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Auf vernünftige Weise seltsam

Cindy Lee Berryhill

New York, The Canal Room
21.07.2011

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Cindy Lee Berryhill
Lange hatte man nichts mehr von Cindy Lee Berryhill gehört - und das mit gutem Grund, denn die Geschichte von Cindy Lee Berryhill ist eher eine tragische. Nachdem sie 1987 mit dem Album "Who's Gonna Save The World" an der Spitze einer neuen Folkwelle debütierte, wurde die Szene schnell auf sie aufmerksam. Ihre zweite Scheibe, das schon wesentlich elektrischere "Naked Movie Star", wurde von Patti Smith-Sidekick Lenny Kaye produziert (der es sich nicht nehmen ließ, ihre Show im Canal Room als Fan zu besuchen) und anlässlich ihres nächsten Albums, des sympathisch megalomanischen Indie-Tributes an Brian Wilson "Garage Orchestra" lernte sie ihren künftigen Ehemann, den Herausgebder des Crawdaddy-Newsletters, Paul Williams kennen, den Bob Dylan-Fans natürlich als ihren Guru kennen, der das Leben des Meisters mit mehreren Bibel-dicken Biographien ihres Gottes versorgte und der unangefochten an der Spitze der Dylanologen stand. 1995 hatte Williams dann einen verhängnisvollen Fahrrad-Unfall, bei dem er eine Hirnverletzung erlitt, die letztlich dazu führte, dass er an Demenz erkrankte, die im Folgenden dazu führte, dass Cindy ihn vor zwei Jahren in ein Pflegeheim geben musste. Das letzte Album von Cindy, "Beloved Stranger" von 2008, beschäftigt sich natürlich mit diesem Thema.
Der "geliebte Fremde" ist selbstredend Paul Williams und in einem gleichnamigen Blog chronologisiert Cindy seither die täglichen Erlebnisse, die ihr Leben nun mal bestimmen. Verständlich, dass das Musizieren seither dann doch in den Hintergrund trat. Doch nun hat sie den Weg zurück gefunden, einen Stapel neuer Songs geschrieben und - noch bevor sie diese eingespielt hat - eine US-Tour absolviert, um wieder Anschluss zu finden. Das Unternehmen stand offiziell unter dem Motto, das "Garage Orchestra" wieder aufleben zu lassen - auch weil Cindy vorhat, die Scheibe, die seit Jahren offiziell nicht mehr erhältlich ist, im Herbst wieder neu aufzulegen. Eine der beiden Musikerinnen, die Cindy bei dieser Tour begleiteten - die Cellistin Renata Bratt -, war bereits bei der ursprünglichen Besetzung des Garagen-Orchesters dabei. Cindys zweite Musikerin an diesem Abend war Dr. Paula Luber (die tatsächlich eine Ärtzin ist), die Glockenspiel, Melodica und ein wenig Percussion spielte. Letzteres alles Instrumente, die im Rock'n'Roll ein wenig unterbewertet sind, wie die Damen mehrfach erklärten. Und Rock'n'Roll ist das, was Cindy Lee Berryhill im Prinzip nach wie vor macht. Auch wenn "Beloved Stranger", von dem hier das Titelstück gespielt wurde, eher in Richtung Country tendiert. Das scheint aber eine Ausnahme zu sein, denn neben den Songs von der "Garage Orchestra"-Scheibe (die im Übrigen erstaunlich frisch und im gegebenen Kontext durchaus üppig - oder doch zumindest mit viel Liebe für's Detail - orchestriert daher kamen) spielte Cindy eine Reihe neuer Songs, die - ihren Möglichkeiten nach - wieder deutlich lebensbejahender daherkamen, als die eher melancholischen Darbietungen aus der "Stranger"-Phase.
Das ist freilich eine bewusste Entscheidung Cindys, die damit eine Art Selbst-Therapie initiiert. Musikalisch ist die Sache dabei die: Auf den Liner-Notes des "Garage Orchestra"-Albums verrät Cindy, dass sie sich von Science Fiction-Autoren wie Arthur C. Clarke inspiriert fühlt. (Paul Williams war ein Kumpel von Philip K. Dick.) Vielleicht haben deswegen ihre Songs auch immer diese etwas außerweltliche Note, die sie auf vernünftige Art seltsam erscheinen lässt. So vermeidet Cindy allzu straighte Songformate - was schon auf ihren frühesten Aufnahmen der Fall war - und spielt nicht nur eine betont gegen den Strich gebürstete Schrammelgitarre, sondern verschachtelt ihre Ideen auf verspielte Weise und versieht ihre Songs mit vielen Ecken und Kanten und lautmalerischen vokalen Ausbrüchen (bis hin zum Jodeln). So etwa auch bei dem neuen Song "The Heavy", dessen Idee aus ihrer Arbeit als Gitarrenlehrerin her rührt und der nicht unbedingt musikalisch, sondern strukturell "heavy" erscheint. Andere Songs wie "The Adventurist" oder "Thanks Again" verfolgen eine ähnliche Linie. Allen gemeinsam war dabei, dass diese ähnlich komplex arrangiert daher kamen, wie die Garagen-Songs und musikalisch tatsächlich durchaus gut gelaunt erschienen. Auch erfreulich ist, dass Cindy thematisch wieder zu jener breiten Basis zurückgefunden hat, die sie bereits vor der Unfall-Geschichte verfolgte. So gibt es neben persönlichen Referenzen aller Art auch wieder politische Seitenhiebe und spinnerte kleine Portraits von schrägen Charakteren zu bewundern, wie wir sie von früher kennen. Fast überflüssig zu erwähnen, dass sich auch Cindys charakteristisch wegkippende Sirenen-Stimme im Laufe der Zeit so gut wie nicht verändert hat. Natürlich war es schade für die Anwesenden, dass Lenny Kaye an diesem Abend nicht mitspielte, doch dafür bat Cindy eine Freundin aus San Diego, die Songwriterin und Sängerin Lisa Sanders mit auf die Bühne, die mit ihrem Beitrag einen gewissen Gospel-Touch mit ins Geschehen brachte. Insgesamt war dies also ein überraschend konstruktives Comeback und nicht etwa ein sentimentales Aufkochen der Vergangenheit. Wer sich für die Geschichte des "Beloved Stranger" oder für einige der neuen Songs von Cindy interessiert dem sei ihre Homepage empfohlen. (Cindys Blog wird täglich aktualisiert und ist deswegen zeitweise nicht erreichbar.) Ein neues Album ist definitiv in Planung.

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Surfempfehlung:
www.cindyleeberryhill.com
Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-

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