GL.de: Wayne, vor 50 Jahren bist du mit den MC5 am Rande des von Straßenschlachten zwischen Polizei und Demonstranten überschatteten Parteitags der Demokraten in Chicago aufgetreten. Was hat sich in deinem Leben seitdem verändert?
Wayne Kramer: Ich kann auch heute Reife nicht wirklich für mich beanspruchen, aber ich weiß, was sich hinter dem Konzept verbirgt, und ich hoffe, dass ich mich in die richtige Richtung bewege. Mit 20 war ich frisch wie der junge Morgen, über die Maßen enthusiastisch und viel zu ambitioniert - wie junge Menschen das nun mal oft sind. Meine Ecken und Kanten sind in den letzten 50 Jahren etwas abgeschliffen worden, aber letztendlich bin ich immer noch der gleiche Künstler, der gleiche Mensch. Allerdings hat es einige wichtige Verbesserungen gegeben: Heute lüge ich nicht mehr, ich klaue nicht mehr und ich nutze auch niemanden mehr aus.
GL.de: Viele deiner alten Mitstreiter hatten weniger Glück. Von der klassischen MC5-Besetzung lebt nur noch Drummer Dennis "Machine Gun" Thompson. Euer Sänger Rob Tyner starb bereits 1991, dein kongenialer Partner an der Gitarre, Fred "Sonic" Smith, 1994 und Bassist Mike Davis 2012. Fragst du dich manchmal, warum du noch da bist?
Wayne Kramer: Ein wichtiger Aspekt ist sicherlich, dass ich nie darauf aus war, mich selbst zu zerstören. Auch in meinen schlimmsten Zeiten war ich stets froh, morgens aufzuwachen und zu sehen, was der Tag für mich bereithält. Ich bin davon überzeugt, dass viele Leute, die Drogen missbrauchen, sich nicht selbst damit zugrunde richten wollen. Viele wissen einfach nicht, was sie tun, sie nehmen zu viel und haben einen Unfall. Ich hatte einfach Glück, denn ich war des Öftern in wirklich schlimme, gefährliche Situationen verwickelt. Ich hatte das Glück, das vielen anderen gefehlt hat.
GL.de: An einem gewissen Punkt hast du dann aber begonnen, dein Leben umzukrempeln. Das ist leichter gesagt als getan?
Wayne Kramer: Nun, es ist ein langer Weg rein in den ganzen Schlamassel und es ist ein langer Weg wieder raus! Es war ein langsamer Abstieg in die Untiefen der Verdorbenheit und in ein Leben in der Gosse, und genauso lange hat es auch gedauert, mich daraus wieder zu befreien. Ich bin erst mit 50 völlig nüchtern und clean gewesen. Erst in den letzten 20 Jahren habe ich einen Weg gefunden, ein Leben zu führen, in dem Alkohol und Drogen nicht nötig sind. Heute lebe ich nach strengen Prinzipien und weiß, dass es eine ehrbare Sache ist, zu arbeiten, Verantwortung sich und anderen gegenüber zu übernehmen und die eigenen Interessen auch mal zurückzustellen. Das ist mir sehr wichtig.
GL.de: Ähnlich wie The Velvet Underground werden MC5 gerne als extrem einflussreich, aber kommerziell erfolglos beschrieben…
Wayne Kramer: Daheim in Detroit waren wir seit unseren frühesten Tagen sehr geschätzt. Auch als wir noch gar keine Platte hatten, spielten wir bereits vor 2.000 Leuten im Grande Ballroom. In dieser Hinsicht waren wir sehr früh "erfolgreich", wenn das das richtige Wort ist. Ich konnte meine Miete bezahlen, ich hatte Girlfriends und Boyfriends, ich war Teil einer echten Community, ich tat Dinge, die ich für wichtig hielt - und all das ohne Album!
GL.de: Was ist denn die wichtigste Lehre, die du aus mehr als 50 Jahren Rock'n‘Roll ziehst?
Wayne Kramer: Oh, das ist eine gute Frage! Lange Zeit habe ich in dem Glauben gelebt, dass ich etwas Besonderes bin (lacht)! Ich war überzeugt, dass ich talentierter und smarter als die anderen bin, dass ich besser Gitarre spiele und besser tanzen kann. Heute sehe ich mich als einer von vielen. Unzählige andere machen das Gleiche wie ich, und ich bin nicht besser oder schlechter als sie (lacht).