte, um dieser Band zu dem zu verhelfen, was sie eigentlich verdient hätte. Andererseits gibt es auch Songs wie Lauras 'Beverly', den sie spontan über einen fiktiven Charakter geschrieben hat - was neu für uns war - oder 'Eye To Eye', den wir zusammen geschrieben haben, um dieselbe Story aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen - teilweise über uns selbst, aber auch über Dinge von außen. Wir haben eigentlich kein besonderes Rezept, wenn wir Texte schreiben. Wir sind hier wie ein altes verheiratetes Ehepaar, das sich blind versteht, aber auch offen für alle möglichen Ideen ist."
Wie fand man denn überhaupt einen Anreiz, es wieder zu versuchen? "Wir haben uns erst mal darauf geeinigt, nicht einfach wie bisher weitermachen zu wollen und stattdessen etwas zu verändern", erläutert Steven, "das erste, was wir gemacht haben, war alle um uns herum zu feuern, mit denen wir bis dahin zusammengearbeitet hatten - eigentlich nur, um auf neue Ideen zu kommen. Die Leute, mit denen wir sie ersetzten, stellten sich dann aber als fürchterliche Haie heraus. Sie haben unser Geld gestohlen, einen Teil unseres Einkommens eingestrichen, obwohl sie nichts gemacht haben, schlechte Entscheidungen getroffen und dann versucht, uns zu verklagen, wenn wir Einspruch erhoben haben. Alle diese Klischees und diese Fallen, die wir in den letzten zehn Jahren erfolgreich vermieden haben, haben wir in dieser Zeit redlich bedient. Deswegen heißt das Album auch 'Blood Red Shoes get tragic'." Und das wird in den Songs dann zum Ausdruck gebracht? "Die Songs kommen aus verschiedenen Phasen, aber grundsätzlich handeln sie von diesen Themen", führt Steven aus, "es gibt Songs über den Wandel, den Zweifel, die Unsicherheit - aber auch persönliche oder fiktive Stücke." Es scheint so, als hätten die beiden das Material zu Stücken wie "Mexican Dress" oder "Bangsar" auch auf den vorangegangenen Reisen eingesammelt, oder? "Ja, es gibt eine Menge Referenzen zu den verschiedenen Ländern, die wir auf unseren Touren besucht haben", bestätigt Steven, "teilweise sogar wörtlich. Wir sind ja sowieso immer schon auf seltsame Weise international gewesen. Eigentlich haben wir von Anfang an in unseren Songs gesagt: 'Hol mich hier raus - ich will was anderes sehen'. Und im Prinzip haben wir das in den letzten zehn Jahren dann ja auch befolgt." Wie kam man dann schließlich wieder zusammen? "In dieser Phase hat Laura in Los Angeles einen Ort gefunden, der für uns zu so etwas wie einem Refugium wurde", erinnert sich Steven, "und das war es, was wir brauchten. Wir brauchten einen neuen Ort und eine neue Mentalität. Es war dann Laura, die mich mit der Zeit überzeugte, es dort zu versuchen. Wir hatten nämlich zuvor an anderen Orten versucht, etwas zu schreiben - und das war dann in ein regelrechtes Desaster ausgeartet." Und wie funktionierte das Ganze dann? "Wir haben erst mal unser ganzes eigenes Equipment zurückgelassen und uns ein mobiles Studio in einer Garage in L.A. eingerichtet, um dort auf neue Ideen zu kommen. Das war gar keine professionelle Sache und das war gut so. Das war dann auch der Zeitpunkt, in dem es anfing, wieder ordentlich zu funktionieren." Das war dann also der klassische Druck auf den Reset-Knopf? "Ja, genau", bestätigt Steven, "es ging darum, für uns neues Terrain zu betreten und uns selbst auch irgendwie neu zu fühlen, denn es sollte sich nicht danach anhören, dass wir uns wiederholen."
Blood Red Shoes
Womit wir dann bei dem musikalischen Aspekt angelangt wären: "Get Tragic" überrascht mit einem ungewöhnlich hohen Anteil elektronischen Elemente. Jedenfalls für eine ausgewiesene Rockband. Müssen sich die, für die die Blood Red Shoes vor allen Dingen als Rockband interessant sind, nun Sorgen machen? "Nun, sagen wir mal so: Wir nehmen jetzt zwei Extra-Leute mit auf Tour für die elektronischen Sachen", führt Steven aus, "wir haben darüber lange nachgedacht, denn wir wollten schon diese Elemente in unseren Live-Sound einweben. Was wir aber nicht wollen, ist dass wir dadurch in ein starres Korsett gezwängt wird, so dass alles jeden Abend gleich klingt. Also verzichten wir auf Laptops, Backing Tracks und vorher aufgenommene Elemente. Es soll alles in der Performance entstehen, so dass wir nach wie vor eine Rockband sind." Hat sich eigentlich auch etwas an der Art geändert, wie Laura-Mary und Steven als Songwriter zusammenarbeiten? "Nein - das Schreiben von Songs ist bei uns immer ein Prozess", erläutert Steven, "wir haben immer angefangen zu jammen und dann etwas dazu zu singen. Dann haben wir uns mit der Zeit allen sich anbietenden Optionen gegenüber geöffnet. Einige der Songs haben wir zusammen angefangen, andere - wie z.B. 'Elijah' sind einfach um ein Gitarrenriff aus dem Jahr 2014 bei einem Soundcheck herum entstanden. Wieder andere wie 'Howl' entstanden, indem mir Laura ein Demo, das sie in der Küche ihrer Mutter auf ihrem iPhone aufgenommen hatte, schickte, zu dem ich dann ein paar Drumloops hinzufügte, so dass es fast wie ein Prince-Song klang. Es gibt also immer diesen Prozess des Hin und Her." Da kann man ja auch mal die Musik für sich arbeiten lassen, oder? "Ja", bestätigt Steven, "wir spielen jetzt so lange zusammen, dass wir uns instinktiv verstehen und wirklich jede coole Idee, die zu etwas führt, zulassen können." Etwa die elektronischen Elemente hinzuzufügen? "Alles befand sich im Fluss", spezifiziert Steven, "wir haben jede Menge Songs für das Album geschrieben und dabei die Sachen auch auf verschiedene Weise ausprobiert - mit verschiedenen Instrumenten und verschiedenen Stilen und haben dann auch viel verändert, weil uns diese Instrumente und Ideen vielleicht auf einen anderen Weg geleitet haben; zum Beispiel wenn wir Synthesizer hinzugefügt haben. Eine geradlinige Sache war das wirklich nicht." Ist das Album deshalb vielleicht sogar extremer geworden, als es üblich war? "Nun im Vergleich mit dem letzten Album ist es musikalisch vielleicht gar nicht extremer - weil es ja keine laute Rockscheibe geworden ist", überlegt Steven, "aber in emotionaler Hinsicht ist es auf jeden Fall extremer. Es kommt alles mehr von Herzen und ist ausdrucksstärker, weil wir einfach beide extremere Erfahrungen gemacht hatten." Es ist ja wohl auch ein wenig dramatischer als sonst, oder? "Nun ja, so fühlen wir uns halt gerade", stimmt Steven zu, "schließlich haben wir ja eine Menge Drama durchlebt und fühlen uns jetzt wohler dabei, diese intensiven Gefühle auch bei den Aufnahmen zuzulassen. Dabei hat auch geholfen, das Album von Nick Launay produzieren zu lassen, der uns sehr ermutigt hat." Was war denn dessen Aufgabe? Immerhin haben die Blood Red Shoes das letzte Album selbst produziert. "Er war sehr offen unserer Idee gegenüber mit elektronischen Elementen zu arbeiten", führt Steven aus, "er hat uns dabei sehr ermutigt und - dank seiner Erfahrung - dabei unterstützt, das, was wir vielleicht nicht hinbekommen haben, auf der technischen Seite zu realisieren. Und er hat uns sogar ermutigt, noch weiter zu gehen. Ganz nach dem Motto: Wenn ihr schon mit elektronischen Elementen arbeitet, dann aber auch richtig. Haltet nicht bloß die Fußspitze ins Wasser, wenn ihr stattdessen in den Swimming Pool springen könntet."

Muss die Musik der Blood Red Shoes eigentlich größer als das Leben sein? "Ja", meint Steven wie aus der Pistole geschossen, "wenn man als Künstler etwas ausdrücken möchte, dann ist es meiner Meinung nach am Besten, wenn man das so extrem wie möglich tut. Nur so kann man Emotionen wirklich effektiv auslösen. Man muss den Leuten einfach auch etwas bieten. Wenn man die Menschen intensiv genug angeht, dann findet man auch in sich selbst die notwendige Tiefe, sich auszurücken." Was zeichnet einen guten Song denn dabei aus? "Also weißt du, diese Frage finde ich total faszinierend, denn ein guter Song packt dich einfach. Ich denke immer, dass ich weiß, was ich mag - und bin doch immer wieder überrascht, wenn mich etwas packt, was ich gar nicht erwartet habe." Und wonach sucht dann der Songwriter Steven Ansell? "Keine Ahnung", meint er ratlos, "es ist einfach ein Gefühl. Es ist unglaublich schwierig, dieses Feeling zu greifen. Laura und ich haben da diesen bestimmten Blick. Wenn wir uns auf diese Weise anschauen, dann wissen wir, dass wir etwas richtig machen. Beschreiben lässt sich das nicht - aber wir wissen, wenn es stimmt." Das ist ja auch bei den Live-Shows so. "Also weißt du, wir sind uns am Ende der letzten Tour ziemlich auf die Nerven gegangen", zögert Steven, "aber wir haben auch festgestellt, als wir wieder angefangen haben, zusammen vor Leuten aufzutreten, dass wir einfach diese spezielle Verbindung und dieses Verständnis haben, das wir mit anderen eben nicht haben. Und dass dieser Instinkt und diese spezielle Chemie für uns vielleicht sogar das Wertvollste ist, das wir haben." Das heißt ja, dass es nun munter so weitergehen könnte? "In der Tat", bestätigt Steven, "wir denken viel über die Zukunft nach und ich meine, dass wir mit unserer nächsten Scheibe sehr viel schneller sein sollten. Entscheidungen haben wir aber noch nicht getroffen, weil man sich schließlich von der Musik leiten lassen muss. Aber wir haben uns mit dieser Scheibe zumindest alle Möglichkeiten für die Zukunft eröffnet."

Weitere Infos:
www.bloodredshoes.co.uk
www.facebook.com/bloodredshoes
twitter.com/bloodredshoes
www.instagram.com/bloodredshoesuk
www.youtube.com/user/bloodredshoes
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Blood Red Shoes
Aktueller Tonträger:
Get Tragic
(Jazz Life/Rough Trade)
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