Nein, dass in ihrem Heimatland eine düstere Stimmung herrschte, während Phoenix in monatelanger Kleinarbeit an ihrem sechsten Album feilten, merkt man der neuen LP nun wirklich nicht an. "Ti Amo" ist passend zum Titel die wohl bislang romantischste Platte der Franzosen, auf der sie in geschmeidigem Midtempo herrlich weichgezeichnete Tanzmusik zelebrieren, die bisweilen ein wenig an ihre Landsleute M83 erinnert und Sorgenfreiheit jenseits aller Alltagsprobleme suggeriert. Als Realitätsflucht möchte die Band die Platte allerdings explizit nicht verstanden wissen. "Wir sind das Album ohne Plan angegangen", erklärt Christian. "Die Idee war, so frei wie möglich zu agieren. Ein Jahr lang haben wir unseren Emotionen einfach freien Lauf gelassen, bis sich diese betont farbenfrohe Musik herausschälte. Das hatten wir auch nicht erwartet!"
Dabei sehen sich Phoenix mit dieser Herangehensweise durchaus in guter Gesellschaft. "Schau dir doch nur mal Serge Gainsbourg an", sagt Christian. "Da verließ ihn mit Brigitte Bardot die schönste Frau der Welt, und obwohl er unglaublich niedergeschlagen war, schrieb er zu der Zeit seine heitersten Pop-Songs. Als er dagegen mit Jane Birkin und seinen Kindern so glücklich wie nie zuvor war, schrieb er sein traurigstes Lied überhaupt, 'Je Suis Venu Te Dire Que Je M'En Vais'… Das ist vermutlich so ein Franzosen-Ding!" Doch obwohl Phoenix durch und durch französisch sind, haben sie sich als Setting für ihr unbeschwertes Sommeralbum Italien ausgesucht und nicht etwa einen Ort vor der eigenen Haustür. "Es hätte genauso gut auch Südfrankreich oder Spanien sein können - jeder Ort, an dem der Sommer endlos zu sein scheint", glaubt Christian. Das Gefühl, um das es Phoenix ging, war die leichte Melancholie, die sich einstellt, wenn der Sommer unwiderruflich zu Ende geht und man als Teenager nicht so recht weiß, ob man nun glücklich oder traurig sein soll.
Bis es der Band gelang, diese bittersüße Stimmung einzufangen, gingen viele Monate ins Land, denn einfach ein bekanntes Erfolgsrezept zu wiederholen, hat für Phoenix noch nie funktioniert. "Ich weiß auch nicht, woran das liegt, aber wir müssen bei jeder Platte wieder bei null anfangen und eine ganz neue Herangehensweise finden", gesteht Christian. Seit 20 Jahren praktizieren Phoenix das inzwischen erfolgreich, und bisweilen führt sie das an ungewöhnliche, ja, auf den ersten Blick sogar unpassende Orte. So spielten die vier auf ihrer Sommertournee in den USA in Nashville ausgerechnet im altehrwürdigen Ryman Auditorium, die durch die von dort ausgestrahlte berühmte Radiosendung "Grand Ole Opry" unzertrennlich mit der Bluegrass- und Countrymusik des amerikanischen Südens verbunden ist. Hank Williams, Patsy Cline oder die Carter Family traten hier einst auf. Doch Phoenix hatten gar nicht das Gefühl, dort fehl am Platze zu sein, wie Christian erklärt: "Ich kann immer noch nicht recht glauben, dass wir dort spielen durften, und natürlich fühlte es sich ein bisschen seltsam an, aber als wir 16 waren und gerade anfingen, haben wir viele, viele Hank Williams-Lieder gecovert. Deshalb passte es irgendwie doch."