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Konzert-Bericht
 
Reifeprüfung

Speedy Ortiz
J Mahon

Köln, Bumann & Sohn
04.03.2024

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Speedy Ortiz
Es ist eine ganze Weile her, dass die nach wie vor vermutlich einzige Power-Prog-Pop-Band der Welt in unseren Breiten zu Gast gewesen war. Nun gab es aber gleich zwei Gründe für die Band um die quirlige Frontfrau Sadie Dupuis, wieder mal auf Tour zu kommen - und das war dann das zehnjährige Jubiläum der Veröffentlichung des Debüt-Albums "Major Arcana" und nicht zuletzt das Ende letzten Jahres erschienene neue Werk "Rabbit Rabbit". Und dann gab es auch noch einige politische Akzente: Die Band, die dafür bekannt ist, 2016 anlässlich der Wahl Trumps ein ganzes Album eingestampft zu haben, um dann mit frischer Wut im Bauch das Album "Twerp Verse" einzuspielen, solidarisierte sich zunächst nämlich mit den streikenden Genossen, die uns hierzulande zur Zeit das Herumreisen erschweren - weil man sich früher selber genossenschaftlich organisiert habe. Und gegen Ende der Show bat Sadie dann noch um eine Spende für die Organisation "eSims For Gaza", über die man eSim-Karten spenden kann, mittels derer die Menschen im Gaza-Streifen dann Informationen über Hilfslieferungen oder Evakuierungsanweisungen erhalten oder mit Angehörigen außerhalb des Gaza-Streifens kommunizieren können. Musik gab es dann aber auch.
Etwa die des australischen Wahlberliners Jarred M. Mahon, der mit seinem Support Slot sein Debütalbum namens "Everything Has A Life" als J Mahon präsentierte. Die Sache ist dabei die, dass dieses Album sozusagen sogar Mahons zweites Leben symbolisiert, denn zuvor agierte der Mann bereits als FKA Emerson Snowe in der Berliner Indie-Szene und war zum Beispiel beim Synästhesie Festival aufgetreten. Damals allerdings machte Mahon noch in Sachen hyperaktiven Power-Pops und präsentierte etwa eine Coverversion von "Friday I'm In Love" von The Cure im E-Pop-Format. Damit ist jetzt offensichtlich Schluss, denn als J Mahon hat sich der Mann mit Haut und Haar der klassischen Berlin-Psychedelia verschrieben. Damit ist jene Form der gitarrenorientierten, auf kraftvollen Power-Chords und schwelgerischen Melodiebögen basierende Psychedelia gemeint, der sich etwa Acts wie Antony Newcombe und Tess Parks verschrieben haben - nur auf einem überschaubareren Level und vielleicht ein wenig poppiger strukturiert. Apropos Haut und Haar: Für diesen Job hat sich Mahon nun sogar eine klassische, strähnige Psychedelia-Frisur gegönnt, während er bislang stets eher mit kurz geschorenen Haaren unterwegs gewesen war. Insgesamt machte der Meister seine Sache sehr gut und präsentierte die Flower-Power-Songs des Albums und die neue Single "Gold States" mit einer elektrischen Gitarre in der Hand (und einem Handy mit den Backing-Tracks auf dem Boden) zwischen zwei Stroboskop-Strahlern, denen aber das Stroboskop ausgegangen war. Was durchaus von Vorteil war, da man ihn so tatsächlich auch deutlich sehen konnte. Einen technischen Defekt mit einem pfeifenden Verstärker gegen Ende der Show überspielte er dann, indem er seine Gitarre in die Ecke pfefferte, die Backing-Tracks hochfahren ließ und dann (wie weiland als Emerson Snow) alleine mit dem Mikro in der Hand hyperaktiv Party machte.
Nach einer erfreulich kurzen Umbaupause kletterten dann Sadie Dupuis und ihre MusikerInnen auf die Bühne. In der aktuellen Besetzung bestehen Speedy Ortiz neben ihrer Chefin zur Zeit aus Gitarrist Andy Motholt, Bassistin Audrey Zoe Whitesides und Drummer Jony Doubek - und das sind dann auch die Musiker, die die aktuelle LP "Rabbit Rabbit" miteinander eingespielt haben, die logischerweise im Zentrum stand. Es war dann sicherlich eine gute Idee, die Tour mit der eingespielten, aktuellen Besetzung zu bestreiten, denn die Songs von Speedy Ortiz sind dermaßen komplex und vertrackt strukturiert, dass diese nicht einfach dahingeschrammelt oder gar gefakt werden können. Die neue LP besteht im wesentlichen aus drei Bestandteilen: Rätselhaften Hörspiel-Elementen, hakelig verzahnte Prog-Elementen und eingängig poppige Passagen, bei denen gerne auch mal Keyboard-Elemente zum Tragen kommen. Im Live-Kontext wurde auf die Hörspiel-Elemente verzichtet, die Gitarren-Parts mit einer klaren Aufgabenteilung effektiv verdichtet (wobei Sadie Dupuis teilweise auch die Leads übernahm) und die Keyboard-Elemente nur punktuell von Andy Motholt in Teilzeit beigesteuert. Insgesamt führte das dann zu einem handwerklich bemerkenswert souverän inszenierten Power-Pop-Sound, bei dem es keine Zeit zum Durchatmen gab und der - anders oft unter ähnlichen Umständen zu beobachten - auch niemals in nerviger Selbstgefälligkeit ausartete.

"Rabbit Rabbit" ist ein im angelsächsischen Sprachraum gebräuchlicher Ausdruck, der am Anfang eines Monats ausgerufen Glück für den Rest desselben garantieren soll. In Köln galt das dann wohl für die Show - die demzufolge unter einem glücklichen Stern stand. Als Bandleaderin führte Sadie Dupuis ihre Musiker im lockeren Dialog mit dem Publikum und Gitarrist Andy durch das Programm. Die Show begann dabei gleich ziemlich lebhaft mit dem Grunge-Pop-Kracher "Ghostwriter", der das aktuelle Album beschließt, führte dann auch über ältere Tracks wie "Casper" von "Major Arcana" oder "Buck Me Off" vom "Twerp Verse"-Album zum letzten Song "Brace Thee", der dann auch gleich den Zugaben-Teil des Abends markierte, denn - so Sadie - sie wolle ja nicht die Zeit der Zuschauer mit Zugaben vergeuden. Dafür gesellte sie sich aber gleich nach der Show an den Merchstand (auch um dort noch ein Mal Werbung für die Organisation "eSims For Gaza" zu machen).

Der Film "The Graduate" mit Dustin Hoffman und Anne Bancroft als "Mrs. Robinson" hat ja im Deutschen den Titel "Die Reifeprüfung". Eine Reifeprüfung der besonderen Art gab es dann, als Sadie den Song "The Graduates" von dem Album "Foil Deer" ankündigte: "Hat irgendjemand von euch einen Abschluss vorzuweisen?", fragte Sadie ins Auditorium. Als sich daraufhin dann niemand meldete - auch nicht auf die Frage nach einem etwaigen Abschluss im Kindergarten - resignierte sie und meinte, dass dann ja auch niemand einen Bezug zu dem Song haben könne. Eine Einlage besonderer Art gab es dann im Folgenden, als Sadie und Andy versuchten, spielend von der Bühne ins Auditorium zu klettern, was aber aufgrund der beschränkten Platzverhältnisse und zu kurzer Kabel damit endete, dass Andy in die Damentoilette abgedrängt wurde. It's only Rock'n'Roll, kann man da nur sagen...

Es war insgesamt dann schon bemerkenswert zu beobachten, wie effektiv die Musiker die Balance aus komplex verzahnten Gitarrenfiguren, verstiegenen harmonischen Eskapaden, hymnischen Mitsing-Refrains, Rhythmuswechseln und verspielten aber kurzen Improvisations-Passagen, die im Wesentlichen die Klangwelt von Speedy Ortiz ausmachen, mit geradezu jugendlicher Spielfreude und Unbekümmertheit implementierten. Es gilt dabei ja auch zu beachten, dass Speedy Ortiz (bzw. Sadie Dupuis) nun auch schon wieder über zehn Jahre im Geschäft sind und in dieser Zeit keinerlei Abnutzungserscheinungen erkennen haben lassen - somit immer noch mit einer Energie aufspielen, als stünden sie ganz am Anfang ihrer Laufbahn. Kurz gesagt sind es dann Shows wie diese, die dem Zuschauer immer wieder den Glauben an das Gute auf dem Indie-Pop-Sektor zurück geben.

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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-

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