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04.05.2018
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KATIE VON SCHLEICHER

"Es muss sich richtig anfühlen"

Katie Von Schleicher
"Katie Von Schleicher hat die seltene Gabe, mit einfachsten Mitteln hübsche und traumverlorene Pop-Songs zu schreiben, unter deren Oberfläche jedoch immer etwas Unfassbares oder Bedrohliches schimmert", schrieben die Kollegen von Intro im vergangenen Jahr - und wir können das nur unterstreichen. Bereits vor zwei Jahren begeisterte die US-Amerikanerin mit der atemberaubenden Stimme auf "Bleaksploitation" mit düster gestimmtem Lo-Fi-Indiepop, dabei war die Veröffentlichung eigentlich eher ein glücklicher Zufall. Während ihres Praktikums bei Ba Da Bing Records bot ihr Inhaber Ben Goldberg an, ein Tape für das Label aufzunehmen. Eigentlich hatte der Labelboss dabei an ein besseres Demo gedacht, doch Katie machte gleich ein ganzes DIY-Minialbum daraus, das schnell in Blogosphäre und Blätterwald höhere Wellen schlug, als die beiden das je erwartet hätten, und anschließend regulär auf LP und CD veröffentlicht wurde.

Die gleiche Leidenschaft investierte Katie dann auch in den spürbar ausgefeilteren Doom-Pop ihres letzten Sommer veröffentlichten und an dieser Stelle zur Platte der Woche gekürten Full-Length-Debüts "Shitty Hits", auf dem sie scheinbar vollkommen mühelos den Bogen von sonnendurchfluteten Songs mit 70s-Radio-Pop-Flair und unwiderstehlichen "La, la, la"-Refrains zu sinister knisternden, bisweilen betont experimentellen Nummern mit bittersüßem Girl-Group-Gloom und dramatischen Zeitlupen-Beats schlug. Sogar Abstecher in Richtung Jazz erlaubte sich die in Brooklyn heimische 30-Jährige, um zwischen Indierock und Klavierpop ganz eigene Wege zu gehen, während Anflüge von Phil Spector'scher Produktionsgrandezza darüber hinwegtäuschten, dass das selbst produzierte Album mithilfe einer billigen alten Tascam 488-Tonbandmaschine größtenteils in ihrem alten Kinderzimmer im Hause ihrer Eltern in Maryland entstanden ist. Ihre Texte mögen von Paranoia, Isolation und Machtlosigkeit handeln, musikalisch dagegen klingt Katie, inspiriert von Brian Eno, David Bowie, Randy Newman, Carole King und Nina Simone, inzwischen beeindruckend selbstbewusst, obwohl oder gerade weil ihr musikalisches Credo - "Es muss sich richtig anfühlen" - vergleichsweise simpel erscheint.

Mit ihrer just am Record Store Day veröffentlichten feinen neuen Single "Glad To Be Here" im Gepäck geht Katie nun auf ihre stolz von Gaesteliste.de präsentierte erste Headline-Tournee durch Deutschland, auf der sie mit ihrer Band bis Mitte Mai in Offenbach, Berlin, Hamburg und Köln Station macht. Bei unserem vorab geführten Marathon-Interview ließ sie derweil keinen Zweifel daran, dass ihre Antworten auf unsere Fragen dem gleichen Geist entsprungen sind wie die feingliedrigen klanglichen Puzzleteile, aus denen sie ihre bemerkenswerten Songs zusammensetzt.

Katie Von Schleicher
GL.de: Katie, wo bist du gerade?

Katie: Ich sitze an meinem Küchentisch, etwa 20 Meter über einer oberirdischen U-Bahn-Station. Meine Küche sieht mehr nach Kloster aus als die meisten (siehe Bild).

GL.de: Wie geht es dir dieser Tage, und was hat sich am meisten verändert, seitdem du mit der Musik angefangen hast?

Katie: Ich bin glücklich und zufrieden, denn im vergangenen Jahr konnte ich viele meiner Ziele erfolgreich abhaken. Als ich anfing, war ich noch ein Teenager. Die zwei größten Unterschiede zu damals sind, dass ich jetzt viel mehr Selbstbeherrschung und gleichzeitig keine Angst mehr habe. Dazu kommt ein Team von Leuten, die mich unterstützen. Es gibt auch soziologische Unterschiede zwischen der Zeit, in der ich mich in einer sehr männerdominierten Musikschulatmosphäre befand, und heute, da inzwischen in einem Großteil der Bands, die mich begeistern, Frauen die Richtung angeben. Aus reiner Angst habe ich unglaublich viel Zeit damit vergeudet, mich zu fragen, was ich als Nächstes tun sollte, jetzt bin ich in der Lage, meiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Meistens denke ich dann: "Heilige Scheiße! Ich mache das jetzt wirklich!"

GL.de: Gab es einen spezifischen Wendepunkt, an dem dir klar wurde, dass du Musikerin werden willst?

Katie: Ich wollte nie etwas anderes machen, aber es gab einen Wendepunkt, als ich beschloss, die Musik zu meinem Lebensmittelpunkt zu machen. Ich war schon früh geradezu besessen, aber ich hatte nicht die Nerven, irgendetwas zu machen, was mir keine Freude bereitet. Ich hörte mit dem Klavierunterricht auf, damit ich keine Lieder lernen musste, die ich nicht mochte, aber ich fing an, Songs zu schreiben, um die Lücke zu füllen. In meinem letzten Jahr an der Highschool schaute ich mir viele gute Hochschulen für Freie Künste an und wollte Literatur studieren. Ich bekam ein Stipendium für das Berklee College of Music, und in der Annahme, dass ich auch anfangen würde, entschied ich mich dazu, mich nicht weiter anderweitig zu bewerben. Meine Familie war deshalb wohl ziemlich enttäuscht, und mein Studienberater versuchte, mich davon abzubringen, aber das hat mich wahrscheinlich dazu gebracht, es noch mehr zu wollen. Ich bin eine sehr faule Rebellin! In der Schule war ich frustriert vom Mangel an guten Nicht-Musikkursen, also habe ich den Unterricht geschwänzt und zur Kompensation Dostojewski und so gelesen.

GL.de: Wenn man deine Platten hört, kann man sich gut vorstellen, dass du schon als Kind zu Hause auf dem Boden gesessen und von Phil Spector produzierte Platten gehört hast, aber das ist ja vermutlich Unsinn. Wie hat sich dein Musikgeschmack über die Jahre denn tatsächlich entwickelt?

Katie: Ich wünschte, ich hätte damals Phil Spector gehört! Lange Zeit war ich überzeugt, dass ich keine Musikerin sein könnte, weil alle meine Freunde "Kid A" von Radiohead gehört haben, als sie 13 Jahre alt waren, während es bei mir Celine Dion, Whitney Houston und Barbra Streisand waren und ich geradezu zwanghaft Musicalsongs auswendig gelernt habe. Ich war damals eine ziemlich große Verliererin, war begeistert von Geschichte, trug am liebsten Kleidung wie in den 1770ern, besuchte historische Schlachtfelder und weigerte mich, Elektrizität zu benutzen. In Berklee hatte ich dann diese Software, mit der man Musik von Computern im gleichen Wifi-Netzwerk rippen konnte. So konnte ich sehen, was die anderen in meinem Schlafsaal-Trakt gehört haben - und ich kannte nichts davon: The Beatles, Led Zeppelin, Pink Floyd, Neil Young, viel Jazz. Zuerst war ich ganz begeistert von Eric Clapton (lacht)! Dann arbeitete ich Tag und Nacht daran, aufzuholen und Elliott Smith, Yo La Tengo usw. zu hören. Ich kaufte mir "Tearing Down The Wall Of Sound", das große Buch über Phil Spector, und vertiefte mich richtig in seine Arbeit. Zum Glück hatte ich einige Freunde, die mir coole Musik näherbrachten, aber lange dachte ich, mein Mangel an Wissen sei ein Hinderungsgrund für mich, selbst Musik zu machen - die anderen hatten ja einen solch großen Vorsprung!

GL.de: Auf den ersten Blick wäre es leicht, dich zu all den anderen jungen Frauen zu zählen, die ihre Lieder als eine Art Therapie verwenden. Doch während es den meisten fast ausschließlich um die Texte geht, scheinen Musik und Text bei dir gleichberechtigt zu sein. War das schon immer so, oder ist das Erforschen musikalischer Ideen für dich mit der Zeit wichtiger geworden?

Katie: Das ist mit der Zeit wichtiger geworden. Die Platte, die ich vor "Bleaksploitation" gemacht habe [das Minialbum "Silent Days", 2012], war eher im Americana-Bereich angesiedelt und die Texte standen klar im Vordergrund. Als leuchtendes Vorbild diente mir dabei "Tonight's The Night" von Neil Young, nur mit weit weniger Tequila, also haben wir die Songs live, alle gemeinsam im gleichen Raum, aufgenommen. Auch wenn ich in meinen Texten viel über mich preisgebe, sind sie doch nur das letzte Stück im Puzzle. Ich schreibe beim Singen, also gibt es zunächst eine Menge Dummy-Texte. Oft sind sie aber so gut, dass ich etwa die Hälfte davon beibehalten kann, vieles ist also stream of consciousness. Beim Schreiben ziele ich zunächst auf den Kontrapunkt von Harmonie und Texten ab, und Akkorde sind mir dabei sehr wichtig. Produktion und Arrangement sind die nächsten Schritte und machen den Großteil der Zeit aus, die ich mit der Arbeit an der Musik verbringe. Die beste Therapie für mich ist, mich ans Klavier zu setzen und einen Akkord und eine Melodie so in Einklang zu bringen, dass es sich in meinem Kopf richtig anhört - das fühlt sich sehr gut an.

GL.de: Was bedeutet das für deine zukünftigen Texte?

Katie: Ich muss mir Gedanken machen, wo ich mich textlich hinbewege, denn die Texte sind eine solch kniffelige Angelegenheit. Wenn jemand absoluten Unsinn singt, kann ich mich für den Song einfach nicht begeistern, weil ich Texte nicht ausblenden kann, wenn ich Musik höre. Manchmal finde ich es fast bedauerlich, dass wir sie brauchen, um ein Lied rüberzubringen. Deswegen höre ich auch viele Instrumental-, Ambient-, Experimental- und Weltmusik-Sachen an. Die Texte, die ich selbst am liebsten mag, sind allerdings gar nicht so unverblümt wie meine. Ich mochte zum Beispiel Jeff Tweedys Arbeit am Rande des Nonsens auf "Yankee Hotel Foxtrot". Ich habe auch diese seltsam entrückte Qualität an den Popsongs geliebt, die von 50 verschiedenen Leuten ganz eigen interpretiert worden sind. In dieser Hinsicht ist Nina Simone meiner Meinung nach die Größte!
Vielleicht werde ich zukünftig in meinen Liedern weniger von mir preisgeben? Manchmal frage ich mich allerdings auch, was genau confessional lyricism eigentlich ist. "Walkin' After Midnight", gesungen von Patsy Cline, vermutlich nicht, aber was, wenn nicht das?
Ich möchte auch anmerken, dass ich leider eine überaus emotionale Stimme habe, die traurig klingt, selbst wenn ich über Tomaten singe. Kürzlich habe ich ein Lied eines Freundes über Tage am Strand, Partys und schöne Dinge gesungen, in dem es heißt: "I see the world as a room without walls", und er meinte nur: "Bei dir klingt das so traurig!"

Katie Von Schleicher
GL.de: Viele Musiker, mit denen wir sprechen, beschreiben ihre Musik und besonders ihre Texte als Ersatz für konventionelle Therapie. Du dagegen hast in der Vergangenheit stets sehr offen über deine Therapieerfahrungen gesprochen. Setzt du textlich deshalb an einem anderen Punkt an, weil du dir deiner Probleme beim Schreiben nicht erst bewusst werden musst, sondern sofort zur Aufarbeitung weitergehen kannst?

Katie: Vielleicht! Bisweilen hat die Therapie allerdings nur meine Fragen und Verwirrungen spezifiziert. Ich wäre lieber eine Person, die gemeinsam mit anderen gut leben kann als eine "große, rastlose Künstlerin". Aber um ehrlich zu sein, als ich in Therapie war, fühlte ich mich selbstsüchtiger als je zuvor. Es ist mir schwergefallen, die Texte für "Shitty Hits" zu schreiben, weil ich versucht habe, mich kürzer zu fassen als zuvor. Da wird der Raum für die Texte schnell sehr eng.

GL.de: Es war dir wichtig, die Texte auf "Shitty Hits" so brutal ehrlich wie möglich zu gestalten und auch die unschönen Aspekte nicht auszusparen. In Anbetracht der Tatsache, dass dein Publikum inzwischen beständig wächst: Willst du diesen Weg weiter beschreiten, oder möchtest du dich in Zukunft eher einem fiktiven Storytelling zuwenden?

Katie: Ich habe die Songs von "Shitty Hits" auf eine bestimmte Art und Weise betrachtet. Ich habe versuchte, kürzere Songs zu schreiben, weil ich glaubte, dass sie dann besser zu verdauen wären. Ich denke nicht, dass ich "Pop"-Songs geschrieben habe, aber in meinen Gedanken und meiner verzerrten Einschätzung von dem, was Pop ist, fühlte es sich für mich so an, als hätte ich es dennoch getan. Ich dachte mir: "Wie lustig wäre es, wenn die schimmernden Popsongs der 70er-Jahre, die immer im Autoradio laufen, von erbärmlichen, beschämenden Dingen handeln würden?" Darunter mischte sich dann auch mein Interesse an Autofiktion wie Knausgaards "My Struggle"-Serie, in der er Dinge über sich sagt, die, nach seinen eigenen Worten, beschämend sind. Wenn ich einen Schritt in Richtung Fiktion machen würde, wäre es wohl im Bereich der Autofiktion. Ich bin zurzeit nicht in Therapie und würde gerne ein bisschen mehr nach außen schauen. Einige der Dinge, für die ich mich in letzter Zeit interessiert habe, sind der Film "Vertigo", bestimmte Aspekte der Vergangenheit meiner Mutter, die mit der Zeit veränderte Wahrnehmung der Weiblichkeit in unserer Kultur sowie die geheime, private, gesellschaftlich begrenzte und einsame Erfahrung, die Frauen durchmachen, wenn sie traumatischen Ereignissen ausgesetzt sind.

GL.de: Du hast mehrere Anläufe benötigt, bis du die Songs auf "Shitty Hits" so aufnehmen konntest, wie du sie in deinem Kopf gehört hast. Die meisten hätten vermutlich nach den ersten Rückschlägen nach Unterstützung von außen gesucht, du aber hast dich sogar von deinem Produzenten getrennt und den entgegengesetzten Weg gewählt?

Katie: Ja, und das war in der Situation der richtige Weg, denn ich bin noch nicht wirklich gut darin, auszudrücken, wonach ich suche, bis ich es gefunden habe. Das braucht Zeit und mentalen Raum und ich möchte nichts erzwingen. Letztlich habe ich mit Julian Fader und Adam Brisbin für die Basisaufnahmen zusammengearbeitet, aber danach habe ich zwei Monate lang Sachen hinzugefügt. Der Druck, in einem Raum zu sein, "um jetzt etwas zu tun", blockiert mich manchmal. Das ist ein doofer rebellischer Charakterzug an mir.

GL.de: Mit deiner neuen Single "Glad To Be Here" betonst du schön die fokussierte Seite von "Shitty Hits", ohne dass deshalb der herrlich windschiefe Sound der Vorgänger in Vergessenheit gerät, und auch der Text des Songs ist spürbar positiver gestimmt. Ist das ein einmaliges Experiment, oder siehst du die Single als Blaupause für dein nächstes Album?

Katie: Ich glaube nicht, dass die Single ein einmaliges Experiment war, sie war dennoch unerwartet. Mir wird allerdings vieles erst im Nachhinein klar, deswegen benötige ich zum Schreiben auch immer viel Zeit. Bei "Glad To Be Here" ging alles sehr schnell, deshalb fange ich gerade erst an, den Song zu verstehen. Ursprünglich sollte er Teil des nächsten Albums werden, aber dann sagte ich mir: "Blödsinn, ich nehme ihn jetzt auf!" Ich bin nach Maryland, um ihn einzuspielen, obwohl zu dem Zeitpunkt nur die Strophen fertig waren (lacht)! Ich verfasste den Refrain (letzter Abschnitt), nachdem ich gegen 1:00 Uhr morgens angekommen war. Den Anfang und das Ende des Gitarrenteils "schrieb" ich, während ich ein Take aufnahm. Ich spielte einfach etwas und dachte: "Oh, prima!" Wir mischten das Lied gleich danach ab und gaben es zur Vinyl-Produktion, und ich hatte noch keinen Schimmer, was ich davon halten sollte. Meine Arbeitsweise ist immer ziemlich eigenbrötlerisch, aber das gibt mir Raum für spontane Ideen. Es ist eine Mischung aus sorgfältiger Planung - oft arbeite ich ewig an den Strophen - und schnellen Eingebungen. Oft arrangiere ich gerne die Reihenfolge eines Liedes nur, damit ich anfangen kann, es aufzunehmen. Das ist in der Tat sehr verworren, aber es ist bisweilen auch sehr unmittelbar.

GL.de: Die Single zeigt, dass du ein sehr gutes Gespür dafür hast, was deine Songs besonders macht, während andere Künstler oft im Namen der Neuorientierung das Kind mit dem Bade ausschütten.

Katie: Ich verstehe, warum Künstler das Bedürfnis haben, Drehungen und Wendungen zu machen. Was ich allerdings nicht begreife, ist, warum das immer einen Synthesizer beinhalten muss (lacht)? Ich projiziere hier, aber viele von uns streben diese David-Bowie-mäßige Karriere an, um zu beweisen, dass wir geniale, in allen Genres heimische Künstler sind, die sich ständig neu erfinden können. Für mich dagegen ist Erfolg immer gewesen, mir selbst näherzukommen, mehr "ich" zu werden, auch wenn das ein sehr anstrengender Prozess sein kann. Ich mag "Glad To Be Here", aber ich bin, ehrlich gesagt, auf meinem Weg zu einem weiteren Album auch etwas verwirrt. Wie führe ich das fort, was ich auf der letzten Platte mit "Nothing" und "Sell It Back" begonnen habe? Die Lieder für die nächste Platte schreibe ich auf der Gitarre, dadurch hat sich viel verändert und sie sind auch körperlich anspruchsvoller, mit all dem strumming und jangling.

GL.de: Wir haben kürzlich mit einem Musiker gesprochen, der gesagt hat, dass er es lange vermieden hat, sich zu sehr mit Musiktheorie zu beschäftigen, um sich eine gewisse Naivität in seiner Herangehensweise zu bewahren, bis er irgendwann frustriert war, dass er die wachsenden Ideen in seinem Kopf nicht in echte Musik umsetzen konnte. Kennst du das auch?

Katie: Ich verstehe das. Ich möchte nicht darüber nachdenken, was ich mache, während ich es mache. Ein Freund von mir kann mir sagen, warum eine Akkordfolge, die ich benutze, cool ist, und ich höre ihm dann gerne zu und lerne. Ich kann Musiktheorie verstehen. Manchmal wünschte ich, ich würde bestimmte Motive mit Absicht verwenden, so wie sich der erwähnte Freund von mir Akkorde bei Debussy borgt. Ich borge mir nur Gefühle - das ist Copyright-technisch sicherer. Manchmal fühle ich mich in der Tat in meinen Fähigkeiten eingeschränkt, besonders wenn ich versuche, mich von Akkorden in Richtung kontrapunktischer Linien zu bewegen.

GL.de: Auf deiner Facebook-Seite sind Diskussionen über Equipment ein wiederkehrendes Thema. Bist du die Art von Künstlerin, die an keinem Musikgeschäft vorbeigehen kann, ohne die neuesten "Spielsachen" auszuprobieren?

Katie: Ist das so (lacht)? Nun, ich bin nur auf Message Boards, wenn ich eine spezifische Frage habe. Ich gehe an vielen Musikgeschäften vorbei, aber es ist äußerst beruhigend, reinzugehen und die Instrumente zu berühren. Ich habe eine ganze Reihe von Pedalen, aber mein Interesse an der Ausrüstung rührt in erster Linie daher, dass ich das Gefühl hatte, ich sollte informiert sein, wenn ich Platten produzieren will! Ach, scheiß drauf, ich liebe Ausrüstung! Wichtig ist dabei letzten Endes immer nur das richtige Gefühl. Es geht mir nie um "das Neueste", denn letztlich ist mein Lieblingsinstrument immer noch das Klavier. In letzter Zeit habe ich allerdings zwei Dinge für mich entdeckt, den Ring Modulator (inspiriert von Devos 4-Track-Demos) und ein Soundtoys-Plugin namens Crystallizer. Der Crystallizer ist ein Delay, aber man kann das Instrument, das man da durchjagt, pitchen, und der Delay kann auch rückwärts zurückkommen. Ein Freund hat mir beigebracht, wie man damit diese Brian-Eno-mäßigen Drones hinbekommt. Ist das eine Antwort? Ich habe das Gefühl, ich brabbele einfach über Equipment...

GL.de: Ja! Trotz des gerade Gesagten: Vor allem scheinst du alte und einfache Technik zu bevorzugen. Geschah das bisher nur aus Budgetgründen, oder arbeitest du besonders gerne mit Vintage-Ausrüstung?

Katie: Beides! Ich fand es traurig, dass ich lange nur Laptop-Aufnahmen kannte, außerdem hat mein Freund Elio DeLuca [der "Silent Days" aufgenommen hat] ein ganz analoges Studio in Massachusetts, und die Zusammenarbeit mit ihm hat mich sehr beeinflusst. Im Falle von Tape-Delays ist es einfach: Du willst dich mit dem echten Tape auseinandersetzen, nicht mit einem digitalen Bildschirm, auf dem "Tape" steht. Überhaupt gilt: Nichts bringt den alten Kram besser zur Geltung als die neue Technik. Klanglich bevorzuge ich Wärme. Ältere Geräte und Schallplatten hatten weit weniger hohe und niedrige Frequenzen, daher bringen auch sie die Wärme besser zur Geltung. Dass ich pleite war, hat mich natürlich in meiner Entscheidung beeinflusst, ein Album für 400 Dollar auf einer alten Bandmaschine zu machen, die gewissermaßen einen eingebauten Vibe hatte. Abgesehen davon lernt man bei der praktischen Arbeit mit den Geräten viel mehr, und es hilft auch, ein Medium mit Grenzen und Einschränkungen zu verwenden.

Katie Von Schleicher
GL.de: Lass uns ein wenig über die kommende Tournee sprechen. Du warst im letzten Jahr viel auf Reisen, und das war oft ziemlich hart und ermüdend. Hast du besondere Tricks, um das Auf-Tour-Sein für dich erträglicher zu machen?

Katie: In 90% der Fälle bezahle ich für eine richtige Unterkunft. Einsamkeit und Stille für ein paar Stunden macht einen großen Unterschied. Ich habe ein Halsspray zum Singen, das sich sehr gut anfühlt, und natürlich hilft die übliche Probiotika / Vitamin-Routine. Ich lerne trotzdem noch! Ich denke, die meisten Leute in meiner Gehaltsklasse schlafen immer noch irgendwo auf dem Boden, aber ich habe an mich selbst zu denken und an die Musiker, die ich mitnehme. Ich manage mich selbst, übernehme auch das Tour-Management und wir haben in Europa auch keinen Fahrer. Es gibt also niemanden außer mir selbst, dem man die Schuld zuschieben könnte, wenn es schlecht läuft. Deshalb bezahle ich lieber für die verdammten Hotels, damit wir alle frisch und bei Laune bleiben können.

GL.de: Du bist gerade auf Sprung vom Supportact zur Headlinerin. Was ist der Unterschied?

Katie: Die Frage könnte ich wohl besser am Ende unserer kommenden Tournee beantworten. Ich weiß es nicht! Ich habe in letzter Zeit viel darüber nachgedacht, wie ich dazu stehe, dass das Publikum nun kommt, um allein mich zu hören. Ich habe immer noch das Gefühl, dass die Leute nur aus reiner Nächstenliebe da sind, und meine Reaktion ist: "Es tut mir leid, dass ihr alle gekommen seid!" Tatsächlich empfinde ich es als Überraschung, wenn Leute kommen, ein T-Shirt kaufen oder mir Fragen zur Produktion am Merch-Tisch stellen. Ich bin immer noch damit beschäftigt, mich in die Geisteshaltung einer Headlinerin einzufühlen, und diese kommenden Shows werden dabei helfen, mir darüber klarer zu werden.

GL.de: Wenn du deinen Traum-Auftrittsort möglichst detailliert beschreiben solltest, wie sähe er aus?

Katie: Ich liebe kleine und gemütliche Räume. Die Menschen mit Kenntnis in Akustik mögen mir verzeihen, aber der Saal wäre schmal und hätte hohe Decken, in etwa wie eine Kapelle. Die Bühne würde etwa einen Meter hoch sein. Es gäbe drei bis fünf verschiedene Bühnenhintergründe, das wären schöne Papp-Cut-Outs (Ozean, Nachthimmel etc.) in merkwürdigen Farben. und die auftretenden Bands könnten sich aussuchen, vor welchem Hintergrund sie spielen möchten. Für die Bühne gäbe es die Möglichkeit einer normalen Scheinwerferbeleuchtung sowie Lampen, die überall auf der Bühne verstreut sind, damit man zu einer reinen Laternenbeleuchtung wechseln könnte. Die Decken und Wände wären mit Stoff bezogen, nicht besonders schick, aber auch nicht zu runtergekommen. Die Garderobe der Band wäre kein Albtraum. Die Bar wäre nicht durch eine Tür vom Veranstaltungsort getrennt, sondern um eine Ecke in Richtung der Vorderseite des Veranstaltungsortes. Es gäbe ein Mezzanin mit einzelnen Logen, so eine Art Opernhaus in billig, und natürlich gäbe es überall Holzböden. Du und vielleicht fünf von deinen Freunden könnten in einer der Logen auf Holzbänken Platz nehmen. Dazu stelle ich mir dicht gewebte schwere Vorhänge in Weinrot, Dunkelblau und Lila vor. Das Ganze sollte an einem Ort liegen, an dem eine Band zwei, drei Tag am Stück spielen kann, irgendwo im Südwesten, mit einem kleinen Motel auf dem Grundstück. Ein anderes Szenario wäre ein kitschiges Holiday Inn im Stil von 1964, ein Saal mit Tischen und Stühlen, Kerzen und viel rotem Samt. Die Bühne wäre ein runder Viertelkreis in der Ecke und sie ragte ein wenig heraus.

GL.de: Du verdienst deinen Lebensunterhalt nicht allein mit der Musik. Du veröffentlichst nicht nur bei Ba Da Bing, sondern arbeitest dort auch als Grafikerin und Promoterin. Wie bist du dort gelandet? In Anbetracht der Tatsache, dass auch Sharon Van Etten einst dort gearbeitet hat, scheint es im Bewerbungsformular ja zu heißen: "Alter germanischer Adel bevorzugt"?

Katie: Hahaha! Ich war sehr verloren im Leben und wohnte bei einem Freund in Portland, Oregon. Ich bewarb mich bei vielen Labels, in der Hoffnung, dass sie meine Musik veröffentlichen würden, und die letzte Firma, die ich anschrieb, war Ba Da Bing. Weil ich zu dem Zeitpunkt davon ausging, dass eh niemand meine Musik veröffentlichen will, bewarb ich mich dort um ein Praktikum, damit ich zurück nach New York ziehen könnte. Es klappte, also tat ich es. Ein paar Jahre habe ich nebenher noch gekellnert, aber aus dem Praktikum wurde immer mehr ein richtiger Job. Das Kellnern habe ich immer gehasst und ich war froh, dass ich es irgendwann aufgeben konnte.

GL.de: Letzte Frage: Ist der Job ein Sicherheitsnetz für dich, damit du musikalische Dinge erforschen kannst, an die du dich nicht heranwagen würdest, wenn deine eigene Musik dein einziges Einkommen wäre?

Katie: Einen Job zu haben, finanziert immer noch meine Touren, besonders die Hotels, das ich erwähnt habe. Ich habe lange in Restaurants gearbeitet und war so immer an einen Job gebunden, den ich hasste, in der Hoffnung, dass mich die Musik eines Tages da rausholt. Es ist schon lustig, denn jetzt habe ich einen Job, den ich mag, und einen Chef, den ich wirklich schätze. Ich spüre einen Konflikt in mir, denn ich würde nicht Vollzeit im Musikbusiness arbeiten wollen, wenn ich nicht selbst Musik machen würde, aber es ist mir wichtig, auf Tournee gehen zu können. Gleichzeitig habe ich auch das Gefühl, dass es superkomisch wäre, wenn ich nicht arbeiten müsste und nur Musik machen würde. Ich habe keine Ahnung, wie das wäre. Ich hatte immer Jobs, seit ich ein Teenager war, auch während meiner Zeit im College. Dabei ist Arbeit für mich immer etwas gewesen, das ich verabscheut habe. Auch mein Vater hat seine Arbeit gehasst, aber er hatte sechs Kinder, da blieb ihm keine Wahl. Musik ist harte Arbeit, vor allem, wenn man sich selbst managt, aber wenn du wie ich zehn Jahre damit verbracht hast, etwas zu tun, was du hasst, fühlt es sich trotzdem nicht wie Arbeit an.

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Interview: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Bao Ngo / Katie Von Schleicher-
Katie Von Schleicher
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