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Überschwängliche Freude in praktisch jedem Ton

The Hidden Cameras
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Dortmund, Pauluskirche
04.11.2006

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The Hidden Cameras
Es passiert nicht oft, aber manchmal treten Bands einfach am genau richtigen Ort auf: Sportfreunde Stiller im Aktuellen Sportstudio, die Einstürzenden Neubauten im Palast der Republik in Ost-Berlin kurz vor dem Abriss und nun - zum krönenden Abschluss ihrer rund fünfwöchigen Europatournee - The Hidden Cameras aus Kanada in der Dortmunder Pauluskirche. Denn wo, bitte schön, könnten Joel Gibb und sein internationales Musiker-Ensemble ihren "gay church folk" besser aufführen als in einer richtigen Kirche?
Dem Ambiente angemessen hatten sie auch einen Supportact dabei, der die richtige Musik für das altehrwürdige Gemäuer machte und mit der Nummer "It's Over I Guess" auch den vielleicht treffendsten Song des Abends im Programm hatte: Me alias Michi Kamm von Nova International. Der stellte an diesem Abend seine im Sommer erschienene Soloplatte "Lovebox" vor und ließ sich dabei nicht nur von einigen bajuwarischen Freunden unterstützen, sondern borgte sich gleich auch noch die Streicher der Hidden Cameras aus. So gab's dann das "Lovebox"-Material in originalgetreuen Versionen: Gedämpfte, bisweilen elegische Akustik-Popsongs mit einem Hauch von Folk, in denen Michis Vorliebe für Stromgitarren und Britpop zwar anklangen, aber nie die Oberhand gewannen.

Im Mittelpunkt deshalb Michis prägnante Stimme, die vergessen ließ, dass die Performance der Band als Ganzes - vielleicht ob der überdimensionalen Bühne, vielleicht ob der ungewöhnlichen Location - etwas spröde, ja, fast ein kleines bisschen zu ernst ausfiel. Wobei man spröde nicht mit unsympathisch verwechseln sollte, denn die Herzlichkeit, mit der Michi sich nach der Hälfte der Show mit kleinen Geschenken bei den Hidden Cameras-Musikern für ihre Unterstützung bedankte, war ohne Frage echt. Ebenso nett gemeint war es, dem Publikum zumindest einen Song zu gönnen, den mehr als die anderthalb Michi-Fans im Saal kannten ("Breakfast In America" von Supertramp, hier völlig ohne Pomp, dafür mit umso mehr Gefühl).

Und dann - The Hidden Cameras, mit einem nicht ganz einfach zu beschreibenden Auftritt, der vor Spielfreude nur so sprühte und mehr als einmal ein Lächeln auf die Gesichter der Zuhörer zauberte. Schon der Anfang des Konzerts war nämlich etwas Besonderes: Zunächst setzte sich der Pianist der Band - zum ersten, aber längst nicht letzten Mal - an die Kirchenorgel, und zu diesen sakralen Klängen marschierte die achtköpfige Band, die teils abwechselnd Cello, Geigen, Bass, Gitarre, Schlagzeug, Glockenspiel, Synthesizer, Keyboards, Tamburin, einen Konzertflügel und die bereits erwähnte Kirchenorgel bediente, dann mitten durch das Publikum ein, um das Konzert praktisch mit einem fliegenden Start zu eröffnen.

Anders als bei vorangegangenen Auftritten bestritten Joel und die Seinen den ersten Teil des Konzerts fast ausschließlich mit ruhigen Songs nicht nur des neuen Albums "Awoo". Das allein war schon traumhaft schön - und der Location und dem in den Kirchenbänken sitzenden Publikum völlig angemessen. Irgendwann hatte Joel dann allerdings genug von der Beschaulichkeit, bat das Publikum in seinem knuffigen Deutsch darum aufzustehen und läutete so den Teil des Abends ein, bei dem nicht nur brav nach den Songs applaudiert werden durfte, sondern mitgeklatscht und getanzt werden konnte. Oder, um es mit zwei Songs des neuen Albums zu sagen: Eher "Lollipop" als "Follow These Eyes". Die Uptempo-Nummern gaben vor allem den beiden Violinisten die Chance, richtig aufzudrehen: Mit geradezu unbändiger Freude am Musikmachen gingen sie völlig in den Songs auf und sprangen ständig auf der Bühne herum, ohne dabei auch nur einen Ton zu verpatzen. Der Cellist spielte sein ohne Frage schweres Instrument manchmal gar stehend, zwischen Kopf und Schulter eingeklemmt und auch er hatte dennoch keine Mühe, stets die richtigen Töne zu finden. Ebenso toll zu sehen: Mehr als einmal musste vor dem nächsten Song eine "Bandkonferenz" her, um offensichtlich spontan zu klären, wie man die ja nicht jeden Abend zur Verfügung stehende Kirchenorgel und den Konzertflügel am besten in die Songs einbinden könnte!

Großartig auch Joels Gespür für gutes Timing: Die phantastische "Awoo"-Eröffnungsnummer "Death Of A Tune" ans Ende des Konzertes zu stellen, schien sinnvoll zu sein: Schließlich soll man aufhören, wenn's am schönsten ist. Natürlich musste danach noch eine Zugabe her, und zwar der einzige Song des Hidden Cameras'schen Repertoires, der das Highlight zuvor noch übertreffen konnte: "Music Is My Boyfriend" nämlich, bei dem der grandiose Titel noch nicht einmal das Beste ist und dessen hymnische Brian Wilson-Anwandlungen an diesem Abend noch viel mehr zum Tragen kamen als auf der keinesfalls schlechten Plattenversion.

Danach: Strahlende Gesichter allenthalben, kein Wunder, bei der ansteckenden Fröhlichkeit der Musiker auf der Bühne. The Hidden Cameras in Dortmund - das war nicht nur das Abschlusskonzert ihrer diesjährigen Europatournee, das war, trotz der bisweilen etwas schwierigen Soundsituation, ein Konzert, bei dem man anschließend vielleicht ein wenig aufgekratzt, auf jeden Fall aber wirklich glücklich war, dabei gewesen zu sein!


NACHGEHAKT BEI: THE HIDDEN CAMERAS

Wenige Minuten vor dem Konzert hatte Gaesteliste.de die Chance zu einem kurzen, improvisierten Interview mit Joel, das der sympathische Kanadier übrigens ungelogen mit Zahnbürste und Zahnpasta in der Hand (!) absolvierte.

GL.de: Eure Tournee endet heute in Dortmund. Wie war's - gerade auch verglichen mit euren früheren Abstechern nach Europa?

Joel Gibb: Es war eigentlich recht ähnlich. Den größten Unterschied hat gemacht, dass wir uns nun erstmals einen Nightliner geleistet haben. Das ist schon etwas völlig anderes, ob du morgens früh aufstehen musst und den ganzen Tag damit verbringst, in die nächste Stadt zu fahren, oder ob du morgens aufwachst und schon da bist.

GL.de: In unserem Review zu eurer aktuellen Platte "Awoo" schrieben wir, dass ihr darauf zwar nicht viel anders, dafür aber vieles besser macht. Kannst du dich mit diesem Urteil anfreunden?

Joel Gibb: Ja! In erster Linie geht es mir nämlich darum, gute Songs zu schreiben. Ich verspüre nicht den Drang, mich ständig neu zu erfinden, wie andere Künstler das vielleicht tun, die irgendwann unbedingt ein Drum N Bass-Album aufnehmen wollen oder so. Fortschritt muss sich nicht immer auf dramatische Weise zeigen, er kann sich auch auf sehr subtile Weise äußern. Ich versuche zum Beispiel, einfach besser zu singen und bessere Songs zu schreiben.

GL.de: Wenn es so sehr um die Songs geht - wie wirkt sich das auf die Arrangements der Songs aus, die ja heute Abend zum Beispiel von gleich acht Musikern gespielt werden?

Joel Gibb: Die Arrangements der neuen Songs sind viel fokussierter. Es passiert zwar insgesamt weniger, aber wenn etwas passiert, dann ist es pointierter.

GL.de: Wenn du dich in erster Linie als Songwriter siehst, wie passen dann ausgiebige Tourneen durch alle Teile der Welt ins Bild, bei denen ihr "nur" die alten Songs spielt?

Joel Gibb: Live zu spielen ist eine Kunst für sich. Es geht dabei ja nicht nur um das Aufführen eines Albums. Wir versuchen gar nicht erst, unsere Platten möglichst originalgetreu auf die Bühne zu bringen, wir spielen einfach eine Show. Heute gibt es ja so viele Bands, die live mit Loops vom Band arbeiten und dir auch beim Konzert praktisch ihre Platte vorspielen. Bei einer Liveshow, wie wir sie mögen, geht es in erster Linie um Spontaneität und manchmal sogar darum, Fehler zu machen. Der Spaß dabei resultiert doch daraus, dass die Menschen interagieren.

GL.de: Und ein Auftritt wie in der Pauluskirche heute - gibt es einen treffenderen Ort für The Hidden Cameras, um das Abschlusskonzert der Europa-Reise zu bestreiten?

Joel Gibb: Das passt natürlich wirklich, die Tournee so zu beenden. Wir haben allerdings noch eine weitere Show in einer Kirche gespielt, in der Union Chapel in London. Wichtiger als das passende Venue ist natürlich das Publikum. Phantastische Zuschauer lassen jedes Konzert großartig werden. Dabei gibt es natürlich auch Unterschiede. In Spanien und vor allem in Schweden sind unsere Zuschauer komplett wahnsinnig - auf positive Weise. Die drehen einfach völlig durch und hören überhaupt nicht mehr auf zu klatschen und zu schreien!

GL.de: Heißt das, es fällt euch inzwischen leichter, diese Spontaneität auch durch die Setlist auszudrücken, weil ihr schlicht und ergreifend mehr Material zur Auswahl habt?

Joel Gibb (lachend): Leichter? Ich würde sagen, das macht es komplizierter, weil wir jetzt viel mehr Songs können müssen!

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Surfempfehlung:
www.thehiddencameras.com
www.me-lovebox.de
Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Carsten Wohlfeld-

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