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COURTNEY BARNETT
 
Das Besondere im Alltäglichen
Courtney Barnett
"Der ideale Job für mich wäre, Kartons für die Post in einem Scheißkeller zu packen oder um Mitternacht Supermarktregale aufzufüllen", gestand Courtney Barnett kürzlich einem amerikanischen Schreiberkollegen. Doch aus der einsamen Einzelgänger-Karriere wurde nichts für die 27-jährige Australierin. Stattdessen ist die schüchterne Dame aus Melbourne derzeit der absolute Shooting-Star des Indierock, denn kaum jemandem gelingt es besser als ihr, das Tiefgründige in den Banalitäten des Alltags aufzuspüren. Wenn sie auf ihrem "Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit" betitelten Debütalbum mit verschrobenem Humor und bissig-wortgewandten Zeilen das Leben in der Vorstadt verteufelt, von Schwimmbadbesuchen oder von Heuschnupfen singt, dann erinnert ihr lässiger Sprechgesang ein wenig an Bob Dylan, während ihr wunderbarer australischer Akzent dafür sorgt, dass sie dennoch stets sie selbst bleibt.
Mit zwei EPs - letztes Jahr zusammengefasst zum Doppelalbum "A Sea Of Split Peas" - startete 2013 ihr unerwarteter Siegeszug. Gerade stand sie noch auf kleinen Bühnen in ihrer Heimat auf dem fünften Kontinent, doch plötzlich fand sie sich in der amerikanischen "Tonight Show with Jimmy Fallon" vor einem Millionenpublikum wieder und hatte Auftritte bei hochkarätigen Riesenfestivals wie Coachella an der US-Westküste oder Primavera in Spanien - von allenthalben ausverkauften Auftritten in gar nicht einmal so kleinen Clubs und Theatern rund um den Globus und YouTube-Videos mit siebenstelligen Zugriffszahlen ganz zu schweigen. Richtig geheuer ist Courtney der ganze Rummel um ihre Person allerdings immer noch nicht. Natürlich weiß sie, dass Klappern zum Handwerk gehört, aber mehr als eine Pflichtaufgabe sind Gespräche mit Journalisten jeglicher Couleur nicht für sie. "Reden ist einfach nicht meine Stärke. Ich bin in Interviews manchmal etwas trottelig und vergesse zum Beispiel mitten im Satz ein Wort, weil ich schnell den Faden verliere. Beim Schreiben kann ich mich viel besser ausdrücken, weil ich da die Zeit habe, wohlüberlegte Sätze zu formulieren", stellt sie gleich zu Beginn unseres Gesprächs vor ihrem famosen Auftritt im Heimathafen Berlin klar.

Dabei entstehen dann wahnsinnig detailverliebt geschilderte Geschichten wie "Elevator Operator" über den 20-jährigen Oliver Paul, der eines Morgens in der Straßenbahnlinie 96 sitzt und auf dem Weg zur Arbeit - allein der Gedanke an den Computer auf seinem Schreibtisch macht ihn schon krank - kurzerhand beschließt, heute blau zu machen und stattdessen die Verspätungsminuten der Züge zu zählen, sich auf die Wiese zu setzen und Pyramiden mit leeren Coladosen zu bauen, bevor er vom titelgebenden Fahrstuhlführer, der ihn anschließend auf das Dach des Nicholas-Hochhauses bringt, fälschlicherweise für einen Selbstmordkandidaten gehalten wird, dabei will er doch eigentlich nur den Kopf freikriegen und sich vorstellen, "SimCity" zu spielen...

Doch so sehr ihre Songs auch mit Namen, Orten und oft auf den ersten Blick unwichtig erscheinenden Einzelheiten gespickt sind - überladen wirken sie nie. Wie entscheidet Courtney, welche Details nötig und welche verzichtbar sind? "Das schält sich mit der Zeit einfach heraus. Einige der Songs waren an einem gewissen Punkt so umfangreich, dass ich eine Menge wieder rauswerfen musste", erinnert sie sich. "Was raus muss, ist an einem bestimmten Punkt offensichtlich. Ich mag die Details, weil ich gerne sozusagen das komplette Bild male, damit sich die Hörer wirklich in die Situation hineindenken können. Trotzdem ist mir auch wichtig, dass dabei kein 20-Strophen-Wust herauskommt."

Obwohl ihre Songs oft von Melbourner Lokalkolorit durchsetzt sind, sind die Gedanken dahinter doch in aller Regel universell. Es ist also gar nicht zwingend wichtig, jede Anspielung zu verstehen, um der Aussage des Songs folgen zu können. "Ich denke, dass sich der Inhalt aus dem Zusammenhang ergibt", stimmt Courtney zu. "Auch wenn man nicht weiß, was der Hume Highway zwischen Sydney und Melbourne ist, kann man sich denken, dass es sich um eine Schnellstraße handelt. Außerdem kann es ja auch Spaß machen, nach den Sachen zu forschen, die man nicht kennt. Die Texte sind so mit Details vollgestopft, dass man bei jedem Hören an etwas anderem hängen bleiben kann. Manchmal geht selbst mir das so. Dann entdecke ich Doppeldeutigkeiten, die mir selbst zuvor gar nicht klar waren. Das Ganze ist ein fortwährendes Mysterium."

Kein Geheimnis ist dagegen, dass Courtney Spontaneität schätzt. Ihre Songtexte vollendet sie oft erst kurz vor anstehenden Aufnahmesessions, und bei der Musik ist es ihr wichtig, die Energie des Moments einzufangen. Anstatt die Stücke ihrer fantastischen ersten LP mit ihren Mitstreitern Bones Sloane und Dave Mundie an Bass und Schlagzeug vor dem Studiotermin ausführlich zu proben und bis ins Letzte auszutüfteln, wählte Courtney den entgegengesetzten Weg. "Wir haben die Platte in gerade einmal zehn Tagen aufgenommen und ich habe den Jungs die Songs erst ganz kurz vorher gezeigt", erinnert sie sich. "So sehr ich es mag, die Lieder an sich und die Art und Weise, wie ich sie singe, zu perfektionieren - bei den Aufnahmen im Studio beschränke ich mich gerne auf das Nötigste und setze auf Live-Charakter - und dann wende ich mich der nächsten Nummer zu."

Anders als auf den vorangegangenen EPs ist das musikalische Spektrum auf dem Album etwas weniger facettenreich, doch die Konzentration auf lebhaften 90s-Indierock mit Grunge- und Slacker-Pop-Vibe sorgt dafür, dass "Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit" wie aus einem Guss klingt. "Ich denke, das liegt einfach daran, dass wir zusammen jetzt schon eine ganze Weile unterwegs sind. Das hat uns zu einer ziemlich festen Einheit gemacht", erklärt Courtney die klangliche Fokussierung. "Die EPs waren ja ziemlich querbeet. Die Stücke darauf wurden zu unterschiedlichen Zeiten mit verschiedenen Freunden an allen möglichen Orten unter allen erdenklichen Umständen - bisweilen sogar zu Hause - aufgenommen. Da mussten wir zum Beispiel extra leise spielen, damit das Mikro für die Gitarre nicht auch noch was vom Schlagzeug aufnahm. Im Vergleich dazu waren die Studioaufnahmen für das Album natürlich etwas völlig anderes, es herrschte ein ganz andere Energie."

Dass Courtney erst mit 26, 27 der große Durchbruch gelungen ist, ist ohne Zweifel ein Glücksfall für sie. Die Gefahr, verheizt zu werden, wie es vielen Musikern geht, die bereits im Alter von 17 oder 18 Jahren ins Rampenlicht gezerrt werden, besteht für sie nun Gott sei Dank nicht mehr. Eine bewusste Entscheidung war das Hinauszögern der Karriere allerdings nicht. "Es ergab sich einfach so, dass die Dinge erst jetzt richtig ins Rollen kamen", gesteht sie. "Vielleicht hat mich zuvor die Sorge, nicht gut genug zu sein, und die Angst, dass mir sowieso niemand zuhören würde, etwas zurückgehalten. Irgendwann auf meinem Weg habe ich dann genug Selbstvertrauen gesammelt, sei es durch Alter oder Spielpraxis, und habe mir gesagt: 'Scheiß drauf, wen interessiert's? Ich werde Musik schreiben und sie veröffentlichen, ganz egal, was die Leute davon halten mögen.'"
Weitere Infos:
courtneybarnett.com.au
www.facebook.com/courtneybarnettmusic
en.wikipedia.org/wiki/Courtney_Barnett
twitter.com/courtneymelba
instagram.com/courtneymelba
courtney-barnett.tumblr.com
Interview: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Pressefreigabe-
Courtney Barnett
Aktueller Tonträger:
Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit
(Kobalt/Rough Trade)
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