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Konzert-Bericht
 
Aus einer anderen Zeit

Ryan Lee Crosby
Allysen Callery

Oberhausen, AKA 103
11.10.2014

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Ryan Lee Crosby
Folk oder Fußball hieß es an diesem regnerischen Samstagabend im Oktober. Diejenigen, die sich - in weiser Voraussicht? - entschieden hatten, die 0:2-Pleite der deutschen Weltmeister gegen Polen in der EM-Qualifikation nicht am Fernseher mitzuverfolgen, erlebten im Oberhausener AKA 103 ein feines Doppelkonzert zwischen Folk und Blues von zwei amerikanischen Künstlern, die zu Unrecht hierzulande noch viel zu unbekannt sind. Nur wenige Stunden nachdem sie in Europa gelandet waren, präsentierten Ryan Lee Crosby und Allysen Callery dabei nicht nur Songs ihrer aktuellen LP-Veröffentlichungen auf dem deutschen Kleinlabel Jellyfant, sondern auch Musik, die je nach Sichtweise aus einer anderen Zeit oder schichtweg zeitlos schön war. Der Saal des AKA 103 erwies sich dabei schnell als ideale Location für diesen Doppeldecker. Der rustikale Charme der holzgetäfelten Wände und der Verzicht auf eine Bühne passten ganz ausgezeichnet zur handgemachten Musik und zu den oft persönlichen Texten der beiden, die passend "auf Augenhöhe" mit dem Publikum dargeboten wurden.
Den Anfang machte Allysen Callery mit ihrer "Quiet music for a loud world", und kaum hatte sie auf ihrem Stuhl Platz genommen, zur Akustikgitarre gegriffen und den Abend mit "I Had A Lover I Thought Was My Own" aus ihrem aktuellen Album "Mumblin's Sue" begonnen, da ließ sie vor dem inneren Auge ihrer Zuhörer bereits Erinnerungen an das Folk-Revival der späten 60er und 70er in Großbritannien wach werden. Mit ihren wunderbar zerbrechlichen Fingerpicking-Folk-Songs, die leise, aber nie zu melancholisch, wundersam, aber nicht zu abgedreht, verträumt, aber trotzdem nicht vollkommen realitätsfern sind, entführte sie ihr Publikum für rund 45 Minuten an einen besseren Ort und machte bei ihren Ansagen gut gelaunt klar, dass die Melancholie, die ihre Lieder gern durchzieht, nicht hundertprozentig Rückschlüsse auf das seelische Befinden der Autorin zulässt. So machte sie nicht nur Scherze über ihre eigenen Stimmpausen ("Ich hoffe, dass ich eines Tages so reich bin, mir mehrere Gitarren für die verschiedenen Tunings leisten zu können"), sondern gönnte ihrem Oberhausener Publikum sogar die Weltpremiere des erst drei Tage zuvor geschriebenen "One Day". Mit Gordon Lightfoots "Sundown" und Sibylle Baiers "The End" (ihrem Beitrag zur an diesem Abend erstmals erhältlichen Tour-Split-Single mit ihrem Tourpartner) knüpfte sie zudem aktiv Verbindungen zu seelenverwandten Künstlern und wollte mit ihrem einzigen Blues-Song namens "Blackwaterside" eigentlich geschickt zum "echten Blueser" Ryan Lee Crosby überleiten, doch natürlich musste dann noch eine Zugabe her, auch wenn sie augenzwinkernd sagte: "Ich bekomme daheim so selten die Chance dazu, dass ich lange gar nicht wusste, was eine Zugabe überhaupt ist." Mit "The Huntsman" konnte sie dann sogar gleich noch einen Zuschauerwunsch erfüllen.

Der perfekt gekleidete Ryan Lee Crosby sprach danach zwischen seinen Songs so leise, dass man ihn anfangs trotz Mikro selbst in den ersten Reihen kaum verstehen konnte. Seine Performance dagegen war vom ersten Ton an mitreißend-intensiv, ganz egal, ob er sein Können an der Akustikgitarre oder seine eigentlich vollkommen Blues-untypische, weil seine betont weiche Stimme in den Mittelpunkt rückte. Ähnlich wie auf seiner neuen LP "Busker On The Broad Highway" und dem Vorgänger "Institution Blues" konzentrierte sich der Tausendsassa aus Massachusetts an diesem Abend auf seine Liebe zum 30er-Jahre-Blues und mischte eigene Songs (darunter das rasant-robuste "Going To Bentonia" genauso wie das fragil anmutende "Winter Hill Blues") mit Liedern von Genre-Großmeistern wie Mississippi John Hurt ("If You Don't Want Me") oder Skip James ("Special Rider Blues") und leitete alle Songs mit ausführlichen Geschichten ein. Mal verriet er Details zur Entstehung der Songs, mal erklärte er, wie er auf die Coverversionen gekommen ist. So erzählte er zum Beispiel, dass er Son Houses "Jinx Blues" von dem Typen gelernt hatte, der die schwer alkoholkranke Blues-Legende in den letzten Jahren betreut und im Gegenzug dafür von ihm Songs beigebracht bekommen hatte. Nach etwa einem Drittel wechselte Ryan an die 12-saitige Akustikgitarre und beeindruckte dabei nicht zuletzt mit seiner atemberaubenden, völlig umgekrempelten Version von Nicos "Frozen Warnings", das auch auf der gemeinsamen Split-Single mit Allysen zu finden ist. Bei der stürmisch geforderten Zugabe versuchte er sich sogar erstmals an dem Howlin'-Wolf-Klassiker "Smokestack Lightning" in der Version seines Lieblingbluesers Robert Belfour, ohne deshalb große Bedenken zu haben, "denn nach dem Song bin ich eh für heute durch, deshalb kann ich ruhig mit fliegenden Fahnen untergehen!"

Dass er alles andere als das tat, bewies die Tatsache, dass er (und auch Allysen) danach noch für weitere spontane Zugaben zurück auf die nicht-existente Bühne geklatscht wurden und anschließend lange damit beschäftigt waren, Platten, CDs und andere Devotionalien für das begeisterte Publikum zu signieren.

Ryan Lee Crosby & Allysen Callery
NACHGEHAKT BEI: RYAN LEE CROSBY UND ALLYSEN CALLERY

Nach dem feinen Konzert in Oberhausen hatten wir die Chance, noch kurz mit Ryan und Allysen über ihre just gestartete gemeinsame Europa-Gastspielreise, tief in der Vergangenheit verwurzelte Musik und ihre feine Tournee-Split-Single auf dem Jellyfant-Label mit Coverversionen von Nico und Sibylle Baier zu sprechen.

GL.de: Heute habt ihr erstmals gemeinsam in Europa gespielt, in Amerika dagegen tretet ihr regelmäßig zusammen auf. Könnt ihr den potenziellen Zuschauern der weiteren Konzerte in Deutschland, Holland und der Schweiz erklären, was ihr am jeweils anderen schätzt und warum sich das Kommen lohnt?

Ryan: Allysen singt auf wunderbare und einzigartige Weise. Zumindest in den Kreisen, in denen ich mich bewege, bekommt man eine so schöne Stimme und ein solch verzwicktes, interessantes Gitarrenspiel nur selten zusammen zu hören. Allysens Musik bringt dich an einen anderen Ort, und alle, die sie sehen, werden eine gute, ja, magische Zeit haben, an die sie noch lange Zeit zurückdenken werden.

Allysen: Ryan macht etwas ganz Besonderes mit dem Blues. Auch wenn er gerne Songs covert, an denen sich andere schon oft versucht haben, geht er sie so an, dass er daraus etwas völlig anderes macht. Er spielt den Blues für die Jetztzeit, für Menschen, die nicht mit dieser Musik aufgewachsen sind, aber trotzdem neugierig sind. Außerdem ist er auf der Gitarre der unglaublichste Fingerpicker, den ich kenne. Er benutzt dafür eine 12-saitige Gitarre, und auch auf der sechsaitigen benutzt er jede Menge ungewöhnliche Tunings. Dazu kommen seine erstaunliche, engelsgleiche Stimme und seine bemerkenswerten Phrasierungen, ganz besonders bei Nicos "Frozen Warnings".

GL.de: Ihr widmet euch beide Musik, die tief in der Vergangenheit verwurzelt ist. Woher kommt dieses besondere Interesse?

Allysen: Meine Eltern waren sehr jung, als ich geboren wurde. Sie hatten einen wirklich guten Musikgeschmack und besaßen all die Platten der Zeit. Obwohl wir Amerikaner sind, hatte mein Vater immer ein Interesse an Großbritannien, und deshalb haben wir viel Musik von dort gehört, und als ich aufwuchs, wurde sie ein Teil von mir: Steeleye Span, Incredible String Band, Fairport Convention oder Pentangle. Als ich dann selbst mit der Musik anfing, lag mir das einfach am nächsten. Zuerst begann ich als Dichterin, und dass man im Folk nicht auf das Strophe-Refrain-Strophe-Schema achten muss, hat mir sehr große Freiheiten beschert. Ich konnte genau das tun, was ich wollte. Das war immer mein Ziel. Ich bin keine Hitlieferantin und mir geht es auch nicht darum, die Menschen zum Tanzen zu bringen. Ich möchte Gefühle in ihnen auslösen und sie an einen anderen Ort transportieren.

Ryan: Ich habe mich über die Jahre an vielen verschiedenen Stilen abseits von Blues und Folk versucht, an allen möglichen Arten von Rockmusik, die von den 60ern, 70ern, 80ern und 90ern inspiriert war, und ich bin auch von elektronischer Musik und Dub-Reggae beeinflusst worden. Auch heute widme ich mich nicht ausschließlich einem Genre, aber mit der Art und Weise, wie ich auf meiner neuen Platte und auf dieser Tournee Gitarre spiele, kann ich all das vereinen, was ich auch an anderen Instrumenten wie dem Klavier oder dem Schlagzeug schätze. Die alternierenden Daumen-Picking-Muster beispielsweise stehen für das Klavier, und weil der Blues in den 30ern synkopierte Tanzmusik war, kann ich in den Bluestonleitern sogar meine Liebe zur nigerianischen Funkmusik der 70er unterbringen. Gleichzeitig mag ich auch Robbie Basho und die Künstler von Takoma Records und ich versuche, einige dieser äußeren Einflüsse in meine Art, den Blues zu spielen, einzubauen. Mir ist es sehr wichtig, diese Songs nicht nur wie Museumsstücke zu spielen. Ich will sie mit all den anderen Musikstilen verbinden, die ich ebenfalls mag. Deshalb spiele ich vielleicht ein Stück von Son House parktisch Note für Note, aber trotzdem klingt es ein wenig anders als im Original.

GL.de: Passend zur Tour hat euer Label Jellyfant eine 7"-Split-Single veröffentlicht, auf der ihr mit Sibylle Baier bzw. Nico eure Lieblingskünstler aus Deutschland covert. Fiel euch die Auswahl leicht?

Allysen: Als ich mit der Musik anfing, hörte ich ständig, dass ich wie Nick Drake, Vashti Bunyan oder Sibylle Baier klingen würde. Ich hatte von den dreien noch nie gehört und dachte eigentlich, dass ich klinge wie sonst niemand. Als ich mich dann mit diesen Künstlern beschäftigte, habe ich mich natürlich sofort in ihre Musik verliebt. Bei Nick Drake dachte ich zuerst, er sei ein zeitgenössischer Künstler. Ich war vollkommen niedergeschlagen, als ich erfuhr, dass er schon vor so langer Zeit gestorben ist. Bei Sibylle Baier mochte ich besonders den Song "I Lost Something In The Hills" und war kurz davor, den zu covern, aber auch zu "The End" fühlte ich mich stark hingezogen, denn das Ende von Beziehungen oder die Freundschaft, die nie so richtig eine Chance hatte - das kennen wir ja alle.

Ryan: Mir ist es sehr leichtgefallen, den Song auszuwählen. Ich mochte Nico schon, seit ich 13 oder 14 war, und diesen Song im Besonderen. Ich habe ihn bereits auf meiner letzten Europa-Tournee gespielt und Hans von Jellyfant mochte ihn, also lag die Wahl nahe. Es wäre sicherlich auch lustig gewesen, etwas von Neu! oder Kraftwerk zu covern, aber das wäre vielleicht irgendwie unpassend gewesen.

Allysen: Ich denke, Ryan hat sich den Nico-Song wirklich zu eigen gemacht, denn er klingt jetzt vollkommen anders. Ich habe mit meinem Cover ziemlich gekämpft, weil Sibylles Version des Stücks so perfekt ist. Die produktionstechnischen Dinge, die ich drübergelegt habe, haben letztlich dabei geholfen, dass ich nicht zu sehr wie
Sibylle klinge.

GL.de: Gibt es auf dieser Tour Städte, auf die ihr euch besonders freut?

Allysen: Ja, diese hier! Ich liebe Oberhausen, weil all unsere Freunde von unserem Label hier leben. Sie kümmern sich wirklich rührend um uns. Letztlich freue ich mich aber auf alle Städte, aber ganz besonders auf Thun in der Schweiz. Ich war dort bereits gemeinsam mit anderen Tourneepartnern, aber dieses Mal erstmals zusammen mit Ryan. Die Stadt ist wirklich wunderschön und alles liegt ganz nah beieinander. Auch auf Holland freue ich mich, weil ich dort noch nie war.

Ryan: Ich freue mich auf jeden Tag der Tour. Es ist toll, in eine Stadt wie Oberhausen zurückzukommen und alte Freunde wiederzutreffen, und das Gleiche gilt für Groningen, wo ich schon drei Mal aufgetreten bin. Gleichzeitig freue ich mich aber auch, erstmals in Rostock oder Kiel aufzutreten und neue Freunde zu gewinnen. Mein letztes Tourneeerlebnis hier in Deutschland war ausnahmslos positiv und ich bin gespannt, wie sich meine Perspektive ändert, wenn ich am Ende dieser Tournee die Erfahrungen miteinander vergleichen kann.

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Surfempfehlung:
www.ryanleecrosby.com
ryanleecrosby.bandcamp.com
allysencallerymusic.com
allysencallery.bandcamp.com
Text: -Carsten Wohlfeld-
Fotos: -Carsten Wohlfeld-


 
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