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28.10.2018
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Durchschnittlich brillant

Cat Power
Stephanie Goodman

Berlin, Astra
28.10.2018

Cat Power
Also eine Cat Power-Live-CD oder gar eine DVD wird es nach wie vor wohl so schnell dann doch nicht geben - auch wenn Chan Marshall heutzutage auf der Bühne längst nicht mehr so unstet agiert wie in den Anfangsjahren ihrer Karriere. Dieses Mal war es zum Beispiel die Beleuchtung im ausverkauften Astra-Kulturhaus zu Berlin, die ihr zu hell war und insbesondere die Monitore, die sich einfach nicht ihren Vorstellungen entsprechend justieren lassen wollten, die Chan daran hinderten, zu einer möglichen Höchstform aufzulaufen. Was freilich dem Publikum egal gewesen sein dürfte, denn diese wurden mit einem bemerkenswert intensiven, teilweise anrührenden und musikalisch nun wirklich erstklassigen Konzert dafür belohnt, dass sie ihrem Idol über über die Jahre und durch alle Hochs und Tiefs die Treue gehalten hatten und beim einzigen Deutschland-Konzert der laufenden Welt-Tournee zu ihrem Album "Wanderer" dementsprechend erwartungsvoll aufgeschlagen waren.

Zunächst ein Mal dürften sich alle diejenigen Anwesenden, die Chan Marshall schon aus jener Zeit kennen, als sie erstmals hierzulande aufspielte, um ca. 20 Jahre in eben dieser Zeit zurückversetzt gefühlt haben. Das galt auch für den Support Act - Stephanie Goodman aus Brighton -, die zusammen mit ihrem Gitarristen und einer Sammlung psychedelischer Backing-Tracks mit ihrem hakeligen "New Wave Indie Velvet Underground Noise Pop" soundtechnisch und auch von der Attitüde her die seligen 90er Jahre wieder aufleben ließen. Als Bonbon gab es dann eine ziemlich abgefahrene Version von Donovans "Catch The Wind". Rein musikalisch war das alles von überschaubarem Reiz - wohl auch deswegen, weil die besagten Tracks eher einem experimentellen Zufallsprodukt entsprungen waren (Stephanie Goodman arbeitet hauptsächlich als DJane). Freilich passte das ganz gut zu dem Sounddesign, das sich Chan Marshall für diese Tour-Inkarnation ausgedacht hatte. Denn anders als vielleicht zu erwarten gewesen wäre, trat sie mit einer dreiköpfigen Band auf, die soundmäßig zuweilen so aufdrehte, wie sie das in den 90ern auch gerne mal getan hatte. Es gab allerdings einen wesentlichen Unterschied zu früher, denn Chan spielte selbst kein Instrument, um sich voll und ganz auf den Gesang und die Interpretation der Songs konzentrieren zu können.

Noch bevor das Intro des eingangs gespielten Titeltracks des "Wanderer"-Albums indes vollständig ausformuliert worden war, veranlasste ein Tumult im Publikum Chan dazu, das Konzert zu unterbrechen und die Sanitäter loszuschicken. Es ging dann aber alles glimpflich aus, denn es war wohl jemand im Publikum gestürzt und dem konnte dann wieder auf die Beine geholfen werden. "Sie läuft wieder", kommentierte Chan das. Freilich: Situationen wie diese zeigen, dass Chan Marshall keine Künstlerin ist, die - komme was da wolle - routiniert ihrem Job nachgeht, sondern eine, die sich tatsächlich um das Wohl ihrer Mitmenschen sorgt. Sehr viel realer können sich Musiker eigentlich nicht präsentieren. Kommen wir aber mal zu der Musik: Natürlich standen die Songs des neuen Albums hier im Vordergrund - aber nicht in dem Sinne, dass diese einfach vorgetragen wurden. Denn zusammen mit ihrer Band hatte Chan Marshall vollkommen neue Arrangements für die Live-Präsentation ausgearbeitet, zu der die Studio-Versionen dann im Vergleich zu bloßen Sprungbrettern degradiert wurden. Das hatte zur Folge, dass die Tracks dann teilweise eigentlich nur noch an den Texten oder den zugrundeliegenden Basis-Motiven zu erkennen waren. Auch die Perspektive auf die Tracks änderte sich so natürlich. Aus dem auf der Scheibe eher fröhlich dahintrappelnden "Woman" etwa wurde so eine solide Rocknummer. Davon hatte die Band dann noch mehrere im Gepäck - erfreulicherweise in Form von Treatments älterer Stücke wie z.B. "Cross Bone Style", das dann nahtlos in eine rockende Version von "Nude As The News" überging. Sogar der Mega-Drone "Nothing But Time" vom "Sun"-Album kam dann als vergleichsweise schmissige Up-Tempo-Nummer daher. Die Highlights der Show kamen dann aber von ganz anderer Seite. Die Coverversionen, die Chan etwa einfließen ließ - zum Beispiel Nick Caves "Into My Arms" oder "Dark Side Of The Street" -, nutzte sie für atmosphärisch/jazzigen Noir-Blues-Ausflüge und Frank Oceans "Bad Religion" etwa wurde so zur zentralen Gospel-Hymne des Tages - vielleicht noch in Kombination mit dem ähnlich episch angelegten "Horizon" vom aktuellen Album. Ihren eigenen Song "Metal Heart", den sie ja selbst schon ein Mal auf Konserve gecovert hatte, zerlegte sie erneut in seine Bestandteile und fügte ihn auf originelle Weise neu zusammen und das zum Schluss solo vorgetragene "Moon" erlebte seine x-te Neugeburt auf einer wiederum interessante, neue Weise. Einfach und geradlinig war das alles nicht - aber erstens ist Chan Marshall ja auch nicht gerade einfach und geradlinig und zweitens machten gerade die kleinen Haken und Ösen, an denen sich alle Beteiligten entlanghangelten (ihre Musiker mussten die Chefin schließlich genauso aufmerksam verfolgen wie das Publikum) die Sache besonders spannend, real und anrührend.

Als Chan Marshall sich nach einer für ihre Verhältnisse sehr langen Show nach fast zwei Stunden von ihrem Publikum verabschiedete, suchte sie - wie üblich vergeblich - nach den richtigen Worten, um ihrem aktuellen Seelenzustand adäquat Ausdruck verleihen zu können; und kam dann ungefähr zu folgendem Resümee: Wenn jemandem zugejubelt werde, der (wie ihrer Meinung nach sie selbst) nur Durchschnittliches zu bieten habe, dann gäbe es ja noch Hoffnung in der Welt und schloss dann mit den Worten: "Danke, dass ihr mir erlaubt, mittelmäßig zu sein".

Cat Power
NACHGEHAKT BEI: CHAN MARSHALL

GL.de: Warum bist du denn heute auf der Bühne die ganze Zeit hin und hergelaufen? Was war denn das Problem?

Chan Marshall: Die Monitore - wie üblich. Ich konnte mich nicht richtig hören und deswegen die Songs nicht richtig interpretieren.

GL.de: Hast du es denn nicht mal mit In-Ear-Monitoren versucht?

Chan Marshall: Doch - aber das macht alles nur noch schlimmer. In-Ear-Monitore haben noch weniger Seele als richtige Monitore.

GL.de: Im Publikum konnte man aber gar nicht hören, dass es da Tonprobleme gab.

Chan Marshall: Das Publikum war sehr respektvoll und höflich. Ich bin aber nicht besonders glücklich mit dem heutigen Abend. Ich denke nicht, dass Außenstehende diese Problematik verstehen können. Wenn ich nicht richtig in den Song hineinfinden kann, weil ich mich nicht richtig hören kann, dann kann ich dem Anspruch des Songs nicht gerecht werden und ich kann dem Publikum nicht vermitteln, was ich eigentlich ausdrücken möchte. Ich kann sozusagen die Seele des Songs nicht erfassen. Sagen wir mal so: Ich konnte heute Abend mein Potential deswegen nicht ausschöpfen. Jetzt möchte ich aber auch nicht mehr über dieses Thema sprechen. Lass uns lieber über die Wahlen in Brasilien sprechen.

GL.de: Da kam gerade eben die Meldung, dass Bolsonaro die Wahlen gewonnen hat.

Chan Marshall: Der Rechtsextremist also. Das habe ich befürchtet.

GL.de: Du bist doch sehr an Politik interessiert. Wäre es da nicht ein Mal an der Zeit, das auch in deine eigene Musik einfließen zu lassen?

Chan Marshall: Denkst du wie Bob Dylan? Ich denke nein - das ist nichts für mich. Das muss von der jüngeren Generation kommen.

GL.de: Können wir dann doch noch mal über deine Musik reden - zumal es heute Abend eine richtig coole Setlist gab und die neuen Arrangements ja auch richtig spannend waren. Hast du die selbst ausgearbeitet?

Chan Marshall: Danke - daran habe ich auch richtig lange und hart mit meinen Musikern zusammen gearbeitet. Die Band, mit der ich jetzt spiele, ist bereits die vierte Formation, die ich ausprobiert habe.

GL.de: Ist dir eigentlich aufgefallen, dass du jetzt langsam anfängst, deine eigenen Stücke auf die gleiche Art zu dekonstruieren, wie du das damals mit Coverversionen wie "Satisfaction" gemacht hast?

Chan Marshall: Hm - damals war ich ja alleine, da war das natürlich einfacher etwas zu dekonstruieren und wieder neu zusammenzusetzen. Heutzutage muss ich ja mit den Musikern zusammen arbeiten. Bewusst mache ich das also nicht unbedingt.

GL.de: Was will uns denn das neue Runen-Logo sagen, das zuletzt Cat Power-Produkte ziert?

Chan Marshall: Das ist keine Rune, sondern ein stilisiertes "C" auf der einen Seite und ein "P" auf der anderen...

Surfempfehlung:
www.catpowermusic.com
www.facebook.com/CatPowerSun

Text: -Ullrich Maurer-
Fotos: -Ullrich Maurer-
 

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