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THE LONG WINTERS
 
Botschafter für Seattle
The Long Winters
Also, John Roderick ist etwa so, wie man sich einen Rockmusiker vorstellt: Ein breites Grinsen im unrasierten Gesicht, die länglichen, strähnigen Haare unsortiert aber lässig hinter die Ohren gesteckt, laut, freundlich, enthusiastisch und eine Sonnenbrille tragend. (Auch wenn er meint, dass dies medizinische Gründe habe). Der Mann hat auch einiges erlebt (und ergo zu erzählen), bevor er zur Musik kam. Weltreisen ins Orientalische zur Selbstfindung scheinen dabei noch das Harmloseste gewesen zu sein. Heutzutage gehören er und sein Sidekick bei den Long Winters ("die anderen sind nur die Band"), Sean Nelson zur dortigen Szene. Sean sieht aus wie der Art Garfunkel Seattles: Die Posies, die Walkabouts, Jesse Sykes und deren Bekanntschaften (z.B. Peter Buck oder Scott McCaughey von R.E.M.) zählen zu ihren Freunden und Freundesfreunden. Mit anderen Worten: Das scheinen die idealen Gesprächspartner zu sein.
Was ein glücklicher Zufall also, dass sich John und Sean anlässlich der bevorstehenden Veröffentlichung ihres zweiten Werkes "When I Pretend To Fall" in der Stadt befinden. Wir hätten mit John schon alleine deswegen gerne gesprochen, weil er in einer seiner zahlreichen unterhaltsamen Beiträge zur Selbstdarstellung meint, dass er zwar sich gerne mit jedem über Musik unterhalte - indes unter dem Vorzeichen, dass er Musik per se nicht besonders interessant finde. Nun, für jemand, der von dem, was er nicht besonders interessant findet, lebt, macht er ja eigentlich noch eine ganz gute Figur. Wie also ist dieser Spruch zu verstehen? "Was ich damit meine ist, dass, wenn man zu viel über Musik redet, dieses zum Selbstzweck verkommt", erklärt der Meister, "ich denke, da gibt es eine ganze Subkultur von Leuten, die Musik diskutieren und dabei vergessen, dass - wenn du einen Song magst - es hierfür einen Grund gibt. Du hast eine emotionale Reaktion auf diesen Song. Worüber du also eigentlich sprechen solltest, ist diese Emotion. Weil das aber schwierig ist, redest du über die Band und die Songs. Du nimmst also an, dass nur, weil du den Namen eines Songs nennst, die andere Person weiß, welche Emotion dieser Song bei dir auslöst. Das stimmt aber nicht immer, weil die andere Person andere Reaktionen auf diesen Song haben kann. Das ist der Grund, warum mich die Diskussion über Musik nicht besonders interessiert. Mir geht es eher um die Emotionen. Das versuchen die Leute auch meiner Meinung nach, wenn sie über Kunst sprechen. Aber sie reden statt dessen über Kunst wie über einen Bestand: 'Ich habe soundsoviele CDs'. Das ist nicht wirklich ein Gespräch." Woah! Das sind aber komplexe Gedanken, gelassen hingeworfen! Und ist es nicht so, dass John mit dieser Beschreibung eher uns Schreiberlinge trifft? Fans unterhalten sich ja relativ selten in dieser Art über Musik. Ein kleiner Gedanke am Rande zu diesem Thema: Der Vorteil der Fans ist dabei ja auch, dass sie - anders als unsereiner - nichts erklären und begründen müssen. Alleine die Aussage, dass sie diesen oder jeden Song gut oder schlecht finden reicht ja bereits als Statement. (Was keine Wertung sein soll). "Die besten Musik-Journalisten sind die, die darüber schreiben, was die Musik auslöst und warum sie gut ist. Das beinhaltet natürlich, dass man über die Emotionen spricht. Natürlich hast du recht, dass es eine Menge Musikjournalismus gibt, der sich nur mit dem Abarbeiten der üblichen Standardfragen beschäftigt - 'Oh, Peter Buck ist auf der Scheibe' und so. Aber das fügt dem Leben nichts hinzu - oder zieht davon ab. Es ist eine bloße Information." Nun sind die Journalisten ja auch gewissen Zwängen unterlegen. "Das ist die Gefahr des Musikjournalismus", meint Sean Nelson. "Wir sind auch Journalisten", grinst John und zeigt auf sich und Sean, "wir unterhalten uns auch oft darüber, dass dies ein tolles Leben ist, aber andererseits auch viel Frustration mit sich bringt. Wenn man z.B. etwas tolles geschrieben hat und der Redakteur es zerhackt oder es ganz weglässt. Das ist aber auch eine Herausforderung, weil wir zwei Romanciers sein wollen und gerne mal ein Buch schreiben möchten."

Diesen Anspruch kann man z.B. an Sean Nelsons Tour-Tagebuch nachvollziehen. Dieses schildert auf höchst unterhaltsame - und ehrliche - Weise das Leben "on the road". Und das ist keineswegs so, wie man sich das als Außenstehender vorstellt. Gerade deshalb vermittelt sein Tagebuch dem Leser einen besonders sympathischen Einblick in das Leben eines Musikers. "Das war der Gedanke dabei", erzählt Sean, "es war eine sehr lange Tour mit den Long Winters von der da die Rede ist. Wir haben viele Touren gemacht. Das Problem dabei ist, dass du dich schon nach ungefähr drei Tagen nicht mehr daran erinnern kannst, wo du dich befindest, welcher Tag es ist, was du zum Frühstück gegessen hast. Die ganzen Klischees werden wahr: Es verschwindet alles. Deswegen wollte ich es festhalten. Die Sache ist ja auch die, dass viele Leute denken, dass das Tourleben glamourös ist. Es ist aber überhaupt nicht glamourös - nicht mal im 'High End'-Sektor der Rock-Welt. Allerdings ist es aber großartig - und es ist ein großes Privileg, so etwas machen zu dürfen. Ich wollte nun kommunizieren, warum das so ist. Es geht dabei immer um die kleinen Dinge - wie z.B. die Tatsache, dass der Hauptact - in dem Fall Nada Surf - dir die Bühne warm hält, weil du wegen eines Unfalls zu spät für dein Support Set dran bist. Oder aber Leute wie Will Johnson und Scott Danbom von Centr-O-Matic zu treffen, mit denen wir auch getourt sind. Es sind kleine Dinge wie diese, die dich davon überzeugen, das richtige zu tun. Du triffst auf hunderte von Bands. Und egal was man vorgibt: Man steht doch mit denen im Wettbewerb. Wenn du also auf Leute triffst, die das, was sie tun machen, weil sie es lieben, dann ist das das beste, was dir passieren kann."

Sind es nicht aber die kleinen Dinge, bei denen etwas schief geht, die für den Zuhörer besonders unterhaltsam sind? Wie z.B. die Sache mit Jesse Malin? (Jesse Malin, den wir ja auch kennengelernt haben, umgibt sich mit einer irgendwie disproportionalen Rock-Star-Aura, die im Kontext zu seinem tatsächlichen Status eher unangebracht erscheint). "Als das passierte, waren wir überrascht von dieser Rock-Star-Energie die da vorherrschte", erzählt John, "es war so wie: 'Platz da, hier kommt der Star'. Wenn du aber Leute wie Will oder Scott hast, dann bringen die dir ein Bier von der Bar mit. Und das ist der Unterschied." "Bei Jesse Malin ist es so, dass die Jungs zwar nett, aber keineswegs freundlich waren. Sie haben ihr Territorium abgesteckt", ergänzt Sean. "Und das ist bei den meisten Bands so", meint John, "weißt du, solche, die sich benehmen, als gehöre ihnen der Umkleideraum, solche, die ihre Instrumente nicht wegräumen oder nur über den Tourmanager mit uns kommunizieren. Es ist auch bei solchen so, die schlecht oder nicht besonders wichtig sind. Es ist dabei eine Sache, wenn du sowas machst, um Mädels zu beeindrucken. Aber wenn du dich anderen Bands gegenüber so verhältst ist das nicht so toll." Deswegen hinterlassen wohl also die positiven Erlebnisse einen stärkeren Eindruck. Man darf also annehmen, dass die Musiker, die letztlich auf der Long Winters Scheibe mitspielen, (wie z.B. Jon Auer, Peter Buck, Scott McCaughey, Ken Stringfellow etc.) eher denen zuzurechnen sind, die im Ernstfall die Bühne warmgehalten hätten? "Es ist irgendwie schon so", stimmt Sean zu, "nimm zum Beispiel die Tatsache, dass niemand bezahlt wurde. Alle machten mit, weil sie es wollten. Und das war natürlich toll."

The Long Winters
Überhaupt können sich die Long Winters auf ein dichtes Netzwerk von kreativen Freunden verlassen, die ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Sei es nun beim Artwork so - bei dem die Referenz zu Yellow Submarine durchaus recht offensichtlich ausgelebt wird - oder im Falle des wirklich seltsamen Videos zum grandiosen Opener der Scheibe, dem mit Keyboards und Bläsern veredelten Über-Pop-Song "Blue Diamonds" (dessen Clips sich als Bonus File auf der Scheibe befindet). Nur: Was haben französische Dialoge, Eiskrem und ein an einen Stuhl gefesselter John Roderick mit dem Song zu tun? "In Seattle sind wir nicht nur mit Musikern befreundet", schwärmt John, "einige meiner besten Freunde sind Schauspieler, Schriftsteller, die Theaterstücke machen. Wir werden dauernd gebeten, da mitzumachen. Viele unserer Schauspielerfreunde beginnen jetzt, selber Filme zu machen. Einer von denen, Michael Chick, ist ziemlich verrückt. Er hat vorgeschlagen einen Film über die Long Winters zu machen und ich meinte, wir sollten dann ein Musik-Video machen. Er sagte: 'Verrückt, aber lass es uns machen. Ich will einen französischen Film mit vielen Zwergen, Eiskrem, einem Riesenrad, Untertiteln, Feuerwerk, Schießereien, Feuerwehrautos...' Wir mussten ihn dann bremsen, und was dann rausgekommen ist, weiß ich auch nicht so genau. Es gab keinen Kapitän. Wir waren in dieser verlassenen Lagerhalle, er hat mich an einen Stuhl gebunden, dann kam Eiskrem dazu und es wurde total verrückt. Der erste Schnitt war sieben Minuten lang. Es gab diese lange Einleitungssequenz und mittendrin gab es eine Pause, in der ein Schwertkampf vorkam. Ich habe es dann auf das jetzige Maß zurechtgestutzt. Wir sprechen jetzt darüber, ein zweites Video zu drehen, bei dem wir sicherlich alle endgültig verrückt werden werden. Aber 'Blue Diamonds' ist z.B. auf MTV 2 gelaufen und es war erfolgreicher als wir uns es je ausgemalt hatten." Nun ja, unterhaltsam ist es allemal. "Das schöne dabei ist, dass du erkennst, dass Seattle eine ziemlich kreative Szene hat, in der alle befreundet sind und von der du ein Teil bist. Manchmal vergisst man das", überlegt John, "aber wenn du dann eine Sache wie dieses Video oder die Long Winters Scheibe siehst, wirst du dran erinnert. Diese Leute haben alle ihren Teil dazugegeben, es zu dem zu machen, was es ist. Vielleicht ist es ja so etwas wie ein 'Botschafter für Seattle'?" Wir werfen einen Blick auf die Uhr und stellen fest, dass wir uns köstlich mit John und Roderick unterhalten haben - ohne dabei die Musik als solche zu diskutieren oder zu analysieren. Das Gespräch dürfte also ganz im Sinne der Musikanten verlaufen sein. Und überhaupt sollte man die Musik ja auch für sich sprechen lassen. Im Falle der Long Winters ist das sowieso selbsterklärend. Ihre zeitlosen, klassisch inszenierten, einfallsreich arrangierten und mit grandiosen Harmoniegesängen unterlegten Power-Pop-Songs werden eh alle Fans der o.a. Acts goutieren. Im November werden die Long Winters (dann aber als ganze Band) in Deutschland auf Tour gehen.
Weitere Infos:
www.thelongwinters.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
The Long Winters
Aktueller Tonträger:
When I Pretend To Fall
(Munich Records/Indigo)
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