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Haldern Pop Festival 2010 - 3. Teil

Rees-Haldern, Alter Reitplatz Schweckhorst
14.08.2010

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Haldern Pop Festival 2010
Der dritte Tag des Festivals begann auf der Hauptbühne, wie er eigentlich nicht besser hätte beginnen können. Das Young Rebel Set ist eine Horde englischer Trunkenbolde, die das Publikum - die Bierflasche in der einen Hand, das Instrument in der anderen - mühelos mit gut gelauntem Folk-Pop mit Bierzelt-Grandezza im Griff hatten. Sicher: Man kann vielleicht bessere Songs schreiben und man kann sich originellere Genres aussuchen - allerdings kann man Musik dieser Art kaum besser, lebendiger und begeisternder präsentieren, als das Young Rebel Set dies tat. Die Pogues zum Beispiel nicht. Und die Stimme des Lead-Sängers sollte man gehört haben, bevor man sich ein abschließendes Urteil über den Einfluss von Bier auf die Stimmbänder bildet.
Es folgte ein mitreißender Auftritt von Portugal.The Man. Zwar mögen sich am psychedelisch aufgebohrten Soul-Rock von John Gourley und Zach Carothers die Geister scheiden, aber niemand kann dem Quartett mangelnden Einsatzwillen unterstellen. Zwar hatten die Herren mehr mit sich selbst zu tun als mit dem Publikum - das sei aber der Tatsache geschuldet, dass hier konzentriert gearbeitet wurde - und sehr wild und frei dazu. Da wurde improvisiert auf Teufel komm raus und lebendige musikalische Basis-Demokratie gezeigt. Und das passte auch irgendwie ganz gut zur gleißenden Mittagssonne.

Dazu passte auch der Auftritt der britischen Combo mit schwedischem Frontmann Fanfarlo. Simon Balthaszar fühlte sich angesichts der ganzen Sonnenbrillen im Publikum auch gleich an seine schwedische Heimat erinnert. Fanfarlo machen ja diesen heutzutage fast schon üblichen Folkpop mit Zubehör. In dem Fall ist das z.B. Multiinstrumentalistin Cathy Lucas, die mit Stehtrommel, Mandoline und mehr Akzente setzt. Insgesamt kam zumindest dieses Set aber eine Spur spröder rüber, als es im Prinzip hätte sein müssen. Hier hatte man das Gefühl, dass sich diese Band im Spiegelzelt wohler gefühlt hätte.

Dortselbst bereitete sich derweil ein ganz anderer Typ von Musikant vor. Das ist Helgi Jonsson, der wahrscheinlich einzige singende Isländer, der das Publikum auf deutsch mit Wiener Akzent zu unterhalten weiß (Studium). Helgi ist ein charmanter Performer, der seine Kunst seit Jahren im Dienste von meist skandinavischen Stars und Sternchen als Support-Act unterwegs ist. Er singt meist todtraurige Balladen mit ironischem Unterton (wer sonst kann schon ungestraft singen, dass er ein Gott sei)? Hat aber auch Welthits, von denen nur ganz wenige Leute wissen, wie er meint und erzählt Anekdoten wie diese: "Es gibt Leute, die können gleichzeitig reden und Gitarre stimmen - die nennt man Frauen". Auf seine verquere Art war das schon ein Highlight. Und am nächsten Morgen wollte Helgi auch gleich noch ein Mal auftreten - mit dem Mehrpersonen-Projekt The Whale Watching Tour.

Der nächste Act, The Low Anthem, überzeugte durch eine Art konfuser Detail-Organisation. Unglaublich, welches Instrumentarium da aufgefahren wurde (von der Website: "Now traveling with: 1 WWI portable pump organ, 1 harmonium, 1 '63 Gibson B15, 1 gut-strung parlor axe, 1 AJ & HH 29" thunder drum, 1 nipple gong, 2 or 3 clarinets, 1 really big fiddle, 1 E flat marching horn, 1 sizzling set of crotales, 1 electricity aided guitar, 1 rusty saw, 1 accordian, 1 or 2 fiddles, enough harmonicas to summon a swarm of locusts"). Unerreicht die Anzahl der Mikro-Ständer auf der Bühne. Unglaublich wie unorganisiert das alles wirkte und wie chaotisch man sich in das Set hineintastete (mit einer Akustik-Nummer, die als Soundcheck begann und damit endete, dass sich die Fotografen dreischichtig stapelten, um das auch mitzubekommen). Doch das Quartett überzeugte mit musikalischem Überblick und einer unglaublichen Bandbreite, die auf dem aktuellen Album "Oh My God, Charlie Darwin" im Vergleich zu den Live-Shows geradezu beschränkt wirkt. Und The Low Anthem tragen ihren Namen nicht umsonst: Zwar können sie auch zulangen wie Captain Beefheart persönlich, aber auch dermaßen auf die Bremse treten, dass die Musik von der Hauptbühne lauter rüberkam als jene, die man vor sich fand.

In dem Fall waren das die Blood Red Shoes. Viel ist schon über Laura-Mary Carter und Steve Ansell geschrieben worden. Meist in dem Tenor, dass das Konzept Gitarre/Drums/Gesantg seit den White Stripes nichts Neues mehr sei. "Neu" ist auch das falsche Attribut, um das, was die Blood Red Shoes da machen, zu umschreiben. Das fängt bei den 60 Jahre alten Verstärkern an und hört bei den Standard-Riffs, derer sich Laura-Mary bedient, noch nicht auf. Aber: Die Blood Red Shoes schaffen es, den Rock'n'Roll auf den Stammhirn-Anteil zu reduzieren, so dass dieser ohne Umweg gleich in Bauch und Beine geht. Ursprünglicher und greifbarer kann man so etwas kaum hinbekommen. Und dann ist das so, dass Laura-Mary zwischenzeitlich auch an performerischem Selbstbewusstsein zugelegt hat - obwohl Steve Ansell immer noch das Tier raushängen lässt. Oder sich gar mit seiner Snare-Drum ins Publikum stürzt, um dieses zu animieren. Nicht, dass dieses das nötig gehabt hätte. Bei den Blood Red Shoes tobte zum einzigen Male die ganze Masse im Rock-Taumel. Und wer beim abschließenden "Colors Fade" nicht mitwippte, war vermutlich schon tot oder zu Hause. Übrigens: Laura-Mary ist eine Scheinriesin, die auf der Bühne ungefähr drei Mal so groß wirkt wie im richtigen Leben.

Wie in Haldern üblich, ging es mit Kontrast-Programm weiter. Efterklang aus Dänemark sind die etwas andere Dream-Pop-Band. Es ist nicht ganz einfach, das, was diese seltsam aussehenden Herren mit Beistehdame da eigentlich machen, zu verstehen (geschweige denn, in Worte zu packen). Das ist alles irgendwo schon eingängig - aber dann auch wieder verstiegen und verkopft. Und so eigenartig wie die Musikanten aussehen, spielen sie auch. Mit Stehtrommeln, Elektronik-Pads, Querflöte, Engelschören, Samplern und Posaunen. "Wunderlich" ist hier vielleicht die geeignete Unschreibung des Tuns. Immerhin: So eine geheimnisvolle Atmosphäre auf und vor der Bühne findet man bei Festivals eher selten.

Nach einer dann längeren Umbaupause spielte schließlich Sophie Hunger mit ihrer Band auf. Wenn man bedenkt, dass die Schweizerin jetzt gerade mal ein Jahr unterwegs ist, ist die musikalische Entwicklung doch schon sehr beachtlich. Das heißt: Das ist falsch formuliert, denn musikalische Entwicklung ist die eigentliche Basis von Sophies Tun. So nimmt sie die jeweiligen CDs eigentlich nur als Sprungbett in Live-Shows, in denen dann alles möglich erscheint - so lange es nur weit genug von den eingespielten Tonträger-Versionen weg ist und möglichst überhaupt nicht dazu gehört. Vom Folk über lupenreine Jazz-Breaks bis zum wuchtigen Indie-Rock ist da alles möglich. Ja, Sophie, die Frau, die sich zu Anfang ihrer Karriere am liebsten hinter dem Klavier versteckte, kann auf ein Mal rocken und grölen und machen und tun. Das Publikum scheint da fast überfordert. Gespannte Aufmerksamkeit in der Endphase eines Festivals findet man schließlich auch nicht alle Tage. Way to go, Sophie. Deine Aufgabe wird es übrigens sein, jetzt auch mal eine CD wie deine Live-Shows einzuspielen. Bei Sophie war es gegen Ende dann nicht ganz so voll, weil sich viele Fans noch einen Platz im Spiegelzelt sichern wollten, in dem zu dieser Zeit dann die psychedelische Seltsam-Americana-Truppe Sleepy Sun losdröhnte.

Haldern 2010 war - was die musikalische Fülle und Vielseitigeit betrifft - sicherlich eines der Besten seiner Art. Wir wollen jetzt nicht auf die fehlenden große Namen eingehen - denn diese wurden durch die musikalische Qualität der auftretenden Acts mehr aus aufgewogen und das gehört ja auch zum Konzept. Nein - das Entscheidende in diesem Jahr war der besonders gelungene Mix, der Extreme vermied und auf eigentlich allen Ebenen für viele viel bot - ohne irgendwen auszugrenzen oder zu vergrätzen. Gut gemacht, das!

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Surfempfehlung:
www.haldern-pop.de
Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
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