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Die inneren Regenbogen

Dear Reader
Traded Pilots

Köln, Gebäude 9
24.05.2013

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Dear Reader
Cherilyn MacNeil hat schon ein besonderes Talent dazu, lustige Leute um sich zu versammeln. Zunächst hatte man ja noch dem Eindruck unterliegen können, dass Dear Reader einfach eine humorvolle Band sei. Als dann aber Cherilyn auf ihrem zweiten Album, "Idealistic Animals", ein desolates Weltuntergangszenario inszenierte, dann aber auf der zugehörigen Tour - mit vollkommen anderen Musikern - wieder als unterhaltsamster Musik-Act der Jetztzeit überzeugte, kristallisierte sich eine neue Theorie heraus, die sich nun auf der Tour zum aktuellen, dritten Album, endgültig bestätigte: Cherilyn ist einfach ein Humormagnet mit einer düsteren Seele.
Dieser scheinbare Widerspruch manifestierte sich beim Kölner Konzert zu einer Art Konzept. Dieses Mal war Cherilyn mit Emma Greenfield und Sam Vance-Law - besser bekannt als Traded Pilots - unterwegs. Das kanadische Weird-Folk-Duo überraschte mit einer Kombination höchst amüsanter, bilingual vorgetragener Ansagen, Anekdoten und Witze auf der lustigen Seite und mit bemerkenswert streng strukturierten Folksongs auf der ernsten, die gerade dadurch gefielen, dass sie nicht um jeden Preis gefallen wollten. Will meinen: Die beiden Protagonisten hatten schon jede Menge gute Ideen auf Tasche, ihr überschaubares Equipment (Gitarre, Geige, Stimmen und Trompete) auf effektive und originelle Weise einzusetzen - die eigentlichen Stücke aber bestehen aus höchst komplex arrangierten, teilweise gar spröde an der Atonalität kratzenden Kleinkunstwerken, die so recht nicht in die Folkpop-Schublade gehören wollten, die das Duo rein vom Gehabe her geradezu zu verkörpern schien. Immerhin: Dank der äußerst charmanten Darbietung und genauester Anleitung gelang es den Traded Pilots sogar, das Publikum für ein höchst komplexes Chor-Arrangement zu gewinnen. Dennoch: Das eigentlich unterhaltsame waren die wirklich amüsanten Ansagen und Anekdötchen, die das ulkige Pärchen vorzutragen wusste.

Cherilyn machte dann gleich in diesem Sinne weiter, als sie die Bühne mit zwei weiteren Musikern an Bass und Drums erklomm. Obwohl die Texte ihrer neuen Scheibe, "Rivonia", bei der es, wie inzwischen bekannt sein dürfte, um eine subjektive Historie ihrer südafrikanischen Heimat geht, zu den am wenigsten verklausulierten der bisherigen Dear Reader-Texte gehören, war es dann doch nett, dass sich Cherilyn die Zeit nahm, die Stories und Texte hinter den Songs ausführlich zu erläutern. Auch sie spricht zwischenzeitlich ausgezeichnet Deutsch, so dass es auch hier ein kunterbuntes, sprachliches Durcheinander gab. Die Essenz des Ganzen war dann die, dass diese Erläuterungen zu den Songs wieder äußerst unterhaltsam und witzig waren - die zugrundeliegenden Stories aber eben eher nicht. "Hört doch mal auf zu lachen, das ist doch ein ernsthafter Song", versuchte Cherilyn das irgendwie zu balancieren. Eher vergeblich, aber immens unterhaltsam.

Die neuen Songs wurden dann auch fast alle gegeben - was insofern bemerkenswert erscheint, als dass das aktuelle Material ja hauptsächlich um Stimmen und Rhythmen herum konstruiert war. Hier behalf sich Cherilyn insofern, als dass sie mit einem Sampler arbeitete, um diverse komplexe Klangkonstellationen reproduzieren zu können und andererseits halfen die anderen Musiker als stimmgewaltige Kollegen natürlich, den Chor-Charakter vieler Tracks durchaus beibehalten zu können. Das Publikum wurde auch wieder eingebaut, und zwar bei einer sorgsam und aufwendig inszenierten Reprise von "Back From The Dead", dem autobiographischten Song der neuen Scheibe. Es ist sowieso so, dass Cherilyns Songs so minutiös austariert sind, dass da für spontane Improvisationen kein wirklicher Raum bleibt. Ausufernde Jam-Sessions oder Live-Versionen ihres Materials sind da sowieso eher unwahrscheinlich. Ergo macht sie das einzig richtige und baut die Arrangements mit den Mitteln der jeweiligen Tour-Musiker entsprechend um. Das bedeutet, dass man - obwohl die Songs ähnlich strukturiert daherkommen, wie auf Konserve - dann doch echte Live-Musik und nicht etwa eine bloße Reproduktion der CD-Aufnahmen geboten bekommt. Die Krönung in dieser Hinsicht war allerdings der A-Cappella-Track "Victory", den das Ensemble fünfstimmig heruntergebrochen, aber mit der gleichen Grandezza wie die Version am Ende der Scheibe präsentierte. Zwischen den Tracks gab es dann Situationskomik ohne Ende. "Oh, ich höre die Stimme von Gott", meinte Cherilyn etwa, als der Soundmixer einen Kommentar über die PA absetzte. "Das ist nur der Soundmixer", meinte Sam Vance-Law. "Was sagt er denn?", fragte Cherilyn. "Dass du die Auserwählte bist", antwortete Sam. Darauf angesprochen, dass er nicht genügend lache, meinte er, dass er mehr so nach innen lache - woraufhin Cherilyn meinte, dass das doch keinen Sinn mache. "Doch doch", erläuterte Emma Greenfield, "wir tragen auch unsere Regenbogen innen."

Cherilyn spielte während des Konzertes meistens Piano, zuweilen aber auch Gitarre und - mit Hilfe von Emma Greenfield - Akkordeon. Neben den neuen Songs gab es einige der Tracks vom letzten Album - "Man", "Whale" und "Monkey" etwa - und am Ende, um die Zuschauer, die lieber etwas Bekannteres gehört hätten zu erlösen, den berühmten "Great White Bear" vom ersten Album. Zwei Zugabenblöcke, davon einer, der nicht eingeplant war, rundeten dann die Show, von der sich die Band übrigens mindestens so angetan zeigte, wie das Publikum, ab. Und somit bestätigte sich mit dieser Tour noch ein Mal: Dear Reader sind einfach schlicht der unterhaltsamster Musik-Act der Jetztzeit. Punkt.

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Surfempfehlung:
www.dearreadermusic.com
www.cityslang.com/dear-reader
www.tradedpilots.com
Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-

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