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NADA SURF
 
"Es zählt nur, dass die Platte am Ende gut ist"
Nada Surf
Matthew Caws geht es blendend. Vor wenigen Tagen hat sich der Sänger und Gitarrist von Nada Surf verlobt und freut sich mit 48 Jahren auf seine erste Ehe. Jetzt sitzt er uns im Berliner Büro seiner Plattenfirma City Slang gegenüber und strahlt die Ruhe eines Mannes aus, der mit sich selbst im Reinen ist. Das hat auch auf das achte Werk seiner Band abgefärbt, das wohl nicht ganz zufällig "You Know Who You Are" heißt. Textlich setzt der inzwischen im englischen Cambridge heimische New Yorker den auf dem Vorgängeralbum "The Stars Are Indifferent To Astronomy" begonnenen Weg fort und lässt seine alten Kernthemen ein Stück weit hinter sich. Statt in poetischem Selbstmitleid zu baden, erzählt er inzwischen des Öfteren auch Geschichten ohne emotionalen Ballast oder widmet sich lieber den Problemen anderer, als immer nur die eigenen zu beleuchten.

Passend dazu haben sich auch musikalisch die Kräfte bei Nada Surf etwas verschoben: Mit dem früheren Guided By Voices-Gitarristen Doug Gillard haben Matthew, Bassist Daniel Lorca und Drummer Ira Elliot nach 20 Jahren als Trio nun auch ganz offiziell einen vierten Mann in der Band, der dem energiegeladenen Power-Pop Nada Surfs noch mehr Wumms verleiht und auch bei den ruhigeren Songs neue Perspektiven einbringt und mit seinem Faible fürs Psychedelische für ein breiteres Spektrum sorgt, ohne deshalb das Kind mit dem Bade auszuschütten. Bisweilen hat "You Know Who You Are" deshalb mehr von einem alten Freund, an dem man nach all den Jahren immer noch neue Seiten entdecken kann.

GL.de: Matthew, wenn du zurückblickst, wie zufrieden bist du nach 20 Jahren Nada Surf?

Matthew: Ich bin sehr zufrieden mit dem, was wir erreicht haben. Alles in allem haben wir länger durchgehalten und waren viel erfolgreicher, als ich das je erwartet hätte. Zwischendurch gab es ein, zwei Phasen, in denen es so aussah, als könnten wir vielleicht richtig durchstarten. In puncto Anerkennung oder Bekanntheit hätte mich das überhaupt nicht interessiert, aber finanziell wäre es natürlich schon schön gewesen. Abgesehen davon sind unsere Erwartungen weit übertroffen worden. Gerade musikalisch bin ich sehr zufrieden, vor allem jetzt, da Doug Gillard als zweiter Gitarrist ein vollwertiges Mitglied der Band ist. Damit steht die Band an einem musikalisch wirklich spannenden Punkt.

GL.de: Wie hat sich die Balance zwischen der Musik und eurem (Privat-)Leben über die Jahre verändert?

Matthew: Verändert hat sich eigentlich nicht viel, das Ganze ist vielmehr eine Wellenbewegung. Manchmal stürze ich mich wirklich auf die Arbeit an einer Platte, weil es einfach sein muss, damit wir keine Deadline verpassen und nicht eine Menge Menschen hängen lassen. Im Moment erfreue ich mich dagegen einer Phase ohne Termindruck, in der ich nicht viel schreibe und mich meines Lebens abseits der Musik erfreue. Ich habe mich ja gerade verlobt, und dass ich mein Leben so weit auf die Reihe bekommen habe, um jemandem einen Heiratsantrag zu machen - das ist nur in "Friedenszeiten" möglich gewesen.

GL.de: Auch wenn du sagst, es habe sich nicht viel verändert: Die Zeiten, in denen ihr nah beieinander oder sogar zusammen gewohnt habt, sind lange vorbei. Ein bisschen ist damit doch bestimmt auch die Gang-Mentalität weg, die gerade junge Bands anfangs umgibt, oder?

Matthew: Ja, das stimmt. Die Gang-Mentalität schalten wir heute ein und aus, sie ist nicht mehr permanent vorhanden. Um ehrlich zu sein: Ich vermisse die Zeiten schon ein wenig, in denen wir alle in der gleichen Stadt gewohnt haben und einen festen Proberaum hatten, in dem wir uns zwei-, drei-, viermal die Woche getroffen haben. Wir waren eine ziemlich hart arbeitende Band und das Ganze fühlte sich wie ein Club an, in dem wir gemeinsam abhängen konnten. Manchmal haben wir gar keine Musik gemacht und nur bei einem Bier gequatscht, und manchmal haben wir einfach eine Coverversion einstudiert. Das gemeinsame Musizieren hat mir immer eine Mordsenergie mitgegeben. Ich bin nach Hause gegangen und war ganz versessen darauf, den Song fertigzustellen, den ich als Fragment mit zur Probe gebracht hatte und den wir dann gemeinsam zum ersten Mal gespielt hatten. Manchmal passierten auch ganz verrückte Dinge. "Hyperspace" zum Beispiel habe ich in einem Taxi auf dem Weg zur Probe begonnen zu schreiben, weil ich hoffnungslos verspätet war und mir dachte, ich sollte besser nicht ohne neue Songidee dort aufkreuzen. Der Adrenalinschub hat dazu geführt, dass ich mir die Nummer auf dem Weg ausgedacht habe - nicht das ganze Lied, das war kein Wunder, aber genug, um einen Ausgangspunkt zu haben. Heute haben wir das nicht mehr und es ist viel einsamer. Heute Songs zu schreiben verlangt deshalb viel mehr Disziplin von mir. Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Das Gang-Gefühl ist immer noch da, aber es baut auf der Vergangenheit auf, wir fügen ihm heute nichts mehr hinzu.

GL.de: Auf der Platte gibt es gerade auch textlich einige neue Perspektiven. Früher hast du mehr über dich selbst geschrieben, heute schaust du auch des Öfteren über den Tellerrand. Ein Resultat dessen, dass du, wie eben bereits angedeutet, als Mensch heute viel mehr in dir ruhst?

Matthew: Sagen wir mal so: Angefangen habe ich damals mit Songs, die sich wirklich ausschließlich um meinen inneren Kampf oder meine Probleme in der Liebe drehten: Unsicherheit, fehlende Selbstdisziplin - darum ging es mir anfangs. Das sind natürlich universelle Themen, mit denen sich fast alle von uns früher oder später einmal beschäftigen. Nach unserer Cover-Platte "If I Had A Hi-Fi", bei der ich den Luxus genoss, von den Problemen anderer Menschen zu singen, was ich als sehr wohltuende Abwechslung empfand, kam ich bei unserem letzten Album, "The Stars Are Indifferent To Astronomy", an den Punkt, an dem ich feststellte, dass ich meine inneren Probleme nicht nur untersuche, sondern sie , wenn auch nicht absichtlich, in gewisser Weise sogar zelebriere. Das begann mich zu langweilen und deshalb richtete ich meinen Blick stärker nach außen. Im Moment ist es eine Mischung aus beidem. In mir rumort es immer noch, aber zum Glück ist das inzwischen konstruktiver und ich lerne, mich nicht zu lange mit Problemen aufzuhalten. Ich habe angefangen zu meditieren und dabei einen Weg gefunden, der mir wirklich hilft. Wenn du älter wirst, passiert irgendetwas in psychologischer Hinsicht. Dein Körper hat schon so viel ausgehalten, dass dein Gehirn dir sagt: Das wird schon, es besteht keine große Gefahr. Ich habe kürzlich mit einem Therapeuten gesprochen und er fragte: "Wie viele Tiger sieht du gerade auf dich zu rennen?", und ich konnte ehrlich antworten: "Nicht einen!"

GL.de: Ein schönes Beispiel für eine andere Perspektive auf der neuen Platte ist der Song "New Bird", in dem du gewissermaßen die Biografie deines Vaters beleuchtest.

Matthew: Ja, das stimmt. "New Bird" handelt von meinem Vater, der in einem fundamentalistisch-christlichen Kult in London aufwuchs. Als er geboren wurde, hätte man das wohl eher als Sekte bezeichnet, aber soweit es mich angeht, wurde daraus Mitte der 60er ein Kult, denn ab da war es verboten, Beziehungen oder auch nur Freundschaften mit Menschen außerhalb der Gruppe zu unterhalten. Die Leute waren anti-modernistisch, deshalb waren Zeitung und Radio verboten. Mein Vater wuchs während des Zweiten Weltkrieges auf, und während der Bombenangriffe verkrochen sich die Menschen in London - wie wohl auch in allen anderen vom Krieg betroffenen Städten - vor den Angriffen unter die Erde. Die Familie meines Vaters allerdings blieb an der Oberfläche, weil sie glaubte, dass sie auch dort überleben würde, wenn es nur Gottes Wille sei. Ich empfinde das fast schon als pervers und auf jeden Fall als grausam, gerade für junge Menschen. Wie kann man Menschen nur in solche Gefahr bringen und sie solche Angst erleiden lassen? Mein Vater hat dann das Vertrauen in diese Religion schon sehr früh verloren, wusste aber nicht wohin und blieb zunächst in London, bis er dann ein Stipendium einer wirklich tollen amerikanischen Universität erhielt und seiner Familie am Tag seiner Abreise eröffnete, dass er auch dem Glauben den Rücken kehren würde. Daraufhin haben sie ihn nicht mehr als Familienmitglied haben. Der Song handelt von seinem Weg und der Art und Weise, wie er damit umgegangen ist bzw. wie ich es über die Jahre als Teil seines neuen Lebens erlebt habe. Warum ich einen Song darüber geschrieben habe? Das weiß ich gar nicht so genau!

GL.de: Wir dachten, dass es vielleicht eine Verbindung zu deinem Plan gäbe, irgendwann mal deine Memoiren zu schreiben. In gewisser Weise könnte man den Song dann als Testlauf betrachten, oder?

Matthew: Ja, da hast du recht! Ich habe mir allerdings noch keine konkreten Gedanken gemacht, wie meine Memoiren aussehen könnten. Nur eines ist sicher: Es würde größtenteils um Musik gehen. Ich würde keine Autobiografie schreiben wollen, in der es viel um emotionale Sachen geht, auch wenn es mich beeindruckt, wenn andere das tun, vor allem Karl Ove Knausgård in "My Struggle" - das ist einfach unglaublich. Ich wäre nie in der Lage, über meine Gefühle für andere in dieser Art und Weise zu schreiben. Ich habe tagtäglich schon genug Angst davor, die Gefühle anderer zu verletzen, aber das ganze Auf und Ab auch noch schriftlich festhalten? Keine Chance! Es ginge also vor allem um Musik. Allerdings hätte ich auch genug Familiengeschichten, die ich erzählen könnte. Auch im Song "Ice On The Wing" habe ich das ja schon getan, da ging es um meinen Großvater mütterlicherseits, der auch eine echte Type war. Mein Ziel wäre es, und ich weiß nicht, ob das machbar ist, mein Ziel wäre es, ein Buch zu schreiben, in dem du bei den Familienerzählungen nicht weiterblätterst. Ich habe eine Menge Autobiografien gelesen, in denen es heißt: "Kapitel eins: Mein Urgroßvater", und du denkst nur: Ach du meine Güte, und es ist echt schwer, sich da durchzukämpfen. Ich würde gerne ein Buch schreiben, in dem das anders ist. Wenn mir das nicht gelingt, würde ich es wohl nicht veröffentlichen.

GL.de: Auch musikalisch gibt es Neuerungen. Erstmals hast du Songs mit jemand anders geschrieben. Gerade "Rushing" (entstanden zusammen mit Adele-Songwriter Dan Wilson) ist die Art von Lied, das im ersten Moment fast schon zu zuckersüß ist, bis man eine Woche später merkt, dass der Refrain so unwiderstehlich ist, dass man ihn gar nicht mehr aus dem Kopf kriegt...

Matthew: Ich frage mich manchmal, ob Eingängigkeit die Ernsthaftigkeit verschleiert. Ich habe definitiv schon Songs geschrieben, in denen es nicht wirklich um etwas geht, bei dem die Freude an einem guten Reim im Vordergrund stand, aber "Rushing" - das ist ein richtiger Song, und die Strophen gehen mir persönlich sehr nahe, weil sie so ehrlich sind. Weil Dan Wilson ein echtes Pop-Genie ist, bekommt man fast das Gefühl, dass man dem Text nicht trauen kann, weil die Musik so eingängig ist. Denn wenn ein Song auf Hochglanz poliert ist, überhört man leicht den Inhalt.

GL.de: Ursprünglich habt ihr die Nummer gar nicht für Nada Surf geschrieben, richtig?

Matthew: Eigentlich wollte ich, dass "Rushing" von einer Frau gesungen wird, weil ich der Meinung bin, dass der Aspekt des Körperbewusstseins bzw. das Fehlen desselben nicht überzeugend rüberkommt, wenn der Text von einem Mann gesungen wird. Natürlich ist auch der Druck auf Männer gestiegen, fit zu sein, gut auszusehen und tolle Klamotten zu tragen, weil heute so viele Fotos gemacht werden wie nie zuvor und jeder mit jedem verglichen wird, aber das Thema Körperbewusstsein ist bei Frauen nun mal noch viel akuter.

GL.de Es scheint, als falle es dir und euch nach all den Jahren leichter, Einflüsse von außen zuzulassen?

Matthew: Ja, und ich hoffe, dass unsere Hörer nicht das Vertrauen in uns verlieren, wenn ich das in einem Interview zugebe. Ich finde, es ist wichtig, bei seiner Arbeit offen zu sein und keine Angst davor zu haben, Kritik anzunehmen oder sich selbst zu kritisieren. Es gibt auch eine Haltung, mit der ich mich selbst nicht identifizieren kann, bei der jemand sagt: Ich bin an der Meinung Außenstehender nicht interessiert, weil sonst die Songs nicht mehr vollkommen repräsentativ für mich und meine Gefühle sind. Aber das ist mir ehrlich gesagt schnuppe. Es zählt nur, dass die Platte am Ende gut ist. Natürlich geht mir das nach all der Zeit leichter über die Lippen. Bei unserer ersten Platte hätte ich darüber vielleicht noch anders gedacht. Das erinnert mich an eine Begebenheit kurz vor den Aufnahmen unseres ersten Albums. Ich saß bei einem Guided By Voices-Konzert im Beacon Theatre in New York oben im Rang und drei Reihen hinter mir zu meiner Linken sah ich Steve Wynn, der früher bei Dream Syndicate gespielt hat, die ich erstmals im Vorprogramm von R.E.M. am gleichen Ort gesehen hatte. Ich ging zu ihm und stellte mich vor. Wir unterhielten uns ein wenig und er war wahnsinnig nett. Er sagte, dass er gerne hören würde, wie wir klingen, und gab mir seine Adresse. Also schickte ich ihm eine Cassette mit den Songs von "High/Low", bevor wir die Platte aufnahmen, und ich ließ ihn wissen, dass ich nervös wegen des bevorstehenden Studiotermins war, und er antwortete mit einem wirklich, wirklich netten und sehr hilfreichen Brief. Er schrieb: "Mir gefällt, was ihr macht. Denke im Studio daran: Es ist euer Album. Ihr müsst es so aufnehmen, wie euch das vorschwebt. Letztlich seid ihr die Einzigen, denen es wirklich wichtig ist, und es muss vor allem euch gefallen." Was ich damit sagen will: Damals habe ich das gebraucht, heute ist es anders.

GL.de: Letzte Frage: Was macht dich als Musiker derzeit am glücklichsten?

Matthew: Ich freue mich auf die kommende Tour. Konzerte sind gut für mich, psychologisch wie physiologisch, denn auch wenn ich bei den ersten paar Songs vielleicht nervös bin, erreiche ich doch irgendwann einen Zustand der Gnade, in dem ich aufhöre zu denken und einfach mache. Dann fühle ich mich gut und sicher und nützlich. Ich schätze mich glücklich, das zu haben!

Weitere Infos:
www.nadadsurf.com
www.facebook.com/NadaSurf
twitter.com/nadasurf
soundcloud.com/nadasurf
de.wikipedia.org/wiki/Nada_Surf
Interview: -Simon Mahler-
Foto: -Bernie Dechant-
Nada Surf
Aktueller Tonträger:
You Know Who You Are
(City Slang/Universal)
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