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20.05.2018
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Hope & Anchor

Orange Blossom Special 22 - 3. Teil

Beverungen, Glitterhouse-Garten
20.05.2018

Olli Schulz
Und dann ist da ja noch die Sache mit dem Surprise-Act am OBS-Sonntag. Das ist ja dummerweise zu einer Tradition geworden, so dass Langschläfer schon seit Jahren dann nicht mehr zur Ruhe kommen. Denn obwohl niemand erraten hatte, dass es sich beim diesjährigen Surprise Act um die angesagte Hamburger Kapelle Kettcar handelte (schon alleine, weil die ja noch nie auf dem OBS aufgetreten war), standen fast alle Fans um 11:30 Uhr pünktlich auf der Festivalwiese als Rembert Stiewe einen überdimensionalen Bolzenschneider hoch hielt, um auch einen inhaltlichen Bezug zu dem Auftritt herzustellen (da ein solches Werkzeug im Song "Sommer '89" ja eine große Rolle spielt).

"Das ist ja nicht schlecht nach zwei Tagen Festival", freute sich der Kettcar-Vorsitzende Marcus Wiebusch über das volle Auditorium, das dann auch noch interessiert und aufmerksam dem Vortrag der Band lauschte. Die inzwischen auch schon rüstigen fünf Herren spielten ihre Songs mit Druck und Spaß und sorgten zusätzlich gleichermaßen für eine Prise Politik wie auch Selbstironie. "Wir spielen jetzt drei Liebeslieder hintereinander", meinte Marcus während des Sets, "das ist ja für uns eher ungewöhnlich, da wir ja inzwischen als Politpunk Band bekannt sind... da mussten wir aber schon lachen, als wir das gelesen haben..."

Der nächste Act, den Rembert ankündigte, war einer, wie es sie früher ausschließlich auf dem OBS gegeben hatte: Der Kanadier Donovan Woods ist ein eher gemütlicher Vertreter der Americana-Zunft und bot Songmaterial von großer Tiefe (wie Rembert es ausdrückte). Das war dann für diese Zeit und dieses Wetter genau das richtige. Dabei machte es nicht mal etwas aus, dass Donovans Material eher melancholischen Charakters ist, denn das wusste er durch lustige philosophische Erkenntnisse in Form lockerer Sprüche auszugleichen. "Jedermann weiß ja, dass traurige Songs an einem sonnigen Sonntag-Nachmittag genau das richtige sind", schmunzelte er, "denn das Leben ist traurig. Und wer das noch nicht mitbekommen hat, der hat nicht aufgepasst." Donovan ist ein betont bodenständiger Genosse, dem es auch nicht zu Kopf gestiegen ist, dass sein Song "Portland, Maine" vom Country-Superstar Tim McGraw zu einem Hit gemacht wurde. Warum auch sollte er: "Das hat mir 18 Jahre lang meine Miete bezahlt", räumte er nämlich ein.

Danach gab es dann Frühsport für die Muskeln und die Ohren. Daley Thompson ist ein ehemaliger britischer Zehnkämpfer, der seinen ärgsten Konkurrenten, den glücklosen Jürgen Hingsen dereinst stets auf Abstand halten konnte. Warum sich das Dortmunder Trio, das im Folgenden die Hörmuscheln mit betont erdiger, harter Rockmusik durchspülte, sich daran anlehnend Daily Thompson nannte, wurde im Folgenden nicht so recht klar, denn obwohl die Musik des Trios ordentlich Dampf machte, ging es hier nicht um Variationen oder Vielfalt, sondern um geradlinigen Schmackes und positive Vibes. Eigentlich war es ganz wohltuend, dass Daley Thompson ihre Musik so entschlackt und geradlinig vortrugen, denn die ansonsten gerne mal üblichen Blues- oder Hardrock-Klischees suchte man im Wirken der drei haareschüttelnden Protagonisten vergeblich. Nun ja - bis auf den Umstand, dass man - wie Bassistin Mercedes erklärte - weder Kosten noch Mühe gescheut hatte, und den Multicolored Shades Veteranen Detlev Bizer für einen Einsatz an der Hammond Orgel hinzugebucht hatte. Das machte Spaß und ließ das Set wie im Fluge vergehen. Nur eines muss angemerkt werden: Der Notenständer mit den Text-Sheets, den Sänger Danny Zaremba sich vor die Nase stellte, war definitiv kein Rock'n'Roll - nicht mal unter dem Gesichtspunkt, dass die Zettel vom Winde davongetragen wurden, so wie hier.

Derweil standen schon die nächsten Glitterhouse-Mitglieder in den Startlöchern: Nora Steiner und Madlaina Pollina aus Zürich erhöhten nicht nur - nach Faber im letzten Jahr und Me + Marie am Vortage - die Schweizer Festivalquote, sondern machten mit ihrem multilingualen Vortrag (englisch, deutsch, italeinisch und griechisch) auch durchaus neugierig auf ihr kommendes Debüt-Album, das im Herbst auf Glitterhouse herauskommen wird. Im Prinzip machen Steiner & Madlaina, wie sich das Duo nennt, gepflegten Folkpop mit Mehrwert. Denn einerseits bieten die betont lyrisch ausformulierten Songs, die Nora und Madlaina mit ihrer jungen Band da präsentierten, musikalisch deutlich mehr als den gelegentlichen Lagerfeuer-Moment (wie so oft in diesem Genre) und auch inhaltlich bleiben die Mädels nicht an der Oberfläche. "Ihr denkt ja immer, wir Schweizer wären so nett", erklärte Madlaina, "das sind wir aber gar nicht - zumindest dann nicht, wenn wieder eine unpopuläre Abstimmung schief ging." Im Folgenden gab es dann neben beeindruckendem Satzgesang und durchdachten Arrangements auch politische Untertöne zu hören, die dem unschuldig wirkenden Gehabe der Damen tatsächlich in gewisser Weise entgegen standen. Aber mal ohne Unterton: Natürlich sind Nora und Madlaina dann als Personen doch sehr nett - auch wenn es Schweizerinnen sind.

Wie gesagt war das OBS früher ein Hort des Verlässlichen - zumindest für Freunde angegrauter Americana-Töne. Diese Zeiten sind indes lange vorbei, denn Rembert Stiewe hat es sich ja zur Aufgabe gemacht, das Festival-Programm mit erzieherischen Hintergedanken zu gestalten. (Womit er übrigens uneingeschränkten Beifall verdient, da eigentlich jedes OBS IM NACHHINEIN zu einem absoluten Jahreshöhepunkt wird.) Und dazu gehören provozierende Unsinnigkeiten wie White Wine - ein "furchterregendes" und "beklopptes" Trio, das mit elektronischen und organischen Drums, Keyboards und Fagott Töne macht, die weder im direkten Zusammenhang noch im übertragenen Sinn irgend eine Art von Sinn machen.

Olli Schulz gehört ja nicht nur zu den erfolgreicheren Liedermachern und Fernsehpersönlichkeiten der Republik, sondern auch zu den OBS-Veteranen. 2007 trat er bereits ein Mal im Glitterhouse-Garten auf und lieferte weiland eine unvergessliche Comedy-Show ab. Leider hat er sich heutzutage darauf versteift, die Musik dann doch ins Zentrum der Betrachtungen zu stellen. Zwar lässt er es sich nicht nehmen, zwischen den Stücken immer noch mit Schoten, Handys und Konfetti um sich zu werfen - aber vor allen Dingen liegen ihm seine Kompositionen am Herzen, die seine Tochter zwar als Krach bezeichnet, die aber im Grunde genommen eher harmlos daherkommen. In seiner All-Star-Band war dieses Mal Kat Frankie als Überraschungsgast eingebaut (nachdem in der Vergangenheit Gisbert zu Knyphausen am Bass gesichtet wurde). Es waren allerdings tatsächlich nicht die Songs, sondern die Art, in der Olli diese präsentierte, umspielte, mit Freestyle-Raps und mit Social-Media-Elementen verzierte, die die Show zu einem großen Comedy-Happening werden ließen. Auch, weil Olli es spielend versteht, das Publikum, die Crew und sogar die Web-Fans ins Geschehen mit einzubeziehen.

Zwischen den Shows auf der Hauptbühne war dann ein Kontrastprogramm angesagt. Einerseits machten die unberechenbaren Boy Division mit ihren ulkigen New Wave-Coverversionen auf Akustik-Basis, aber mit Megafon das Gelände unsicher und tauchten mal hier und mal dort auf, um die Leute zu verstören. Andererseits bemühte sich Linus Volkmann auf der Minibühne ein Publikum für eine Lesung zu finden. Das hat ja seit dem Auftritt von Franz Dobler auf dem OBS Tradition - ist bei der heute üblichen Hektik ungleich schwerer zu Handhaben. Immerhin: Insbesondere für einige Kinder schien die Idee, etwa Musikjournalismus aus der Sicht von Andrea Kiewel nachzuempfinden, durchaus von Interesse zu sein. Oder sie nutzten einfach die Gelegenheit, sich um Linus herum auf der kleinen Bühne mal hinsetzen zu können.

Danach stand ein erneuter Auftritt des inzwischen auch zum Glitterhouse-Roster gehörenden, niederländischen Trios Birth Of Joy auf dem Programm. Birth Of Joy standen zuletzt 2014 auf der OBS-Bühne und überzeugten weiland durch ihr ungewöhnliches Line-Up (statt eines Bassisten arbeiten BOJ mit einer stark modifizierten Hammond-Orgel, der Keyboarder Gertjan Gutman unglaubliche Soundkaskaden aller Couleur entlockt). Nicht zuletzt aufgrund dieser Konstellation und einer gewissen Blues-Note klingen BOJ auch heutzutage noch stellenweise nach den Doors. Allerdings ist die Sache inzwischen deutlich geradliniger in Richtung Rock ausgerichtet worden. Während die zuweilen ausufernden Tracks des Trios auf Tonträgern sich gerne mal durch eine gewisse Unerbittlichkeit auszeichnen, gerät die Sache auf der Bühne - schon alleine wegen der exaltierten Bühnenpräsenz von Gitarrist/Sänger Kevin Stunneberg (der nun wirklich jede Rockstar-Pose aus dem EffEff beherrscht) - zu einer nach wie vor immens unterhaltsamen und kurzweiligen Angelegenheit.

Unterhaltsam für die Bühnentechniker war dann auch der folgende Umbau, denn hier galt es, die auf der Bühne stehende Hammond-Orgel Gutmanns durch jene von Midnight-Choir auszutauschen. Der OBS-Stage-Manager nahm während der BOJ-Show vorsichtshalber noch mal Maß, denn es wäre ja zu blöde gewesen, wenn eine Orgel stecken geblieben wäre oder es einen Zusammenstoß gegeben hätte.

Wie Rembert berichtete, hatten Midnight Choir 2003 weiland die letzte Show außerhalb Norwegens auf dem OBS gespielt, bevor man dann getrennter Wege ging - und natürlich sollten sie dann auch die erste Show außerhalb Norwegens dortselbst spielen, nachdem sich Al Deloner, Pal Flaata und Ron Olsen wieder zusammengerauft zu haben schienen. Im Zentrum der Betrachtungen stand dabei die LP "Unsung Heroine", mit der DeLoner weiland seiner damals noch kleinen Tochter ein Denkmal setzte, die nun wiederveröffentlicht wird. Um einem reinen Deja-Vu-Erlebnis vorzubeugen, hatten sich die Herren einiges ausgedacht. Denn spielten sie 2003 eine Show ganz ohne Drummer, so war dieses Mal wieder einer dabei. Und dann gab es als Bonbon noch ein Western-Setting. Bassist Ron Olsen etwa präsentierte sich mit Sonnenrille und Cowboy Hut - und Al Deloner überraschte sogar mit dem Kopfschmuck eines Indianer-Häuptlings. Warum er das tat, blieb im Dunkeln, denn musikalisch hatte sich dann so viel gar nicht verändert. Es gab die gewohnt majestätischen Männerschmerz-Elegien, die den Jungs auch hierzulande viele treue Fans beschert hatten (die sich letztlich nicht dafür interessieren, dass die zuweilen dann doch grob naiven Textformulierungen von den Flüssen der Einsamkeit, bezahlten Killer-Männern und betrunkenen Diplomaten für Leute, die auf so etwas achten, dann doch eher für munteres Fußnägelrollen sorgen). Aber: Wer achtet bei einem solchen Erlebnis schon auf Texte? Insgesamt war diese Show dann auch genau der krönende Abschluss des Festivals, den sich alle gewünscht hatten.

Als Fazit ließe sich noch festhalten, dass im Nachhinein wieder mal diejenigen die Doofen gewesen waren, die sich im Vorfeld mit dem Line-Up des Festivals kritisch auseinandergesetzt hatten und deswegen enttäuscht abgesagt hatten, weil es nicht den eigenen Vorstellungen entsprochen hatte. Selber schuld - mit solchen Überlegungen kommt man beim OBS halt nicht weiter. Kriechen zwei Schlangen durch die Wüste. Fragt die eine: "Sag mal, sind wir eigentlich giftig?" Meint die andere: "Weiß nicht - wieso?" Antwortet die eine: "Ich habe mir gerade auf die Zunge gebissen."


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Text: -Ullrich Maurer-
Foto: -Ullrich Maurer-
 

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