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Konzert-Bericht
 
Krieg in Köln

Evelyn Evelyn
Sxip Shirey/ Jason Webley/ Amanda Palmer

Köln, Gloria
03.05.2010

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Evelyn Evelyn
Dass das Gastspiel der musizierenden siamesischen Zwillinge Evelyn und Evelyn Neville im Kölner Gloria kein gaaanz normaler Konzertabend werden würde, wurde schon daran deutlich, dass im ausnahmsweise vollbestuhlten Gloria außer einem Keyboard mit der Aufschrift "Kurtweill" lediglich noch ein Tisch mit Spielzeug auf der einen Seite und eine Bassdrum auf der anderen zu sehen waren. Um Kurz nach Acht betrat zunächst mal ein lockenköpfiger Herr mittleren Alters in einem grob gestreiften Anzug die Bühne und stellte sich als Sxip Shirey aus New York vor. Er war der Conferencier des Abends und kündigte im Folgenden Evelyn Evelyn, Jason Webley und Amanda Palmer an.
Doch zunächst ein Mal erfreute der gelernte Geräuschemacher das Publikum mit einigen eigenen Elaboraten, die er auf so ungewöhnlichen Instrumenten wie Megaphon, Kinderleier, Schüssel, Tröte und Skipspiel vortrug (letzteres ein Geburtstagsgeschenk von Amanda Palmer und Neil Gaiman, das aus zusammenmontierten Fahrradklingeln bestand.) Das ganze Instrumentarium spielte er - zusammen mit einigen Körpergeräuschen, Rap-Einlagen und Beatbox-Loops - über einen Harmonizer, der die jeweiligen Sounds geradezu unwirklich verformte, so dass man glaubte, mal eine ganze Funk-Band, mal eine Gewitterfront und mal ein Folklore-Orchester heraushören zu können. Zum Glück wusste Shirey um die musikalischen Limitationen seiner selbst gewählten Klangnische und unterhielt das Publikum zwischendurch mit unterhaltsamen Stories aus seinem bewegten Troubadouren-Dasein und Scherzeinlagen (etwa, indem er eine Dame aus dem Publikum als Glöckchen-Spielerin anlernte).

Es folgte die Haupt-Attraktion des Abends: Das wahrscheinlich einzige musizierende zweigeschlechtliche siamesische Zwillingspaar der Welt: Evelyn Evelyn Neville. Shirey erklärte die Sache: Die Schwestern sind sehr schüchtern und doppelt so stark wie normale Leute. Die musste man sorgsam behandeln, mit Applaus motivieren und mit Schokoriegeln ruhig stellen, wenn es zu psychotischen Attacken kam (etwa beim Song vom "Chicken Man"). Nachdem Evelyn Evelyn mit einem roten Tuch das Klavier geputzt hatten (womit sie überhaupt alle Instrumente putzten, die sie an diesem Abend anfassten) und einige der Musiknummern des erstaunlichen Debütalbums gespielt hatten, erfuhr das Publikum dann auch die ganze erschröckliche Geschichte der beiden Schwestern. Hierzu holte Shirey zwei Damen aus dem Publikum auf die Bühne, die dann einen erleuchteten Bildrahmen hochhalten mussten, hinter dem Shirey mit Scherenschnitten-Faxen die von Evelyn Evelyn - ähnlich wie auf der CD - wechselseitig erzählte Geschichte der Schwestern illustrierte. So erfuhr man von der schwierigen Geburt, von dem Sheriff, der den Doktor daran hinderte, die Schwestern auseinanderzusägen, von dem Hühnerfarmer, der sich der Schwestern annahm, nachdem der Sheriff bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, und der schweren Jugend, die die Schwestern in einem Hühnerstall verbringen mussten. Das erklärte dann so einiges.

Nachdem Evelyn Evelyn auch je einen Song an Akkordeon und Gitarre vorgetragen hatten (beide Instrumente wurden selbstverständlich schwesterlich geteilt), wurden auch die unglaublichen geistigen Kräfte der Damen präsentiert. Shirey stellte Fragen, die er im Publikum eingesammelt hatte (etwa vom Schlage "How soon is now?" oder "How do you know who you are?") und die Schwestern beantworteten diese dann, indem sie abwechselnd Worte aneinanderreihten. Das war dann so haarsträubend komisch, dass sogar die Protagonistinnen ein Lachen kaum unterdrücken konnten. Es folgten weitere musikalische Großtaten. Eine gospellastige Coverversion von "Lean On Me" etwa, bei der beide Evelyns plötzlich in gutturales Blues- und Soul-Gedröhne ausbrachen, die bereits von der CD bekannte Coverversion "Love Will Tear Us Apart" auf einer Ukelele (die mit einer geheimnisvollen dritten Hand gestützt werden musste) oder die per Harddisk orchestrierte Schlussnummer, bei der nicht nur das Publikum als Chor eingesetzt wurde, sondern Evelyn Evelyn zum eingespielten Gitarrensolo Feuerzeuge aus ihrem Handtäschlein kramten und einen richtig großen Konzert-Moment zelebrierten.

Es folgte eine weitere Pause, in der vom Band alle denkbaren Songs, die den Namen "Evelyn" im Titel trugen, eingespielt wurden. Danach durften noch zwei "Nachwuchskünstler" ihr Können beweisen. Jason Webley spielte ein paar Songs auf der akustischen Gitarre. "Das nächste Stück klingt nicht so gut ohne großes Orchester", erklärte er - und teilte dann das Publikum in Geigen und Posaunen auf - mit dem Auftrag, während des Songs die jeweils andere Partie zu vernichten. "Stellt euch das weniger als Song vor", empfahl er, "sondern als Krieg." Nachdem der Krieg gewonnen war, durfte noch Amanda Palmer auf die Bühne, die einige Songs aus ihrem Oeuvre vortrug ("Astronaut" etwa), feine Coverversionen aus dem Hut zauberte (Michael Jacksons "Billie Jean" und "Eisbär" von Grauzone) und dazu Geschichten aus ihrem Leben erzählte - zum Teil in ausgezeichnetem Deutsch, denn sie hat ja bekanntlich mal in Köln als Austauschstudentin gelebt. So gab es etwa die ergreifende Story von dem Fußfetischisten zu hören, dem sie an ihrem ersten Tag in Köln aufgesessen war und damit ihr erstes Geld verdient hatte. Richtig ausgefallen wurde es dann bei der Zugabe: Zuerst holte Amanda ein kleines Mädchen auf die Bühne, das sie und Jason bei "Electric Blanket" (einer Liebeserklärung an eine Heizdecke!) an Sxips selbstgebasteltem Glockenspiel unterstütze, dann pflückte sie zwei junge Damen aus der ersten Reihe, um mit ihnen gemeinsam den Evelyn Evelyn-Song "Elephant Elephant" noch einmal auf Deutsch zu singen, bevor schließlich sämtliche Protagonisten des Abends - gemeinsam mit dem Freibier verteilenden Tourmanager - den musikalischen Teil ausgelassen mit der Schunkelnummer "The Drinking Song" beendeten bzw. den Weg für eine Autogrammstunde im Foyer frei machten.

Unter dem Strich war dies wahrlich ein Konzertabend, den man so schnell nicht vergessen wird. Auch wenn Musik hier nur "unter anderem" stattfand. Und wieder einmal zeigte Amanda Palmer, dass Live-Konzerte auch jenseits der Gitarrenband möglich sind - wenn man sich nur ein wenig anstrengt. Oder über die Stränge schlägt.

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Surfempfehlung:
www.evelynevelyn.com
www.myspace.com/evelynevelyn
twitter.com/EVELYNEVELYN
twitter.com/amandapalmer
twitter.com/jasonwebley
www.sxipshirey.com
Text: -Ullrich Maurer / Carsten Wohlfeld-
Foto: -Ullrich Maurer-


 
 

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