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08.09.2017
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THE DREAM SYNDICATE

Zwischen Gestern und Morgen

The Dream Syndicate
The Dream Syndicate? Da war doch mal was? Richtig: Mitte der 1980er Jahre stürmte dieses Trio junger Herren zusammen mit der Bassistin Kendra Smith in Los Angeles aus den Übungskellern hervor, um zusammen mit anderen Bands aus der Gegend - wie Green On Red, den Bangles oder den Long Ryders - einen Musikstil zu etablieren, der sich - nach einem modischen Detail, dem sogenannten Paisley Muster - "Paisley Underground" nannte. Es ging darum, der Plastik-Musik, der Big-Hair-Musik und dem Mainstream jener Zeit ein organisches Äquivalent entgegen zu setzen und klassische, US-amerikanische Rockmusik in all ihren Facetten zu machen, als gäbe es kein Gestern und kein Morgen. Das war besonders wichtig, weil sich Bands wie The Dream Syndicate die Aufgabe gestellt hatten, die Rockmusik zwar nach klassischen Vorbildern, aber nach ihren Bedingungen neu zu interpretieren.

In einem Crash & Burn-Feldzug eroberten The Dream Syndicate - unter der Führung ihres charismatischen Frontmannes Steve Wynn - die Herzen insbesondere vieler junger Zeitgenossen, die - wie sie selbst auch - danach dürsteten, nach einer längeren diesbezüglichen Durststrecke endlich wieder "richtige Musik" erleben zu dürfen. Zwischen 1982 und 1988 veröffentlichten The Dream Syndicate mit "The Days Of Wine & Roses", "Medicine Show", "Out Of The Grey" und "Ghost Stories" vier epochale Studio-Alben, die bis heute zu den Glanzstücken dieser Art von Musik zählen. Nebenher gab es diverse EPs, Kompilationen, Live-Alben, Kollaborationen der Paisley-Musiker und immer wieder auch Re-Issues der Studio-Alben - was für deren Langlebigkeit spricht. 1990 begann Steve Wynn dann seine Solo-Karriere - übrigens damals mit der Prämisse, seine Musik so stark wie möglich von dem abzugrenzen, was er mit The Dream Syndicate gemacht hatte - und etablierte dann peu a peu ab ungefähr 2000 eine neue Band mit Namen The Miracle Three, der auch seine jetzige Frau, die Drummerin Linda Pitmon, und der Gitarrist Jason Victor angehören, der nun auch der Gitarrist bei The Dream Syndicate ist. Denn - und hier wird die Sache undurchsichtig - nachdem Steve Wynn im Laufe der Jahre immer wieder darauf hingewiesen hatte, dass er keineswegs daran interessiert sei, The Dream Syndicate wieder zu beleben, gibt es nun tatsächlich ein brandneues Dream Syndicate-Album mit dem - unter den gegeben Umständen - nicht unironischen Titel "How Did I Find Myself Here?". Neben Steve Wynn und Jason Victor sind darauf Gründungsmitglied und Drummer Dennis Duck, der langjährige Bassist Mark Walton, seine Vorgängerin Kendra Smith und der gemeinsame Freund aus Paisley-Zeiten, Chris Cacavas, der das Album auch produzierte, zu hören. Die Frage ist: Wie hatte es dazu kommen können?

"Also, du bist jetzt schon der zweite, der mich darauf anspricht, dass ich mal gesagt habe, dass die Band, die sich gewiss nicht mehr zusammen tun würde, The Dream Syndicate seien", meint Steve Wynn auf diesen Punkt angesprochen, "habe ich das wirklich gesagt? Nun, dafür gibt es wohl zwei Gründe: Der eine war, dass ich mit meinen Projekten beschäftigt war - solo, mit Danny & Dusty, mit Gutterball, dem Baseball Project und den Miracle Three. Ich hatte so viel um die Ohren, dass ich mich mit diesem Thema gar nicht beschäftigen wollte und schon gar keine zusätzliche Band brauchte. Der andere Grund war der, dass ich dafür ja die Original-Mitglieder gebraucht hätte - zumindest Dennis Duck und Mark Walton und vielleicht Paul Cutler, den zweiten Gitarristen der Band. Mit dem Gründungsmitglied Karl Precoda spreche ich ja bis heute nicht mehr und Kendra Smith macht keine Live-Auftritte mehr. Und die Leute waren auch gut beschäftigt - es war also zu jener Zeit sowieso unmöglich." Das war so um 2008-2010, richtig? "Ja", bestätigt er, "was dann aber passierte war, dass ich 2012 gefragt wurde, ob ich mit Band auf einem Benefiz-Festival für Kinder-Krankheiten namens The Walk On Project spielen könne - was eine schöne Sache ist. Zu jener Zeit waren aber die Musiker von The Baseball Project und The Miracle Three alle beschäftigt, so dass ich keine Band hatte." Hierzu muss man wissen, dass die Musiker jener Projekte sich teilweise überschneiden und auch als Musiker für andere Projekte engagiert werden. "Da habe ich aus einer spontanen Eingebung heraus überlegt, wie es denn mit The Dream Syndicate aussähe", berichtet Steve, "und musste mir dann auch gleich klar machen, was das bedeutete. Ich habe dann bei Mark und Dennis angefragt und die haben tatsächlich ja gesagt - da musste ich mir bloß noch einen Gitarristen aussuchen - und das war offensichtlich Jason Victor. Jason spielt jetzt zehn Jahre mit mir zusammen und er kennt alle Dream Syndicate-Songs - die wir ja auch bei Miracle Three-Konzerten spielen. Jason ist zugleich ein Student wie auch der Geist von The Dream Syndicate. Er versteht nämlich, was diese Band darstellt und bedeutet und was geht und was nicht geht - mehr als jeder andere, mit dem ich seither zusammen gespielt habe." Da stellt sich aber noch die Frage, warum nicht auch der ehemalige Gitarrist, Karl Precoda, gefragt wurde? "Das ist nicht so einfach", meint Steve, "denn ich habe keinen Kontakt mehr zu Karl und weiß gar nicht, was er heute macht. Wir haben uns damals, Mitte der 80er, gründlich zerstritten. Wir waren jung und haben uns über dumme Sachen gestritten und uns niemals bemüht, das wieder in Ordnung zu bringen."

The Dream Syndicate
Nun liegen ja zwischen The Dream Syndicate 1 und 2 immerhin satte 25 Jahre. Wie hat sich denn Steve Wynn seither weiterentwickelt und wie hat das seine Musik beeinflusst? Sein Bandkollege Mark Walton erzählte zum Beispiel mal in einem eigentlich vertraulichen Gespräch, dass Steve nicht immer der nette, umgängliche Mensch gewesen sei wie jener, als den man ihn seit den 90ern kenne. "Das ist eine gute Frage", zögert Steve ein wenig, "ich will mal ehrlich sein: Wenn man sich die Geschichte des Rock'n'Roll anschaut, dann stellt man fest, dass, wenn junge Leute früh Erfolg haben, das etwas Seltsames mit ihnen macht - was nicht immer gut ist. Schau dir Leute wie John Lennon, Kurt Cobain oder Elvis Costello an. Man muss auf eine gewisse Art gepolt sein, um überhaupt Songs schreiben und Musik machen zu können. Und dafür muss man irgendwie auch ein Außenseiter sein. Wenn man dann die Arroganz, die das mit sich bringt und die Unsicherheiten und die Unfähigkeit, auf normale Weise mit anderen umgehen zu können mit plötzlichem Erfolg kombiniert, dann macht das was mit dir. Und wenn dann noch Alkohol hinzu kommt, wird es ganz schlimm. Ich würde also sagen, dass ich für einige Jahre - speziell als ich begann, mit Mark zu spielen, weswegen er durchaus recht hat mit seiner Aussage - nicht immer ein sehr angenehmer Zeitgenosse war. Ich war zwar nicht absichtlich böse zu den Leuten aber ich war ein nachlässiger Trunkenbold. Meine Helden waren immer schon Leute, die wunderschöne Verlierer-Scheiben machten - wie zum Beispiel Big Star oder John Lennon. Das waren Leute, die unter den schrecklichsten Umständen auf düsterste Art kreativ waren. So jemand war ich auch. Ich wollte aber auch so sein. Ich wollte mit 23 aussehen, wie ich heute, mit 57 aussehe. Ich fand das cool - trug Kleider aus dem Leihhaus, trank, rasierte mich nicht, schmierte mir Pomade ins Haar und wollte wie Ratso Rizzo - Dustin Hoffmanns Charakter aus Midnight Cowboy - sein. Ich wurde zu diesem schwierigen Bukowski-mäßigen Trunkenbold. Ich kann also verstehen, wenn Mark Walton sagt, dass ich nicht immer nett gewesen sei. Das haben auch andere bemerkt. Zum Beispiel war die erste Single der Bangles 'Hero Takes A Fall' ein Song über mich. Das war kein netter Song, sondern der sagte klar aus, dass dieser Typ mal ein paar Schritte zurück gehen solle. Und ich denke, sie hatten recht damit." Okay - wie hat Steve dann aber die Kurve gekriegt? "Nun, diese Phase dauerte zwei Jahre und dann wollte ich einfach nicht mehr so sein. Ich habe erkannt, dass ich auch derselbe sein könnte, wenn ich nicht mehr diese Anti-Person wäre", erinnert sich Steve. Nun ja - um ehrlich zu sein, zielte die Frage nach der persönlichen Entwicklung Steves darauf ab, einen Bogen zum Titel der neuen Scheibe "How Did I Find Myself Here?" zu schlagen. "Das ist natürlich der Titel eines Songs", erklärt Steve, "und das ist nicht nur mein Lieblingstrack auf dem Album, sondern - wie ich meine - einer der besten Songs die ich je geschrieben habe. Als wir uns dann für den Titel entschieden hatten, wurde mir klar, dass nicht nur ich, sondern die ganze Welt sich an einem Punkt befindet, an dem wir alle uns fragen, wie es hatte so weit kommen können. Es ist irgendwie eine unruhige, beängstigende Situation, in der wir uns alle fragen, wie das wohl weiter gehen wird." Das hat ja auch politische Dimensionen, oder? "Nun ja, ich möchte nicht mein eigener Rock-Kritiker sein, aber ich würde sagen, dass die Scheibe schon sehr gut in die jetzige Zeit passt. Es ist halt eine Scheibe, die beängstigende Fragen stellt. Im Rückblick habe ich festgestellt, dass meine besten Scheiben immer in Zeiten entstanden, in denen die Republikaner an der Macht waren. Ich weiß nicht, ob es mit der Politik zusammen hängt, aber das waren immer gute Jahre für mich als Musiker."

Das neue Album produzierte Steve Wynn - zusammen mit Chris Cacavas - und nicht etwa mit John Agnello, der das Album mischte. Was ist der Grund dafür? Sagte Steve nicht ein Mal, er interessiere sich nicht für den Produktionsprozess? "Ich glaube nicht, dass ich das so gesagt habe", schränkt Steve ein, "ich mag es, Sachen zu produzieren. Ich habe ja schon Scheiben für Chris Cacavas oder Russ Tolman produziert. Wenn ich also so etwas gesagt haben sollte, dann vielleicht deshalb, weil ich lieber meine eigenen Scheiben machen wollte, als mich als Produzent zu verdingen." Was war denn Chris Cacavas’ Aufgabe in diesem Zusammenhang? "Nun, meine größte Angst war, dass wir es zu locker angehen könnten und den einfachsten Weg gehen könnten. Das wollte ich nicht. Ich wollte eine Herausforderung. Ich wusste schon, dass Jason uns herausfordern würde - weil er heutzutage irgendwie das Gewissen von The Dream Syndicate ist - mehr als ich und Mark und Dennis. Die andere Person, von der ich wusste, die so ähnlich denkt wie Jason, ist Chris Cacavas. Chris ist toll im Studio - und er hat ja auch mein Lieblings-Album 'Here Comes The Miracles' mit produziert. Er dieses auf die gleiche Weise angegangen: Ist zu uns ins Studio gekommen, hat sein Equipment aufgebaut und dann mal geschaut, was passiert. Und er hat mich aufgefordert, auch mal ungewöhnliche Dinge auszuprobieren und etwas zu überarbeiten. Wir haben zwar immer noch die Basis-Tracks live aufgenommen, aber wir haben auch kleinere Sachen hinzugefügt und die Stimmen neu aufgenommen - weil ich es nicht mag, die Live-Vocals von den Aufnahmen zu behalten - wobei ich selbst nicht weiß, warum das so ist."

Wie ist es Steve denn gelungen, die ursprüngliche Bassistin, Kendra Smith (die bis heute durch Mark Walton ersetzt wird), wieder mit an Bord zu holen? Denn diese hatte sich ja lange Zeit von der Welt zurück gezogen. "Heutzutage stehen wir dank eMails und ähnlichem wieder mehr in Verbindung", erklärt Steve, "es gab freilich Zeiten, da war das nicht so einfach - obwohl wir immer Freunde geblieben waren; denn sie lebte damals ohne Elektrizität und Telefon weit draußen auf dem Land. Egal: Wir sind mit 20 Stücken ins Studio gegangen. Ich hatte einen Song, aus dem dann 'Kendra's Dream' wurde - mit Text und Melodie. Der war ganz gut - aber ich fand, dass meine Texte und der Gesang nicht so gut waren, wie das Stück es eigentlich verdient hätte. Wenn man aber versucht, für einen fertigen Song neue Texte zu schreiben, dann gehört das zu den schwierigsten Dingen als Songwriter überhaupt - einfach weil man die bestehenden Texte nicht ausblenden kann. Ich dachte mir dann, dass sich der Song gut für Kendra eignen würde und habe mich dann entschlossen, sie zu kontaktieren und zu fragen, ob sie nicht einen neuen Text dazu schreiben könne. Sie hat dann erst gesagt, dass sie sowas nicht mehr machen wolle. Ich habe dann versucht, sie zu überzeugen, weil es doch schön wäre, sie auf der Scheibe zu haben und sie hat dann gesagt, dass sie es sich überlegen wolle. Eines Tages - kurz bevor wir mit dem Mischen beginnen wollten - kam dann eine eMail von ihr - und die enthielt dann auch gleich ihre Vocals. Ich habe diese dann in den Track eingebaut - und es war erstaunlich, wie gut das passte."

Angesichts dessen, dass dieses Dream Syndicate-Album nun wirklich nicht klingt, wie andere Alben der Band, sei dann doch dir Frage erlaubt, ob Steve Wynn hier eine musikalischen Zirkelschluss sieht? Immerhin heißt es ja in dem neuen Track "The Circle" treffend "the circle never ends". "Nun, das Album klingt zwar anders als andere Dream Syndicate-Alben", räumt Steve ein, "aber es klingt dennoch, wie ein Dream Syndicate-Album, oder nicht? Und das habe ich dann auch versucht, in dem Song 'The Circle' auszudrücken. Das Ziel war jedenfalls, ein Album zu machen, das wirklich nach einem Dream Syndicate-Album klingt - ohne dabei die Vergangenheit wiederzukäuen. Ich denke, das ist uns gelungen." Was war dabei dann die Herausforderung für Steve? "Ich wollte nicht zuviel darüber nachdenken", räumt Steve ein, "aber ich wusste ja, wie meine Arbeit mit Jason aussieht und ich wollte nicht, dass es wie ein Steve Wynn-Album klingt. Also habe ich die Songs in der Art geschrieben, wie ich sie für ein Dream Syndicate-Album passend fand. Das war das Schwierigste dabei."

Steve hat die neuen Songs erstmals auf einem Laptop komponiert - mit Hilfe des Programmes Garage Band. Hat das auch einen Einfluss auf den Sound des Albums gehabt? "Ich glaube schon", überlegt Steve, "denn auf diesem Album gibt es viele Kreisbewegungen, Loops und Wiederholungen." Womit wir wieder bei Steves liebster Inspirationsquelle, dem Krautrock wären. "Ja, und bei der Psychedelia", fügt Steve hinzu, "selbst für eine psychedelische Band wie uns ist das schon das psychedelichste Album, das wir je gemacht haben. Wir haben da alles in dem Mix geworfen, was wir mochten - und dazu gehören Krautrock a la Neu!, Velvet Underground, Suicide, My Bloody Valentine - alles was trippy und hypnotisch ist. Drei der Songs basieren im Prinzip auf einem einzigen Akkord - was ich bisher ja noch nicht gemacht habe. Die Bewegung kommt dabei vom Zusammenspiel und nicht durch eine Melodie." Nachdem das Projekt The Dream Syndicate jetzt wieder dermaßen konkret im Fokus steht, heißt das, dass die anderen Projekte damit erst mal erledigt sind? "Nein, auf keinen Fall", meint Steve empathisch, "ich will so vieles machen - eine neue Baseball-Projekt-Scheibe - und auch mal ein Projekt mit Peter Buck, Scott McCaughey und Linda Pitmon, bei dem es nicht um Baseball geht - um auch mal einen Grund zu haben, in Europa spielen zu können, eine neue Solo-Scheibe, und auf jeden Fall auch mal eine Akustik-Scheibe. Aber für dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, als Ein-Band-Typ nur in Sachen Dream Syndicate unterwegs zu sein."

Weitere Infos:
www.thedreamsyndicate.com
www.facebook.com/thedreamsyndicate
www.stevewynn.net
Interview: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Pressefreigabe-
The Dream Syndicate
Aktueller Tonträger:
How Did I Find Myself Here?
(Anti/Indigo)
 

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