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Reeperbahn Festival 2023 - 3. Teil

Hamburg, Reeperbahn
22.09.2023

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Reeperbahn Festival
Der Festival-Freitag war auch in diesem Jahr wieder der Großkampftag für Fans und Fachpublikum - einfach weil die parallel laufenden Showcases im Canada House, im Molotow mit dem Aussie Barbecue oder der schweizer Delegation auf der XL-Bühne für ein volles Programm und der einsetzende Zustrom des Wochenend-Laufpublikums für volle Spielstätten allerorten Sorge trugen.
Los ging es mittags mit dem Showcase des australischen Troubadours Bobby Alu im Molotow Backyard zum Abschluss von dessen soeben beendeter, erfolgreich absolvierter Europa Tour. Dass der Mann von der australischen Goldcoast jahrelang als Perkussionist bei seinem Landsmann Xavier Rudd arbeitete und obendrein auch viel auf seine samoanischen Roots hält, machte er durch die Wahl seiner Instrumente deutlich. So spielt der Mann statt einer Gitarre eine ziemlich rockige Ukulele, ließ es sich aber auch nicht nehmen, mit seinem Drummer Grant Gerathy (John Butler Trio) an einer Bongo sitzend zu jammen oder seine "Pacific Reggae Tunes" zusammen mit seinem Bassisten an zwei ausgehölten Baum-Ästen perkussionistisch zu verzieren. Sehr viel entspannter und lockerer als mit dem tiefenentspannten Sonnyboy hätte sich der Tag musikalisch kaum einleiten lassen.

Gleich im Anschluss machte sich Annie Hamilton aus Sydney mit ihrer gut gelaunten Band bereit, den Molotow Backyard zu rocken. Das ist sogar wörtlich zu nehmen, denn auch wenn die sich parallel als erfolgreiche Modedesignerin betätigende Songwriterin auf ihrer Solo-Debüt-LP "The Future Is Here But It Feels Kinda Like The Past" noch einen poppigeren Weg mit viel Psychedelia gewählt hatte, so ging es bei der Show im Molotow gut nach vorne los. Das mag auch damit zusammenhängen, dass Annie neben ihrem eigenen Projekt auch noch als Tour-Gitarristin bei dem Projekt Jack River ihrer Freundin Hollie Rankin beschäftigt ist und so als Rampensau ein gewisses Energiepotential aufgebaut hat. Das Album erschien bereits im Jahre 2022 und eine richtige Tour dazu hatte es in Europa nicht gegeben, so dass die Show in Hamburg für Annie eine der wenigen Gelegenheiten darstellte, ihr Material - darunter auch neue Songs - live und in Farbe hierzulande darzubieten. Mit großer Begeisterung kam sie dieser Aufgabe bei der ersten von zwei brillanten Glamrock-Shows auf dem Festival nach.

Ebenfalls zwei Shows vor sich hatte Annies Landsfrau Gene Rose Bruce aus Melbourne, die bei ihrem Hamburg Debüt im Molotow Club die Songs ihrer aktuellen LP "Deep Is The Way" mit einer Gitarristin in einem abgespeckten Duo-Format präsentierte. Das vermittelte zwar keinen wirklichen Eindruck davon, was Gena auf der LP (oder auf der mit dem Budapest Art Orchestra eingespielten EP "Lighting Up") in Sachen Arrangements zu bieten hat, vermittelte aber recht anschaulich die elegante Melancholie von Songs wie dem mit Bill Callahan geschriebenen (und eingespielten) Titeltrack des Albums. Aufgrund der Faszination mit den morbiden Aspekten des Daseins, der düsteren Note des Materials, und der opulenten Inszenierung desselben, wird Gena Rose Bruce (die sich in der Pandemie ein zweites Standbein als Gärtnerin aufgebaut hat) gerne auch als "australische Antwort auf Angel Olsen" bezeichnet - zumindest vom Guardian. Nicht zu Unrecht, wie dieser Auftritt belegte - gleichwohl Genas Timbre Kenner eher an jenes ihrer amerikanischen Kollegin Lera Lynn erinnert haben dürfte.

Im Rahmen der vielen Debüts, mittels derer Katja Seiffert mit ihrem Bandprojekt Blush Always die Veröffentlichung der inzwischen erschienen Debüt-LP "You Deserve Romance" vorbereitete, waren Katja & Co. auch intensiv auf dem Reeperbahn Festival unterwegs. Einer der Auftritte fand auf der Fritz-Kola-Bühne auf dem Heiligengeist-Feld statt. Der Vorteil dieser Show war, dass diese frei zugänglich auch vom Lauf-Publikum begutachtet werden konnte - der Nachteil, dass die Musiker mit den Unzulänglichkeiten dieser Location zurecht kommen mussten. Und da zeigte sich dann die Stärke von Blush Always, denn selbst diese Umstände - also auf einer vergitterten Bühne mit großem Abstand zum Publikum mit einer unterdimensionierten PA arbeiten zu müssen - schienen die Musiker überhaupt nicht zu beeindrucken. Mit geradezu nonchalanter Coolness präsentierten Katja & Co. das beeindruckende Songmaterial der Debüt-LP - allen voran der brillante Signature-Track "Coming Of Age" - mit ordentlichem Druck und akzeptablem Grunge-Sound und schienen dabei mit einer gewissen Selbstverständlichkeit bereits im Zirkel angesagter Rock-Routiniers angekommen zu sein. Nicht schlecht für ein Projekt, das noch am Anfang seiner Laufbahn steht.

Wesentlich deutlicher als Blush Always haderte im folgenden das schwedische Wave-Pop-Quartett Girl Scout mit den erwähnten Umständen. Frontfrau Emma Jansson machte sich über die Szenerie lustig. "Also das ist das erste Mal, dass ich hinter einem Gitter auftrete", erklärte sie, "das ist ja wie ein umgekehrter Zoo." Dem Vernehmen nach haben Emma Jansson und Girl Scout-Mitbegründer Viktor Spasow einen Jazz-Background. Das mag erklären, warum Girl Scout ihren im Prinzip auf US-College-Rock basierenden Indie-Pop-Sound ambitionierter strukturieren, als viele ihrer zeitgenössischen Kolleg(inn)en. Das führte dann dazu, dass der Sound - zumindest bei dieser Show - weniger in Richtung Grunge wies (wie zuvor bei Blush Always) sondern in eher in der Hektik des Schrammelpop stecken blieb. Ganz klar hätten Girl Scout von der Umgebung eines gesitteten Club-Umfeldes profitiert. Aber wie gesagt: Bezogen auf die Show beim Fritz-Kola-Bus.

In einem gesitteten Umfeld spielten dann im Folgenden die niederländischen Wahlberliner Stefany und Denis mit ihrem Duo-Projekt Wolf & Moon im gut gefüllten Headcrash-Club auf. Wolf & Moon waren eigens für diesen Gig am selben Tag aus Berlin angereist und präsentierten im Wesentlichen die Songs ihres vor kurzem erschienenen Albums "To Get Lost". Auf dem Album haben haben Wolf & Moon eine größere Anzahl von Up-Tempo-Songs versammelt, weil es darum ging, genug druckvolles Material für die anstehende Konzert- und Festival-Saison zur Verfügung zu haben. Das führte dann dazu, dass die Show im Headcrash deutlich lebhafter angelegt war, als das bislang von dem Duo gewohnt war. Insbesondere Stefany zeigte sich - gerne mit einem Drumstick auf das rudimentäre Percussion-Set eindreschend, aber sich auch mal mit dem Mikrofon in der Hand als klassische Croonerin präsentierend - als gut gelaunte Animateurin. Noch eine Anekdote am Rande: Bei Wolf & Moon ist es Tradition, den letzten Song anstelle einer Zugabe auf der Theke des jeweiligen Spielortes balancierend vorzutragen. Es dürfte dabei vermutlich das erste Mal gewesen sein, dass Stefany und Denis durch einen Geistesblitz des Licht-Technikers, der einen Spot auf einen Mirrorball richtete, auf der Theke besser ausgeleuchtet waren, als zuvor im Dreivierteldunkel des eher nett gemeinten Bühnen-Set-Ups mit pulsierenden, schummrig beleuchteten Globi.

Endlich auch mal Billy Bragg auf dem Reeperbahn Festival - vor sage und schreibe 40 Jahren erschien die erste Platte des britischen Folk-Punk-/Protest-Songwriters und immer noch hat Billy Bragg einiges zu erzählen und viele Songs zu spielen - und er ist immer noch wichtig. Angereist ist er mit Verstärkung an Gitarre/Banjo/Steel Guitar und Keyboard, spielt Songs aus seinem großen Repertoire, erzählt viele Anekdoten (bei seinem letzten Trip nach Deutschland ist die Queen gestorben, nun Roger Whittaker - was wohl als nächstes passieren wird?), erinnert an wichtige Dinge (es sei sein Versuch, den Aktivismus bei den Leuten wieder aufzuladen und den Zynismus vorübergehend lahmzulegen) und spielt mal eben eine ganze Platte als Zugabe - nun gut, die Spielzeit von "Life’s A Riot With Spy Vs Spy" von 1983 beträgt nur knapp 16 Minuten, von daher passt es außerordentlich gut, vor allem mit so grandiosen Songs wie "The Milkman of Human Kindness", "A New England" und "The Man In The Iron Mask". Toll. Und wichtig.

Die Shows für die Kandidaten des Anchor-Wettbewerbes fanden in diesem Jahr nicht mehr im Nochtspeicher oder im Imperial-Theater statt, sondern im wesentlich größeren Grünspan. Das kann man so oder so sehen - aber die intime Live-Atmosphäre, in der sich die betreffenden Acts bislang präsentieren konnten, war so erst mal dahin. Wollen wir mal nicht hoffen, dass die Acts in Zukunft alleine mit Bezug auf eine mögliche Massenkompatibilität ausgewählt werden. Eine der Anchor-Aspirantinnen in diesem Jahr war die englische Songwriterin Paloma Paris, die mit ihrem feministischen Empowerment-Folk-Pop online und in ihrer Heimat gerade zum neuen Shooting-Star der Szene heranreift. Mit "Szene" ist dabei ein Sub-Genre gemeint, in dem sich vorzugsweise junge Damen mit Elementen klassischer Folk-Musik, einer Prise revisionistischem Fantasy- und Mystic-Pop, ein wenig Darkwave und dann wieder ganz zeitgemäßem Songwriting eine eigene Nische freigeschlagen haben. Das bedeutet für die überwiegend weiblichen Fans, entsprechend kostümiert in mittelalterlich anmutenden Gewändern zu den Live-Konzerten aufzuschlagen. Aus irgendwelchen Gründen machte Paris Paloma da zwar bei der abschließenden Anchor-Show, nicht aber bei ihrem Auftritt im Grünspan mit und trat im abgetragenen, löchrigen Pullunder auf. Wenn das ein Statement war, blieb das zunächst mal unerklärt im Raume stehen. Vielleicht lag es daran, dass Paris Paloma - obwohl sie noch keinen Longplayer vorzuweisen hat, bereits eine Unzahl an Single- und EP-Titeln veröffentlicht - und dabei bereits erste Schritte weg von dem Folkie-Image gemacht hat. Ihre aktuellen Titel wie ihre Siganture-Hitsingle "Labour" oder die gerade veröffentlichte Sisterhood-Hymne "As Good A Reason" strecken ihre stilistischen Fühler bereits selbstbewusst in Richtung Indie-Pop bzw. gar Rock aus. Im Grünspan präsentierte sich Paris Paloma mit einer selbstbewusst inszenierten bzw. Effektiv choreografiertem No-Nonsense-Show im Trio-Format. Mit ihren wirklich intelligenten, poetisch ausgerichteten, allegorischen Empowerment-Lyrics hat Paris Paloma dabei den Nerv der Zeit getroffen und ist auf dem besten Wege, sich an die Spitze der aktuellen "Women's-Lib-Bewegung" der britischen Songwriter-Szene zu setzen. Mit Fug und Recht übrigens.

Parallel zu der Show von Paris Paloma fand im Imperial-Theater der einzige Auftritt der australischen Songwriterin Tori Zietsch statt, die ihr Musikprojekt nach einem niedlichen, flugfähigen Beuteltier namens Maple Glider benannt hat. Auch das Aussie Barbecue im Verlauf des Freitages im Molotow litt gewissermaßen daran, dass schlicht mehr australische Acts angereist waren, als im Tagesprogramm Platz gefunden hätten. Es war denn aber auch durchaus angebracht, das akustische Solo-Set von Maple Glider im Imperial-Theater anzusetzen, denn für eine Rock-Crowd hat Tori nun wirklich nichts zu bieten. Das hängt aber auch damit zusammen, dass Tori in ihren lyrischen Folk- und Folkpop-Songs, die in den Studio-Versionen auch mal in Richtung Indie-Pop oder Psychedelia aufgebohrt werden, hemmungslos ihr Herz ausschüttet und sich auf ihren bislang zwei Maple Glider-Alben auf teilweise intime, aufrichtige und authentische Weise mit ihrer eigenen - schwierigen - Vergangenheit auseinandersetzt. Dass sich Tori dabei zuweilen als fröhliche Performerin mit romantischer Note präsentiert, täuscht ein wenig, denn für Tori ist die Verarbeitung von Kindheits- und Jugenderinnerungen vor allen Dingen ein reinigender Heilungsprozess in eigener Sache. Auf der emotionalen Ebene ist das, was Tori - zumindest als Solo-Künstlerin - darbietet, jedenfalls schon ziemlich berührend.

Gleich im Anschluss gab es eine Art Kontrastprogramm im Imperial-Theater. Die Wiener Songwriterin, DJane, Geigerin (und Malerin) Sofie Royer versucht erst gar nicht, die zahlreichen Inspirationen und Anregungen aus ihren zahlreichen künstlerischen Tätigkeiten oder gar ihre österreichischen, iranischen und amerikanischen Roots musikalisch unter einen Hut zu bringen - und macht einfach alles gleichzeitig. Gerade auf ihrer aktuellen LP "Harlequin" ist dabei zwischen Deutschpop, Schlager-Seligkeit, Disco-Glamour, Brill-Building-Pop, Zirkusmusik, Folklore und Chanson einfach so ziemlich alles möglich. Sofie als Performerin muss man mal erlebt haben, denn so viel selbstbewusste Unbekümmertheit und musikalische bzw. performerische Theatralik muss man erst mal hinbekommen. Eine irgendwie geartete Zurückhaltung ist da jedenfalls nicht zu erkennen. Aufgrund der unglaublichen Vielfalt an musikalischen Schattierungen, die Sofie und ihre Bandmusiker da präsentierten, ist es nicht ganz einfach, als Zuschauer den Überblick zu bewahren - auch wenn der Chuzpe Sofies uneingeschränkte Aufmerksamkeit gebührt. Ein gemeinhin gut informierter Fachbesucher formulierte das nach der Show dann so: "Ich überlege noch, ob ich das gut gefunden habe."

Fat Dog aus England haben garantiert alle im Molotow Backyard gut gefunden - zumindest wenn man nach dem Kopfnicken und der Aktivität der ersten Reihen geht, wo sich auch gerne Sänger/Gitarrist Joe oft aufhielt, um das lustige "wir setzen uns alle hin und auf mein Kommando springen wir alle hoch"-Spiel zu zelebrieren. Die dazu passende Musik haben Fat Dog natürlich auch mit ihrem energiegeladenen Indie-Rock mit Punk-Anleihen. Auch besonders amüsant waren die Tanzeinlagen der Saxophonistin und des Keyboarders. Alles in allem eine eindrucksvolle Show, die leider sehr unvermittelt, weit vor dem Zeitplan und ohne Ansage beendet wurde - was für einige verwunderte Blicke im Backyard sorgte.

Laut und heftig ging es dann mit Bipolar Feminin in der Molotow Skybar weiter - besonders Leni Ulrichs Stimme füllte den ganzen Raum aus. Auch wenn man bei der Lautstärke jetzt nicht die Feinheiten aus den wichtigen Texten der Band heraushören konnte, waren viele Menschen im Publikum, die mitsingen konnten. Der Indie-Rock mit Punk-Anteil der Österreicher sorgte jedenfalls für eine Menge Bewegung in der kleinen Skybar.

Ciara Kindsey aka Kynsy aus Dublin reiste mit einer Backing-Band aus London an - die aber wie eine beliebige Metal-Band aus dem nächstgelegenen Proberaum aussah und optisch nicht so sehr zu Kynsy passte. Aber es geht ja um die Musik und den Singer/Songwriter-Indie-Pop Kynsys kann man sich gut anhören, auch wenn es manchmal recht beliebig klingt und dahinplätschert.

Mitreißender wurde es dann anschließend im Molotow Karatekeller mit Mise En Scene aus Kanada. Irgendwo zwischen Indie-Rock und Punk mit großen Melodien ist die Band angesiedelt und man sieht selten, wie jemand eine Rickenbacker-Gitarre so dermaßen mit Effekten anreichert, dass man den typischen, "jangly" Sound gar nicht mehr erkennt. Lustigerweise fiel genau für einen Song ein wichtiges Effekt-Pedal aus, so dass der Original-Klang der Gitarre durchkam - was Sängerin/Gitarristin Stefanie Blondal Johnson schmunzeln ließ - immerhin sei es eine Art Pop-Song gewesen, von daher würde der "jangly"-Sound passen. Auftritte wie diese sind genau der Grund, warum man immer wieder zum Reeperbahn Festival geht - eigentlich gar nicht eingeplant, aber dennoch per Zufall dort gelandet und für toll befunden.
Surfempfehlung:
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www.youtube.com/user/ReeperbahnFestival
Text: -Ullrich Maurer / David Bluhm-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
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