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RHIANNON GIDDENS
 
Aus der Geschichte lernen
Rhiannon Giddens
Eine wirklich bemerkenswerte Karriere hat die studierte Opernsängerin, Multi-Instrumentalistin, Performerin und Songwriterin Rhiannon Giddens im Laufe der letzten ca. 15 Jahre absolviert. Zwar tritt sie als Solo-Künstlerin unter eigenem Namen erst seit 2014 in Erscheinung - es gibt da aber eine lange Vorgeschichte: Die Dame aus Greensboro, North Carolina, begann ihre musikalische Laufbahn zunächst mit einer für amerikanische Musiker eher atypischen Ausrichtung - indem sie sich nämlich für gälische Musik interessierte und mit den Projekten Gaelwynd und Sankofa Strings sich auch in dieser Richtung betätigte. Das wirkt bis heute nach, denn Rhiannon lebt mit ihrem irischen Gatten Michael Laffan und der gemeinsamen Familie teilweise im irischen Limerick. Aus den Sankofa Strings ging jene Grammy-prämierte Band hervor, mit der Giddens dann der kommerzielle Durchbruch gelang: Den Carolina Chocolate Drops. Seit 2013 arbeitete Rhiannon dann auch unter eigenem Namen - zunächst für die Coen Brothers anlässlich des Filmes "Inside Llewyn Davis" bei dem Konzert-Showcase "Another Day Another Time", dann bei dem Projekt "Lost On The River: The New Basement Tapes", bei dem sie und Gleichgesinnte ungenutzte Dylan-Songs musikalisch ins Leben riefen. Schließlich erschien 2014 das von ihrem langjährigen musikalischen Mentor T-Bone Burnett produzierte Solo-Album "Tomorrow Is My Turn", auf dem sich Rhiannon überwiegend mit der Neu-Interpretation von Traditionals beschäftigte. Auftritte in Europa - unter anderem bei Jools Holland und der BBC sowie ein Auftritt im Weißen Haus bildeten neue Höhepunkte in Rhiannons Laufbahn, bevor sie schließlich in der fünften Staffel der US-Serie "Nashville" auch als Schauspielerin ihre Debüt gab. Nun liegt ihr zweites Solo-Album "Freedom Highway" vor, auf dem sie sich zwar wieder mit traditionellen Musikformen beschäftigt - sich aber auch verstärkt als Songwriterin engagierte.
Auch was die Aufnahmen betraf, wählte Rhiannon dieses Mal einen für sie neuen Weg. "Ja, wir haben uns in dieses Haus in Breaux Bridge, Louisiana, zurückgezogen - ein altes Haus einer kreolischen Familie aus Bürgerkriegszeiten, in dem mein Produzent Dirk Powell das Wohnzimmer in dieses wunderschöne Studio verwandelt hat, in dem die Atmosphäre des Hauses noch deutlich zu erkennen ist und wir einen sehr naturalistischen Ansatz hatten. Wir haben - live im Studio - diese Energie erzeugt, in der jeder sein Bestes geben konnte und wir alle gemeinsam das Feeling einer echten Performance erzielen konnten." War die Umgebung denn ausschlaggebend für die Atmosphäre bei den Aufnahmen? "Oh ja", bestätigt Rhiannon, "Dick hat die Wände nicht verkleidet und man konnte anhand der Holzwände die Geschichte des Hauses nachvollziehen und auf sich wirken lassen. Man kann ja eigentlich überall Musik machen, aber wenn man etwas so Sensibles wie dieses Album erschafft, dann hilft es doch sehr, wenn man sich in einer Umgebung befindet, die emotional unterstützend wirken kann." Auch das Covermotiv gestaltete Rhiannon selbst. "Ja, das Foto hat mein Manager, John Peets, gemacht", erzählt sie, "wir haben es in Louisiana als Teil des DIY-Ansatzes des ganzen Albums aufgenommen. Ich habe das Make-Up selbst gemacht, die Kleidung ausgesucht, Dirk hat den Ort in der Nähe einer alten Zuckerrohr-Farm ausgesucht und John, der ein Hobby-Fotograf ist, hat das Foto geschossen. Das Ganze ist im Gemeinschaftsgeist des ganzen Albums entstanden und ich denke, der Geist des ganzen Projektes ist so auch erkennbar."
Woher kam dann das Thema "Freedom Highway" - was der Name eines Songs der Staples-Singers ist, den Rhiannon als Cover-Version mit auf das Album nahm. "Ursprünglich sollte das Album gar nicht 'Freedom Highway' heißen, sondern 'At The Purchasers Option' - was der erste Song auf dem Album ist - wir haben es dann aber in der letzten Minute geändert - und zwar nach den Wahlen in den USA. Denn das war dann der Titel, der mehr Hoffnung ausstrahlte und wir waren der Meinung, dass wir so etwas doch brauchen könnten. Ich bin auch dankbar, dass uns das eingefallen hat, denn - während der andere Titel auch geeignet gewesen wäre - habe ich doch das Gefühl, dass 'Freedom Highway' mehr in die Zukunft weist als auf das, was hinter uns liegt." Das heißt also, dass Rhiannon die Geschichte benutzt, um aufzuzeigen, was man davon lernen kann? "Das Problem ist, dass sich die Leute heute über das, was gerade passiert unterhalten, ohne eine Ahnung zu haben, was vorher passiert ist", erklärt Rhiannon, "wie soll denn so etwas auf eine intelligente Art möglich sein, wenn du nicht weißt, was in der Geschichte vorher passiert ist? Und die Musik gehört in jeder Beziehung dazu. Wenn du dir die populäre amerikanische Musik anhörst, dann wirst du feststellen, dass sich die immer damit beschäftigt, was gerade passiert - immer! Ich sehe mich einfach in dieser Verpflichtung jener Leute, die das kommentieren, was gerade vor sich geht. Wie zum Beispiel Barsänger, reisende Moritatensänger, Folkies. Weißt du - das ist doch ein Teil unserer Stellenbeschreibung."

Auch wenn Rhiannon auf "Freedom Highway" oft Sklavenschicksale zum Thema macht: Die Charaktere, über die Rhiannon in ihren Songs spricht, kommen keineswegs als Opfer rüber. "Nun ja, die Mehrheit der schwarzen Frauen waren in einer Zeit, in der wir nicht die afrikanisch-amerikanische Gesellschaft unserer Tage haben, sicherlich in einer Opferrolle", führt Rhiannon aus, "für mich ist es aber wichtig herauszuarbeiten, wie sich eine Kultur des Triumphs daraus entwickeln konnte. Denn das ist es, was am Ende dabei herauskam: Wir haben diese Zeiten triumphierend überstanden und nicht bloß irgendwie überlebt. Wir haben irgendwie an dem festgehalten, was wir waren und was unsere Kultur ausmachte und es geschafft diese Zeiten zu überstehen. Es ist dabei gar nicht so, dass ich ein Album über Überlebende machen wollte, die eben keine Opfer waren, sondern es war das, was diese Frauen selbst sagen wollten: 'Ja, ich habe das überstanden und nun werde ich nicht zurückstecken'. Eine andere Art von Energie kam so nicht mal ansatzweise zustande."

Rhiannon Giddens
Seit kurzem arbeitet Rhiannon ja auch als Schauspielerin - in der US-Fernsehserie "Nashville". Kann man die beiden Genres Schauspielerei und Musik denn miteinander verbinden? "Absolut", meint Rhiannon bestimmt, "es ist alles miteinander verbunden. Die Schauspielerei, wie auch die Art, in der ich die neue Scheibe gemacht habe, waren immer 'im Moment'. Man muss den Moment nutzen, sich leiten zu lassen. Das ist ein großer Teil dessen, was einen Künstler auszeichnet. Und das ist es auch, was eine Schauspielerin auszeichnet. Man muss immer präsent sein, immer im Moment sein und ich meine sogar, dass man gar nicht schauspielern kann, sondern man muss tatsächlich zu dieser anderen Person werden, die sich dann in diesem Moment präsentiert. Das sollte man generell tun: Sich im Moment präsent zeigen und nicht etwa dem Ego Platz zu lassen, denn das Ego zerstört oft alles. Es ist zwar wichtig zu wissen, was man zu tun hat und worum es geht - aber nicht das Ego zuzulassen, denn dann leidet die Kunst. Das lerne ich zur Zeit immer noch: Sich einfach selbst zurückzunehmen, und die Dinge passieren zu lassen, nämlich." Kann man denn auch als Performerin schauspielern? "Das ist eine interessante Frage", überlegt Rhiannon, "denn es ist nicht so, dass ich irgendwelche Charaktere verkörpere, wenn ich einen Song performe - aber jeder Song hat irgendwie seinen eigenen Geist, dem man sich als Performer unterwerfen muss. Jeder Song hat eine Geschichte, die erzählt werden möchte und die beste Art, das zu erreichen, ist, es einfach laufen zu lassen und eben nicht das eigene Ego einzubringen." Und wieder ein Mal gilt: Musik entwickelt zuweilen ein Eigenleben. "Das tut sie, ja", stimmt Rhiannon zu, "und die Inspiration auch. Und je mehr man zulässt, sich leiten zu lassen, desto besser wird das Ergebnis sein."

Was aber kontrolliert Rhiannon dann als Performerin, wenn sie sich in dieser Art führen lässt? "Das ist von Song zu Song unterschiedlich", berichtet sie, "nimm zum Beispiel das Stück 'At The Purchasers Option'. Dieser Song handelt von einer jungen Mutter, die als Sklavin in einer Werbung angeboten wurde, die den Zusatz trug, dass ihr neun Monate altes Baby als Option - nach dem Wunsch des Käufers - zur Verfügung stünde. Als ich diese Anzeige gelesen hatte, musste ich einfach einen Song darüber schreiben - und dieser quoll dann sozusagen aus mir heraus. Und dennoch musste ich einen Song aus diesen Ideen konstruieren. Man beginnt dann zwar ursprünglich mit der Inspiration, die dir zuweilen auch mal ganze Zeilen oder Refrains, aber so gut wie nie einen ganzen Song liefert. Dann aber bist du als Musiker und Handwerker an der Reihe. Ich musste also aus meinen Ideen einen Song basteln und entscheiden, wie ich das tun wollte - zum Beispiel wollte ich, dass es nicht einfach eine Geschichte aus der Vergangenheit sein sollte, sondern auch zu der Sklaverei Bezug nimmt, die heutzutage noch existiert. Man arbeitet also mit diesen Entscheidungen auf einer sekundären Ebene, denn der Kern des Songs wird dir eher gegeben - und du musst das dann handwerklich ausformulieren."

Wie ging Rhiannon die neue Scheibe denn musikalisch an? War das Ziel vielleicht, zur Moderne aufzuschließen? Nicht nur, dass Rhiannon erstmals eine konventionelle Rhythmusgruppe im Studio verwendete - es gibt ja sogar eine Funky Bläsersektion, HipHop- und Rap-Passagen. "Das ist aber eher einfach so passiert", meint Rhiannon, "wir wollten der Musik dienen und das ist dabei herausgekommen. Wir hatten diesen tollen Louis-Armstrong-artigen Trompeter aus New York, wir hatten den Songwriter Bhi Bhiman, der für mich oft Support gespielt hatte. Ich habe im letzten Jahr mit einer elektrischen Gitarre experimentiert und ich bin sehr angetan vom Klang eines Minstrel-Banjos von 1850, das ich viel gespielt habe - denn das war das erste amerikanische Instrument, das einen weltweiten Einfluss gehabt hat - wie später die E-Gitarre. Für mich gibt es da interessante Verbindungen auf einem kulturellen Level. Allerdings haben wir darüber nicht auf eine intellektuelle Weise nachgedacht, sondern einfach den Moment genutzt und die Dinge passieren lassen."

Wie sieht Rhiannon ihre musikalische Zukunft? "Ich weiß es gar nicht", räumt Rhiannon ein, "wenn du mich vor vier Jahren gefragt hättest, ob ich heute an dem Punkt sein würde, wo ich bin, hätte ich dich für verrückt erklärt. Ich würde sagen, dass ich einfach meiner Kunst folge und dem, was ich zu tun habe. Ich versuche, dafür offen zu sein, zuzuhören und dann einfach zu machen." Was ein Glück, dass es da die Kunst und die Inspiration gibt, die Rhiannon verlässlich leiten. Im März wird Rhiannon Giddens auf dem "Freedom Highway" auch bei uns auf Tour gehen.

Weitere Infos:
rhiannongiddens.com
www.facebook.com/RhiannonGiddensMusic
twitter.com/rhiannongiddens
www.instagram.com/rhiannongiddens/
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -John Peets-
Rhiannon Giddens
Aktueller Tonträger:
Freedom Highway
(Nonesuch Records/Warner Music)
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