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15.05.2005
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Men In Black

Orange Blossom Special 9 - 2. Teil

Beverungen, Glitterhouse-Villa
15.05.2005

Orange Blossom Special 9
Am Morgen des Sonntags wankte Rich Hopkins mit halb geschlossenen Augen, aber bereits gegen neun Uhr, zum Frühstücksbuffet und tastete nach dem Kaffee. Das sah zunächst nach einer schwer durchzechten Nacht aus, hatte jedoch einen ganz banalen Grund. "Meine innere Uhr läuft noch nicht richtig", grummelte er, "ich bin heute Nacht um zwei Uhr aufgewacht, konnte nicht mehr einschlafen und habe seither gelesen. Am besten ich haue mich jetzt noch mal aufs Ohr." Gesagt getan - denn bis zu seinem Auftritt am Abend wollte Rich natürlich wieder fit sein. Der Sonntag-Morgen in Beverungen ist ja auch nicht zum Rumtoben gedacht. Eher ist da schon eine Stadtführung angesagt - oder zumindest doch der Ausflug zum malerischen Hubschrauberlandeplatz am Weserufer, der hiermit jedem ausdrücklich empfohlen sei. Der Regen des Vortages hatte die Glitterhouse-Wiese derweil in eine solide Fangopackung verwandelt, aber zum Glück hatte es aufgehört zu regnen - was durchaus von Vorteil war, auch wenn ein kalter Wind durch die Gegend pfiff.

Skeptisch betrachtete derweil Doc Wenz das Geschehen, seines Zeichens die Stimme von Mardi Gras. BB, bzw. der Kerntruppe The Mighty Three, die heute als Anheizer-Truppe anfangen sollte. "Uns hat man gesagt, dass um 13 Uhr genauso viele Leute da sein sollten, wie um acht Uhr abends", grummelte Doc, "da hat man uns wohl belogen." Hatte man nicht. Doc Wenz kennt eben nicht die sprichwörtliche Zuverlässigkeit der Glitterhouse-Fans, die pünktlich zur Ansage allesamt wieder angetreten waren. Sogar Reinhard war dabei, der sich nachts noch einen kapitalen Heimsturz geleistet hatte. The Mighty Three übernehmen von Mardi Gras. BB eher die Idee als die Musik. Im Vergleich zur ganz schön funkigen Mutterband klingen die erstaunlich ruppigen und swingenden Swamp-Blues-Rock-Elaborate des Kerntrios vergleichsweise rockig. Insbesondere die ausgezeichnet agierende Rhythmussektion aus Reverend Uli Krug und dem ansonsten als Stehtrommler agierenden Erwin Ditzner machte das Ganze zu einer ungemein groovenden Angelegenheit, durch die sich der stilecht brummig knurrende Doc Wenz dann in souveräner Südstaaten-Manier durchbiss. "Die sind wirklich gut", klatschte auch Chris Eckman begeistert in die Hände, "und jetzt spielen sie ja sogar einen Giant Sand-Song!" Das stimmte: "Sucker In The Cage" brauchte sich hierbei wahrlich hinter nichts zu verstecken - schon gar nicht hinter dem Original. Im Herbst wird es dann auch eine komplette CD der Mighty Three geben, die auch bereits fast fertiggestellt sei, wie uns Uli Krug verriet. Reinhard brachte es jedenfalls auf den Punkt, als er sagte, dass dies die bislang rockigste Eröffnung eines OBS-Sonntages gewesen sei.

Der Mann, der dann folgte - Ben Weaver - hatte sich praktisch seit seinem letzten Besuch in Deutschland runderneuert. Nicht nur, dass er mit dem gestutzten Bart zehn Jahre jünger aussah, er hatte auch eine komplett neue Band dabei - dieses Mal sogar mit einem Bassisten und einem Drummer, der einen amerikanischen Briefkasten in sein Kit integriert hatte. Angesteckt von der allgemeinen guten Laune öffnete Ben beim Singen sogar zeitweise die Augen. Und seine neue Band rockte, was das Zeug hielt. Dabei gingen die Meinungen auseinander: Die einen fanden das fast schon zu glatt, die anderen mochten gerade das nahtlose Ineinandergreifen, das die Band hier ziemlich perfekt demonstrierte. Was aber auf jeden Fall attestiert werden musste, war der Umstand, dass der neue Ben Weaver sehr viel mehr swingte, als der bisherige. So geriet zum Beispiel der ansonsten eher spröde Talking Blues "John Martin" zu einer regelrecht groovenden Angelegenheit.

Die nachfolgende Band hatte man dann im Prinzip am Tag zuvor schon mal gesehen. Dennoch war das Set, das Will Johnson & Co. dieses Mal als Centro-Matic darboten, keineswegs ein Deja Vu-Erlebnis. Hier brachen dann nämlich alle Dämme und es wurde kompromisslos losgepoltert und gepowert. Auf eine sympathisch sperrige Art zwar und angereichert mit allerlei Zutaten, wie z.B. Will Dambons Geige, aber auf jeden Fall mit Schmackes. Hier konnte sich dann auch Will selber kaum noch halten. Im Überschwang der Gefühle nahm er sogar zeitweise sein Käppi ab, lächelte gar und steigerte sich - zusammen mit dem ansonsten eher unauffälligen Bassisten übrigens - richtig in die Sache hinein. Zum Schluss zerrte er an seinem Hemd, wedelte mit der Bierflasche und pfiff ganze Strophen ins Mikro. "Es ist schon erstaunlich, wie unterschiedlich die beiden Sets sind", meinte Robert Fisher zu Chris Eckman, der dann dadurch angeregt begann, alle Bands aufzulisten, die ihm soundmäßig an Centro-Matic erinnerten, was dann im Folgenden zu einer intensiven Diskussion der beiden über die Musikgeschichte der 80er und 90er Jahre führte.

Um verstehen zu können, wie die Glitterhäusler auf die Idee kommen können, eine Band wie die nachfolgenden Dead Brothers aus der Schweiz einzuladen, die ihnen vom dieses Mal abwesenden John Parker empfohlen worden waren, muss man wissen, wie bei Glitterhouse gedacht wird. Hierzu mal ein schönes Beispiel: Über der Toilette in der GH-Villa hängt ein Bild von Angela Merkel mit der Bildunterschrift "Bitte". Auf der Toilettentür hingegen hängt eines von Natalie Portman mit der Aufschrift "Danke". Wer das nicht versteht, der darf sich auch weiter fragen, was uns denn eigentlich die toten Brüder mit ihrer eigenartigen Mixtur aus New Orleans-Jazz, Folklore, 16 HP-Rock und Moritatengesang sagen wollten. Ober-Bruder Dead Alain erklärte das ungefähr so: "Bei uns in der Schweiz, wo wir herkommen, passiert nie etwas - that's why we never sing the Blues." Stattdessen gab es Songs über Verstorbene und so weiter - manchmal auch mit Megaphon. Nun, wer auf seinen Scheiben den Sticker "Voodoo Rhythmn Bern" aufbringt, der wird schon wissen, was er tut. Zum Ende ihres wahrlich einzigartigen und faszinierenden Sets zogen die Dead Brothers dann in der Art einer Rattenfängertruppe mit dem Großteil des Publikums vor das Mischpult und spielte dort noch ungefähr eine halbe Stunde weiter.

Es folgte dann eine Gruppe, zu der Reinhard nicht ganz unrichtig feststellte, dass diese hierzulande doch bislang ein wenig unter dem Radar geflogen sei. Richmond Fontaine aus Portland, Oregon, lieferten unter dem Strich das solideste Americana-Set des ganzen Festivals ab. Willy Vlautin zeigte auch in diesem Umfeld seine Qualitäten als vielseitiger, einfühlsamer Songwriter. Mehr noch, eigentlich, als auf den Scheiben, da diese zuletzt immer in eine bestimmte Richtung wiesen (das aktuelle Werk, "The Fitzgerald" ist z.B. ein Akustik-Album). Als besonderes Schmankerl hatten die Herren sich als Gast Mike Coykendall von den Old Joe Clarks mitgebracht, der seines Zeichens ja auch ein gewiefter Genre-Spezialist ist und der Keyboards spielte und obendrein auch einige Tracks zum Besten geben durfte.

Bevor dann Rich Hopkins und seine Luminarios loslegen durften, machten sich Rembert und Reinhard noch darüber lustig, dass ausgerechnet in diesem Jahr Edgar Heckmann seinen Urlaub auf Pfingsten gelegt habe. Es folgte dann die Versteigerung der zu diesem Zeitpunkt tatsächlich von oben bis unten mit Autogrammen beschrifteten Gute-Zweck-Gitarre, die dann - nach einer beispielslosen (weil bislang noch nicht dagewesenen) Versteigerung tatsächlich für über 600 Euro an den Mann gebracht werden konnte. "Das machen wir jetzt jedes Jahr, dann kannst du dir eine schöne Sammlung zulegen", sprach Rembert dem stolzen Gewinner zu. Rich Hopkins hatte derweil einen teuflischen Plan ausgeheckt und den völlig überraschten Chris Cacavas in einer Nacht und Nebel Aktion dazu überrumpelt, das ganze Set als Keyboarder zu begleiten. Zu dem Zweck notierte er zusammen mit seiner Bassistin, Anna Rosales, Spickzettel mit den Akkordfolgen für Chris, die er dann mit Kommentaren wie "Good Luck!" und ähnlichem versah. Zunächst hatte Chris sich ja noch gesträubt, doch schnell fand sich Willard Grant-Keyboarderin Yuko Marata bereit, ihr Instrument für den Zweck herzugeben. Letztlich war das dann sicherlich eine richtige Entscheidung, denn mehr Spaß dürften sowohl Rich wie seine Band, wie auch das Publikum und auch Chris Cacavas schon lange nicht mehr gehabt haben. Das Programm bestand vorwiegend aus bekannten Rich-Hits und ein paar Cover-Versionen. Das hatte aber einen einfachen Grund: Zwar ist Rich durchaus dabei, neues Material zu schreiben, jedoch ist die Ehefrau von Richs Drummer, Pete, gerade hochschwanger, so dass dieser verständlicherweise zu Hause bleiben musste. Somit musste kurzfristig für die Tour ein neuer Drummer angelernt werden - und das macht man dann besser mit bekanntem Material. Das tat der Sache aber keinen großen Abbruch. "Mögt ihr Neil Young?", fragte Rich, der durchaus vom Ruf des OBS gehört hatte ins Publikum, und fügte dann hinzu "Fuck Neil Young!" Und in der Folge gab's dann Richs ganz persönliche Version der vollen Rockdröhnung. Wobei der Fairness halber angemerkt werden muss, dass Rich auch bei dieser Gelegenheit seinen Musikern viel Raum ließ. Sei es, dass er Chris Cacavas zu Soli inspirierte, Anna Rosales gleich zwei Mal - zu "Credits Roll" und "Witch Doctor" - das Mikro überließ oder seinen Gitarristen, den gut aufgelegten Adrian Esparza, zu Höchstleistungen anspornte und diesen auch gleich eine höchst eigenwillige Version von John Lennons "Cold Turkey" vortragen ließ. Das alles mag zwar unter musikhistorischen Gesichtpunkten nun alles nicht besonders wertvoll gewesen sein, es machte jedoch einen Riesen-Spaß und war für diesen Moment genau das Richtige. Wie im Vorjahr Big Bang überzeugten Rich und die Luminarios mit einer schnörkellosen, gut geölten Rock'n'Roll Show - und das ohne Neil Young-Cover!

Die Willard Grant Conspiracy sind ja bereits alte Bekannte beim OBS. Bislang war das allerdings immer so, dass die Band um Robert Fisher eingeladen worden war, weil sie mit ihren Wiegeliedern - notabene "Archie's Lullaby", das immer ein versonnenes Lächeln auf die Lippen des gleichnamigen Glitterhouse Mitarbeiters zaubert - immer den idealen, nachbarfreundlichen Ausklang des Festivals garantierten. Wer die Band indes in letzter Zeit schon mal gesehen hatte, der wusste, dass sich da etwas geändert hatte. Die WGC sind gerade dabei, das Material für das kommende Album aufzunehmen, und damit möchte auch Robert Fisher weg vom Image der sensiblen, folk-orientierten Singer-Songwriter Band. Nun, wenn das Ganze dann auch nur halb so energisch rüberkommt, wie beim Auftritt auf dem OBS, sollte das nun wahrlich kein Problem sein. Im Vergleich zur letzten Tour, wo die neuen Stücke alle noch ziemlich kompakt dargeboten wurden, spielten die Willards das Ganze hier fast ausschließlich in einem höchst dynamischen Jam-Mode. Selbst Keyboarderin Yuko ließ sich davon mitreißen und freute sich nachher über das durchaus ernstgemeinte Lob, dass sie ja eher Töne als etwa Melodien oder Harmonien produziert habe. Selbst Robert Fisher ließ sich dazu hinreißen - zunächst sitzend, und dann aber auch stehend - mitzugehen und entweder mit geschlossenen Augen auf der Gitarre zu schrammeln oder aber rhythmisch mit den Armen zu rudern. Die neuen Stücke, die entweder, wie "Sticky" auf kräftigen Riffs basieren oder wie "Crush" (von dem Robert sagte, das sei so was ähnliches wie das bekannte "Soft Hand", das vom Publikum gefordert, aber nicht gespielt wurde) von vorneherein als hypnotische Stakkato-Drones angelegt sind, die auch Velvet Underground nicht besser hinbekommen hätten. Selbst nicht mit Jerry Garcia an der Leadgitarre, denn - und das bemerkte auch Chris Eckman, der das neue Studio-Material bereits gehört hat - eine gewisse psychedelische Note konnte man dem Ganzen nicht absprechen. Auch bekanntem Liedgut, wie die Ballade von John Parker, bekam das neue, energische Treatment gut. Zum Schluss gab's als Bonbon dann noch eine ziemlich schneidige Cover-Version von "Ballad Of A Thin Man", bei der es Robert tatsächlich fertig brachte, wie der gute Bob Dylan selber zu klingen. Und die Willard Grant Conspiracy wie The Band, wenn wir schon mal dabei sind. Als dann das Konzert - und damit das Festival - zu Ende ging, durfte man sich sicher sein, einen der Höhepunkte des Jahres soeben erlebt zu haben.

Für das nächste Jahr sind dann Nacktwandern und Auspeitschen mit Tannenzapfen angedacht. Man muss aber mal abwarten, ob die nicht vielleicht wieder absagen. "Heh, Chris", meinte ganz zum Schluss noch Chris Eckman zu Chris Cacavas - mit Anspielung auf vorangangene OBS und das legendäre Live-Aid-Konzert, "jetzt hast du mich endgültig überholt. Bisher habe ich ja den Rekord beim OBS, was das Viel-Auftreten betrifft. Das war aber alles an einem Tag. Mit deinen Auftritten an allen drei Tagen bist du nun offiziell der Phil Collins des OBS." Die Antwort von Chris Cacavas ist leider nicht bekannt.


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Surfempfehlung:
www.orange-blossom-special.de
www.glitterhouse.com

Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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