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24.09.2019
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MOLLY SARLÉ

Karaoke und die Wahrheit

Molly Sarlé
Molly Sarlé mag dem Einen oder Anderen, der sich für das Kleingedruckte von Credits oder die Personen, die hinter der Musik stehen interessieren, neben Alexandra Sauser-Monnig und Amelia Randall-Meath als Teil des Folk-Vokal-Trios Mountain Man bekannt sein. Nachdem Amelia als Sängerin von Sylvan Esso und Alexandra mit ihrem Projekt Daughter Of Swords auch schon anderweitig agierten, legt Molly, die gelegentlich auch mit dem Avantgarde-Projekt Bobby arbeitet, nun ihr Solo-Debütalbum "Karaoke Angel" vor. Das hat mit dem Appalachen-Folk von Mountain Man musikalisch allerdings kaum etwas gemein, sondern bietet ein breit gefächertes stilistisches Spektrum im Folkpop-Setting.

Bei ihren Live-Konzerten erzählt Molly Sarlé mitunter eine haarsträubende Geschichte: Bei einem Urlaubsaufenthalt im von den Beach Boys in California Saga besungenen Big Sur stolperte Molly in eine Karaoke Bar und beschloss - nachdem sie zugegebenermaßen zu viel Alkohol konsumiert habe - "Fade Into You" von Mazzy Star zu singen. Da ihr auf der Bühne schwindelig zu werden drohte, fragte sie nach einem Stuhl - woraufhin ihr jemand einen Rollator hinstellte, auf dem sie dann während des Refrains ausrutschte. Aus dieser Situation heraus - so pflegt sie zu erzählen - entstand das Karaoke-Thema, das sich wie ein roter Faden durch die Songs ihres Debütalbums "Karaoke Angel" zieht. Was fasziniert Molly denn am Karaoke-Thema dergestalt, dass sie das zu einem Leitmotiv machte? Immerhin geht es doch beim Karaoke-Singen darum, etwas zu faken oder vorzutäuschen - während die Themen, die sie in ihren Songs verarbeitet - Drogen, Selbstmord, mentale Probleme oder Spiritualität - doch allesamt ziemlich bodenständig und real sind. "Da muss ich aber ganz energisch widersprechen", meint Molly, "ich bin nämlich nicht der Ansicht, dass es bei Karaoke um's Faken oder Vortäuschen geht, sondern darum, sich in die Geschichte von anderen Menschen hineinzufühlen. Das macht man, indem man jemandes anderen Lied singt. Und man sucht sich hierzu Songs aus, zu denen man eine eigene Beziehung hat. Und wenn das Publikum dann sehen kann, dass die Performer eine Beziehung zu diesen Songs haben, dann kann auch das Publikum diese Beziehung nachvollziehen. Das ist im wesentlichen auch der Grund, warum ich Musik und Kunst mache: Um Kontakt zu Menschen aufzunehmen, indem ich Geschichten erzähle." Mal ganz ohne Quatsch: So druckreif bekommt man die persönliche Philosophie von Musikern nun wirklich nicht ausbuchstabiert. Dass Molly sich also keine Gedanken über ihre Kunst macht, kann man ihr nun wirklich nicht vorwerfen.

Kommen wir mal zu dem, worüber Molly singt: Da ist ja so einiges dabei - wie z.B. Sex, Depressionen oder geistige Gesundheit, die sich nicht unbedingt als Themen für Pop-Songs aufdrängen (von denen Molly durchaus einige im Angebot hat). Gibt es denn irgendetwas, vor dem Molly als Thema zurückschrecken würde? "Also ich versuche schon, vor nichts zurückzuschrecken", zögert Molly, "und wenn ich einen Song schreibe, dann versuche ich auch so offen wie möglich zu sein, was meine eigenen, persönlichen Erfahrungen betrifft. Meine Themen sind Dinge, die mir passieren und die sich manchmal aus meinem Unterbewusstsein heraus manifestieren und anmelden. Dann muss ich mal graben und versuchen, die Wurzeln dieser Gedanken zu finden. Das hört sich jetzt vermutlich aber ziemlich vage an, nicht?" Schon - aber das passt irgendwie, denn die Sache mit dem Unterbewusstsein scheint sich bis auf die musikalische Ebene fortzusetzen: Songs, die einen ernsthafteren Hintergrund haben wie zum Beispiel "Almost Free" - ein Stück, das auf einem Gespräch Mollys mit ihrem Vater basiert und um das Thema Selbstmord kreist - kommen strukturell und stilistisch ganz anders daher als die Folkpop-Songs, die Molly ansonsten im Angebot hat. "Also als wir ins Studio gegangen sind, haben wir erst mal die Songs mit mir und meiner Gitarre ausprobiert und uns dann überlegt, ob das so passte, oder ob die Songs nach mehr verlangten. Es ging dann weniger um die Inhalte aber gerade Songs wie 'Almost Free' brauchen keine üppigen Arrangements - denn hier geht es ja um ein vertontes Gespräch. Songs wie 'Human' brauchten größere Arrangements, weil es hier darum ging, das Glücksgefühl einer Erkenntnis zu vermitteln. Wenn dann am Ende von 'Almost Free' noch Drums dazu kommen, dann deshalb, weil ich hier das Gefühl der Erlösung darstellen wollte - ohne deswegen die Ernsthaftigkeit des Themas in Frage zu stellen." Am Beispiel von "Almost Free" lässt sich auch noch ein besonderes Molly-Feature festmachen, denn sie schafft es erstaunlich oft, am Ende ihrer Songs zu einer Art Pointe, Auflösung oder Schlussfolgerung zu gelangen - oft auch in geradezu poetisch/philosophischer Form wie: "And then my father said to me: Molly you are almost free - and almost is all we'll ever be". Das kann ja wohl kein direktes Zitat sein. "Nein, das habe ich mir ausgedacht", erklärt Molly schmunzelnd, "allerdings war ich da auf Mushrooms." Nun ja - wenn es hilft...

Welche Art von musikalischer Ausbildung hat Molly Sarlé genossen? "Ich habe mir alles selbst beigebracht", führt sie aus, "aber natürlich habe ich immer ganz genau zugehört, wenn ich Musik gehört habe und versucht, herauszufinden, was mir dabei dann besonders gut gefallen hat, wenn ich z.B. einen Song von Joni Mitchell gehört habe. Darüber denke ich dann nach, wenn ich selbst Song schreibe. Oder man absorbiert das dann einfach auch zu einem gewissen Grad, wenn man wirklich auf so etwas achtet. Ich fühle schon die Notwendigkeit, mich von der Musik inspirieren zu lassen - aber das ist weniger eine Sache der Auswahl - etwa um etwas reproduzieren zu wollen - sondern eine Sache der Aufnahmebereitschaft." Gibt es denn jetzt ein Ziel für Molly - nachdem sie sich für eine Laufbahn als Musikerin entschieden hat? "Also ich denke, dass ich danach strebe, möglichst erfolgreich zu sein, viele Scheiben zu verkaufen und vor größerem Publikum zu spielen", überlegt sie - wobei es nicht möglich ist, herauszufinden, ob das ernst gemeint ist, "was mir aber am Wichtigsten am Musizieren ist, ist andere Leute zu treffen und mit anderen Musikern zusammenzuarbeiten und Kunst zu erschaffen. So lange das passiert, ist mir das das Wichtigste. Es geht mir auch auf der Bühne darum, eine Verbindung zum Publikum aufzubauen." Dazu muss man dann wissen, dass Molly gar nicht zu der Sorte von Künstlern gehört, die auf der Bühne pausenlos quatschen müssen. "Nein, es geht ja auch zunächst mal darum, mich mit meiner Musik auszudrücken und mit mir selbst ins Reine zu kommen und nicht etwa darum, auf der Bühne etwas zu replizieren, was ich auf der Scheibe gemacht habe. Das mag manche Menschen enttäuschen, aber wer sich für Musik interessiert, dem dürfte das gefallen." Und wenn Molly dann etwas erzählt - wie zum Beispiel eben die Sache, dass sie beim Karaoke-Singen auf einem Rollator ausgerutscht ist, dann hat das durchaus schon etwas, dass über banale Alltagsbeobachtungen hinausgeht.

In dem Zusammenhang: Zielt Molly eigentlich darauf ab, ihre Songs - zumindest teilweise - etwas größer als das Leben zu machen. "Ja", antwortet sie sehr bestimmt, "darüber denke ich viel nach - weswegen auch so viel Pop in meinen Songs ist. Es geht mir dabei nicht darum, besonders gut zu singen - aber interessant sollte es schon klingen." Molly war deshalb auch an der Produktion des Albums beteiligt. "Ja - wir sind aber nicht mit dem Plan ins Studio gegangen, eine Pop-Platte zu machen", führt sie aus, "wir hatten ja alles was wir brauchten: Gute Songs, guten Gesang und dann haben wir mal erforscht, was notwendig war. Erst mal haben wir nur die Songs mit Gitarre und Gesang ausprobiert. Wenn das reichte, haben wir es auch dabei belassen, aber manche Songs wie 'Faith For Doubt' über meine Großmutter Allie, die ich nie getroffen haben und in dem es darum geht, sich selbst zu motivieren und das Leben zu feiern, verlangen dann einfach nach ein bisschen Mehr Drumherum, und das sind dann die, die wir als Popsongs arrangiert haben - aber eben nur, wenn das notwendig war." Und Pop-Songs sind ja auch das, was beim Karaoke-Singen hauptsächlich im Vordergrund steht - wenn es notwendig ist. Und größer als das Leben ist das Ganze auch irgendwie. Und damit schließt sich dann der Kreis.

Weitere Infos:
www.mollysarle.com
www.facebook.com/mollysarle
twitter.com/molly_sarle
www.instagram.com/marledavidson
www.youtube.com/watch?v=8ryW0UQ9pD8
www.youtube.com/watch?v=gBnsmfe_hsE
www.youtube.com/watch?v=_ZSCgZlG9ZA
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Pressefreigabe-
Molly Sarlé
Aktueller Tonträger:
Karaoke Angel
(Partisan/Pias/Rough Trade)
 

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