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26.02.2019
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LILY & MADELEINE

Feminin & Mysteriös

Lily & Madeleine
Beinahe drei Jahre dauerte es, bis Lily & Madeleine Jurkiewicz die Muße fanden, ein neues Album in Angriff zu nehmen. Das lag allerdings nicht daran, dass die Schwestern aus Indianapolis in ihre neue Wahlheimat New York City umgezogen sind (denn das passierte erst nachdem die neuen Songs fertig waren) und auch nicht daran, dass die Aufnahmen in Nashville stattfanden, sondern daran, dass die immer noch jungen Damen sich geschäftlich neu aufstellten, ein neues Management verpflichteten, Label-Querelen zu handhaben hatten und sich mit Daniel Tashian und Ian Fitchuk ein neues Produzententeam suchten, mit dem man sich erst mal arrangieren musste. Vielleicht liegt es dann auch an den Fähigkeiten der renommierten Nashville-Produzenten (die sich auch als Musiker auf dem neuen Album betätigten), dass Lily & Madeleine hier wieder zu jenen Roots zurückkehren, mit denen sie noch im Teenie-Alter Fans wie Kritiker zu begeistern wussten und mit harmonieträchtigen Folkpop-Songs überzeugten - während sie sich auf ihrem letzten Album "Keep It Together" eher experimentelle Töne angeschlagen hatten.

"Canterbury Girls" heißt das Album nicht mit Bezug auf die historische englische Kleinstadt oder sogar etwa den "Canterbury Sound" der 60er Jahre. Gemeint ist hier der "Canterbury Park" in der Nähe des alten Wohnortes von Lily & Madeleine in Indianapolis. "Ja, das ist ein Park in der Gegend, wo wir aufgewachsen sind", erklärt Madeleine, "dort sind wir als Jugendliche oft hingegangen und ich bin zum Beispiel viel dort mit meinen Freunden herumgegangen und wir hatten viele lange Gespräche. Wir haben uns darüber unterhalten, was wir ein mal werden wollten, welche Art von Personen wir sein wollten. Fragen, die wir uns auch auf der neuen Scheine stellen. Und natürlich steht dieser Park auch dafür, wo wir her kommen." "Den Song habe ich aber nach einem Aufenthalt in Los Angeles geschrieben", fügt Madeline hinzu, "wir waren dort auf Tour und ich war von der Energie der Stadt fasziniert. Ich bin dort viel herumgelaufen und habe viel darüber nachgedacht, wie es wäre, dort zu leben und auch darüber, wo ich herkomme und wie unterschiedlich das dort alles ist. Du musst unsere Songs in etwa sehen wie Einträge in einem Tagebuch." Das heißt, die Songs entstehen dann auf den Reisen von Lily & Madeleine - es gibt ja verschiedene Referenzen wie z.B. den Pachinko-Song, wo die Erzählerin durch die Straßen von Tokio läuft. "Das war ich", meint Lily, "ich bin vorletzten Sommer mit dem Geld, was ich gespart hatte nach Tokio gereist und habe den Song darüber geschrieben, wie ich mich dort gefühlt habe." Auf "Canterbury Tales" gibt es zwei Songtitel, die sich als beinahe Oxymorons präsentieren: "Supernatural Sadness" und "Analogue Love" - was hat es damit auf sich? "Also 'Supernatural Sadness' haben wir mit Ian zusammen geschrieben und dabei geht es darum, mit jemandem in einer Beziehung zu sein, der dich runterzieht und traurig macht - wobei man sich nicht aus dieser Beziehung lösen kann, weil sie irgendwie magnetisch und hypnotisch ist, weil man sich einfach daran gewöhnt hat. Übernatürlich ist diese Traurigkeit deswegen, weil man nicht verstehen kann, warum man sich nicht aus der Verbindung lösen kann. Und bei 'Analogue Love' geht es einfach um eine Beziehung, die sehr greifbar und real ist - im Gegensatz zu einer oberflächlichen flachen Beziehung; wie zum Beispiel einer über das Internet." Gibt es denn konkrete Botschaften? Songs wie "Self Care" oder "Just Do It" könnten ja als Aufforderungen verstanden werden. "Ja - es ist fast wie ein Ratschlag an andere, auf sich selbst zu achten und zu tun, was notwendig ist", bestätigt Lily, "es ist aber nicht so, dass ich mich hinsetze und Songs schreibe, mit der Absicht dieses und jenes auszusagen oder als Empfehlung zu formulieren. Das passiert dann einfach." "Es gibt ja auch eine Grenze dazwischen, verletzlich zu wirken und sich bloßzulegen", überlegt Madeleine, "man möchte sich zwar gerne erklären aber ohne sich dabei selbst zu verletzten, wenn du weißt, was ich meine. Es ist wichtig diese Grenze zu finden und zu kontrollieren." Ist das der Grund, warum es keine Texte im Booklet der Scheibe gibt? "Nein - das hat nur damit zu tun, dass CDs und Booklets keine Rolle mehr spielen und wir die Sache so einfach wie möglich halten wollten."

Was ist denn dabei die Herausforderung als Songwriterinnen? "Ich versuche immer, vom Herzen zu schreiben", überlegt Madeleine, "und hoffe dann, dass die Leute dazu einen Bezug aufbauen können. Für mich ist die Herausforderung dann das Gefühl des Abwartens, ob das, was ich getan habe auch Früchte trägt. Weißt du - es überrascht mich immer wieder, wenn ich einen besonders persönlichen Song schreibe und dann andere überhaupt mit mir daran arbeiten wollen - wie Jason und Ian, die dann aber ihren Zugang über die Beteiligung an der Produktion finden konnten." "Also ich hoffe, dass ich nicht irgendwann Angst davor bekomme, mit verschiedenen Elementen des Song-Schreibens zu experimentieren", ergänzt Lily, "damit meine ich, verschiedene Genres miteinander zu kombinieren oder mit anderen zusammenzuarbeiten." Wonach haben sich Lily & Madeleine dieses mal musikalisch ausgerichtet? Wir sind dann wieder bei dem Punkt, dass sich hier vielleicht eine Art Kreis schließt? "Wir hatten die Songs alle fertig, als wir ins Studio gegangen sind", führt Lily aus, "wir hatten sogar ein paar Extra-Stücke, die wir rauslassen mussten, weil wir nicht genug Zeit hatten, sie aufzunehmen. Es war aber gut, viel Material zu haben, mit dem wir arbeiten konnten. Wir wollten das Klangbild möglichst weit fassen, mit vielen Harmonien und im allgemeinen möglichst Groovy mit einigen Soul-Elementen. Außerdem ging es uns darum, möglichst emotional zu sein und natürlich eine Geschichte zu erzählen." Bei der letzten Scheibe ging es ja darum, ein spezifisches Sound-Design zu kreieren - mit Rock-Elementen, Keyboards usw. War das dieses Mal also keine Option? "Wir hatten einige Referenz-Nummern", erläutert Madeleine, "wir haben eine Liste von Stücken gemacht, die wir vielleicht referenzieren wollten - aber ehrlich gesagt, haben wir und dann doch dafür entschieden, der Sache ihren natürlichen Lauf zu lassen - weil wir uns letztlich von den Emotionen und der Energie der Songs haben leiten lassen." Was haben Lily & Madeleine dieses Mal denn anders gemacht, und was ist sozusagen gleich geblieben? Sie haben ja separat von einander geschrieben - aber das haben sie ja auch vorher schon gemacht. "Ja, wir haben separat geschrieben" sagen jetzt beide zufällig unisono. "Aber die Aufnahmen waren ganz anders", spezifiziert Lily, "wir hatten vorher ja immer in Bloomington, Indiana, mit demselben Produzenten aufgenommen und haben jetzt mit Daniel Tashian und Ian Fitchuk zusammengearbeitet - wobei wir nur Ian ein bisschen kannten. Wir haben das Album dann in Nashville eingespielt - nur wir vier zusammen -, während wir ja ansonsten eine Band haben. Das war ziemlich cool." Das heißt also, dass die Band gar nicht beteiligt war? "Wir haben die Songs mit der Band eingeübt, damit wir sie live spielen können - aber die waren alle ganz neu für die Band. Sie war im Aufnahmeprozess nicht involviert", erläutert Madeleine, "das fühlt sich jetzt ein wenig seltsam an, weil da eine Distanz entstand, da wir zuvor die Songs im Studio zusammen arrangiert hatten." "Ich denke aber, dass das ganz gut so war", fügt Lily hinzu, "da wir so auch neue Dinge ausprobieren konnten." Das interessante dabei ist, dass die neuen Songs doch vor allen Dingen durch ihren Band-Sound bestechen. "Ich habe eigentlich bei den Aufnahmen gar nicht über die Live-Shows nachgedacht", überlegt Lily, "und ich weiß gar nicht ob das gut oder schlecht ist. Aber ich wollte einfach im Moment sein und darüber nachdenken, wie sich das ganze klanglich auf den Aufnahmen anhören sollte. Über die Live-Shows konnten wir uns ja später Gedanken machen. Wir sind jetzt gerade dabei, diesen Prozess mit der Band nachzuvollziehen."

Nach ihrem Umzug nach New York haben Lily & Madeleine ihre Schulausbildung beendet und können sich jetzt ganz auf ihre Laufbahn als Musikerinnen konzentrieren. Bedeutet das eigentlich, dass sie auch andere ihres Tuns mit beeinflussen werden - wie zum Beispiel die optische Repräsentation? "Ja gewiss", meint Madeleine, "wir wollten zum Beispiel dieses Mal ein Albumcover mit warmen Tönen haben. Auch deswegen, weil unsere bisherigen Alben alle in Blau- und Silbertönen gehalten waren. Wir haben uns entschlossen, mit Gold und Purpur-Tönen zu arbeiten, weil das unserer Meinung nach besser zu der Musik passte." "Wir wollte des Weiteren, dass die Bildsprache feminin und mysteriös sein sollte", ergänzt Lily, "genau wie die Songs, sollten die Bilder leicht rätselhaft sein. Man sollte sich beim Betrachten der Photos fragen, wer diese Leute sein mögen und was sie gerade denken." "Wir haben auch gerade ein neues Video für 'Can't Help The Way I Feel' gedreht - mit einem witzigen 90s-Look und ein paar übernatürlichen Elementen", fügt Madeleine hinzu, "Videos sind uns wichtig und ich will auch gerne noch eins machen - allerdings müssen wir da bis April warten, weil wir jetzt gerade auf Tour sind." Gibt es denn jetzt schon konkrete Pläne für die Zukunft? "Ich muss mich zwingen, nicht jetzt schon ans nächste Album zu denken - was ich dauernd tue", erklärt Lily, "denn zunächst mal geht es jetzt darum, Präsenz zu zeigen, die Live-Shows zu genießen, neue Orte zu sehen und neue interessante Leute zu treffen. Und dann hoffe ich aber doch, dass wir das nächste Album dann schneller herausbringen können, denn ich mochte diese langen Pausen zwischen den Alben nicht so sehr. Letztlich war das zwar gut für uns, weil wir eine Menge gelernt haben, aber ich liebe es einfach, zu arbeiten." Daran sollen Lily & Madeleine ja auch keineswegs gehindert werden. Bei all dem Trubel müssen wir indes auf eine Tour der Canterbury Girls in unseren Breiten aber wohl bis zum Sommer oder gar bis zum Herbst warten.

Weitere Infos:
www.lilandmad.com
www.facebook.com/lilyandmadeleine
www.instagram.com/lilandmad
twitter.com/LilandMad
www.youtube.com/watch?v=KMZ0h0iulT4
Interview: -Ullrich Maurer-
Foto: -Pressefreigaben-
Lily & Madeleine
Aktueller Tonträger:
Canterbury Girls
(New West/Pias/Rough Trade)
 

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