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Der Streichelzoo vor Zeit und Raum

The Handsome Family
Joana Serrat

Köln, Blue Shell
15.02.2017

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The Handsome Family
Irgendwie scheint sich der Beitrag "Far From Any Road" zu dem Soundtrack des "True Detective"-Soundtracks tatsächlich ausgezahlt haben für Brett und Rennie Sparks alias The Handsome Family. Denn versammelten sich bislang bei Konzerten der Band in unseren Breiten eigentlich immer nur eine überschaubare Anzahl treuer Fans, so war das Konzert im Kölner Blue Shell dieses Mal tatsächlich restlos ausverkauft - obwohl sich im Prinzip eigentlich ja nichts geändert hat, seit die Handsome Family 1994 mit dem Album "Odessa" erstmals in Erscheinung traten. Aber der Reihe nach.
Als Support war auf dem deutschen Abschnitt der HF-Europa-Tour die spanische Songwriterin Joana Serrat gebucht worden. Diese hat sich in Alt-Country-Zirkeln durch ihre Kollaboration mit dem kanadischen Produzenten Howard Bilerman (Arcade Fire) einen Namen gemacht, der ihre letzte beiden Tonträger - vor allen Dingen das grandiose Americana-Album "Cross The Verge" - produzierte. Die Songs von "Cross The Verge" standen dann auch im Zentrum der Solo-Darbietung dieses Abends. Joana versteht sich als Reisende in Sachen Musik (die LPs für die Fans signiert sie zum Beispiel allesamt mit dem Wunsch auf eine gute Reise), die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Grenzen zu überwinden. "Cross The Border - Close The Gap" lautet etwa das Motto ihrer Facebook-Seite. Auf die Musik übertragen bedeutete dies, dass es Joana gelang, ein bemerkenswert abwechslungsreiches - und im Rahmen des Settings durchaus grenzenloses Programm zu absolvieren, bei dem tatsächlich jeder einzelne - bis ins letzte Detail ausgefeilt inszenierte - Song sein passendes musikalisches Kleidchen erhielt. Tatsächlich gelang es Joana so ebenso, das geneigte Publikum auf die angestrebte musikalische Reise mitzunehmen. (Der Rest stand dann - wie im länglich ausgerichteten Blue Shell üblich - laut plappernd vor der Bar.) Oft leiden akustische Solo-Darbietungen ja an der vorhersehbaren Dramaturgie - nicht jedoch die von Joana Serrat. Denn sie schaffte es - nicht zuletzt aufgrund ihres angenehm weichen, aber durchaus aufmerksamkeitsgebietenden Gesangsvortrag, vor allen Dingen aber aufgrund der exquisiten Qualität ihres Songmaterials - mühelos den Spannungsbogen von der ersten bis zur letzten Sekunde aufrecht zu halten. Dies übrigens ohne großartige Hilfsmittel - einfach dadurch, dass die Tracks in genau der richtigen Reihenfolge sortiert waren, ein dezenter Gitarreneffekt hier oder eine elegante Fingerpicking-Einlage da. Joana Serrat hört man einfach gerne zu, wenn sie von einsamen Herzen, grünem Grass, einsamen Straßen oder Tauziehen singt. Und ehrlich gesagt ist dieses unspektakuläre, auf das Wesentliche beschränkte Setting auch genau die Art, auf der man Songs wie ihre präsentiert bekommen möchte. Fehlen tat da tatsächlich nichts - was angesichts der elaborierten und betont vielseitigen Arrangements der Studio-Versionen fast schon wieder erstaunlich ist.
Als dann zunächst Rennie Sparks und später auch die restliche Handsome Family (dieses Mal verstärkt durch einen Drummer und den begnadeten Multiinstrumentalisten Alex McMahon, den die HF aus dem heimatlichen Albuquerque mitgebracht hatten) die Bühne bestiegen, war die Atmosphäre für das nun folgende Konzert jedenfalls bestmöglich bereitet. Wie bei Handsome Family-Konzerten über die Jahrzehnte deutlich wurde, ist es nicht im Interesse der HF, ihre musikalische Qualität durch Experimente oder wagemutige musikalische Weiterentwicklungen zur Schau zu tragen. Ganz im Gegenteil: Man kann sich auf die Handsome Family als Zuhörer in jeder Beziehung verlassen, wird immer auf angeregte und intelligente Art auf das beste unterhalten, bekommt musikalisch das geboten, was man auch erwartet und kommt doch immer wieder gerne auf das Angebot von Brett und Rennie zurück, sich mit dem musikalischen Streichelzoo, der im wesentlichen das inhaltliche Universum der Texterin Rennie Sparks bevölkert, auseinanderzusetzen. Nur mal zum Beleg: Die nachfolgenden Tierarten wurden namentlich ausdrücklich erwähnt und in weiten Teilen auch erläutert: Schlangen, Feuer-Ameisen, Vögel, Octopusse, Robben und - seit dem letzten Album "Unseen" - auch Frösche. Allen Tierarten gemeinsam ist die die Vermutung, dass diese - so Rennie und Brett - "etwas zu planen scheinen". Hoffentlich - so Rennie - so etwas wie eine konzertierte Aktion zur Rettung der USA. Denn dass die Handsome Family mit dem gegenwärtigen Zustand nicht so recht einverstanden sind, machte insbesondere Rennie mehrfach deutlich. Das ging dann sogar so weit, dass ältere Tracks politisch umgedeutet wurde. "Die Art, wie wir mit der gegenwärtigen Situation umgehen, ist die, tiefe Löcher zu graben", kündigte sie zum Beispiel den Song "The Bottomless Hole" an, "und der nächste Song handelt von dem tiefsten aller Löcher."

Überhaupt handeln immer alle Songs der Handsome Family von Extremen. Es muss immer alles besonders depressiv, tödlich oder absurd sein - das gehört freilich zum Leitmotiv der Band wie das Onstage-Gekäbbel zwischen Rennie und Brett, das Rennie und "Colonel Sanders" (wie sie Brett in Anlehnung an dessen optische Ähnlichkeit mit dem Kentucky Fried Chicken Gründer scherzhaft ankündigte) mit fast religiöser Inbrunst ausleben. Neben den Tier-Geschichten interessieren Rennie aber auch andere Themen - wie zum Beispiel der Beginn von Zeit und Raum ("Ich wäre gerne beim Urknall dabei gewesen, nur um dann sagen zu können, dass früher alles besser gewesen wäre - bevor es Zeit und Raum gegeben hat") oder tragische, glücklose Conquistadores ("King Of Dust"), traurige Casinos ("Die Nachos sind kostenlos - aber sie schmecken nach Tragödie") oder Donuts ("Es gibt Orte, wo man sich wegen ein paar Donuts umbringt, weil es keine andere Kriminalität gibt. Nun ja - es kommt natürlich auf die Art der Donuts an"). Und dann ist da ja noch "Far From Every Road", der Song von der älteren CD "Singing Bones", den HBO als Titeltrack der ersten Staffel der Fernsehserie "True Detective" auswählte: "Wenn die Königin der Feuer-Ameisen, die in meiner Auffahrt wohnt, mir damals verraten hätte, dass wir mal die Titelmusik zu einer Detektivserie beitragen würden, hätte ich ihr das nicht geglaubt". Freilich gab es auch einige (wenige) ernste Momente - wie zum Beispiel jener, als Rennie des an diesem Tag verstorbenen Freundes Robert Fisher gedachte und ihm mit den Worten "Ein Song über die Kraft des Verschwindens" den Track "The Great Journey" widmete. Aber nicht nur inhaltlich und was die linkische Art, die Songs mit echten und gespielten Haken und Ösen vorzutragen, sondern auch musikalisch sind The Handsome Family verlässlich. Rennie an Autoharp und Ukulelen-Bass, Robert an der Gitarre und Alex McManus am Rest (außer dem vom Drummer beigetragenen Glockenspiel) sorgten für ein vielfältiges, aber nicht überbordendes Sounddesign, das in diesem Fall tatsächlich zuweilen eher in die Rock-Richtung als die eher gewohnte Country-Richtung deutete (gleichwohl McMahon mit seiner Pedal-Steel-Gitarre natürlich doch für einige High Lonesome Momente sorgte). Das Publikum bestand - bis auf wenige Ausnahmen - aus solchen Fans, die mit der Handsome Family gewachsen zu sein schienen und den Vortrag der HF auch durchaus aufmerksam und gespannt verfolgten. Die Frage ist nur: Wo waren diese Leute eigentlich vor dem "True Detective"-Urknall?

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Surfempfehlung:
handsomefamily.com
www.facebook.com/TheHandsomeFamily
www.facebook.com/JoanaSerrat
Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-

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