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TURIN BRAKES
 
Ein Leben in der Illusion
Turin Brakes
Als die Turin Brakes Ende der 90er Jahre aus dem Ei krochen, taten sie das in Form eines akustisch agierenden Songwriter Duos - an der Speerspitze eines Hypes, der sich weiland New Acoustic Movement nannte. Was Olly Knights und Gale Paridjanian damals wohl nicht haben ahnen können, ist dass sie heute - sieben Studio-Alben und insgesamt 11 Releases später - immer noch dabei sind, während das New Acoustic Movement - inklusive mancher weiland angesagter Protagonisten - schon lange den Weg aller Musik-Hypes gegangen ist und - mehr noch - von einer weiteren akustischen Bewegung, bei der ähnlich situierte Acts auftauchten, abgelöst wurde, deren Protagonisten - von Mumford & Sons bis zu den Milk Carton Kids - inzwischen auch schon zum Establishment gehören.
Mal ehrlich: Was das zu erwarten gewesen bzw. gar geplant? "Ich kann mich an eine Unterhaltung mit unserem ersten Manager erinnern, in der es darum ging, dass wir eine '10 Alben Band' sein sollten", erinnert sich Olly, "was damals zu weit weg war, um sich das ernsthaft vorstellen zu können, aber im Rückblick eröffnet, welche Kraft solche Pläne und Ziele haben können. Ich mag jedenfalls immer schon Musiker, denen man über einen langen Zeitraum oder sein ganzes Leben folgen kann, wie Joni Mitchell oder sogar Radiohead." - "Ich glaube nicht, dass wir ernsthaft daran dachten, mal sieben Alben aufzunehmen", dämpft Gale den Enthusiasmus, "genau genommen fallen mir gar nicht so viele Bands ein, die das geschafft haben. Gibt es Led Zeppelin 7? Ich weiß es nicht."

Was hat sich denn im Laufe der Zeit verändert oder ist gar gleich geblieben? "Als wir 1999 unser erstes Album in Ray Davies Konk-Studio aufnahmen, redete jemand von diesen erstaunlichen neuen 'Pro Tools', brachte einen Computer mit ins analoge Studio und versuchte den ganzen Tag, das Zeug zu installieren, bevor er schließlich aufgab", erzählt Gale, "heutzutage hat sich die Technologie umgekehrt und es ist tatsächlich schwierig, ein analoges Studio mit Bandmaschinen zu finden. Aber dieser Prozess hat sich über die ganze Gesellschaft erstreckt - egal was man macht. Und als wir anfingen, habe ich mindestens 100 Pfund im Monat für Musik ausgegeben. Ich war immer hungrig auf neue Musik und der einzige Weg, da ranzukommen, war der, am Wochenende neue CDs zu kaufen. Das hat sich offensichtlich geändert und ich denke, dass die Leute heutzutage entweder nach neuen Wegen suchen, Geld mit Musik zu machen oder akzeptieren, dass das ganz schön schwierig ist oder einfach machen, was sie lieben ohne viele Fragen zu stellen. Das ganze Business hat sich verändert, obwohl immer noch viel in neue Acts, Musik und Sounds investiert wird. Man kann heutzutage aber Millionen von Fans ohne Plattenvertrag haben." - "Ich denke, dass der Drang, Musik zu machen, immer noch derselbe ist, wie seit Tausenden von Jahren", wirft Olly ein, "nur das Geschäftsmodell etwas zu verkaufen und zu konsumieren hat sich als ziemlich fließend erwiesen. Ich glaube aber, dass das Streamen die Zukunft ist, nachdem wir den Tod von Kassetten, CDs, MP3s und die Wiedergeburt des Vinyl hinter uns haben. Allerdings scheinen die Labels weniger daran interessiert zu sein, Künstler zu betreuen und zu entwickeln. Wenn man kurz und hell auflodern will, dann ist ein Major Deal akzeptabel, aber wenn man sich als Künstler langfristig entwickeln möchte, dann sind Indies oder etwas anderes besser. Das war schon immer so - ist aber heutzutage extremer."

Turin Brakes
Das neue Album beschäftigt sich inhaltlich - was nicht weiter erstaunlich ist - mit verlorenen Besitzständen im weitesten Sinne. Es gibt darauf einen relativ langen, psychedelisch anmutenden und auch leicht epischen Track namens "Black Rabbit", der ein wenig aus dem Rahmen fällt und deswegen das Kernstück des Albums darstellt. Es handelt sich dabei aber keineswegs um einen Gegenentwurf zu Jefferson Airplanes "White Rabbit", wie Olly erläutert: "Es geht da um ein wundervolles Buch namens 'Watership Down', das von einer Gruppe von Kaninchen handelt, die vor der menschlichen Zivilisation, die deren Land und Art bedroht, fliehen." (Dieses Thema wurde bei uns durch den auf dem Buch basierenden Zeichentrickfilm gleichen Namens bekannt, zu dem weiland Art Garfunkel den Titelsong vortrug.) "Das 'schwarze Kaninchen' ist dabei ein Geist, der die Kaninchen am Ende ihres Lebens abholt. Es ist ein wenig furchteinflößend, aber auch sehr schön. Ich betrachte den Song fast als schwarzen Humor", führt Olly weiter aus, "die Frage, die am Ende des Songs gestellt wird, ist 'are we gonna make it - werden wir es schaffen?'. Die Antwort des 'Black Rabbit' ist dabei: 'Wahrscheinlich eher nicht.' Wir singen in dem Song am Ende über acht Milliarden Menschen, die irgendwie ernährt werden müssen und die am Ende zu Sonne segeln, so als ob die Erde evakuiert werden müsste. Am Ende warten wir doch alle auf den 'Black Rabbit' - wie die Kaninchen in dem Buch. Diese Vorstellung ist düster, aber auch schön." In der Info zum Album heißt es, dass es auf diesem auch um die "täuscherische Seite der Realität" geht. Was ist denn das genau? Eine Illusion vielleicht? "Ja, es ist eine Illusion", ist Gales Meinung, "das ist die Schnittstelle, an der die Realität auf unkonkrete, unwissenschaftliche aber tatsächlich sehr reale Ereignisse, Räume und Emotionen trifft." Diese Einschätzung teilt auch Olly: "Also wenn du es dir genau überlegst, dann leben wir doch die meiste Zeit unseres Lebens in einer Art Illusion - mit einem Fuß in der möglichen Zukunft und einen in der Vergangenheit. Wir positionieren uns so jeden Morgen neu und glauben und verhalten uns - vielleicht fälschlich - so, als wäre das alles objektiv und real. Es ist ziemlich lustig und ein wenig verrückt, wenn du das mal in Betracht ziehst."
Turin Brakes
Musikalisch besitzt das neue Album einen echten Band-Sound. Sind die Turin Brakes denn heutzutage eine Band? "Also ich sehe uns tatsächlich als eine vierköpfige Band mit einem Duo in der Mitte", beschreibt es Olly, "wir arbeiten gerne als Band. Rob und Edd sind dabei mächtig dafür verantwortlich, wie und warum die Turin Brakes immer noch so stark sind. Sie haben beide mit uns zusammen auf der ersten Scheibe angefangen und wissen genauso gut wie wir, um was es bei den Turin Brakes geht. Manchmal sogar besser als Gale und ich, weil wir - durch den Druck der Historie bedingt - manchmal betriebsblind sind." Das neue Album enthält dabei das beste Songwriting der Band bis Dato. Hat sich eigentlich bei dem Prozess des Lieder Schreibens etwas verändert? "Also normalerweise mag ich es, einen Song aus meinem eigenen, kleinen, persönlichen Blickwinkel anzufangen - wie wir es immer bei den Turin Brakes gehandhabt haben", erläutert Olly seine Präferenz, "am Wichtigsten ist es mir aber - wenn ich denn etwas habe -, es zu Gale zu bringen. Dann unterhalten wir uns darüber und gehen damit zu Rob und Edd…" - "Ja - damit die uns sagen, ob wir verrückt geworden sind und - falls das nicht der Fall ist - ihren Senf dazu geben können", fügt Gale hinzu, "wir haben ja schon so lange zusammen gearbeitet, dass die am besten erraten können, was zu unserem Stil passt und was nicht." Olly hat noch einen Gedanken: "Ja, und dann behalten wir die Songs, die wir gerne spielen und parken diejenigen, die nicht dazu gehören."

Das Ganze hört sich dann in der fertigen Form ziemlich mühelos an. Was ist denn dabei die Herausforderung? "Also es ist grundsätzlich immer eine Herausforderung, etwas zu schreiben, das jeder verstehen und genießen kann", überlegt Gale, "oder wenn es vielleicht nicht jeder unbedingt verstehen kann, dann sollte er doch fühlen können, dass es echt ist und dazu einen Bezug aufbauen können." - "Heutzutage ist es für mich schon leichter, etwas in Gang zu setzen", räumt Olly ein, "ich kann zum Beispiel fühlen, wann etwas wert ist, fertig gestellt zu werden und wann nicht. Ich denke, dass die Herausforderung dabei darin besteht, das Erbe der Band in Betracht zu ziehen - und dennoch neue Elemente einzubringen, ohne sich dabei von uns selbst oder unseren Fans zu entfremden. Wir können schließlich nicht immer wieder das selbe Album machen, aber wir wissen auch, dass die Leute nicht wirklich abstrakten Jazz oder Dubstep von den Turin Brakes hören wollen." Der Sound des neuen Albums klingt dabei frisch und unverbraucht. War es den Turin Brakes wichtig, dieses Mal wieder mit einem Pop-Produzenten wie Ali Staton zusammen zu arbeiten (im Gegensatz zu einem Traditionalisten wie zum Beispiel Ethan Johns)? "Ja, wir wollten mit Ali zusammen arbeiten, um eine gewisse Konsistenz zu bewahren. Wir hatten schon mal mit ihm an dem Album 'We Were Here' gearbeitet, mit dem wir sehr zufrieden waren und wollten uns zusammen weiter entwickeln. Er hat schon diese ganzen Old-School-Fertigkeiten und versteht genau, wie wir uns ein fertiges Album vorstellen - und kann die Ambitionen der Songs mit dem Sound in Einklang bringen", sagt Olly und Gale ergänzt noch: "Wir haben uns bemüht, so oft wie möglich 'Ja' zu mehr Optionen zu sagen. Es ging uns darum, vielleicht nicht ganz so clever sein zu wollen wie in der Vergangenheit. Ich würde jetzt auch gar nicht sagen, dass es ein richtiges Pop-Album geworden ist, aber es klingt definitiv anders als zum Beispiel unsere erste Scheibe." Dabei kann man gar nicht mehr sagen, woher die Scheibe klanglich kommt. "Meinst du das Entstehungsland?", fragt Olly, "wir mögen es nicht, irgendwie nach einem bestimmten Herkunftsland zu klingen. Es geht uns darum, zeitlos und geographisch unspezifisch zu agieren. Immerhin kommen wir ja alle vom Planeten Erde - und darum geht es ja." - "Ja, ausgehend von der Idee einer vierköpfigen Band wollten wir den Sound eines großen Universums erzeugen - anstatt einfach den von vier Jungs in einem Raum", fällt Gale noch ein, "und dieses Mal ging es uns auch nicht darum, uns von Pro Tools fernzuhalten. Wir wollten modern klingen und mit zeitgemäßen Geschmacksempfindungen mithalten können."

Wie geht es denn musikalisch mit den Turin Brakes weiter? Da sind die Auffassungen ja wohl eher unterschiedlich. Gale meint zum Beispiel: "Ich habe viele verschiedene musikalische Träume und Visionen. Praktisch alles, was ich höre und mag, möchte ich auch selbst machen: Chöre, Trommeln, verschiedene Kulturen, diverse Abstufungen von Rock-Musik, akustische Virtuosität - was immer dir einfällt: Ich träume davon!" Olly sieht die Sache nüchterner: "Ich persönlich habe es aufgegeben, allzu viele Ziele für die Turin Brakes zu definieren. Alle paar Jahre mag ich es, festzuhalten, an welchem Punkt wir uns gerade befinden. Das ist dann für mich so, wie klangliche Zeitkapseln zurückzulassen, die wir dann später selbst wieder entdecken können." Letztlich stellen die Turin Brakes übrigens ein gutes Beispiel dafür da, wie man sich als Musiker heutzutage positionieren kann - jenseits des Hypes und des reinen Geschäftsmodelles Musik und konsequent und aufrichtig den eigenen Weg verfolgend. Dass so etwas nicht ohne Ausdauer und Mühen möglich ist, ist dabei schon klar. Es macht aber auch Hoffnung darauf, dass sich die Musiklandschaft - trotz veränderter Rahmenbedingungen - doch nicht so schnell im kommerziellen Nichts auflösen wird.

Weitere Infos:
turinbrakes.com
www.facebook.com/turinbrakes
twitter.com/turinbrakes
www.youtube.com/user/theturinbrakes
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ben Gold-
Turin Brakes
Aktueller Tonträger:
Lost Property
(Cooking Vinyl/Indigo)
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