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STEPHANIE DOSEN
 
Hasenjagd
Stephanie Dosen
Gäbe es Künstlerinnen, wie die in Nashville lebende Songwriterin Stephanie Dosen nicht, dann müsste man sie erfinden. Für die Frau, die sich nach eigener Aussage mit Alice im Wunderland vergleicht, gehören Elfen, Nymphen, Kobolde, Waldgeister und ähnlich fadenscheinige Figuren zum Alltag wie für andere Leute Staus auf der Autobahn oder überhöhte Strompreise. Das ist in diesem Fall jedoch kein Gimmick, sondern Teil einer Lebensphilosophie. "Für mich ist das Teil meines Lebens", erklärt es Stephanie. Es ist natürlich klar, dass sich so viel Esoterik dann auch musikalisch niederschlägt. Stephanies meist akustisch orientierte, mit zauberhaften Streicherarrangements verzierte, melancholisch-träumerische Songs entstammen weniger der typischen, geschichtenorientierten Songwritertradition, sondern kommen eher als klassisch inspirierte Späthippiewerke daher. Das hat aber alles seinen ganz natürlichen Charme, denn es wird von der Protagonistin glaubhaft bis ins letzte Detail verkörpert.
Und es spiegelt sich auch alles im richtigen Leben wider. Da ist z.B. die Geschichte von den Aufnahmen ihres offiziellen Debütalbums (eine erste Scheibe verlegte sie selber). "Wir nahmen die Songs in einem verwunschenen Studio auf", erklärt Stephanie mit der ernsthaften Gelassenheit, mit der man etwa die Geheimzahl seiner Kreditkarte eintippt, "es gab nämlich Geister in dem Studio, die doch sehr für Unruhe sorgten - sie schalteten das Licht an und aus, schlugen die Türen auf und zu, fummelten mit dem Computer herum und so was, du weißt schon. Und da schlug jemand vor, dass ich doch für die Geister singen solle, um sie zu beruhigen. Und das habe ich dann eben gemacht: Für die Geister gesungen, um sie zu beruhigen." Hat das denn funktioniert? "Nicht wirklich", gesteht Stephanie, "da gab es zunächst eine Überschwemmung. Dann gab es ein Feuer und danach wurde eingebrochen und alles gestohlen. Drei Mal gingen also meine Aufnahmen verloren und da war ich doch ein wenig entmutigt. Ich ging also nach Hause und hatte da aber schon eine Mail von Simon Raymonde von den Cocteau Twins und dem Chef von Bella Union auf meiner MySpace-Seite, der meine Songs gehört hatte und fragte, ob ich einen Produzenten brauche. Da habe ich natürlich sofort zugesagt und so ist dann diese Scheibe entstanden." Das heißt also, dass die Songs von "Spectre" vier Mal aufgenommen wurden? "Also die Scheibe hat sich jedes Mal verändert", schränkt Stephanie ein, "ich habe nämlich nie einen Plan davon, was ich machen werde und mache immer das, wonach mir gerade ist. Einige Songs haben natürlich überlebt." Und einige sind auch gar nicht im Studio entstanden, wie zum Beispiel der Titeltrack, "Das stimmt", bestätigt Stephanie, "den habe ich draußen in den Bergen aufgenommen. Wir haben einfach ein paar Mikros draußen aufgestellt. Und deswegen hörst du den Wind, den Bach, die Vögel - realer kann man so etwas ja nicht machen."

Was ist denn der Gedanke des Titelstückes. Was machen Geistererscheinungen denn mit Lilien und warum brauchen sie welche? "Ich denke, es geht in diesem Song um diese Frau, deren Liebhaber gestorben ist und sie will ihn wieder treffen, was natürlich unmöglich ist. Also singt sie vor sich hin, hört Geigenmusik, züchtet Lilien. Sie kommt dem Tod sehr nahe und er nähert sich irgendwie dem Leben und da kommen sie fast zusammen. Der Schleier der Tod und Leben trennt, bekommt durchsichtig und sie versuchen, ihn zu durchdringen. Das ist irgendwo wie ein Traum, den man verloren hat. Es geht sehr stark um Sehnsucht in diesem Song. Ach: Ich glaube übrigens gar nicht an Geister..." Was macht denn einen guten Song für Stephanie aus? "Ich denke, dass ein Song real sein muss, oder besser 'wahr'. Was ich meine, ist, dass ein Song von einem Ort kommen sollte, der wirklich etwas bedeutet. Ich meine, dass eine kreative Leistung auch eine Reaktion auf das ist, was gerade passiert und eine Frage beinhalten sollte. Man kann clevere Songs schreiben, intelligente Songs, aber wenn das Gefühl nicht da ist, dass er etwas bedeutet, funktioniert er auch nicht. Ein Song muss wie Alchemie sein. Man muss etwas Seltsames dabei fühlen, etwas Unerklärliches. Das war auch so schön bei Bella Union. Andere Labels haben mich nämlich aufgefordert, Pop-Musik zu machen, die clever und smart sein sollte. Bella Union hat mich aber Dinge machen lassen, die nicht sofort erklärlich sind. Ich fand das sehr nett." Heißt das, dass Stephanie in ihren Songs eine gewisse zeitlose Qualität sucht? "Ich weiß nicht, ob ich überhaupt ein Ziel habe", überlegt sie, "ich komme von der Tradition her, wo ich mich frage, ob ich etwas noch einmal hören möchte. Wenn etwas für mich interessant ist - vielleicht ist es dann ja auch für andere interessant? Es braucht eine lange Zeit, so etwas herauszuarbeiten."

Stephanie Dosen
Welchen musikalischen Hintergrund bringt Stephanie Dosen eigentlich mit? "Ich komme nicht wirklich aus einer musikalischen Familie", gesteht sie, "wir hatten ein Piano zu Hause, aber das war es dann auch schon. Ich habe dann aber Musik studiert und ich habe meine Abschlussarbeit über Chormusik geschrieben. Ich habe auch die Arrangements auf meiner Scheibe selber gemacht - bis auf die Streicher, die Fiona James beigesteuert hat." Wie entstehen dann die Songs? "Ich häufe Sachen aufeinander", beschreibt Stephanie den Prozess, "ich bin dabei sehr impulsiv und ich füge immer Sachen hinzu, wenn etwas passiert. Ich versuche immer Dinge auszuprobieren. Und zum Schluss kommen die Harmonien dazu. Das passiert aber immer erst bei den Aufnahmen." Es gibt aber auch Songs auf Stephanies Scheibe, die man wie Pop-Songs mitsummen kann - wie z.B. "Death And The Maiden" oder "Lakes Of Canada". "Nun, das ist der Song, den ich nicht selbst geschrieben habe", gesteht Stephanie, "das ist eine Cover-Version von The Innocence Mission. Aber was die Melodien betrifft: Das hängt immer davon ab, was ich zum Zeitpunkt der Aufnahmen erlebe. Wie gesagt: Ich arbeite sehr nach dem Zufallsprinzip und zuweilen auch punktuell. Ich fühle mich wirklich wie Alice, die gerade in das Loch gefallen ist und ich folge dem Hasen, der gerade vorbeikommt. Ich bin wirklich kein Mensch, der großartig Pläne macht. Mir geht es immer um das Erlebnis des Momentes. Ich bin definitiv jemand, der Hasen folgt." Das hört sich ziemlich spontan an. Haben Stephanies Songs vielleicht deswegen zuweilen eine relativ impressionistische Qualität? "Ja, sehr sogar", räumt sie ein, "für mich ist alles, was ich wahrnehme, eh immer ein bisschen verschwommen. Also musiziere ich auch so." Okay, aber was löst dann das Bedürfnis aus, überhaupt einen Song schreiben zu wollen? "Nun, es sollte nicht allzu esoterisch sein", überlegt Stephanie, "meine Arbeit fühlt sich für mich natürlich gar nicht esoterisch an, weil ich ja weiß, worum es geht, aber ein Song sollte doch schon einen universellen Anspruch haben. Es geht ja immer doch um die Philosophie der Frage, warum ich etwas schreibe. Warum schreibe ich Songs? Warum stehe ich auf der Bühne? Will ich Lob? Will ich den Leuten etwas geben? Ich habe das nun alles lange genug gemacht, um herauszufinden, dass ich das, was ich mir ursprünglich vorgestellt habe, nicht bekommen werde. Man wird ja letztlich nicht reich durch das Musizieren und das, was die Leute allgemein annehmen, das man durch eine Musikerlaufbahn bekommt, bekommt man ja eben nicht. Also habe ich mir überlegt, dass ich statt dessen lieber etwas geben möchte. Ich hoffe also, dass meine Songs irgendjemanden ein wenig helfen können. Es mag sich kitschig anhören oder sogar altruistisch - und es ist keineswegs nur altruistisch - aber man braucht einen Grund, etwas zu tun, und das ist ein guter Grund."
Stephanie Dosen
Und was ist es dann letztlich, was Stephanie selbst durch ihre Tätigkeit gewinnt - wenn es eben nicht Geld ist? "Ich mag den Prozess, wenn ich die Songs schreibe", beschreibt sie, "ich mag dieses Gefühl, wenn ein Song fertig ist und ich mich dann frage, wie ich das überhaupt geschafft habe. Das schönste Gefühl ist es, einen Song zu Ende zu bringen. Das ist ein wenig wie Magie. Man erschafft ein kleines Baby und kümmert sich darum. Wenn es dann erwachsen ist, gibt man es der Öffentlichkeit - und hoffentlich mag sie es dann auch." Zu Stephanies bevorzugten Inspirationsquellen scheint auch die Natur zu gehören, nicht wahr? "Ja, denn selbst wenn ich - wie jetzt - in einer Stadt bin, bin ich in meinem Inneren doch eher in meiner kleinen Hütte oder sitze unter einem Baum auf der Wiese an meinem Teich. Ich bin an einem Teich aufgewachsen, der diese rote Farbe hatte. Es war ein geheimer Teich, von dem niemand wusste und dort kehre ich im Geiste hin zurück, wenn ich mich zurückziehen möchte." Wohin könnte Stephanie Dosen denn in Zukunft musikalisch entschweben? "Nun, alles, was man erschafft, ist eine Reflektion dessen, wo man sich gerade zum Zeitpunkt des Prozesses befand - das gilt auch für meine letzte Scheibe. Da sich alles ständig ändert, wird sich auch meine Musik ständig ändern. Ich möchte gerne mal elektronische Musik machen oder Chormusik, nur mit Stimmen. Aber wie ich schon sagte: Ich plane ja nicht voraus, es wird immer impulsiv sein." Und märchenhaft. Stephanie Dosen bietet uns mit ihrer Musik ein Fensterchen in eine Welt, die wir ansonsten wohl kaum je zu sehen bekämen.
Weitere Infos:
www.stephaniedosen.com
www.myspace.com/stephaniedosen
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
Stephanie Dosen
Aktueller Tonträger:
A Lily For The Spectre
(Bella Union/Cooperative Music/Rough Trade)
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