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Interview-Archiv

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JESSE SYKES & THE SWEET HEREAFTER
 
Der Klang des Herzens
Jesse Sykes & The Sweet Hereafter
Jesse Sykes - wie auch die Mitglieder ihrer Band The Sweet Hereafter - kommen aus Seattle. Es ist aber nicht das Seattle des Grunge, sondern eher dessen verletzliche, dünnhäutige Bauchseite, die Jesse & Co. hier präsentieren. Zu TSH gehören z.B. die Geigerin Marie Ruljancich - die des öfteren mit den Walkabouts zusammenarbeitete, Bassist Bill Herzog (Joel Phelps und z.Z. Neko Case), Kevin Warner an den Drums (Evangeline) und vor allen Dingen ihr musikalischer und Lebens-Partner, der Gitarrist Phil Wandscher, den man vielleicht noch als kreativen Gegenpart zu Ryan Adams in Whiskeytown kennt. Thematisch bewegen sich Jesse und ihre Mitstreiter also auf jenem Terrain, das immer wieder gerne mit "Alt-Country" oder ähnlichem bezeichnet wird und präsentieren uns das weitläufige Bild des rauen Nordwestens der USA. Man sieht praktisch die tiefhängenden Wolkenfelder über einem regenverhangenen, nebligen Horizont ziehen - vorwiegend im Winter, des Nachts oder zumindest im frühen Zwielicht. "Das süsse Jenseits" ist dann auch in Anbetracht der morbiden und düsteren Songs wahrlich kein schlecht gewählter Name. Aber wie so oft, liegt der Ursprung desselben weniger im marketingtechnischen Kalkül, sondern eher im extrasensorischen Bereich.
"Der Name stammt aus einem Traum", erinnert sich Jesse, "Ich flog über diese Dörfer und Städte und es gab da einen Erzähler, den ich zwar hören, aber nicht sehen konnte. Unser Flug endete über diesem Friedhof. Und als wir uns den Gräbern näherten, drang wunderschöne Geigenmusik aus dem Boden hervor. Es wurde lauter, je mehr wir uns den Gräbern näherten und als wir uns genau über einem befanden, drang die Musik genau durch mein Herz und wurde dann langsam wieder leiser, als wir uns weiterbewegten. Der Erzähler fragte mich: 'Weißt du, was du da hörst?' und dann sagte er 'Du hörst die Seelen der toten Leute. So klingen unsere Herzen.' Ich war von dem Traum so hingerissen, und davon, wie friedvoll und wunderschön dieses Licht erschien, in dem wir uns bewegten, dass ich davon einfach nicht mehr los kam. Ich nahm das dann als Zeichen an und fühlte, dass 'Sweet Hereafter' einfach der Name der Band sein müsse. Es bedeutet also tatsächlich so etwas wie einen Zustand der Anmut. Denn so fühlte ich mich in diesem Traum." Um es mal so zu sagen: Es hat schon banalere Gründe gegeben, eine Band zu benennen. Wie kam denn das Projekt zustande? Was ist der musikalische Background von Jesse Sykes?
"Nun, ich komme ja aus Seattle und spiele dort auch bereits seit 12 Jahren", erzählt Jesse, "Ich war in einer Band namens Hominy, die eine CD herausbrachte. Es war eine Art Reifeprüfung für mich und es war die erste Band, in der ich alle Songs schrieb. Das vorangestellt, gilt es festzuhalten, dass ich diese Scheibe heute nicht mehr so toll finde. Sie hatte ihren Charme, war aber zu zerrissen. Phil traf ich dann vor fünf Jahren in einer Bar in Seattle und es war Liebe auf den ersten Blick. Phil zögerte zunächst, mit mir zusammenzuarbeiten, weil wir uns nun mal in einer Beziehung befinden. Es passierte dann aber von selbst, als wir begannen zusammen zu spielen. Wenn du in einer Beziehung bist, dann hast du auch dieses hohe Vertrauensniveau, diese Intimität, die mir diese Zusammenarbeit dann auch vollkommen natürlich erscheinen lässt." Was im Zusammenhang mit den Songs der CD "Reckless Burning" auffällt, ist, dass diese sich alle mehr oder minder zeitlupenartig entwickeln. Anders als bei Bands wie Low oder Codeine fällt dies besonders ins Gewicht, da man die Zutaten - Gitarren, Banjo, Geige etc. - alle aus dem gewohnten Americana-Umfeld kennt. Jesse kann man also wirklich nicht vorwerfen, etwas vollkommen neues aus dem Boden stampfen zu wollen. "Ich denke, ich muss einfach in diesem Tempo schwingen", überlegt Jesse, "ich lehne mich gerne zurück, betrachte mir das Leben und reflektiere eine Menge. Ich denke, das zeigt sich auch in meiner Musik." Wenn man Musik wie diese macht, dann muss man sich natürlich bewusst sein, daß es diese schon seit geraumer Zeit gibt. Was ist also die treibende Kraft hinter den Songs von Jesse Sykes? "Das Leben, denke ich", kommt die Antwort, "ich tendiere dahin anzunehmen, dass es stetst darum geht, sich auf seine Vision einzustimmen, indem man Ideen verwendet, die vielleicht schon da sind, diese aber verinnerlicht, so dass sie zu etwas eigenem werden. Ich werde vermutlich durch Filme und Bücher genauso beeinflußt, wie durch Musik. Außerdem übt meine physikalische Umgebung einen sehr großen Einfluß aus. Im Nordwesten ist es immer so dunkel und regnerisch und das Licht ist so seltsam und bläulich, dass es mir stets Schauer über den Rücken jagt."
Jesse Sykes & The Sweet Hereafter
Das erklärt gewiss auch die z.T. sehr düsteren Themen in Jesses Songs, nicht wahr? "Die Themen kommen einfach zu mir", meint sie hierzu, "es ist ein sehr unbewußter Prozess für mich. Wie ein steter Erosionsprozeß. Manchmal höre ich jemanden etwas sagen, was dann eine Idee auslöst - ich denke aber nie so besonders darüber nach. Öfters kommt die Erleuchtung für mich erst später. Es ist manchmal wie eine Art Therapie: Die Antworten kommen erst im Nachhinein." Gilt das auch für die Charaktere, die in den Songs auftauchen und diese somit z.T. erst greifbar erscheinen lassen?
"Die Charaktere basieren wohl lose auf Personen, die ich kenne", räumt Jesse ein, "aber es gibt da auch große Teile von mir. 'Reckless Burning' ist auf vielen Ebenen ziemlich autobiographisch."
Die Texte bestehen zum großen Teil weniger aus schlüssigen Szenarien, sondern aus kleinen Bildern oder Metaphern. Eine richtige Storytellerin im klassischen Sinne ist Jesse also nicht. "Ich denke ich schreibe lieber kleine Vignetten als richtige Stories, weil ich denke, daß es effektiver ist, wenn der Zuhörer die Songs auf seine eigene Art interpretiert. Hoffentlich hört sich das nicht zu banal an, aber ich sehe die Welt wirklich auf eine sehr feierliche Art. Ich mag die Feinheiten des Lichts, die Einfachheit einer Berührung oder die Abwesenheit von Geräusch."
Jesse Sykes & The Sweet Hereafter
Dennoch kommen die Songs quasi als moderne Folksongs daher (was die Stimmung und den simplen Aufbau betrifft). Ist das beabsichtigt? "Ja, moderne Folksongs", stimmt Jesse zu - und geht dabei einen guten Schritt weiter als viele Songwriter in einer ähnlichen Position, die dieses vehement abstreiten, "denn wie kann die Ära in der du lebst nicht von Belang sein? Es stört mich tatsächlich wenn Leute heutzutage Songs schreiben, als wäre es noch das 19. Jahrhundert. Ich meine: Schau dir unser Leben an: Wir haben Handys, Computer und es ist alles irgendwie verrückt. Übrigens: Seltsamerweise haben wir zu Hause ein ganz normales Telefon und keinen Computer." Was nicht heißt, dass Jesse Sykes zu Hause Folkmusik studiert. "Ich mag Townes Van Zandt, der vielleicht mein Lieblings-Sänger ist, ich liebe Giant Sand, Leonard Cohen, Throwing Muses - es gibt da aber kein Ende..."
Da Jesse ja offensichtlich wenig analytisch an ihre Arbeit herangeht: Was ist denn das Ausschlaggebende beim Songwriting? Irgendwie muss man ja auch mit dem Bauch planen... "Ein guter Song muss mich irgendwohin transportieren", überlegt sie, "auch wenn ich vielleicht schon dort gewesen bin. Ich möchte meiner Vision gegenüber treu bleiben. Das gilt für alles - vom Technischen bis hin zum Personellen. Ich möchte mich auch stets als Songwriterin weiterentwickeln. Das ist ein nie endender Prozess und es geht eigentlich genau um diesen Prozess. Am Ende musst du sogar in diesen Prozess verliebt sein." Nun ja, vielleicht reicht es ja zuweilen auch, in den Gitarristen verliebt zu sein...
Weitere Infos:
www.jessesykes.com
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Lisa Haglund-
Jesse Sykes & The Sweet Hereafter
Aktueller Tonträger:
Reckless Burning
(Fargo/Zomba)

 
 

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