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05.01.2018
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GISBERT ZU KNYPHAUSEN

"Mir fließen die Texte nicht so von der Hand wie Bob Dylan oder Conor Oberst"

Gisbert zu Knyphausen
"Es war für mich überlebenswichtig, um es mal mit einem großen Wort zu sagen, mich neu aufzustellen", sagt Gisbert zu Knyphausen über sein Ende Oktober erschienenes drittes Album unter eigenem Namen, das den Titel "Das Licht dieser Welt" trägt. Sieben Jahre lang hatte er davor als Solist veröffentlichungstechnisch nichts von sich hören lassen, getroffen vom plötzlichen Tod Nils Koppruchs, seinem Partner in der Band Kid Kopphausen, die 2012 eigentlich sein neues, zumindest aber zweites Standbein werden sollte. Auf langen Reisen durch die ganze Welt verarbeitete er den Schicksalsschlag und suchte nach neuen Inspirationen. Deshalb ist "Das Licht dieser Welt" hörbar anders. Immer seltener klingt der inzwischen 38-jährige Knyphausen hier wie ein klassischer Liedermacher, wenn er mit seiner bewusst neuformierten Band im Rücken und dem früheren Wir sind Helden-Keyboarder Jean-Michel Tourette am Mischpult fröhlich vor sich hin experimentiert und mit mehr Keyboards, Bläsern und Elektronik die Möglichkeiten entdeckt. "Ich habe keine Angst, meinem Publikum etwas anderes zuzumuten als das, was es gewohnt ist", sagt er im Gespräch mit Gaesteliste.de bestimmt. Trotzdem ist auch "Das Licht dieser Welt" in vieler Hinsicht ein typisches Knyphausen-Album geworden. Auf seiner Sinnsuche singt er einmal mehr in betont poetischen Zeilen von der Vergänglichkeit des Lebens, thematisiert Einsamkeit und den Tod in all seinen Facetten und beleuchtet den tagtäglichen Irrsinn, der uns umgibt, mit dichterischer Schwermut. Nach einer ersten restlos ausverkauften Tournee im letzten Jahr geht es ab Anfang Januar nun wieder hinaus auf die Bühnen, rein ins "Licht dieser Welt".

GL.de: Trotz Heimspiel-Festival, trotz der Kid-Kopphausen-Tournee 2015, trotz vereinzelter Soloauftritte - für die breite Öffentlichkeit bist du lange unsichtbar gewesen. War die Pause auch in dieser Ausführlichkeit beabsichtigt oder hat sich einfach der Moment, an dem du wieder anfangen wolltest, weiter und weiter nach hinten verschoben?

Gisbert: Ich habe mir anfangs kein Limit gesetzt. Ich habe mich bewusst aus dem ganzen Zirkus zurückgezogen und ein bisschen in meinem Privatleben aufgeräumt. Eine Deadline für ein neues Album habe ich mir nicht gesetzt. Letztlich hat es sich vielleicht dadurch noch etwas weiter hinausgezögert, dass ich als Bassist in die Band von Olli Schulz eingestiegen bin, dann viel mit ihm unterwegs war und mit ihm an seinem Album geschraubt habe. Erst danach hatte ich dann das Gefühl: "So, jetzt habe ich wieder richtig Bock auf ein eigenes Album!"

GL.de: Gab es denn einen bestimmten Moment, an dem dir klar wurde, dass die Zeit reif war für eine neue Platte?

Gisbert: Ja! Vor zwei Jahren bin ich an einen sehr schönen Ort in Südfrankreich gefahren, um dort mit neuen Songs anzufangen. Ich war zwei Monate dort, habe aber letztlich doch fast nichts geschrieben, sondern bin wandern gegangen, habe dort im Garten gearbeitet oder die Pferde gefüttert. Als ich von der Reise zurückkam, merkte ich, dass mein Akku wieder voll aufgeladen war. Im folgenden Winter habe ich mich dann ernsthaft hingesetzt, um all die Songideen, die sich natürlich über die Jahre angesammelt hatten, konkreter auszuarbeiten.

GL.de: Fühlte sich das für dich wie etwas Neues an, oder war es doch mehr eine Rückkehr zu dem, was du aus ähnlichen Situationen von früher kanntest?

Gisbert: Es war vielleicht ein bewussteres Schreiben. Zu Beginn, bei der ersten Platte, waren das ja alles Songs, die sozusagen aus mir rausgekotzt kamen. Jetzt habe ich bewusster Geschichten erzählt, auch mal in der 3. Person. Deshalb verschwimmen auf dem neuen Album viele persönliche Geschichten mit vielen anderen, die mir im Bekanntenkreis oder darüber hinaus entgegengeflogen sind.

GL.de: Früher waren deine Songs, egal, wie sie letztlich klangen, immer zu ihren Singer/Songwriter-Wurzeln zurückzuverfolgen. Angefangen mit der Kid-Kopphausen-Tournee bist du mit deinen Liedern dann auch musikalisch experimentierfreudiger geworden - mit dem bewussten Ziel, auch musikalisch die Vergangenheit hinter dir zu lassen?

Gisbert: Auf jeden Fall! Die Kid-Kopphausen-Konzerte, die wir ohne Nils gespielt haben, waren ein Riesenspielplatz, so nach der Devise: Wir drehen alles durch den Wolf und sehen, was passiert. Auch bei der Albumproduktion war es ein Ansatz, das Klangspektrum bewusst zu erweitern. Ich bin ja musikalisch vielerlei interessiert, und deshalb hatte ich schon Bock, neue Einflüsse einzubringen. Es ist jetzt gar nicht so anders als die alten Alben geworden, aber es ist auf jeden Fall weniger gitarrenlastig. Die experimentellsten Ideen sind aber noch gar nicht fertig geworden, die kommen dann vielleicht später.

GL.de: Ist es dir nach der langen Pause leichter gefallen, neue Wege zu gehen, weil es weniger konkrete Anknüpfungspunkte gab, als wenn du diese neue Platte schon vor fünf Jahren gemacht hättest?

Gisbert: Nun, Anknüpfungspunkte gab es schon, aber klar, nach so langer Zeit fühlte es sich schon ein bisschen wie ein Neuanfang an. Den habe ich ja dann auch bewusst herbeigeführt, indem ich neue Musiker ins Boot geholt habe und eine ganz neue Band zusammengestellt habe. Natürlich ist es nach einer Pause leichter. Man reflektiert, was man zuvor gemacht hat, und kann bewusster neue Elemente hinzufügen.

GL.de: Auffällig ist, dass bei den neuen Liedern Text und Musiker stärker eine Einheit bilden. Ist dir das leichtgefallen? Eine Idee zu haben, ist ja das eine, sie auch erfolgreich umzusetzen, etwas ganz anderes.

Gisbert: Ich merke, dass ich tendenziell immer zu viel Text schreibe und alles damit zuklatsche, aber ansonsten war das schon ein ganz organischer Prozess. Das war auch der Grund, bei zwei Songs mal die englische Sprache auszuprobieren, weil da für den deutschen Hörer ganz automatisch die Musik größeren Raum einnimmt und man den englischen Text erst mal an sich vorbeilaufen lässt.

GL.de: Fällt es dir inzwischen leichter, den Punkt zu finden, an dem ein Text rund ist, oder schreibst du bisweilen auch Dinge auf, die du letztendlich streichst, weil du sie lieber nicht mit der ganzen Welt teilen willst?

Gisbert: Ich schreibe schon immer mehr Text, als letztlich im Song landet. Ich schreibe immer ganz viel auf zu dem Thema, von dem das Lied handeln soll. Vieles passt rhythmisch gar nicht, und deshalb versuche ich dann, das Ganze runterzukochen auf die elementarsten Dinge. Aber wie du sagst, sind manchmal auch Sachen dabei, wo ich denke: "Nee, das will ich eigentlich doch nicht da drin haben, das geht keinen was an, das ist zu persönlich oder lenkt vom Rest der Geschichte ab." Es ist auf jeden Fall immer ein langer Prozess, bis ich beschließe, dass ein Text gut ist.

GL.de: Magst du den Prozess denn, oder hättest du lieber, dass dir fertige Texte in den Schoß gelegt werden?

Gisbert: Ich wünsche mir schon, dass ich beim Texten schneller wäre. Ich habe auch sehr viele angefangene Songs, die noch auf Texte warten, aber ich muss einfach akzeptieren, dass ich ein recht langsamer Texter bin. Mir fließen sie nicht so von der Hand wie das bei Bob Dylan oder Conor Oberst der Fall ist. Da bin ich schon sehr ungeduldig! Für mich ist das Texten auch viel mehr Arbeit als das Musikmachen und -arrangieren. Das fällt mir viel leichter. Aber ich habe natürlich auch einen hohen Anspruch an meine Texte, und deshalb ist es ganz normal, dass das ein bisschen dauert.

GL.de: Hierzulande wird allen Künstlern derzeit geraten, fast aufgezwungen, auf Deutsch zu singen. Du dagegen gehst den entgegengesetzten Weg und singst dieses Mal erstmals zwei Lieder auf Englisch. Einfach, weil du es dir erlauben kannst?

Gisbert (lachend): Ja, genau! Das ist Teil der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, einerseits - wo wir vorhin drüber gesprochen haben - der Musik mehr Raum zu geben, andererseits auch ein bisschen freier zu singen, als ich das bei einem deutschen Text kann. Außerdem ist es so, dass ich am Anfang, wenn ich eine Melodie suche, ein englisches Kauderwelsch singe, und ich weiß auch nicht... Es war eine bewusste Entscheidung, das "Teheran"-Lied auf Englisch zu singen, weil ich mit den Jungs im Iran halt auch Englisch gesprochen habe. Ich wollte das einfach mal ausprobieren, ob das auch geht und ob dabei etwas herumkommt, das mir selbst auch gefällt - und bei den zwei Songs hat das für mich persönlich ganz gut geklappt!

GL.de: Denkst du in solchen Momenten auch daran, wie das Publikum diese Lieder aufnehmen wird?

Gisbert: Ja, klar, da denke ich schon ab und zu mal drüber nach, beim Texten oder auch beim Arrangieren. Wenn man einmal so viel Publikum gefunden hat, kann man das ja nicht mehr ausblenden. Ich kann mich nicht mehr in die Zeit zurückversetzen, in der es noch kein Schwein interessiert hat und ich meine Songs einfach für mich zu Hause geschrieben habe. Die meisten Gedanken habe ich mir im Vorfeld tatsächlich darüber gemacht, wie die englischsprachigen Lieder aufgenommen werden. Ansonsten gab es keine Momente, in denen ich gedacht hätte: "Nee, das können wir nicht machen!" Wir haben auf jeden Fall nichts verworfen, nur weil wir dachten, dass der gemeine Gisbert-zu-Knyphausen-Hörer das nicht verträgt (lacht)!

Weitere Infos:
gisbertzuknyphausen.de
facebook.com/gisbertzuknyphausenmusik
Interview: -Simon Mahler-
Foto: -Dennis Williamson-
Gisbert zu Knyphausen
Aktueller Tonträger:
Das Licht dieser Welt
(Pias/Rough Trade)
 

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