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10.05.2019
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THE DREAM SYNDICATE

Psychedelisches Mixtape

The Dream Syndicate
So war die Sache eigentlich gar nicht geplant: Rechnet man nämlich das erste - eher zufällig zustande gekommene - Reunion-Konzert der Paisley Underground Band #1 von 2012 hinzu (das Steve Wynn nur deswegen in dieser Form initiierte, weil die Musiker seiner damaligen Band The Miracle Three nicht zur Verfügung standen), dann dauert die zweite Phase von The Dream Syndicate nämlich mittlerweile länger an, als die legendäre Gründerzeit in den 80er Jahren. Aber nachdem das Ganze mit dem 2017 erschienenen, neuen Dream Syndicate-Album "How Did I Find Myself Here" so gut geklappt hatte, dass auf der anschließenden gemeinsamen Tour - insbesondere in den USA - auch jede Menge neue Fans hinzugekommen waren, ist es nur folgerichtig, nun ein weiteres, neues Album - "These Times" - nachzuliefern. Wer indes Steve Wynn - nach wie vor der kreative Motor des Projektes - ein wenig kennt, der dürfte sich nicht wundern, dass daraus dann keine nostalgische Retro-Veranstaltung wurde, sondern eine durchdachte Sache mit einem interessanten Konzept: Inspiriert von dem Album "Donuts" des HipHop-Croosover-Remix-Soundbastlers J-Dilla, das dieser 2006 kurz vor seinem krankheitsbedingten Tod im Krankenhaus produzierte, legte Steve das neue Werk nämlich als eine Art hypothetisches, psychedelisches Dream Syndicate-Mixtape an.

"Also, ich habe mir viele verschiedene Sachen angehört, als ich die neuen Songs schrieb", berichtet Steve, "und es ist mir schon klar, dass es ein wenig seltsam ist, wenn ich einen HipHop-Künstler als Inspiration für ein Rock-Album anführe. Manchmal ist es aber einfach so, dass das letzte, was man hört, den größten Einfluss auf das, was man als Nächstes macht hat. Was ich an diesem Album mag - das ich selbst erst zehn Jahre, nachdem es erschien und nach J-Dillas Tod für mich entdeckte - war, dass es sich wie ein psychedelischer Soundtrack oder ein Mixtape anhört und dich als Zuhörer auf diese seltsame Reise mitnimmt. Das komische ist, dass sich das Ganze wie ein langes Stück anfühlt, obwohl die einzelnen Songs selbst sehr kurz sind. Und das ist die eigentliche Inspiration für unser Album: Es soll sich anfühlen, wie ein 45-minütiger Song. Und es sollte sich psychedelisch und unwirklich anhören." Ach so - es geht also nicht um eine musikalische Referenz? "Nein - aber was mich auch noch interessierte, war die Geschichte hinter dem 'Donuts'-Album", ergänzt Steve, "weil J-Dilla im sterben lag, als er diese Scheibe produzierte. Seine Art zu produzieren, war dabei vorhandene Musik zu nehmen und diese als Samples mit eigenen Elementen mit Cut & Paste zu Stücken zusammenzufügen. Man hört hier einen Mann, der wusste, dass er sterben musste und hier mittels der Musik andere seinen eigenen Abschiedsbrief formulierte. Das ist so ähnlich wie bei David Bowie und 'Black Star' oder Leonard Cohen und 'You Want It Darker'. Das ist wie der Versuch, musikalisch die Erkenntnis und das Bewusstsein zu erklären, dass die eigene verbleibende Zeit kurz ist." Was der Sache ja auch eine gewisse Dringlichkeit verleiht. Nun hat Steve aber doch nicht vor, demnächst zu sterben, oder? "Gott, ich hoffe nicht", meint er, "es stimmt schon, dass J-Dilla, Bowie und Cohen wussten, dass ihre Zeit limitiert war. Aber es ist ja auch so, dass wir alle mit dieser Unsicherheit leben müssen, was als nächstes passiert. Es gibt keine Sicherheit, was unser Leben am nächsten Tag für uns bereit hält. Und diese Erkenntnis hatte auch einen Einfluss auf die Stimmung und den Klang unseres Albums - ähnlich als hätte ich gewusst, dass ich nur noch drei Tage zu leben hätte. Das Gefühl ist ganz ähnlich."

Wie ging Steve das Album denn als Songwriter an? Normalerweise gehört Steve ja zu den Songwritern, die in ihren Songs neben einer Grundidee auch immer eine Geschichte zu erzählen haben. Nicht notwendigerweise eine wahre Geschichte, aber immerhin. Auf "These Times" scheint dieser Aspekt aber eher in den Hintergrund zu treten. "Also musikalisch bin ich bei den letzten beiden Alben mit relativ unstrukturierten Elementen auf die Band zugegangen, die in alle möglichen Richtungen hätten gehen können, um zu sehen, was sie damit anstellen würden", erklärt Steve, "ich wollte also der Band nicht allzu viel auferlegen. Und das galt auch für die Texte. Sie sollten nicht denken: 'Oh - dieser Song handelt von diesem und jenen und deswegen muss ich jetzt dies und das machen.' Tatsächlich war mein Ziel - zumindest jetzt bei diesen beiden Scheiben - der Band nur gerade so viel zu geben, dass sie einen eigenen Weg finden konnte. Und es hat funktioniert." Heißt das, dass die Songs noch gar nicht fertig waren, als die Band ins Studio ging? "Ja. Ich hatte ein paar Ideen im Kopf - zum Beispiel den Titel für den Song 'Put Some Miles On' und für 'Space Age' hatte ich noch einen älteren Text. Die restlichen Texte haben ich tatsächlich erst geschrieben, nachdem wir die Musik aufgenommen hatten." Das ist für Steve Wynn zweifelsohne ein unüblicher Weg. "Ja, das gab es auch einen ganz schönen Druck, weil das ja alles ziemlich fix geschehen musste. Aber ich mag es ja auch, unter Druck zu arbeiten. Da bin ich ziemlich gut drin." Hat das dann auch Auswirkungen auf die Texte gehabt? "Ja, denn das führte dazu, dass alle Texte der gleichen Grundstimmung entstammten", führt Steve aus. Kann es sein, dass Steve da alte Themen aufgreift? "Put Some Miles On" könnte zum Beispiel eine weitere Variante des "Amphetamine"-Themas sein - bei dem es um Beschleunigung ging. Oder "Still Here Now" könnte eine direkte Antwort auf die Frage im Titel des Vorgängeralbums "How Did I Find Myself Here?" sein. "Also ich mag wie viele Gedanken du dir darüber gemacht hast", meint Steve, "das sind zwei Gedankengänge, die ich selbst so gar nicht gehabt habe, aber du hast das schon irgendwie recht. 'Put Some Miles On' kam gerade als Single heraus und viele Leute sagen, dass es ein 'Road-Song' sei - genauso wie 'Amphetamine'; ziemlich 'motorisch', also um mal meinen aktuellen Lieblingsbegriff zu verwenden. Und dass 'Still Here Now' eine Reaktion auf 'How Did I Find Myself Here' sein könnte, war weder mir noch jemand in der Band in den Sinn gekommen - es macht aber durchaus Sinn."

The Dream Syndicate
Da sind wir wieder beim Thema "Geschichtenerzähler". "Genau", pflichtet Steve bei, "ich wollte dieses Mal ja nicht zu viel von den Geschichten, die ich im Kopf habe, Preis geben; denn es ging mir darum, den Eindruck zu vermeiden, dass die Band einfach meine Geschichten begleitet. Einen großen Einfluss auf mich haben die Texte von Steely Dan gemacht. Walter Becker ist einer meiner Lieblings-Texter. Er deutet etwas in seinen Texten an, dass man als Zuhörer fast verstehen könnte - aber nicht wirklich. Er vermittelte eher eine Stimmung oder eine Emotion oder eine Idee, die in deinem Kopf herumschwirrt - wobei dir selbst nicht klar ist, warum." Das ist ja insofern cool, als dass dann der Zuhörer seine eigenen Ideen implementieren kann. "Absolut", bestätigt Steve, "es ist für mich relativ einfach zu erklären, worum es mir in meinen Songs geht oder wovon sie handeln. Ich mache das auch gerne, weil ich gerne über meine Musik rede. Es ist aber so etwas wie Schummeln, weil es ja wahrscheinlich so ist, dass das, was ich mir vorgestellt habe, etwas ganz anderes ist, als das, was der Zuhörer raushört. Und das ist absolut in Ordnung für mich."

Musikalisch ist das Album ziemlich psychedelisch gehalten - ganz im Sinne der Musik, mit der The Dream Syndicate 1982 ihre Reise dereinst begannen und bis hin zu dem Umstand, dass sich gar nicht mehr feststellen lässt, wer welche Sounds beisteuert. "Also dazu kann ich sagen, dass dieses Mal Jason Victor als Gitarrist und Chris Cacavas als Keyboarder sozusagen in derselben Rolle waren. Sie haben beide jede Menge Effekte verwendet und waren mehr an Klängen und Texturen interessiert. Der Riff von 'Black Light' ist zum Beispiel keine Gitarre, wie viele Leute denken, sondern ein verzerrtes Keyboard. Und was Jason dieses Mal gemacht hat, hört sich an wie nichts, was ich bislang an Gitarrensounds kenne. Ihm ging es dieses Mal nicht um Akkorde oder Noten, sondern um Soundtracks." Bereits zu den Interviews der letzten Scheibe erklärte Steve ja bereits, dass er Jason freie Bahn als Gitarrist ließe. Er selbst hält sich als Gitarrist hingegen ziemlich zurück und spielt etwa keinerlei Gitarrensoli. The Dream Syndicate präsentieren sich in diesem Sinne also auch viel mehr als Band gleichberechtigter Musiker als früher. Dazu gehört dann auch, dass neben Chris Cacavas auch Stephen McCarty - ehemals von den alten Paisley Underground-Kollegen The Long Riders und Steves Gattin Linda Pitmon mit ihren Beiträgen als Backing-Sänger eingebunden wurden. 2019 - so scheint es - könnte wieder mal ein gutes Jahr für The Dream Syndicate sein. (Und mit etwas Glück ja auch eines für alle anderen...)

Weitere Infos:
www.thedreamsyndicate.com
www.facebook.com/thedreamsyndicate
twitter.com/_dreamsyndicate
www.instagram.com/thedreamsyndicateband
www.youtube.com/watch?v=wGaXfuTWx4k
www.youtube.com/watch?v=U-Ao1pZqnNI
www.youtube.com/watch?v=hQuBBJpXaiM
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigaben-
The Dream Syndicate
Aktueller Tonträger:
These Times
(Anti/Indigo)
 

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