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THEA GILMORE
 
Die Lügenfängerin
Thea Gilmore
Zunächst sah alles so aus, als solle Thea Gilmore karrieremäßig der Durchmarsch gelingen: Bereits zu Beginn ihrer Laufbahn gefeiert als eine der versiertesten Songwriterinnen ihrer Generation, präsentierte Thea mit ihrem dritten Album "Rules For Jokers" ein Werk, das ihr - zumindest ihrer Heimat England und später auch in den USA - zu einem gewissen Bekanntsheitsgrad verhalf. Doch es kam dann ein wenig anders: Wohl in dem Bemühen, größere Publikumskreise zu erschließen, ließ sie sich dazu bewegen, von ihrer eigentlichen Richtung - dem klassischen Songwriting mit deutlichen Americana-Anklängen - abzuwenden und in Richtung Pop zu marschieren. Die entsprechenden Alben ("Avalanche" und "Harpo's Ghost") brachten dann auch eher einen kreativen Stillstand und auch nicht den gewünschten Erfolg. Thea trennte sich im Folgenden von ihrer Plattenfirma und landete dann ausgerechnet bei Sanctuary - jenem Label, das auf klassische Art vom Konkurrenztreiben der großen Major-Rivalen ins Aus gedrängt wurde. Somit stand Thea wieder ohne Label da. In dieser Zeit wurde bei ihr eine klinische Depression diagnostiziert, was zu einer entsprechenden Reha-Maßnahme und zu Spannungen im persönlichen Umfeld führte. Doch anstatt daran etwa zu zerbrechen, nutzte Thea diese Situation für einen Neuanfang. Zwischenzeitlich wurde sie Mutter und überwand ihre Krankheit. Für die neuen Songs verließ sie sich nicht mehr auf irgendwelche Ratgeber, sondern auf sich alleine: Das Material zu ihrem neuen Album "Liejacker" nahm sie bei sich zu Hause auf, unterstützt nur von ein paar Freunden wie Erin McKeown, Waterboys-Fiddler Steve Wickham und ihrem Idol, Folk-Ikone Joan Baez als Duettpartnerin - ohne großartiges Brimborium und vor allen Dingen ohne Pop-Schnickschnack.
Das führte dazu, dass die neuen Stücke nicht nur ihre persönlichsten und ehrlichsten wurden, sondern auch die stärksten. Offensichtlich ging Thea das neue Material mit einem vollkommen neuen Selbstbewusstsein an. "Nun, ich begegnete dem neuen Album mit der Einstellung, dass ich mich auf niemanden anderen als mich selbst verlassen wollte", erzählt Thea, "bei dem Album vorher, 'Harpo's Ghost', waren viele Leute beteiligt, die mich alle irgendwie führen wollten. Im Nachhinein bin ich wirklich glücklich, dass ich von dem großen Label jetzt weg bin, so dass mir niemand mehr erzählen konnte, was ich tun sollte und es jetzt auch niemanden mehr gab, der meine Songs editieren konnte. Ich fühlte mich damals ein wenig zuviel bemuttert. Und was das neue Material betrifft, so sollte es nicht mal ein Album werden. Es ging zunächst mal darum, dass ich für mich spielen und Songs schreiben wollte - ohne dass jemand über meine Schulter schaute und mit mir diskutierte, warum ich was machte." Wie entstanden denn die neuen Songs? "Eigentlich wie immer", gesteht Thea, "ich habe nichts anders gemacht als sonst auch. Aber der Umstand, dass man Musik nur für sich selbst und nicht für jemanden anders macht, gibt dir natürlich ein gewisses Maß an Freiheit. Dadurch geht man die Sache vielleicht sogar anders an, ohne es selbst zu realisieren. Am Ende des Tages machte es mich stärker - weil ich eben nicht an andere Leute denken musste."
Hat Thea denn noch ihr Buch mit Ideen, aus denen sie ihre Songs zusammensetzt? "Die neuen Songs habe ich alle neu geschrieben", verrät Thea, "ich finde zwar manchmal noch alte Texte in meinem Buch und verwende diese - aber nicht dieses Mal. Die neuen Stücke kamen quasi schon ausformuliert daher. Sie präsentierten sich mir als fertige Songs. Es war gar nicht nötig, sie zu bearbeiten oder zu verändern. Das wäre sogar falsch gewesen." Wie kam die Sache denn musikalisch zustande? "Ich habe mir zu Hause gerade eine neue ProTools-Ausrüstung zugelegt und es war mir zum ersten Mal seit ich Musik mache möglich, mich selbst aufzunehmen ohne in ein großes Studio gehen zu müssen. Wenn man im Studio ist, muss man immer an die Zeit denken, weil diese ja teuer ist. Zu Hause konnte ich einfach alles ausprobieren. Ich konnte auf irgendetwas draufhauen und schauen, welchen Sound es macht und ich konnte experimentieren. Ich bin ja nicht wirklich eine virtuose Instrumentalistin. Aber ich liebe es, mit Instrumenten herumzuexperimentieren. Ich habe mich also entschlossen, Instrumente auf eBay zu kaufen - Banjo, Harmonium, Dobro, Ukelele, Dulcimer und so etwas - und damit herumzuprobieren. Musikalisch war das also eine sehr freie und befreiende Angelegenheit." Wenn man alleine aufnimmt, dann ist man ja schnell von den Möglichkeiten, die sich bieten, überwältigt. Womit begann Thea Gilmore dann den Prozess? "Ich habe immer mit einer akustischen Gitarre und der Stimme begonnen", führt sie aus, "das war notwendig, weil Gitarre das ist, was ich am besten kann. Es gab natürlich den Punkt, an dem ich das Album ins Studio transferieren musste - weil ich ja keine Tontechnikerin bin - aber das waren technische Gründe." Die neuen Songs haben deutlich stärkere Melodien als jene auf den letzten beiden Alben. Woran liegt das denn wohl? "Ich bin wahrscheinlich eine ziemlich langweilige Gesprächspartnerin, denn ich habe nie einen großen Plan", zögert Thea, "ich setze mich nicht hin und denke darüber nach, wie ich meine Melodien finden könnte. Was allerdings die Melodien beeinflusst, ist der Fluss der Wörter und wie sie klingen. Ich halte es nicht aus, einen Song zu hören, bei dem ein Wort durch eine Melodie entzwei geschnitten wird. Es gibt eine gewisse Art, wie sich Worte der Musik anpassen und somit denke ich, dass die Texte immer die Melodie beeinflussen. Das neue Album ist als solches persönlicher als das letzte und ich hatte mehr Freiheiten als je zuvor. Das mag sich auch niedergeschlagen haben. Es gibt nichts besseres, als wenn derjenige, der den Song geschrieben hat, ihn auch spielt - auch wenn der nicht wie Brian May spielen kann. Es ist sehr aufrichtig - und das ist es was zählt und das ist es, was mir beim neuen Album auch am wichtigsten war."
Thea Gilmore
Thea hat eigentlich immer interessante musikalische Partner - Robbie McIntosh von den Pretenders, Mike Scott von den Waterboys und dieses Mal eben Joan Baez. Wie geht sie diesen Aspekt denn an? "Normalerweise kommen die Gäste erst nachher hinzu", erläutert Thea, "manchmal schreibe ich auch mit jemandem im Hinterkopf, nicht aber für diese Scheibe. Für den Song 'Old Soul' suchte ich jemanden, der dem Song einen gewissen Kick geben könnte, denn er drohte ein wenig zu klischeehaft zu werden, so dass sich der Hörer in Sicherheit wiegen hätte können - was ich nicht so mag. Daher suchte ich David McCabe wegen seiner Stimme aus, die ich sehr mag. Er ist ja auch ein wenig eine alte Seele. 'The Lower Road' brauchte unbedingt eine zweite Stimme, weil er zwei Perspektiven enthält. Es ist einer der sozial bewussteren Songs des Albums und es fühlte sich richtig an, dass jemand mit einer gewissen Gravita diesen Song sang. Joan Baez ist zweifelsohne eine solche Person. Da half auch der Umstand, dass sie 30 Jahre älter ist als ich und dass jemand mit einer solchen Lebenserfahrung dem Song ein gewisses Gewicht verliehe und das hört man ihrer Stimme auch an, denke ich. Es ist ein Song in dem es darum geht, zurückzublicken, dein Schicksal zu akzeptieren und dieses auch zu verbessern." Was bedeutet Joan Baez für Thea Gilmore als Vorbild? "Joan Baez erfand ja praktisch meinen Beruf", meint sie erläuternd, "sie bedeutet also sehr viel für mich nicht - nicht nur als Musikerin. Ihre Ausstrahlung und ihre Vision ist immer noch sehr inspirierend und ich finde es bemerkenswert, dass sie nach all dieser Zeit immer noch die Energie findet, sich auf die Bühne zu stellen und für das, woran sie glaubt, zu kämpfen. Es gibt so wenig Leute, die das tun." Nun sagte uns Thea ja ein Mal, dass sie nicht bewusst klassische Protestsongs schreibt. Dennoch finden sich immer wieder Spuren dieser in ihrer Arbeit. Hat das generell mit der Folk-Tradition zu tun, der sie ja im Grunde genommen entstammt? "Ja auch", bestätigt sie, "da hast du vermutlich recht - aber ich finde es generell immer wichtig, sich sozial zu engagieren, da dies nun mal zum Leben dazugehört. Zumindest, wenn man mit offenen Augen herumläuft. Ich betrachte mich nicht als politische Songwriterin, aber niemand kann ohne politisches Bewusstsein durch den Tag gehen und ich finde es nur natürlich, wenn sich das dann auch in der Musik widerspiegelt. Es ist nichts trauriger als eine junge Band oder ein junger Songwriter, die dies nicht kann. Wenn man das nicht ausdrückt, dann ist das auch nicht ehrlich, da es ja, wie gesagt, ein Teil des Lebens ist." Womit wir dann auch beim Titel "Liejacker" sind, nicht wahr? "Ja, wie du ja weißt, liebe ich es, mit Worten herumzuspielen und mir gefielen die Implikationen des Wortspiels 'Liejacker'. Für mich ist ein klassischer Lügenfänger jemand, der sich weigert, das, was er verkauft bekommen soll, kritiklos entgegenzunehmen, sondern stattdessen darauf besteht, die Wahrheit herauszuwaschen - insbesondere, wenn es um Leute geht, die immer alles besser wissen. Ich denke, dass ich damit eigentlich nur sagen wollte, dass ich zu diesem Lager gehöre." Trotz der eher düsteren Themen wirkt das neue Album aber eher ermutigend als depressiv. "Ich denke, das Album zeichnet den Weg nach, der mich durch meine Depression und meine Mutterschaft führte - was ja ein durchaus positives Erlebnis war. Bei einem Song wie z.B. 'Breathe' geht es darum, dass ich mir selbst sage, mich zusammenzunehmen und mein Leben in Ordnung zu bringen. Ich denke, das ist eine positive Aussage. Wenn man eine Depression durchlebt hat und sich dann selber sieht, dann ist das schon positiv. Ich denke, dass das Album in allem den ganzen Rahmen wiedergibt und dass die Hoffnung am Ende steht." Was sieht Thea als größte Herausforderung als Songwriterin an. "Sich nicht zu wiederholen", antwortet sie ziemlich direkt, "es gibt einen gewissen Spielraum, den man diesbezüglich akzeptieren kann, aber ich möchte nicht immer wieder dieselben Sachen sagen. Ich habe viel in meinem Leben erlebt und es gibt eine Menge zu erzählen. Wenn ich aber beginne, mich zu wiederholen, dann wird es Zeit für eine Auszeit, in der ich dann reisen muss." So weit sind wir zum Glück aber noch nicht. Es wäre Thea Gilmore zu wünschen, dass sie mit diesem - sehr persönlichen - Album nun auch endlich den Erfolg hat, dem sie mit anderen Mitteln bisher vergeblich hinterher gelaufen ist.
Weitere Infos:
www.theagilmore.net
en.wikipedia.org/wiki/Thea_Gilmore
www.myspace.com/theagilmore
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
Thea Gilmore
Aktueller Tonträger:
Liejacker
(Fullfill/SPV)
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