Gaesteliste.de Internet-Musikmagazin



SUCHE:

 
 
Gaesteliste.de Facebook Gaesteliste.de Instagram RSS-Feeds
 
Interview-Archiv

Stichwort:



 
HALEY HEYNDERICKX
 
Intuition als Wegweiser
Haley Heynderickx
Sie selbst beschreibt sich als ängstlich und unbeholfen, mit ihren im Folk verwurzelten Storytelling-Songs aber gelingt es Haley Heynderickx, ganz sie selbst zu sein und ihre Idiosynkrasien trotz eines Hangs zu einer gewissen Düsternis mit oft subtilem Humor zu nehmen: Auf ihrem umwerfenden Debütalbum "I Need To Start A Garden" singt die Singer/Songwriterin, Tochter eines amerikanischen Vaters und einer philippinischen Mutter, mit zerbrechlich anmutender und doch ungemein einnehmender Stimme deshalb bisweilen lieber von Insekten oder Gartenarbeit als von der Liebe und gelangt, wenn sie ihren Hörern ihr Herz ausschüttet, vom Gefühl der Machtlosigkeit zum Empowerment. Gleichzeitig ist der Albumtitel eine Metapher für das Wachstum, die Entwicklung, die Haley noch vor sich hat. Musikalisch ist auf der LP der virtuose Fingerpicking-Folk des solistischen Openers "No Face" nur das Fundament, bevor bei "The Bug Collector" eine elegante Posaune Jazz-Flair verströmt, "Oom Sha La La" unerwartete Indiepop-Ohrwurmqualitäten offenbart und das achtminütige Glanzlicht "Worth It" eindringlich-selbstbewusst auf eine laute Indierock-Katharsis zusteuert. Manchmal klingt die junge Musikerin aus Portland, Oregon, gemeinsam mit ihren Mitstreitern Lily Breshears (Bass, Klavier), Tim Sweeney (Bass, Kontrabass), Phillip Rogers (Schlagzeug) und Denzel Mendoza (Posaune) etwas verschroben, stets aber einzigartig und wundervoll. Wir trafen Haley vor ihrem Auftritt in der Kölner Lichtung im vergangenen Oktober.
GL.de: Haley, wir haben dich gerade auch abseits der Bühne als oft sehr ernsthaften Menschen kennengelernt. Bei deinen Konzerten - und manchmal auch in deinen Songs - scheust du aber auch nicht vor einer gewissen Albernheit zurück. Wie passt das zusammen?

Haley: Wie mein bester Freund Tre Burt, mit dem zusammen ich derzeit auf Tour bin, sagen würde: Ich bin ziemlich linkisch, aber zum Glück habe ich einen Karrierepfad gefunden, der es mir erlaubt, ich selbst zu sein und mich gleichzeitig auch ein wenig auf die Schippe zu nehmen. Oft sind es "dad jokes" - ich scheine diese Art von abgedroschenem Humor geradezu anzuziehen. Meine Lieblingsfernsehshow ist "Whose Line Is It Anyway"! Damit verrate ich vielleicht schon zu viel über mich, aber Colin Mochrie ist mein Lieblingscomedian. Im Großen und Ganzen denke ich, man sollte Musik nicht zu ernst nehmen, sonst geht der ganze Spaß flöten.

GL.de: Du bist jemand, der Ehrlichkeit sehr schätzt. Nun ist es allerdings so, dass viele Leute mit unumwundener Ehrlichkeit nicht umgehen können, weil sie es nicht gewohnt sind. Legt man sich manchmal Steine in den Weg, wenn man zu ehrlich ist?

Haley: Da kannst du deinen Popo drauf verwetten (lacht). Im Ernst, da triffst du den Nagel auf den Kopf! Du hast mich ja schon sehr früh in meiner Karriere kennengelernt, und je älter ich werde, desto mehr stelle ich fest, dass ich in puncto Ehrlichkeit und Verletzlichkeit lange in der Flitterwochenphase gewesen bin. Mit zunehmendem Alter stellst du fest, wie hässlich du bist, wie sehr du von deinem Ego getrieben wirst bei allem, was du tust. Um ehrlich zu sein: Ich habe ein schwieriges Jahr hinter mir (lacht)! Jetzt, da mein Album herauskommt, auf einem richtigen Label noch dazu, kann ich nicht mehr so mysteriös sein, wie ich das gerne wäre. Auf einmal heißt es: Lass uns über deine Lieder sprechen, wie bist du auf dieses oder jenes gekommen? Mein Ego schreit dann: Nein, das will ich nicht, es sei denn, ich spreche mit einem Freund, in dessen Gegenwart ich mich richtig wohlfühle. Letztlich heißt das einfach, dass ich noch eine Menge Arbeit vor mir habe. Ich lerne auf meine eigene, seltsame Art dazu, ich schreibe viel Tagebuch und lese viele Bücher über Jung'sche Psychotherapie. All das hilft mir bei der Gratwanderung, ein ehrliches Leben zu führen und mich trotzdem wohl dabei zu fühlen. Wie du weißt, bin ich ein ziemlich unsicherer Mensch, und das ist einfach meine Art, die Balance zu halten.

Haley Heynderickx
GL.de: Du hast kürzlich gesagt, dass du überzeugt bist, dass man als Künstler erst einmal eine Menge seltsamer, minderwertiger Sachen machen muss, um zu wahrer Größe vorzustoßen. Mit einem Augenzwinkern gefragt: An welcher Stelle dieses Prozesses siehst du dich selbst?

Haley: Ich fühle mich immer noch ziemlich verwirrt. Ich bin gleichzeitig geschockt und dankbar für das, was derzeit alles passiert. Beim Songwriting weiß ich nie, was funktioniert. Ich muss einfach so lange weitermachen, bis mein Bauchgefühl mir sagt, dass es in Ordnung ist. Wann immer ich einen neuen Song schreibe, singe ich ihn zuerst bei einem Open-Mic-Abend, um herauszufinden, wie ich mich dabei fühle, ihn vor Publikum zu singen, und natürlich, um zu sehen, wie das Feedback ist. Positive Rückmeldungen sind dann wiederum ein Ansporn, dranzubleiben.

GL.de: Du hast gerade von Bauchgefühl gesprochen. Auf der Platte sorgt eine Posaune dafür, dass viele Songs wohltuend anders klingen als viele andere ähnlich inspirierte. War das auch Intuition oder hast du explizit nach einem Alleinstellungsmerkmal gesucht?

Haley: Wenn ich nur so clever wäre! Das war totales Bauchgefühl! Als ich von meiner letzten Europatournee zurückkam, organisierte ein Freund ein kleines "Welcome home"-Hauskonzert für mich. Dort tauchte plötzlich ein junger Mann auf, der erzählte, dass er eigentlich gerade auf dem Weg zu einem Jazzkonzert war, bei dem er Posaune spielen sollte, aber in letzter Sekunde wurde der Auftritt abgesagt, und während der Rückfahrt im Bus fand er auf Instagram die Ankündigung für dieses Hauskonzert. Er kam einfach dorthin, ohne jemanden zu kennen. Ich sah ihm in die Augen und wusste sofort, dass er wichtig war. Also fragte ich ihn spontan, ob er das Konzert für mich eröffnen wolle, und er spielte dieses Improv-Stück und machte dabei Sachen, die ich noch nie gehört hatte. Er war so jung, so talentiert und so filipino - ich wusste einfach, dass ich ihn in meinem Leben haben wollte. Ich hatte einfach Glück, ihn zu finden.

GL.de: Du hast dir lange für dein erstes Album Zeit gelassen. Wann wusstest du, dass jetzt alles zusammenpasst, dass es Zeit war, loszulassen?

Haley: Die Entstehung der Platte glich unabsichtlich einer Art schlechter Sitcom. Ich habe drei Anläufe benötigt, drei Produzenten und praktisch auch drei verschiedene Bandbesetzungen, zahllose Songs wurden verworfen und am Ende wollte ich den Prozess einfach nur noch abschließen. Zwischendurch hatte ich stets das Gefühl, dass ich dies und das noch ändern wollte, aber am Ende des letzten Anlaufs war dann wirklich der Wunsch verschwunden, alles noch einmal umzuwerfen, es fühlte sich richtig an. Letztlich hatte ich einfach Glück, dass ich einen tollen Kontrabassisten, einen großartigen Posaunisten und einen ausgezeichneten Produzenten gefunden zu haben - ein neues Team, das zur rechten Zeit aufgetaucht ist.

GL.de: Inwieweit bist du das Album anders angegangen als die vorherigen EPs? Es ist ja schon etwas anderes, ob man die Aufmerksamkeit des Publikums nur über die Distanz von vier Songs oder gleich einer ganzen LP aufrechterhalten muss.

Haley: Ich einen sehr geduldigen Produzenten und ich schätze mich wirklich glücklich, ihm begegnet zu sein. Wir haben mit 14 Songs für die LP angefangen und dachten: "Oh, eine 50-Minuten-Platte, das wird großartig!", und wie viele Lieder sind nun letztlich auf der Platte? Acht! Das ist okay für mich, denn gemeinsam mit dem Label sind wir zu der Erkenntnis gelangt, dass diese Songs alles Wichtige abdecken, und letztlich muss ich gestehen, dass meine Favoriten auf die Platte gekommen sind. Die, die es nicht geschafft haben, waren ehrlich gesagt wirklich noch nicht so weit. Ich war einfach ein bisschen übermütig, weil ich der Welt beweisen wollte, dass ich seit meiner "Fish Eyes"-EP neue Sachen gemacht habe und dass das alles zusammenpasst, aber das war einfach nicht der Fall. Die neuen Songs waren schlichtweg noch nicht fertig.

GL.de: Bedeutet das, dass wir diese Songs in Zukunft noch hören werden? Viele Künstler lassen ja unveröffentlichte Songs gerne hinter sich, sobald eine Platte fertig ist.
Haley: Meine Songs sind wie Geister, sie werden zurückkommen und mich heimsuchen! Ich kann mir gut vorstellen, dass ich mich ihnen in Zukunft erneut widmen werde.

GL.de: Bei all den unterschiedlichen Einflüssen, die auf der Platte auftauchen: Wo siehst du dich eigentlich selbst genretechnisch?

Haley: Ich sitze zwischen allen Stühlen. Selbst mein Produzent Zak Kimball hatte bisweilen Schwierigkeiten, das Genre zu beschreiben, in dem wir uns bewegen. Ich habe fast das Gefühl, als hätten wir unabsichtlich eine neue Schublade aufgemacht. Ich bezeichne meine Musik gerne scherzhaft als Doom-Folk, um genau diese Frage zu umschiffen. Allerdings ist mir ein wenig mulmig dabei, denn offenbar ist Doom-Folk ein real existierendes Genre, und es gibt Leute, die sich darauf konzentrieren, Doom-Folk-Songs zu schreiben. Am Ende des Tages berührt dich die Musik oder nicht. Ich hoffe einfach, dass die Leute mich nehmen, wie ich bin, und den gedanklichen Tiefgang bemerken, der in die Platte geflossen ist, und mich dann in die Schublade stecken, die sie für angemessen halten.

GL.de: Mit einem Song wie "Oom Sha La La" und besonders seinem unglaublich eingängigen Refrain bewegst du dich ein wenig außerhalb dessen, was du zuvor gemacht hast. Wenn dir so etwas in den Sinn kommt, ist der erste Gedanke dann "Oh, das sollte ich viel öfter machen" oder doch eher "Das geht zu weit"?

Haley: Es geht definitiv zu weit, aber es machte einfach einen Riesenspaß, das zu singen. Ich weiß noch nicht einmal, was "Oom Sha La La" eigentlich bedeutet. Ich habe versucht, das herauszufinden, weil ich dachte, dass ich das bestimmt unbeabsichtigt bei einer Doo-Wop-Band der 50er und 60er geklaut habe, aber ich konnte es nirgends finden. Womöglich habe ich also einfach einen Ausdruck erfunden, den ich selbst urkomisch finde. Das bedeutet aber nicht, dass ich es in Zukunft darauf anlege, mehr Singalongs zu schreiben!

Haley Heynderickx
GL.de: Was macht dich derzeit am glücklichsten?

Haley: Ich denke, es sind die Überraschungen, die das Leben als Musikerin für mich bereithält. Glück ist etwas, auf das du hinarbeiten kannst. Das Schöne daran ist aber das Element der Überraschung, denn du weißt nie, wann du vielleicht einem Menschen begegnest, der dein Leben verändert. Du weißt nie, ob du vielleicht jemanden in Köln triffst, der sagt: "Hey, ich glaube an dich und deine Musik", und ein Jahr später seid ihr Freunde. Du kannst dir nicht ausmalen, dass du mit deinem besten Freund quer durch Deutschland, Österreich und die Schweiz tourst und alle möglichen Abenteuer erlebst. Ich bin sehr dankbar für all diese Überraschungen. Es ist mir wichtig, eine sinnvolle Aufgabe zu haben, und ich hoffe, dass die Musik dazu beiträgt, das zu erreichen. Die Musik hält so viele Lektionen für mich bereit und sie lässt mich auf dem Teppich bleiben. Ich sehne mich nach der Art Weisheit, zu der man nur mit der Zeit und durch so viele verschiedene Erfahrungen wie möglich gelangt. Ich glaube einfach nicht, dass ich dorthin gelangen würde, wenn ich weiter in einer Bäckerei arbeiten würde, auch wenn ich das sehr gerne gemacht habe.

GL.de: Bedeutet das, dass das Leben als Musikerin alternativlos für dich ist, oder kannst du dir vorstellen, etwas anderes zu machen, das dich ähnlich glücklich machen würde?

Haley: Ja, das kann ich. Ich liebe es, mit Kindern zu arbeiten. Am liebsten arbeite ich mit Schülern aus der Mittelstufe im Alter von 9 bis 12, weil das ziemliche Klugscheißer sind, sie aber noch nicht besonders gut darin sind, dir etwas vorzumachen und dich anzulügen. Musiklehrerin zu sein, fände ich total aufregend, weil jeder Tag mit den Kids eine neue Herausforderung ist, da sich ihre Sicht der Welt ständig verändert. Ich weiß gar nicht, warum ich mit dieser Altersgruppe so gerne arbeite. Vermutlich liegt es daran, dass sie mich zwingt, direkt, energisch und entschlossen zu sein. Bei der Musik kann man sich schnell verzetteln, das Unterrichten dagegen ist sehr leicht: Du willst einfach dein Zeil erreichen, dass die Kids begreifen und verstehen. Was mich von dem Traum abhält, ist die Tatsache, dass die akademische Ausbildung in den USA viel zu viel Geld kostet! Habe ich mich umgeschaut? Ja, ich habe mir einige Universitäten angesehen, an denen ich meinen Master machen könnte, aber das hat mich nur zum Weinen gebracht, denn ich kann mir das finanziell einfach überhaupt nicht leisten, zumal ich noch mein Bachelorstudium abbezahle. Deshalb habe ich wirklich schon darüber nachgedacht, zum Beispiel Deutsch zu lernen und mein Studium hier ohne Studiengebühren weiterzuführen. Ausbildung sollte kostenfrei sein! Das ist etwas, für das ich kämpfen möchte, und vielleicht kann ich in die Fußstapfen von Joni Mitchell treten und nach meiner Musikkarriere an die Tür einer Uni klopfen und sagen: "Hey, ich weiß was ich tue, und ich kann nützlich sein, gebt mir einen Abschluss!" Schauen wir mal, was passiert!

Weitere Infos:
www.haley-heynderickx.com
facebook.com/haleyhannahheynderickx
haleyheynderickx.bandcamp.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Alessandra Leimer-
Haley Heynderickx
Aktueller Tonträger:
I Need To Start A Garden
(Mama Bird Recording Company/Alive)
jpc-Logo, hier bestellen

 
Banner, 234x60, ohne Claim, bestellen
 

Copyright © 1999 - 2024 Gaesteliste.de

 powered by
Expeedo Ecommerce Dienstleister

Expeedo Ecommerce Dienstleister