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23.09.2019
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Die unauffällige Virtuosin

Hayley Reardon

Bergneustadt, Schauspielhaus
23.09.2019

Hayley Reardon
Gäbe es Hayley Reardon nicht schon - man könnte sie nicht besser erfinden. Obwohl gerade erst Anfang 20, gelingt es der in der Nähe von Boston heimischen amerikanischen Singer/Songwriterin bei ihrem Gastspiel in Bergneustadt mit beeindruckender Leichtigkeit, zwischen altgedientem Folk und vom Zeitgeist geküsstem Pop ihren eigenen Weg zu finden, wenn sie trotz einer beachtlichen performerischen Kunstfertigkeit stets viel Seele und Leidenschaft in ihre Songs und ihr Tun fließen lässt, unbeschwerten Jung-Mädchen-Charme nonchalant mit lyrischer Tiefgründigkeit weit jenseits ihrer jungen Jahre verbindet und trotz einer gewissen Routine, die sich seit ihrem Debüt mit 16 unweigerlich eingeschlichen hat, nie vergisst, mit ordentlich Situationskomik den Moment zu leben.

Im etwas euphemistisch benannten Schauspielhaus von Bergneustadt trifft liebenswerte Hemdsärmeligkeit auf DIY-Vintage-Charme: Abgewetzte alte Kinosessel und wirkungsvoll eingesetztes Theaterlicht sorgen mitten im Bergischen Land für genau den heimeligen Rahmen, in dem die Songs von Hayley ganz besonders aufblühen. Nur mit ihrer wandelbaren Stimme und Akustikgitarre bewaffnet - okay, für zwei Songs ist auch noch ihr Tourbegleiter an der zweiten Gitarre dabei -, lässt uns die unauffällige Virtuosin, wie Kollege Maurer sie bereits treffend beschrieb, fast zwei Stunden lang mit dezent-melancholischen Liedern, die ob subtiler Nuancen und Schattierungen dennoch keinen Platz für Langeweile lassen, an ihrem Leben teilhaben. Ihre betont persönlichen, noch zu Teeniezeiten entstandenen "Dormroom Originals", die sie von Heimweh geplagt während ihres kurzen Studienaufenthaltes in Nashville geschrieben hatte ("Zu einem Abschluss hat meine Zeit dort nicht geführt, aber zu vielen Liedern", sagt sie augenzwinkernd), sind genauso im Programm wie die brillant ausformulierten Storyteller-Nummern ihrer aktuellen EP "When I Knew You", für die sie Geschichten von Menschen aus ihrem nächsten Umfeld in emotionale Kleinode verwandelt, ganz egal, ob ihre Freundin aus Kinderzeiten Julia darin im Mittelpunkt steht oder ihre demenzkranke Großmutter, die zuletzt nur durch die Musik von Patsy Cline für kurze Momente zurück in die Realität geholt wurde. Letztere Nummer, "200 Years Old", leitet Hayley mit der ausführlichen Entstehungsgeschichte des Songs ein, während sie leise Akkorde spielt, und versprüht dabei Gänsehautfeeling wie einst der Boss bei seiner berühmten Live-Version von "The River". Apropos Songs anderer: Mit ihrem feinen Cover von Lyle Lovetts verkanntem Klassiker "If I Had A Pony" bricht sie die gedämpfte Stimmung des Abends genauso auf wie mit ihrem einzigen Uptempo-Song "Take Care Of Yourself", den sie kurz vor Ende spielt, "weil ihr euch das nach all den traurigen Liedern verdient habt", wie sie ihr Publikum lächelnd wissen lässt, bevor bei gleich zwei Zugaben all die Songs zum Zuge kommen, die sie zuvor ausgelassen hatte, weil sie ohne Brille ihre handgeschriebene Setlist nicht lesen konnte...

Die Highlights des Abends sind allerdings keinesfalls Hayleys Greatest Hits, sondern die beiden Singles, die sie während ihrer noch bis Ende Oktober laufenden Europatournee veröffentlicht. Ohne ihre alten Tugenden zu vergessen, verdichtet sie ihr Tun hier textlich wie musikalisch in bisher nicht erreichter Brillanz. "Everything Else" handelt davon, Frieden in stürmischen Zeiten zu finden, während "Forgiveness" ein smarter Ecology-Song ist über die Last, die Mutter Erde im buchstäblichen wie übertragenen Sinne zu tragen hat. Man könnte auch sagen: Es ist eine helle Freude mitzuerleben, wie aus einer ausgezeichneten Musikerin mit jedem neuen Lied eine einzigartige wird.

Surfempfehlung:
www.hayleyreardon.com
www.facebook.com/hayleyreardonmusic

Text: -Carsten Wohlfeld-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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