"Are you ready? Let's do this!", ruft Frontmann Nils Edenloff dem Publikum vor dem ersten RAA-Song zu, dann legt er gemeinsam mit Multiinstrumentalistin Amy Cole und Drummer Paul Banwatt den unsichtbaren Schalter um und für die nächsten 80 Minuten steht nicht nur die Band, sondern das ganze Gleis 22 unter Strom. Mit einer imposanten Dringlichkeit tragen die drei ihre Songs vor, die moderne Indie-Folk-Hymnen sein könnten, wenn sie nicht von der mitreißenden Energie des Punk beseelt wären. Das ganz ohne Stromgitarren, nur mit einer verzerrten Wandergitarre (und manchmal sogar einem Piano) hinzubekommen, ist wirklich beeindruckend! Bei jedem Song hat man das Gefühl, dass es die Band gleich zerreißt, wenn Nils sich die Seele aus dem Leib brüllt und Paul mit geradezu explosivem Körpereinsatz und unwiderstehlich antreibenden Rhythmen die Band nach vorn peitscht und Amy das Publikum immer wieder zum Mitklatschen auffordert, dabei ist sie mit zweiter Stimme, Keyboards, Fußorgel und gelegentlichen Drum-Battles mit Paul eigentlich auch sonst gut ausgelastet. Aber auch ihr ist diese nervöse Energie anzumerken, die sich wie ein roter Faden durch das Set zieht, dass die Highlights aller drei Alben einschließt und zwischen dem rasanten Opener "Stamp" und dem packenden vorläufigen Schlusssong "Drain The Blood" nur wenige Atempausen bereithält.
Eine davon kommt früher als geplant, denn als Amys Fußorgel kurzzeitig den Geist aufgibt, zieht Nils die eigentlich als erste Zugabe geplante Solonummer "Two Lovers" kurzerhand vor, während seine Mitstreiterin die Technik wieder zum Laufen bringt. Gleich danach gibt es das großartige "Tornado '87" zu hören, einen der vielen Songs, der von Nils' Jugend in Alberta handelt (die Band ist inzwischen in Ontario zu Hause). Doch auch sonst hat das Konzert viel kanadisches Lokalkolorit zu bieten: Arcade Fire schweben unsichtbar über den Dingen, und auch Gordon Lightfoot und Neil Young werden musikalisch gestreift. Bei "Runner In The Night" reicht es sogar zu einem Ausflug nach New Jersey - hallo Bruce Springsteen!
Nach anderthalb schweißtreibenden Stunden schnappt sich die Band am Ende des furiosen "Dethbridge In Lethbridge" ihre Instrumente und springt kurzerhand von der Bühne mitten ins Publikum. "Der nächste Song hat sich eingestöpselt nie gut angehört, deshalb spielen wir ihn akustisch", erklärt Nils, und so beschließt die Band den Auftritt umringt von ihren Zuschauern mit dem leisen, aber dennoch intensiven "Good Night". Zu Ende ist der Abend damit allerdings noch lange nicht, denn wie sagt Nils doch so schön? "Wir möchten noch so viele deutsche Hände schütteln wie möglich!" Am Merchandisestand lassen die euphorisierten Fans diesen Wunsch nach dieser umwerfenden Show nur zu gerne Wirklichkeit werden.
Viel hinzuzufügen gibt es im Hinblick auf das Kölner Konzert von The Rural Alberta Advantage im Luxor eigentlich nicht, denn auch hier spielte das Trio sozusagen um sein Leben. Die meist jugendlichen Fans zeigten sich wahrlich begeistert von der greifbaren Energie, die von der Bühne strömte - insbesondere dann, wenn Nils Edenloff seine Gitarre dermaßen traktierte, dass die Saiten sich sozusagen in Luft auflösten (was vielleicht auch der Grund war, warum Nils sein Instrument nicht mit einem Gitarrengurt, sondern mit einem Stück Kordel gesichert hatte) und Drummer Paul Banwatt es schaffte, seine zweifelsohne beispiellosen und wohl auch selbst erfundenen Rhythmen, denen jedwede rockmäßige 4/4-Ästhetik abging, noch mal schneller als auf der eh schon schnellen Konserven-Fassung zu spielen. Das war dann auch der Kickdrum zuviel, denn diese musste Paul zwischenzeitlich reparieren. Amy Cole, die von einem merkwürdigen Wanderdrang gepackt wurde, der sie (ohne Schuhe) kreuz und quer über die Bühne führte, setzte noch mal eins drauf, als sie das Publikum bat, in die Hände zu klatschen und mit den Füßen zu stampfen, um sie bei dem Versuch zu unterstützen, zusammen mit Paul eine zusätzliche Stehtrommel zu zerstören. Das passierte zwar nicht - und es gab auch keine technischen Probleme mit Amys Basspedal -, aber ansonsten gehörte diese Show zum wildesten, was es seit langem auf der Bühne des Luxor gegeben hatte.
Nils konnte sich noch gut an den Auftritt der Band vor drei Jahren im kleineren Blue Shell erinnern - es darf jedoch behauptet werden, dass da heute eine andere Band auf der Bühne stand - denn insbesondere songwriterisch hat sich Edenloff (der in seinen manischsten Momenten mindestens so irritierend dreinschaute, wie Woody Harrelson in seinen verstörendsten Rollen) stark weiter entwickelt, Das hängt auch vielleicht damit zusammen, dass er, wie er berichtete, seine Songs gerne unter Druck (zum Beispiel in einer einsamen kanadischen Waldhütte) schreibt - was ziemlich furchterregend sein kann, weswegen sich viele seiner Tracks mit dem Thema "Angst" beschäftigen. Insgesamt galt hier - wie wohl auch in Münster -, dass man Musik wie diese besser, aufrichtiger und intensiver eigentlich nicht hinbekommen kann.