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NERINA PALLOT
 
Wie man glücklich wird
Nerina Pallot
Eigenartigerweise gehört Nerina Pallot nicht zur ersten Riege jener Songwriterin, deren Lob alle Spatzen dieser Welt von den Dächern pfeifen. Tatsächlich ist es sogar so, dass etliche Freunde jener Art von Musik, wie Nerina sie macht, noch nie etwas von ihr gehört haben - während sie andererseits bereits seit "Fire", ihrem "Durchbruchalbum" von 2005, auch immer mal wieder Erfolge im breiten Mainstream zu verzeichnen hatte (zuletzt mit ihrem Album "Year Of The Wolf"), 2010 Songs für Kylie Minogue schrieb und 2011 sogar in der ersten Staffel von Voice Of Germany als Vocal-Coach auftrat.
Es gibt aber so einige Gründe, warum Nerina bis heute kein Household-Name ist. Da ist einerseits der Umstand, dass Nerinas Karriere nicht eben geradlinig verlief und mit mehreren Unterbrechungen (Studium, Babypause) und Labelwechseln einherging. Vor allen Dingen ist da aber die bereits angesprochene "Art von Musik", die Nerina Pallot macht - denn diese gibt es im Grunde genommen gar nicht. Warum nicht? Nun, weil sich Nerina schlicht weigert, irgendwelchen musikalischen Regeln, Vorgaben, Stilistiken oder gar Trends und Moden zu folgen. Jede einzelne ihrer bisherigen fünf Longplayer - und natürlich auch das neue Album "Stay Lucky" - klingen eigentlich vollkommen unterschiedlich. Was für Marketingstrategen und Major-Labels natürlich ein Graus und klares No-Go ist, stellt sich allerdings für Musikliebhaber als unschätzbarer Vorteil heraus, denn das spricht ja für die unbändige Kreativität und Neugier der Probandin. Denn wenn auch jedes Album für sich anders ausgerichtet ist, ist auch jedes einzelne in sich ungemein Konsequent und geschlossen angerichtet. "Stay Lucky" zum Beispiel in einem anspruchsvoll jazzigem Soulpop-Setting.

"Das ist schön, dass du meinst, alle meine Alben seien unterschiedlich", meint Nerina, "denn ich sehe das so, dass ich immer versuche, immer wieder unterschiedliche Musikrichtungen, die ich mag, zu erforschen." Wie kam es denn zum Setting für das neue Album? "Das Album habe ich letztes Jahr aufgenommen", berichtet Nerina, "2016 war für viele ja ein seltsames Jahr - eigentlich weltweit. Wir haben eine Menge Leute aus der Unterhaltungsindustrie verloren, aber auch wegen der politischen Entwicklungen war 2016 speziell. Und 2016 wollte ich Musik hören, die ich als Kind gehört hatte, die meine Mama aufgelegt haben mochte und an die ich schöne Erinnerungen hatte. Also hörte ich mir die Musik von 'alten Seelen' an - wie Minnie Ripperton oder Bonnie Raitt und natürlich Steely Dan - denn das ist immer eine meiner Lieblingsbands gewesen. Leider haben wir ja gerade Walter Becker verloren - und das war für mich wirklich herzzerreißend, weil ich eigentlich vorgehabt hatte, mir die Band im November in London anzuschauen - was ja nun nicht mehr möglich ist. Das war also das, was ich 2016 gemacht habe. Ich höre mir auch immer neue Künstler an, aber hauptsächlich eben die alten Sachen, die mich irgendwie anziehen - übrigens auch französische Soundtracks von Serge Gainsbourg."

Nerina hat auch französische Wurzeln und hat zum Beispiel den Titeltrack ihres Albums "Stay Lucky" auch auf Französisch (als "Ta chance") eingespielt. Die Sache ist aber die: Im Verlaufe des Gespräches stellt sich heraus, dass Nerina Pallot in erster Linie ein unglaublicher Musikfan ist - und erst dann als Künstlerin ins Zentrum der Betrachtungen rückt. Nerinas Kommentare sind somit durchsetzt mit einer Vielzahl von Referenzen, die nur jemand einfließen lassen kann, der sich - wie sie - mit Herz und Seele der Musik verschrieben hat. Daraus folgt: Irgendwelches Kalkül darf man Nerina Pallot also niemals unterstellen. Alle ihre Arbeiten sind die Folge ihrer Abhängigkeit von der Musik als solcher. Hier haben wir also mal jemanden gefunden, der aus den richtigen Gründen Musik macht. Und das schlägt sich natürlich auch in ihren eigenen Songs nieder.

Nachdem sie Steely Dan bereits erwähnt hat, sollte kein Geheimnis aus dem Umstand gemacht werden, dass es auf "Stay Lucky" gleich mehrere Referenzen gibt - sei es im Song "Man Didn't Walk On The Moon" oder auch der bluesigen Soul-Ballade "Better". "Ja", räumt sie unumwunden ein, "ich wollte mit 'Man On The Moon' eine Hommage an Steely Dan-Stücke wie 'Do It Again' oder alles, was auf dem Album 'Gaucho' zu finden ist, machen. Als ich das Stück dann allerdings anderen vorspielte, meinten diese dann, dass es sie an Fleetwood Mac erinnere." Genau genommen wohl an den Stevie Nicks-Track "Dreams", an den insbesondere die Basslinie erinnert. "Und dabei habe ich gar kein Fleetwod Mac gehört, als wir an dem Album arbeiteten", ergänzt Nerina noch entschuldigend. So ist das halt aber nun mal, wenn man sich etwas wie der Musik hemmungslos hingibt. Dann ist man auch von deren Wohlverhalten abhängig, richtig? "Ja, denn die Musik bzw. der Song haben schon einen eigenen Willen", bestätigt Nerina, "besonders, wenn man - wie in diesem Fall - alles live im Studio aufnimmt. Es hängt natürlich auch davon ab, wie die Musiker den Song dann spielen. Im Falle von 'Man On The Moon' kamen der Drummer und der Bassist sofort mit diesem Rhythmus heraus. Ich habe es dann auch dabei belassen, weil es so viel Spaß machte, den Song so zu spielen und weil es ja auch funktionierte. Es kommt also darauf an: Eigentlich habe ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie etwas klingen soll und versuche auch, das umzusetzen - aber ich bin auch immer offen für Vorschläge der Musiker. Und natürlich hat auch dieser Prozess ein Eigenleben!" Und gilt das dann auch für den Song "Better"? "Es gilt definitiv für die Instrumentierung", bestätigt Nerina, "es gibt einen Steely Dan-Song, der gar nicht auf einem Album ist - der Track heißt 'F.M.' und an den dachte ich hier; denn der hat ein Saxophon-Solo und sowas wollte ich unbedingt auch mal haben. Ach ja: Und dann habe ich noch an Elton Johns 'Benny & The Jets' gedacht, denn der hat auch so einen Piano-Groove. Ich gebe auch zu, dass ich wollte, dass alle Instrumente wie aus den 70ern klingen." Bei all dem Wurde "Stay Lucky" aber keineswegs zu einer reinen Retro-Scheibe, oder? "Das hoffe ich zumindest", pflichtet sie bei, "denn was ich versucht habe, ist, das Songwriting modern zu halten, indem ich mich von jungen Songwritern inspirieren habe lassen. Zum Beispiel von Nao, einer jungen, britischen Soul-Songwriterin und Sängerin, die sehr experimentell arbeitet. Sie hat eine interessante Art mit Stimmen zu arbeiten. Was ich auf meiner Scheibe dann gemacht habe, ist die Stimmern zu Schichten. Das wurde in den 70ern weniger gemacht. Ich wollte auf jeden Fall kein Period-Piece machen, aber ich wollte die Sache so angehen, wie die Leute das in den 70ern auch vielleicht gemacht hätten." Was reizt Nerina an dieser Vorgehensweise? "Es ist alles so organisch", schwärmt sie, "manchmal habe ich Klangräume in meinem Kopf und schreibe dann etwas dazu, wenn du weißt, was ich meine. Und dabei orientiere ich mich eben an Künstlern, die - wie ich - zwar auf die Vergangenheit achten, aber auch immer frische Impulse einfließen lassen."
Nerina Pallot
Wenn wir das alles mal im Hinterkopf behalten: Was ist dann die Herausforderung als Songwriterin? "Eine der größten Herausforderungen ist heutzutage sicherlich die Länge eines Songs", meint Nerina ziemlich bestimmt, "denn die Art, in der wir Musik konsumieren, hat sich doch radikal verändert. Alles ist heutzutage schneller und kürzer. Als ich anfing Musik zu machen, war es noch akzeptabel, wenn ein Song vier Minuten lang ist. Heute wird man gleich gebeten, Radio-Versionen von drei Minuten Länge herzustellen und im Fernsehen dürfen es nur zweieinhalb Minuten sein. Ich bin neulich in einer Fernsehshow aufgetreten, wo ich zwar live spielen konnte, aber ich sollte unter zwei Minuten bleiben. An sowas denkt man dann irgendwann auch, wenn man selber Songs schreibt. Ich weiß nicht, ob das eine gute Sache ist, denn meine musikalischen Vorlieben sind ja doch recht komplex." Na ja - und irgendwann braucht man dann ja auch gar nicht mehr mit einem Song anzufangen. "Genau - und deswegen denke ich, dass ich auf diesem Album alles, was mit den Charts zu tun haben könnte, ignoriert habe", erklärt Nerina, "ich verstehe ja die Notwendigkeiten - aber mag ich sowas? Eher nein. Ich möchte etwas machen, das erfüllend und zwar durchaus Pop ist und eine melodische Struktur hat aber außerhalb dieser engen Parameter." Ist es aber nicht vielleicht auch so, dass der Kreis sich irgendwie schließt? Als sich die Pop-Musik vom Rock'n'Roll emanzipierte, waren die Stücke doch auch sehr, sehr kurz? "Ja, absolut", pflichtet Nerina bei, "allerdings machten die Künstler damals ja auch keine Alben - sondern eher Sammlungen von Singles. Wie es aussieht, wird heute aber stattdessen die Kunstform des Alben-machens so weit komprimiert, dass am Ende kurze Songs dabei rauskommen. Die Singles-Charts sind heute wieder lebhafter als jemals zuvor - aber die Kunst, Alben zu machen, gerät in Vergessenheit. Mindestens seit den 90ern, eher aber schon seit den 70ern. Das mögen einige Leute ja mögen - ich bin aber ein Fan fetter Alben. Ich liebe Alben wie 'Dark Side Of The Moon' und 'Aja' (von Steely Dan) ist für mich das Größte überhaupt und mein Lieblingsalbum. Leider leben wir heute kulturell in einer offensichtlich anderen Zeit. Es ist ja im Fernsehen und im Kino genauso." Was uns Nerina sagen will, ist dass sie eine Künstlerin ist, die Alben bevorzugt. "Ja, aber ich bin da schon sehr spezifisch", beharrt sie, "in den 90ern und danach gibt es ganze Alben-Wüsten, in denen sich viele schlecht gemachte Alben finden. Ein gut gemachtes Album - wenn alles stimmt - ist schlicht phänomenal und kann eine lebensverändernde Sache sein. Solch ein Album habe ich aber seit einer sehr, sehr langen Zeit nicht mehr gehört." Nun ist Nerina mit "Stay Lucky" aber zweifelsohne ein solches Album gelungen.

Worum geht es eigentlich genau auf diesem Werk? Zum Beispiel gibt es ja mit "The Heart Is A Lonely Hunter" einen Bezug zu der Autorin Carson McCullers (der Suzanne Vega letztes Jahr ein ganzes Album widmete). "Ich habe vor Jahren ja einen Diplom-Studiengang absolviert", erklärt Nerina, "also lese ich auch ständig und ich verwende das auch immer als primäre Einflussquelle. Manchmal, wenn ich ein Buch lese, dann verliere ich mich in den Charakteren und werde selbst zu einem. In 'Hunter' geht es um ein Mädchen, das Klavier spielt. Es ist eine wirklich bemerkenswerte Geschichte um Liebe und Einsamkeit. Das hat mich im letzten Jahr besonders angesprochen, weil ich mich auch einsam fühlte. Ich habe also dieses Thema - 'The Heart Is A Lonely Hunter' - als Startpunkt genommen. Mein Charakter in dem Song ist aber einer, der in der Stadt jagt und herumwandert. Ich mag immer die Gegenüberstellung von Stadt und Wildnis. Das habe ich auch in einem älteren Song namens 'Rousseau' zum Ausdruck gebracht, in dem es um den naiven Maler Rousseau und seine wilden Tiergestalten im Kontext zu einer Stadt geht." Zu diesem Track gibt es auch eines der typischen Nerina Pallot-Videos, bei dem die Kamera auf narrative Weise der Protagonistin folgt. "Ja, ich bin sehr in meine Video-Projekte involviert, und ich finde, man sollte dort auch etwas Ungewöhnliches machen", erklärt Nerina, "ich habe immer Tanzfilme gemocht und ich mag Videos, in denen viel Bewegung herrscht. Das Video zu 'Stay Lucky' ist dabei für mich eher ungewöhnlich, da es sich um ein Performance-Video handelt."

Worum geht es denn im Titeltrack des Albums? "Letztes Jahr war mein Sohn ziemlich krank", berichtet Nerina, "und zwar so sehr, dass nicht klar war, ob er es schaffen würde. Ich habe sowieso einige Leute um mich herum verloren und viel Zeit im Krankenhaus verbracht, wo ich viel über die Sterblichkeit als solche nachgedacht. Und über das Thema 'Glück'. Was macht, dass einer durchhält und ein anderer aufgibt? Und da wollte ich ein Stück für meinen Sohn schreiben, in dem ich ihm wünsche, dass er glücklich bleibt. Ich habe ohne textliche Agenda gearbeitet, aber im Nachhinein realisiert, dass sich das Thema dann auch durch die ganze Scheibe zog. Was mir wichtig war, war aber der Umstand, dass ich das Album gemacht habe, um mich selbst besser zu fühlen. Mir ist schon klar, dass ich als Künstlerin deprimierende Kunst machen könnte - einfach weil ich den Luxus hätte, dadurch selbst nicht in Mitleidenschaft gezogen zu werden -, aber das wollte ich nicht. Ich habe das Album zwar mit dem Bewusstsein gemacht, dass es mir nicht besonders gut ging, wollte aber nicht klagen, sondern mich selbst lieber mit etwas Schönem motivieren. Schon alleine deswegen war es mir wichtig, dass das Album eine hoffnungsvolle Note besitzen sollte."

Zweifelsohne ist es Nerina Pallot gelungen, dieses Vorhaben in ein greifbares, nachvollziehbares Ergebnis umzumünzen - auch wenn das vielleicht um den Preis geschah, dass die popppige Leichtigkeit, mit der Nerina in der Vergangenheit flirtete, dieses Mal nicht so stark zum Ausdruck kommt. "Ach weißt du", beschwichtigt Nerina, "man kann es ja sowieso nicht allen recht machen. Es kommen öfter Leute auf mich zu, die mein zweites Album 'Fires' lieben, weil es so poppig war und mich fragen, ob ich nicht noch mal so ein Album machen könnte. Die Antwort ist 'nein" - ich werde niemals ein weiteres Album wie 'Fires' machen - denn das habe ich ja schon getan. Wenn ihr 'Fires' mögt, dann hört es euch doch einfach an..." Das ist sicherlich ein gutes Rezept, mit diesem Thema umzugehen - und es ist mit Sicherheit auch ein Versprechen auf die Zukunft: Dass nämlich auch weiterhin jedes Nerina Pallot-Album einzigartig sein wird.

Weitere Infos:
facebook.com/NerinaPallotOfficial
twitter.com/nerinapallot
www.youtube.com/watch?v=r5uYDEn5GyU
www.youtube.com/watch?v=BhZkdTgtjgk
www.youtube.com/watch?v=u2D7GGkrJPM
www.youtube.com/watch?v=1-nNGNhZkrE
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Nerina Pallot
Aktueller Tonträger:
Stay Lucky
(Idahomusic/Rough Trade)
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