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Tocotronic
Als vor drei Jahren mit "K.O.O.K." das letzte Studioalbum von Tocotronic erschien, hieß die erste Singleauskopplung "Let There Be Rock", als hätte die Band ihren Fans beweisen müssen, daß sie trotz des 70-tägigen Aufnahmemarathons in Frankreich nicht ganz mit ihrer Vergangenheit gebrochen hatte. Nun erscheint ihr sechstes Album, schlicht "Tocotronic" betitelt, für das die drei Hamburger unglaubliche anderthalb Jahre im Tonstudio verbrachten. Die erste Single heißt dieses Mal "This Boy Is Tocotronic" - müssen sie jetzt wirklich ihre Fans schon daran erinnern, daß es sich noch um die gleiche Band handelt? Ja und nein, denn obwohl das selbstbetitelte Album ohne Zweifel eine echte Toco-Platte ist, fällt auf, daß sich die Band von einem Album zum nächsten noch nie so stark verändert hat. Doch trotz der langen Produktionszeit klingt das neue Album nie überproduziert, sondern stets durchdacht. Okay, "1:1 ist jetzt vorbei" heißt es in einem Song, aber auch wenn Tocotronic - rein textlich gesehen - jetzt nicht mehr Bier am Imbiß um die Ecke trinken, sondern anscheinend lieber Champagner schlürfen und uns so ermahnen, in ihre Texte nicht (mehr) so viel hineinzulesen - ein besseres Album als "Tocotronic" dürfte dieses Jahr hierzulande kaum mehr eingespielt werden.
Könnte die entspannte Herangehensweise vielleicht auch damit zusammenhängen, daß ihnen heute einfach die öffentliche Meinung und die Reaktion auf ihre Musik nicht mehr so wichtig ist? "Wir haben die Band ja vor fast zehn Jahren gegründet und vor sieben oder acht Jahren die erste Platte rausgebracht, da nimmt man die Sache mit der Zeit etwas leichter", erzählt Sänger/Gitarrist Dirk von Lowtzow beim Gespräch mit Gaesteliste.de in Köln. "Durch die wahnsinnig lange Zeit im Studio waren wir so lange in dieser künstlichen Welt 'gefangen', daß wir uns eigentlich überhaupt keine Gedanken über die Rezeption gemacht haben. In dieser Zeit waren wir drei und unser Produzent Tobias Levin die Menschen, die wir am meisten gesehen haben." Das klingt nicht unbedingt nach einer sehr fröhlichen Zeit im Studio. Warum also überhaupt die lange Produktionszeit auf sich nehmen? "Wir wußten, daß wir auf die für uns herkömmliche Weise keine weitere Platte mehr machen konnten, das heißt, erst die Stücke zu schreiben und dann ins Studio zu gehen. Dabei kommt so eine Lagerstimmung auf, und das hat uns nicht mehr so interessiert", erklärt uns Dirk. "Wir haben dieses Mal bewußt versucht, lange Zeit an bestimmten Sachen zu arbeiten. Wir haben alle Songs parallel weiterverfolgt, das war ganz natürlich, weil die Stücke sich auch gegenseitig beeinflussen. Da hat man zum Beispiel eine Idee und denkt sofort: Das könnte auch bei einem anderen Stück noch passen..." Diese Vorgehensweise kann man natürlich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag weiterführen. War es dieses Mal komplizierter, ein Ende zu finden? "Ja, allerdings!" lacht Dirk. "Zu guter Letzt kam zum Abmischen ein Tontechniker aus Schweden dazu, Michael Ilbert, und der hat extrem schnell gearbeitet. Dem war der ganze Überbau, den wir uns über die anderthalb Jahre aufgebaut hatten, völlig egal. Für uns vier, also die Band und Tobias Levin, wäre es sonst sehr schwierig geworden, einen Abschluss zu finden."

Aber was heißt hier schon Abschluß? Eigentlich geht es ja jetzt erst richtig los: Im Sommer spielen Tocotronic zunächst einmal ausschließlich Festivals, bevor sie sich im Herbst auch wieder auf Headline-Tournee wagen - obwohl Fans wie Band beispielsweise der Headline-Auftritt beim 1999er Haldern Open Air nicht gerade in bester Erinnerung ist, wie Dirk offen zugibt: "Das ist interessant, daß du das sagst, weil es stimmt - Haldern war echt schrecklich, weil es überhaupt nicht gepasst hat. Ich glaube, wir sind da halt manchmal etwas stoisch, wenn wir wissen, wir sind Headliner, es ist spät abends und alle sind etwas angeheitert und wollen Spaß haben. Und dann machen wir extra auf spröde. Wir sind wohl nicht die allerbeste Festivalband, weil man sich dort mit viel größeren Gesten an die Gegebenheiten anpassen muß. Wir sind am besten, wenn wir uns [zum Beispiel in einem Club] inszenieren können als DER Act des Abends." Die Festivals dienen nach der langen Pause natürlich vor allem als Aufwärmphase, nicht zuletzt, weil die neuen Songs zu weiten Teilen für die Liveauftritte neu arrangiert werden müssen. Interessanterweise sieht Dirk das aber nicht als Problem, im Gegenteil. Er glaubt sogar, daß die anstehenden Konzerte einfacher für die Band werden als früher: "Der spielerische Umgang mit der eigenen Inkompetenz, das hat uns doch früher sehr belastet, weil es einfach keinen Spaß macht, schlechte Konzerte zu spielen. Inzwischen geht das so halbwegs. Wir sind halt alle drei rein technisch extrem untalentierte Musiker..."

Während sich eine Band wie Sportfreunde Stiller, denen ja gerade früher auch stets eine stilistische Nähe zu Tocotronic nachgesagt wurde, ein Stück weit darüber definieren, daß sie einen engen Kontakt mit ihren Fans pflegen, gehen die Hamburger einen ganz anderen Weg, der auf den ersten Blick vielleicht arrogant erscheint, aber - gerade mit dem neuen Album als Maßstab - sehr befreiend auf die drei zu wirken scheint. "Ich hoffe, daß uns die Leute gut finden, weil wir unberechenbar sind und weil sie uns gerade nicht verstehen. Darin liegt doch auch eine Schönheit. Ich fand zum Beispiel eine Band wie The Fall total super, weil ich einfach nicht verstanden habe, was die da eigentlich gemacht haben, was die gewollt haben. Darin sehe ich ein großes Kraftpotential. Für uns wäre das total indiskutabel zu sagen: 'Da gibt es Fans, denen müssen wir etwas bieten.' Wann immer wir das gemacht haben, ist es schief gegangen, manchmal auf einer ganz banalen Ebene. Beim Haldern-Festival zum Beispiel sollten wir am Intro-Stand noch Autogramme schreiben. Da dachte ich: 'Ich bin nicht so, ich will mich nicht mit den Leuten unterhalten.' Gleichsam halte ich mich für relativ freundlich, aber ich bin nicht der Typ, der jedem um den Hals fällt und sagt: 'Ja, super, laß uns noch ein Bier trinken gehen.' Das wäre nur geheuchelt, und das wäre dann nur noch falsch."

Tocotronic
Überhaupt hat Dirk so seine Probleme, das ganze Drumherum des Fanseins zu verstehen. "Ich sehe dieses ganze Fantum sehr ambivalent. Einerseits ist es natürlich total toll, wenn es so etwas gibt, und es wäre kokett zu sagen, daß uns das nicht auf eine bestimmte Art stolz machen würde. Allerdings liegt im Wesen des Fantums etwas extrem Belastendes, weil es den Künstlern keinen Freiraum läßt. Bei den eigenen Sachen spüre ich das noch nicht einmal so, eher bei den Leuten, von denen ich selber Fan bin. Zu dem Filmemacher Dario Argento gibt es zum Beispiel unzählige Websites von Horrorfilm-Nerds, und da ist der Diskurs immer so: 'Ach, die alten Filme sind ja so toll!' Ich finde das sehr belastend, weil man daran ja nicht denken darf beim Aufnehmen, sonst macht man wie Die Toten Hosen jedes Mal wieder ein Lied über's Saufen, weil man denkt: 'Unsere Fans wollen das'. Das ist so schrecklich! Das finde ich im Endeffekt viel kommerzieller als Shakira oder Britney und so, die bedienen eine abstrakte Menge. Aber wenn man gezielt versucht, einen bestimmten Fankreis zu erreichen und denen immer wieder die Inhalte liefern will, die sie von dir hören wollen, dann ist man Dienstleister wie der Kellner, der einem im Lokal das Essen bringt."

Und genau deshalb gilt auch für die Zukunft: Egal was kommt, sicher ist, es ist einfach Tocotronic. Einfach großartig!

Weitere Infos:
www.tocotronic.de
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Pressefreigaben-
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