NACHGEHAKT BEI: Ann Vriend
In letzter Zeit ist Ann Vriend dazu übergegangen, außer persönlich gefärbten Songs auch solche ins Programm aufzunehmen, die sich mit sozialen oder politischen Aussagen beschäftigen - wie z.B. "Invisible", in dem es um Obdachlose geht oder "Anybody Is Different", das sich mit den verbindenden Gemeinsamkeiten beschäftigt, die allen Menschen eigen sind. Ist das ein Rezept für die Zukunft?
Ann Vriend: Ja, ich denke schon. Meine Ansicht zur Politik ist die, dass es auch in persönlichen 1:1 Beziehungen so etwas wie Politik gibt. Es geht auch in romantischen Beziehungen um die Balance zwischen Kraft und Kompromiss. Ich weiß aber, was du meinst: Die politische Spannung in der Welt - die es immer gegeben hat - scheint heutzutage stärker zu sein - und das beschäftigt mich natürlich und ich denke eine Menge darüber nach.
GL.de: Kann denn Musik heutzutage noch etwas verändern?
Ann Vriend: Ich glaube schon. Wenn du an die größten Alben der letzten Zeit denkst - wie z.B. die von Beyonce oder Kendrick Lamar, dann ist das sicher so. Oder denk nur an die Künstler, die nicht bei der Trump-Inauguration spielen wollten - das wird von vielen Leuten gern gesehen. Ich weiß nicht, ob es direkt etwas ändert - weil niemand wirklich direkt etwas ändern kann - nicht mal Trump -, aber am Ende regt es die Leute zum Denken an. Es gibt zwar viel Gerede auf Facebook und so, dass niemand mehr beachtet, aber wenn du das Medium Musik hinzunimmst, dann funktioniert das auf einer anderen Ebene. Und ich meine, dass es die Aufgabe jedes Musikers ist, auf diese Weise zu kommunizieren.
GL.de: Ann kommt ja aus dem Norden der Mitte Kanadas. Das ist ziemlich weit weg vom Süden der USA, wo die Musik, die sie selbst macht - R'n'B, Blues, Soul und Jazz - herkommt. Wie kam es dazu, dass sie diese Entwicklung nahm?
Ann Vriend: Das ist eine gute Frage. Ich denke, dass es mit ein paar Gospel-Alben begann, die meine Mutter von ihrer Studienzeit aus Chicago mitgebracht hatte. Ich bin auch immer ein großer Fan von Paul Simon gewesen, der ja eine Menge Musik aus den ganzen USA benutzte. Und ich mag Blues - besonders dann, wenn der Rhythmus hinzu kommt; also traditionellen R'n'B. Ich habe dann eine wirklich große Entscheidung in meinem Leben getroffen und beschlossen, die Schule hinzuschmeißen und stattdessen die Musikschule zu besuchen - und zwar wegen einer Funk-Band, die ich gesehen hatte. Ich wusste damals schon, dass ich es ewig bereuen würde, wenn ich diese Art von Musik nicht in meinem Leben hätte. Es ist aber eigentlich egal, warum das so ist: Aber das ist die Musik, die mir am wichtigsten ist und die mich auch am stärksten berührt.
GL.de: Wie macht Ann diese Art von Musik denn zu ihrer eigenen?
Ann Vriend: Nun - ich denke, wenn du R'n'B anhörst, der nicht von mir stammt, dass dieser sich anders anhören wird. Und das ist deswegen so, weil ich eine andere Perspektive habe - denn ich wuchs ja nicht mit einem afro-amerikanischem Background auf. Hinzu kommt, dass die meisten R'n'B-Künstler - Aretha Franklin, Marvin Gaye, Otis Redding, Sam Cooke usw. - ja einen Hintergrund aus der Gospel- und Kirchenmusik haben. Mein Hntergrund ist da eher europäisch orientiert. Was ich an den Tisch bringe, ist meine Erfahrung einer Tochter von Eltern, die als Lehrer gearbeitet haben - was ungewöhnlich ist - und ich singe auf eine andere Art als typische - speziell jüngere - R'n'B-Künstler. Und ich versuche, nicht rein Retro zu klingen, sondern moderne Elemente in die Produktion einzubringen. HipHop als vielleicht einflussreichste Stilart der letzten vierzig Jahre ist mir dabei auch ein Vorbild. Ich kann das deswegen alles glaubhaft rüberbringen, weil ich in einem ziemlich armen, rauen Stadtteil Edmontons lebe. Deswegen verwende ich auch gerne kernige Low-Fi-Elemente, weil das mich und meine Herkunft repräsentiert.
GL.de: Worauf konzentriert sich Ann Vriend beim Live-Auftritt?
Ann Vriend: Mir ist es wichtig, dass die Musik in der Situation funktioniert. Bei einem Solo-Auftritt lasse ich zum Beispiel die ganzen Up-Beat-Funk-Songs raus - weil die in einem ruhigen Raum ohne Band nicht funktionieren. Und deswegen spiele ich eher die ruhigen Songs - und zudem ruhiger als ich sie mit Band spielen würde. Dann packe ich ältere Songs und neue Stücke, die ich noch nicht aufgenommen habe in die Setlist, damit auch die Leute, die mich schon kennen, etwas haben. Und dann hat die Setlist viel mit der Balance zu tun. Wenn ich eine langsame Nummer spiele, folgt meistens eine schnellere, weil es zu viel für manche Leute sein kann, wenn viele ernsthafte, ruhige Songs aufeinander folgen. Ich versuche also die Setlist so zu schreiben, dass das Interesse kontinuierlich aufrecht erhalten wird. Es geht also immer um den Moment.
GL.de: Und wie geht es weiter mit Ann Vriend?
Ann Vriend: Das ist eine gute Frage, weil ich gerade über mehrere Möglichkeiten nachdenke. Ich denke, dass ich ein paar Projekte aufteilen werde. Einerseits mit meiner Band mit ordentlich produzierten R'n'B- und Funk-Zeug und andererseits eine Scheibe mit ruhigeren Sachen. Ich denke, dass beides unterschiedliche Interessenten anzieht und ich möchte auch beides machen.