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SCHNEIDER TM
 
Sample And Hold
Schneider TM
Als vor gut zwei Jahren die schöne Mini-LP "Binokular" herauskam, schien Schneider TM alias Dirk Dresselhaus in Gedanken schon beim nächsten regulären Album zu sein, dem Nachfolger seines hochgelobten Solo-Debüts "Moist" von 1998. Doch "lebenstechnische Umstände" - sein Umzug nach Berlin, die Arbeit für die inzwischen leider von uns gegangene VIVA2-Sendung "Wah Wah", seine ausgiebigen Tourneen und eine musikalische Neuausrichtung - verzögerten die Arbeit an der neuen Platte immer wieder. Jetzt ist sie endlich da, heißt "Zoomer" und ist - wie nicht anders zu erwarten - ausgezeichnet. Sich über das elitäre Denken, das mancherorts gerade bei der elektronischen Musik noch vorherrscht, hinwegzusetzen, war eines seiner Ziele, denn das Ausleben von Profilneurosen ist seine Sache nicht. Deshalb klingt das neue Album streckenweise vielleicht für ungeübte Ohren etwas gewagt, macht letzten Endes aber auf jeden Fall mehr Spaß, als hätte Schneider sich darauf beschränkt, "nur" den einmal eingeschlagenen Weg weiterzugehen.
Gleich zu Beginn der Platte überrascht uns der Wahl-Berliner beispielsweise mit richtigen Songs. Auf "Reality Check" klingt er wie Neil Young Anfang der Achtziger - inklusive Vokoder-Vocals und Gitarre. Wenn man bedenkt, dass das Schlussstück von "Binokular" das großartige The-Smiths-Cover "There Is A Light That Never Goes Out" war, könnte man meinen, Schneider goes Pop, oder? "Ich habe versucht, alle Elemente, die in den Stücken vorkommen, bis an den Rand des Abgrunds zu pushen", gesteht Schneider beim Gespräch mit Gaesteliste.de in der Kölner Stardust Bar. "Das ist fast schon eine Form von Hardcore, insofern ist die Haltung ganz und gar nicht 'Pop', ganz einfach, weil mir eindeutige Sachen zu langweilig sind. Es wäre nicht mein Ding, mich hinzusetzen und zu versuchen, den perfekten Popsong zu schreiben."

Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass "Zoomer" - gerade bei den ersten Stücken der Platte, allen voran bei der Single "Frogtoise" - durchaus poppige Zwischentöne aufweist, wenngleich diese zumeist in einen soliden Elektronikteppich eingebettet sind, was die Stücke zwar äußerst spannend, aber nicht unbedingt radiotauglicher werden lässt. Pop in seiner abstraktesten Form. Die Platte pendelt zwischen Artpop und Abriss, Konstruktion und Dekonstruktion, Krieg und Frieden und spiegelt damit nicht zuletzt das Leben des Protagonisten in den letzten Jahren wider: "Mein Leben war ziemlich cut-up-mäßig, ziemlich zerrissen. Die Platte heißt ja auch deshalb 'Zoomer', weil man sie auf verschiedenen Ebenen hören kann. Oberflächlich betrachtet kann man sie vielleicht eher als Pop-Platte hören, aber man kann auch in den Sound hineinzoomen und dann vielleicht Strukturen finden, die den Pop komplett überdecken. Das ist ein Spiel mit Wahrnehmungen, das ich da betrieben habe. Das macht mir viel mehr Spaß, als etwas bewusst Eingängiges zu machen."

Schneider TM
Um das zu verwirklichen, wählte Schneider - der in Zukunft auch wieder mit seinen anderen Bands (Paincake, mit seiner Freundin Hanayo, sowie Locust Fudge, mit seinem langjährigen musikalischen Wegbegleiter Krite Uhe) angreifen will - dieses Mal eine andere Herangehensweise. Hatte er bisher stets mit Vierspur-Equipment und Gitarreneffekten gearbeitet, sollte es dieses Mal ein Sampler sein. "Ja, ich habe mir meinen ersten Sampler gekauft, das war ein völlig neues Medium für mich, das musste ich erst einmal lernen für mich zu missbrauchen", lacht Schneider. "Das hat ziemlich gedauert, weil ich keinen Check von Bedienungsanleitungen habe. Der Forschungsweg, der Kampf mit den Tools, hat sehr viel Zeit beansprucht - obwohl das sonst gar nicht meine Herangehensweise ist. Das war eine Art Fortbildung für mich. Ich habe mich teilweise so gefühlt, als würde ich das Abi nachmachen, weil der Prozess mit vielen Dingen verbunden war, auf die ich eigentlich keine Lust hatte, ich gleichzeitig aber wusste: Wenn ich da durch bin, kann ich Sachen machen, die sich wirklich lohnen, und kann weiterkommen." Dass sich mit dieser veränderten Ausgangslage auch sein Publikum verändern könnte, glaubt Schneider indes nicht: "Ich denke nicht darüber nach, für wen ich Musik mache, bzw. ich mache sie eigentlich für alle. Ich möchte keine Musik für eine Nische machen, die Zeit der Abgrenzung ist vorbei, finde ich. Das Tollste ist, dass meine Oma die Platte auch mag - und sei es nur, weil ich sie gemacht habe!"

Dass Schneiders Oma richtig Ahnung von Musik hat, ist damit bewiesen. Wie es darum bei ihrem Enkel bestellt ist, erfuhren wir im Blind Date.

* Aphex Twin "Girl/Boy Song" ("Richard D. James LP", Warp Records, 1996)

Schneider (nach einem Sekundenbruchteil): "Aphex Twin! Das ist aus meiner Aphex-Twin-Lieblingsphase. Außer vielleicht 'Windowlicker' und 'Come To Daddy'. Seine letzte Platte mag ich dagegen überhaupt nicht mehr. Die habe ich mir sogar gekauft, noch dazu in London, für viele, viel Pfund...Klar, das hat schon einen hohen Standard, aber musikalisch interessiert mich das gar nicht. Die Platte hat mich sehr überrascht. Ich hätte gedacht, da kommen jetzt mehr so Kracher wie 'Windowlicker'. Aber vielleicht war das ja nur ein Schachzug, weil er aus seinem Warp-Deal raus wollte - da hat er einfach mal die Kammer leergefegt."

GL: Das Element der Unberechenbarkeit trifft streckenweise auch auf dich zu. Wie wichtig ist es dir, die Leute immer wieder zu überraschen?

Schneider: "Damit kann man etwas herumspielen, aber dass auf meiner neuen Platte zum Beispiel viel Gesang ist und so weiter, habe ich nicht in erster Linie gemacht, um jemanden zu verwirren, ich versuche lediglich, das Ganze für mich selbst interessant zu halten. Die Motivation ist eher, dass ich mich nicht wiederholen möchte, weil das langweilig wäre. Nach außen hin mag das als Unberechenbarkeit aufgefasst werden, aber das ist auch okay. Ich mag ja auch selbst am liebsten die Leute, in deren Musik alles Mögliche passieren könnte. Es sei denn, man heißt Ramones. Ist auch geil!"

* Tarwater "Metal Flakes" ("Dwellers On The Threshold", Kitty Yo, 2002)

Schneider [mit Einsetzen der Vocals]: "Ah, Ronald [Lippok]! Phantastischer Sänger, phantastischer Kerl! Ist das die neue Tarwater? Hab ich noch gar nicht gehört! Eine ganz tolle Band, die ich leider viel zu selten treffe. Wir wohnen total nah zusammen, sehen uns aber trotzdem nie."

GL: Stimmt das also, dass es nach außen hin in Berlin eine "Szene" zu geben scheint, in Berlin selbst die Verbindungen allerdings eher lose sind?

Schneider: "Ja. Es gibt immer so Phasen. Man sieht diverse Leute immer mal wieder eine Zeit lang und verabredet sich auch, aber dann sieht man sie auch mal ein Jahr überhaupt nicht, obwohl sie nur zwei Straßen weiter wohnen. Der Vorteil dabei ist, dass es keinen Szenedruck gibt und man sehr frei arbeiten kann. Was andere denken, wird überhaupt nicht thematisiert. So kommt mir das zumindest vor. Vielleicht ist das auch mein Glück, dass ich nicht so denke. Ich glaube, in Berlin gibt es kein Szenebewusstsein wie in Köln oder Hamburg, wo ja viele Leute gar nicht miteinander reden, weil sie meinen, Konkurrenz zu sein. Berlin ist dagegen sehr dezentriert."

* Neil Young "Computer Age" ("Trans", 1982)

Schneider ([nach einer Millisekunde]: "'Trans'! Neil Young, 1981? Oder '82? Spitzenplatte! Großer Einfluss!"

GL: Schon nach ein paar Takten deiner neuen Platte war klar, dass dieser Song beim Blind Date mit dabei sein würde! Dein LP-Titel "Zoomer" ist dann nicht zufällig auch eine Anspielung auf Neil Youngs "Zuma"?

Schneider [lacht laut]: "Schön! Du bist der Erste, dem das auffällt! 100 Punkte! Das Kuriose an 'Trans' ist, dass sie sich ja von allen 80er-Neil-Young-Scheiben am besten verkauft hat."

* Stereolab "Metronomic Underground" ("Emperor Tomato Ketchup", Duophonic, 1996)

Schneider: "Was ist das denn? Cool! Auf jeden Fall ein fetter Beat und ein gutes Tempo! [Und nach ca. 30 Sekunden] Ah! Das könnte Stereolab sein!"

GL: Richtig! Und auch schon etwas älter, von "Emperor Tomato Ketchup".

Schneider: "Ja, das war 'ne richtig gute Platte. Die sind dann leider später etwas zu sehr auf ihrem eigenen Style hängen geblieben."

* Bob Mould "180 Rain" ("Modulate", Cooking Vinyl, 2002)

Schneider: "Was ist das denn? Soll ich raten? [Und beim Vokodereinsatz]: Cher, hahaha! Kein Ahnung!"

GL: Das war Bob Mould!

Schneider: "Bitte was??? Das ist ja die absolute Härte! Wie fährt der denn ab?"

GL: Der Ausgangspunkt für seine und deine Platte war wohl recht ähnlich. Allerdings hat Mould wahrscheinlich etwas schneller gearbeitet als du und vielleicht weniger verworfen.

Schneider: "Bei mir hat das Aufschichten relativ lange gedauert. Ich fange ja immer mit einem Sound an und schaue dann, was sich daraus hochziehen lässt. Bestimmte Zwischenschritte habe ich dann schon verworfen, aber ich habe kein Stück fertig gemacht und nicht benutzt."

* Madonna "Secret" ("Bedtime Stories", WEA, 1994)

Schneider [sofort]: "Madonna! Spitzenstück. Die letzte Platte hatte dagegen keine so große Halbwertzeit. Die ist zwar spitzenmäßig produziert und die Stücke sind auch eigentlich gut, aber es klingt halt ein bisschen gekauft. Als wenn jemand in den Computerladen gegangen wäre, um das neueste Plug-in XY zu besorgen. Nichts gegen den Produzenten Mirwais, aber ich fand die Platte davor wesentlich besser, obwohl ich vom Style her die neue eigentlich lieber mögen müsste."

* My Bloody Valentine "No More Sorry" ("Isn't Anything", Creation, 1988)

Schneider: "Ah! Da sag ich gar nichts zu. Das lasse ich einfach mal so im Raum stehen. Obwohl...das ist der Wahnsinn! Aber wie weit kann man in der Richtung gehen? Das konnte man einfach nicht weiterbringen, deshalb gibt es wahrscheinlich auch keine weitere Platte von denen."

* Sharon Stoned "Your Own" ("Sample And Hold", Columbia, 1994)

Schneider [nach zwei Takten]: "Sharon Stoned! Das erkennt man sofort am Lo-Fi-Sound. Hab ich das produziert, hahaha?!"

GL: Wie denskt du heute über diese Sachen oder auch deine Platten mit den Hip Young Things?

Schneider: "Das war einfach Teil des Weges. Manche Sachen mag ich noch, aber ich höre sie mir eigentlich nie an. Meine Lieblinsplatte von mir selbst - und das gilt auch für Krite - ist, glaube ich, die 'Royal Flush' [von Locust Fudge]. Die klingt einfach am besten von allen Platten, obwohl sie nur mit Vierspur und einem einzigen Mikro für - kein Scheiß! - 19,95 aufgenommen wurde."

Weitere Infos:
www.mute.com/schneidertm/
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Gerald von Foris-
Schneider TM
Aktueller Tonträger:
Zoomer
(CitySlang/Labels/Virgin)
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