Der im Sitzen spielende Schwede
Daniel Norgren, der zweite Act des Tages, war ähnlich beeindruckt. "Das Publikum im Regen ist besonders gegenwärtig", erklärte er seine Philosophie, "es könnte ja ein Ozean des Nichts da draußen sein, aber ihr füllt das alles ganz gut aus." Norgren und sein Bassist sowie gelegentlich ein Tastendrücker haben sich auf Southern Style verständigt - was für Skandinavier dann doch eher ungewöhnlich ist. Sein knorriger Blues-Rock war andererseits für OBS-Kenner nichts besonders Überraschendes (und letztlich der Tageszeit angemessen).
Die Fabulous Penetrators aus London gehören ja auch zu den OBS-Veteranen. "Hier haben sich vier gleichermaßen Bekloppte gefunden und deswegen funktioniert die Band so gut", erklärte Rembert das Quartett, das im Folgenden in schönster Retro-Trash-Manier die Bühne rockte. Auch hier machte sich die Distanz durch die Absperrgitter bemerkbar. Bei seinem letzten Auftritt hatte der dämonisch-sanftmütige Frontmann Liam Casey noch die Maracas auf den Monitoren zerschlagen und die Fans in der ersten Reihe mit dem Füllmaterial geduscht - das ging jetzt leider nicht mehr. Dennoch waren nach dem Auftritt der Jungs nun wahrlich alle im Bereich des Epizentrums so richtig wach.
Die Kanadierin Caroline Keating, die am Tag zuvor zusammen mit ihrem Geiger-Kumpel Sebastian die Biervorräte im Backstage-Bereich bekämpft hatte ("gut am Glas" nennt Rembert so etwas), war an diesem Tag demzufolge etwas später aufgeschlagen. Dafür aber in einem entzückenden Sommerkleidchen, in dem sie ihre Jungfräulichkeit im Sommer-Festival-Zirkus verlor. (Und das sagte sie selbst!) Caroline ist insofern etwas Ungewöhnliches für gestandene Glitterhäusler, als dass sie eine Frau ist, die Piano spielt und kein Mann, der eine Gitarre hält. Vielleicht deswegen herrschte bei ihrem Konzert andächtige Stille im Auditorium, so dass man wirklich jedes Wort verstehen konnte. Das gefiel dem Wetter so gut, dass am Ende sogar die Sonne hervorkam. Nun ja: Jedenfalls hörte zumindest der Dauerregen auf. Caroline hat einen Plan: Mit einem "Pit Stop Jingle" möchte sie - zusammen mit dem Glitterhouse-Label - hunderttausende von Dollars verdienen. Bis es soweit ist, genehmigte sie sich noch einen ordentlichen Schluck Whisky. "Ich will ja nicht unhöflich erscheinen", erklärte sie, "aber ihr tut das doch auch, nicht?" Daraufhin reichte sie die Flasche ins Publikum und forderte dieses auf, sich diese zu teilen.
Die bestgekleidete Cover-Band des Festivals, Boy Division, hatte mit ihrem Konzept, zehn Songs in 20 Minuten zu spielen, insofern Erfolg, als dass sie die Fabulous Penetrators auf sich aufmerksam machten. "Mann, das ist das beste Konzert, das ich in den letzten 200 Millionen Jahren gehört habe", meinte Liam Casey hierzu. Daraus entwickelte sich in Nullkommanix eine herzliche Männerfreundschaft, die im Folgenden dazu führte, dass Schuhe verzehrt und Alkohol in rauen Mengen vernichtet wurde, bis die beteiligten Zombies gleich über das Festivalgelände torkelten.
Währenddessen nutzte der WDR die Umbaupause dazu, die zwischenzeitlich eingetroffenen Skinny Lister vor dem Festivalgelände für eine ausgeklügelte Operettenproduktion zu inszenieren, zu der die Band um die charismatisch/extatische Frontfrau Lorna Thomas ihren Song "If The Gaff Don't Let Us Down" gleich drei Mal präsentieren musste. Skinny Lister sind eines jener Phänomene, das irgendwie jeder Beschreibung spottet. Es ist schon faszinierend zu beobachten, wie die Band es schafft, ohne Drummer, nur mit einem Flakon Whisky und minimaler Irischer Schunkelmucke selbst größere Menschenmassen zu hilflos johlenden und grölenden Tanztee-Aficinados zu machen. Das gefiel sogar der als Gast angereisten Andrea Schroeder, die sich hier vielleicht Anregungen für neue Nokturnen für das anstehende zweite Album holte.
We Invented Paris aus der Schweiz hatte Rembert mal im besoffenen Kopp auf einem Festival gesehen und für gut befunden. Ergo zierten die als 80s Popper maskierten Jungmusikanten nun die OBS-Bühne. Rein rechnerisch machen WIP eigentlich nur New Wave-Pop mit leichtem Disco-Touch. Das tun sie aber so sympathisch und empathisch, dass die Fans am Ende alle begeistert mitmachten. Vielleicht auch deswegen, weil die hierfür eigentlich gar nicht richtig aufgestellte Band mit dem ersten Ausflug ins Publikum viele neue Freunde gewann.
Nick Waterhouse aus Kalifornien bot dann eine Stilrichtung, die sich auf der OBS Bühne nicht so oft findet. Auch deswegen weil, wie Reinhard richtig sagte, man mit "50s Funk, Soul und R'n'B ziemlich viel falsch machen kann." Nicht so Waterhouse. Der Mann sieht zwar aus wie eine downgesizte Buddy Holly-Variante, hat das - schwarze - Herz aber am rechten Fleck. Seine Mischung aus Retro-Soul, Pop, Jazz und R'n'B kam beim Publikum jedenfalls so gut an, dass die Band noch mal für Zugaben ("It's All Over Now") auf die Bühne musste. Angereichert mit zwei rhythmisch enorm aussagekräftigen Harmonie-Sängern und bis zu zwei knochentrockenen Akzent-Trötemännern bot der Mann nicht nur etwas fürs Ohr und fürs Tanzbein, sondern durchaus auch etwas fürs Auge. Waterhouse dürfte für viele zur Entdeckung zumindest des zweiten Festival-Tages geworden sein.