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ANNA VON HAUSSWOLFF
 
Der Verlust der Zeit
Anna von Hausswolff
"Wir können ja schon mal anfangen", scherzt Anna von Hausswolff, nachdem sie sich zwischen zwei Interviews für ihre neue LP "Dead Magic" kurz auf die Couch im Büro gelegt hat, um ein wenig zu entspannen, "dann können wir ja auch gleich eine Therapiestunde machen." So richtig lustig ist das aber nicht, denn ist es nicht so, dass die Musik der Schwedin geradezu danach schreit, als Therapie verwendet zu werden? Ist dieser Umstand nicht vielleicht sogar der tiefere Sinn, warum sich Anna überhaupt mit dem Musizieren beschäftigt? "Das ist zu 100% korrekt", bestätigt Anna diese Annahme unumwunden, "es ist für mich sogar die ultimative, einzig denkbare Art von Therapie." Und dabei geht es nur in zweiter Linie um die mystischen und spirituellen (ja sogar liturgischen) Aspekte, die auch das neue Album durchziehen, das traditionellerweise wieder um den Klang einer Kirchenorgel herum konzipiert wurde und gerade ein Mal fünf Stücke mit einer Spielzeit von insgesamt 40 Minuten aufweist.
"Ja, es war aber eine andere Orgel als beim letzten Mal", führt Anna aus, "ich nutze gerne für jede Scheibe eine andere Orgel, denn jede Orgel bietet ein anderes Raumgefühl. Für 'Dead Magic' nutzte ich eine kleine Orgel in Kopenhagen mit einem anderen Sound als jener, die auch auf 'The Miraculous' verwendete." Wie komponiert man eigentlich epische Tracks, wie Anna sie auf 'Dead Magic' versammelt - eingedenk des Umstandes, dass es ja im wesentlichen auf den Klang eines Instrumentes angewiesen ist, das man nicht einfach mit nach Hause nehmen kann und angesichts der Tatsache, dass solche Art von Musik doch gewiss improvisatorische Elemente enthalten muss? "Da hast du wohl recht", bestätigt Anna, "tatsächlich komponiere ich alle meine Songs in meinem Studio. Es stimmt aber, wenn du annimmst, dass da Improvisationen eine gewisse Rolle spielen, denn ich habe zwar eine Initial-Idee oder eine Vision im Kopf, wenn ich anfange, aber sobald ich an einem Song arbeite, muss ich erst mal ein Muster finden, dass ich dann variieren kann, bis ich dann von der Musik sozusagen absorbiert werde. Ich versuche, dabei nichts zu erzwingen, sondern zu erfühlen, wann der Moment gekommen ist, zu einem anderen Teil überzugehen. Das geschieht ziemlich natürlich. Ich nehme das aber alles auf, denn ich weiß ja vorher nicht, was passieren wird. Diese Aufnahmen höre ich mir dann an und entscheide dann, was besser funktioniert als anderes und arbeite das dann aus. Ich improvisiere also zuerst und erst dann strukturiere ich meine Songs." Ist das auch der Grund, warum Annas Songs für gewöhnlich ziemlich lang geraten sind - denn irgendwie braucht so ein Prozess ja auch Zeit. "Ich denke schon, dass das die Erklärung dafür ist", überlegt Anna, "denn ich denke ja nicht in Strukturen wie Strophe, Bridge und Refrain, sondern ich lasse mich vom Moment leiten. Meine Wahrnehmung der Zeit - und das ist, wenn ich besonders präsent bin - ist dann erreicht, wenn ich die Wahrnehmung der Zeit verliere. Also kann es sein, dass etwas, was mir vielleicht wie fünf Minuten vorkommt, tatsächlich 15 Minuten lang ist. Mir kommt das immer so kurz vor - auch wenn es tatsächlich 20 oder 30 Minuten dauert." Heißt das, dass Anna die Zeit anders empfindet, als die Welt um sie herum? "Ja - denn ich empfinde überhaupt keine Zeit, wenn ich musiziere", führt sie aus, "jedenfalls dann, wenn alles bestens funktioniert. Man kann das ja nicht erzwingen. Manchmal denkt man zu viel, wenn man etwas probiert - und dann verliert man seinen Fokus." Das ist ja für den Hörer ähnlich. Dafür, dass auf "Dead Magic" ausschließlich epische Drones enthalten sind, ist das Ganze erstaunlich kurzweilig und unterhaltsam - nicht nur, weil die Tracks recht unterschiedlich angelegt sind, sondern weil dieses Gefühl der "Zeitlosigkeit" sich einstellt. "Für mich fühlt sich dieses Album auch besonders kurz an", wirft Anna ein, "der Grund dafür ist auch, dass das Album eine bestimmte Zeit für mich repräsentiert und ich deswegen auch nicht mehr Songs darauf packen konnte. Und es wäre doch auch schön, wenn der Zuhörer am Ende vielleicht noch mehr hören möchte, wenn das Album zu Ende ist."
Okay - kommen wir also mal zum Konzept des Albums - der 'toten Magie'. In der aktuellen Bio Annas heißt es: "Die Magie - so alt wie die Menschheit selber - ist die ursprüngliche Antwort auf die Angst die eigene Gegenwart in der Welt zu verlieren und die Furcht des Vergessens. Der Tod der Magie repräsentiert das Zusammentreffen von Widersprüchen, das Ende des Endes und der Anfang vom Anfang." Das ist ja ganz schön schwerer Tobak. Mal ehrlich, stand dieses Konzept am Beginn des kreativen Prozesses oder ist es das, was Anna selbst aus ihrer Musik herausgelesen hat, nachdem sie sie erschaffen hat? "Also normalerweise habe ich schon eine Idee für ein Konzept oder ein Thema oder doch zumindest eine Idee davon, welchen Ort mit meiner Musik besuchen möchte, wenn ich ein Album angehe", führt Anna aus, "aber dieses Mal war das anders. Alle Interpretationen der Songs und alle theoretischen Dinge entwickelte ich erst, nachdem ich die Musik aufgenommen hatte. Ich könnte jetzt gleich in die Details gehen und am Ende hättest du dann deine Erklärung. Aber der Grund, warum ich so verfahren bin war, dass ich in diesem passiven Zustand war, als ich mit den Arbeiten an dem Album begann. Ich hatte damals Angst, meine Kreativität und meine Phantasie zu verlieren und war sogar ein wenig hoffnungslos. Ich hatte diesen merkwürdigen Zustand, dass ich eine ziemlich starke Vorstellung davon hatte, dass ich keine Vorstellungskraft mehr hatte. Das war ein ganz schön widersprüchlicher Prozess in meinem Kopf. Ich machte dann, was ich immer tue: Ich spielte Musik. Zunächst fühlte ich keinerlei Magie dabei und hatte Angst davor, dass das so bliebe. Schließlich fand ich aber doch einen Weg, mit Hilfe der Musik aus diesem Tal herauszukommen."

Wie Anna schon erklärte, könnte sie ja jeden Song mit ihrer Interpretation hinterfüttern - ist das aber heilsam für den Zuhörer? Muss dieser wissen, wie Anna ihre Songs auslegt? "Was ich bei diesem ganzen Prozess selbst gelernt habe, ist, dass es sehr wichtig ist, den Umstand jedes Einzelnen wertzuschätzen, sich selbst Sachen vorzustellen und eigene Ideen zu entwickeln", erklärt Anna, "jeder ist schließlich irgendwie kreativ. Und ich möchte, dass jeder auch die Möglichkeit bekommt, seine eigenen Vorstellungen zu entwickeln und die Songs zu interpretieren. Das schafft ja auch eine persönlichere Bindung." Eine spezifische Frage sei aber dennoch erlaubt: In dem Song "Källans återuppståndelse (Källans Aufstand)" taucht der alte Bekannte Källan von der letzten Scheibe "The Miraculous" wieder auf, richtig? "Ja, es geht um einen Aufstand als Quelle allen Seins", erläutert Anna, "das ist ein Stück, auf das ich immer wieder zurückkomme - eine Art Trost-Song, dessen Harmonien irgendetwas tröstliches haben. Er basiert auf einem kleinen Orgel-Stück, das ich 2013 geschrieben habe und was ich auch in der eingangs erwähnten Phase des Zweifelns gespielt habe. Es ist eine Art Sicherheits-Song für mich."

Anna von Hausswolff
Was hat Anna dieses Mal eigentlich anders gemacht? "Also ich dachte mir, dass ich mich physisch etwas mehr herausfordern sollte", antwortet Anna eher überraschend - denn insbesondere ihre Live-Performances zeichneten sich bislang ja nicht durch einen überbordenden Bewegungsdrang aus. "Na ja, aber ich wollte halt bestimmte Emotionen ausdrücken", führt Anna aus, "da musste ich schon an meine Grenzen herangehen. Etwa indem ich mehr und lauter singe - fast schreie - und mich dabei auch mal hinstelle. Es sollte halt alles körperlicher sein. Und ich wollte die Kontraste zwischen Ruhe und Chaos extremer ausloten. Was ich noch sagen wollte, ist, dass man dabei dann keine Angst haben darf, seinen ganzen Körper einzusetzen. Das hilft dann auch, dich in eine bestimmte Stimmung zu bringen." Was inspirierte Anna denn auf musikalischer Ebene? "Ich denke, das, was ich mir viel anhöre", überlegt Anna, "es gibt da diesen ungarischen Komponisten György Ligeti mit seiner Komposition 'Atmospheres', die einen großen Eindruck auf mich machte. Das ist zwar Musik für ein Orchester, ich kann mir das aber auch immer für eine Kirchenorgel vorstellen. Es geht dabei viel um Stimmungen und Landschaften und ich bin dadurch überhaupt erst darauf gekommen, eine Kirchenorgel einzusetzen." Es geht aber nicht um 12-Ton-Musik, oder? "Nein - Lygeti arbeitete auf 'Atmospheres' aber mit polyphonischer Mikrotonalität", führt Anna aus, "es geht dabei darum, dass verschiedene Instrumente verschiedene Töne zur selben Zeit erzeugen - und dadurch ergeben sich Sound-Cluster. Ich versuche so etwas, indem ich Orgel-Sounds aufeinanderschichte. Wir haben deswegen auch verschiedene Overdubs verwendet und teilweise zu zweit auf einer Orgel improvisiert." Wonach suchen Anna und ihre Mitstreiter in diesem Prozess eigentlich? "Ich suche eigentlich nach dem Prozess selber", philosophiert Anna, "nach etwas, das Zeit und Raum durchdringt und mich im Moment des Entstehens absolut gegenwärtig macht."

Was für Annas Musik gilt, gilt natürlich auch für ihre Präsentation. Insbesondere die Covermotive Annas sind ja nicht eben ein Ausbund an oberflächlicher Fröhlichkeit. Freilich: Erläutern möchte Anna diese - wie auch die Inhalte ihrer einzelnen Songs - nicht wirklich. Der Preis freilich, den der Zuhörer für diese Lebenshaltung Annas zahlen muss, ist der, dass es keine Gebrauchsanleitung für die Kunst von Anna von Hausswolff geben kann. Da muss sich dann eben jeder selbst seinen Teil denken.

Weitere Infos:
www.annavonhausswolff.org
www.facebook.com/annavonhausswolff
www.instagram.com/annavonhausswolff
twitter.com/avonhausswolff
www.youtube.com/watch?v=Nre0hcDz5TI
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Anna von Hausswolff
Aktueller Tonträger:
Dead Magic
(City Slang/Universal)
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